Shortlist Deutscher Buchpreis 2023. »Ein ganz glänzendes Buch. Es ist eines der besten, das sie geschrieben hat.« Daniela Strigl
Muna liebt Magnus. Ob und wen Magnus liebt, ist schwer zu sagen. Was geschieht mit einem Leben, das man in Abhängigkeit von einem anderen führt? Muna steht vor dem Abitur, als sie Magnus kennenlernt, Französischlehrer und Fotograf. Mit ihm verbringt sie eine Nacht. Mit dem Mauerfall verschwindet er. Erst sieben Jahre später begegnen sich die beiden wieder und werden ein Paar. Muna glaubt, in der Beziehung zu Magnus ihr Zuhause gefunden zu haben. Doch schon auf der ersten gemeinsamen Reise treten Risse in der Beziehung auf. Im Laufe der Jahre nehmen Kälte, Unberechenbarkeit und Gewalt immer nur zu. Doch Muna ist nicht gewillt aufzugeben.
Muna liebt Magnus. Ob und wen Magnus liebt, ist schwer zu sagen. Was geschieht mit einem Leben, das man in Abhängigkeit von einem anderen führt? Muna steht vor dem Abitur, als sie Magnus kennenlernt, Französischlehrer und Fotograf. Mit ihm verbringt sie eine Nacht. Mit dem Mauerfall verschwindet er. Erst sieben Jahre später begegnen sich die beiden wieder und werden ein Paar. Muna glaubt, in der Beziehung zu Magnus ihr Zuhause gefunden zu haben. Doch schon auf der ersten gemeinsamen Reise treten Risse in der Beziehung auf. Im Laufe der Jahre nehmen Kälte, Unberechenbarkeit und Gewalt immer nur zu. Doch Muna ist nicht gewillt aufzugeben.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Rezensent Elmar Krekeler hält Terezia Moras neuen Roman, der den Auftakt zu einer Trilogie über Weiblichkeit bildet, für ein "Wunder". Denn Mora vermag es, den Leser über 400 Seiten mal zugeneigt, mal widerwillig an eine Frau zu fesseln, die sich immer tiefer in eine gewaltätige Abhängigkeitsbeziehung begibt und die man mitunter schütteln möchte. Überhaupt staunt der Kritiker, wie es Mora in der ihr eigenen "quecksilbrigen" Sprache gelingt, über Weiblichkeitskonstruktionen zu schreiben, ohne dass je eine ihrer Zeilen "konstruiert" erscheint. Dass der Roman zudem als "Satire" auf den intellektuellen Betrieb nach der Wende funktioniert, betont Krekeler ebenfalls.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.09.2023Sie werden diese
Frau erkennen
Nach ihrer Romanreihe über den Normalo Darius Kopp schreibt die
genial präzise Erzählerin Terézia Mora jetzt eine „Trilogie der Frauen“.
Sie beginnt mit einem unheimlichen Fall von Gewalt in der Liebe
VON MARIE SCHMIDT
Würden Sie sich in diesen Mann verlieben? „Und schon wieder war ich mir nicht sicher, ob er mich wirklich brutal abgekanzelt hatte oder ob ich zu empfindlich war.“ Fragt sich eine Achtzehnjährige. Trau deinem Bauchgefühl, antwortet der Therapiesprech von heute. Aber der innere Kompass fehlt auch, „weil ich so völlig allein war, weil ich niemanden fragen konnte, was wovon zu halten war – Du wirst doch nicht hier anfangen zu heulen?“ Das ist die Stimme des Geliebten – oder der Mutter? –, die sich ins Selbstgespräch drängt. Also tapfer bleiben: „Er“ macht sie vielleicht runter, aber es handelt sich um „den schönsten Mann, den ich je im Leben sehen würde“.
Die Schlagwörter liegen nahe für die Beziehung, oder eigentlich Beziehungen, von denen Terézia Moras Roman „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ handelt. Womöglich zu nahe, in einer von der Metoo-Bewegung und populärem Feminismus gestählten Leserschaft: emotionale Misshandlung, toxische Männlichkeit, Gewalt, Machtmissbrauch. All das liegt von Anfang an auf der Hand, Terézia Moras Erzählerin Muna ist vielleicht verloren, jung, naiv, aber sie sieht die „red flags“. Trotzdem käme es einem grausam und besserwisserisch dieser Figur gegenüber vor, den Roman nicht in der Hoffnung zu lesen, dass eine Liebesgeschichte daraus wird. Die Hoffnung macht einen selbst wie Muna verletzbar durch ihre Vergeblichkeit.
Eine Scheu, diesem Buch mit Begriffen zu Leibe zu rücken, kommt auch daher, dass Terézia Mora kaum explizit wird in der Figurenpsychologie. Eher bringt sie ihre Form zur höchsten Kunst, in wenigen Strichen, eher spontan wirkenden Bemerkungen, ihre Figuren sehr nahe kommen zu lassen, von dem mustergültigen Romananfang an: „Nachdem sie meine Mutter mit Blaulicht weggebracht hatten, ging ich in den Hof, wo das Fahrrad stand, und schon wieder hatte es einen Platten. Ihr miesen Arschlöcher!“ Laute und leise, innere und äußere Stimmen, Vorfälle und Wahrnehmungen fließen ohne Anführungszeichen ineinander, und es gibt keine Welt in dieser Erzählung als die der Ich-Erzählerin Muna Appelius. Darin bleibt das Mehrdeutige, Ambige, Unklare einfach stehen. Das ist Terézia Moras genial präziser Realismus. Rhythmus und Textur dieser Erzählweise sind ein Erlebnis, selbst wenn man vor ihrem Thema zurückscheuen sollte.
Ihre vorigen Romane „Der einzige Mann auf dem Kontinent“, „Das Ungeheuer“ und „Auf dem Seil“ bilden eine Trilogie, deren Hauptfigur Darius Kopp in seiner ausdrücklichen Normalität sehr männlich gezeichnet war. In ihrem Arbeitstagebuch „Fleckenverlauf“, das 2021 erschien, gibt es den Hinweis, dass mit „Muna“ jetzt eine „Trilogie der Frauen“ beginnt. Auf dem Titelblatt des ersten Teils steht „Die weibliche Variante“. Und die ist so eigen, dass man sich sofort den Rashomon-Effekt vorstellt, eine Wiederholung derselben Geschichte aus einer anderen Perspektive, zum Beispiel der ihres Liebesobjekts, die ein vollkommen anderes Erleben ergäbe. Aber gerade in einer unsicheren Erzählsituation wirkt es wie eine politische Entscheidung, bei dieser Frau und ihrer Sicht zu bleiben. So schmerzhaft es ist, dass gerade sie selbst unendlich bereit ist, die Gewalt, die sie erfährt, kleinzureden und wegzuinterpretieren.
Zu Anfang wird Muna gerade volljährig. Sie lebt in einer Kleinstadt in der DDR mit dem fiktiven Namen Jüris. Die Mutter ist eine mäßig erfolgreiche Schauspielerin am Stadttheater und spätestens seit dem Tod des Vaters Alkoholikerin. Sie zupft und massiert an ihrem Körper herum, der keine jugendliche Form mehr annehmen will und gibt Muna die Regeln des Lebens unter männlichen Blicken weiter: „Irgendwann muss man sich als Frau sowieso entscheiden: Ziege oder Kuh.“ Nach einem Suizidversuch der Mutter ist Muna auf sich allein gestellt. Sie jobbt bei einer Zeitung und deren Magazin, wo der „schönste Mann“ als Autor und Fotograf auftaucht. Eigentlich ist er Lehrer. Und von vorne herein abweisend. Womöglich ein vom Leben in der Diktatur deformierter Charakter.
Muna folgt ihm auf dem Fahrrad durch die Stadt, beobachtet, mit wem er ins Theater geht, und nachdem sie Abitur gemacht hat, kommt es zu einer Nacht gespielter Abgeklärtheit und erstem Sex. Dann verschwindet dieser Magnus Otto. Er sagt, auf eine Fahrradtour, die dann wohl doch eher in den Westen geht, und kurz darauf löst die Wende die Welt, in der sie sich begegnet sind, auf. Bis sie ihn wieder trifft, hat Muna studiert, und es gibt eine Reihe weiterer Männer, die unversehens ihre Grenzen missachten. Ein Englischdozent in Berlin überrumpelt sie ins Bett. Der Vater der Kinder, die sie in London babysittet, ist seiner Familie gegenüber kalt, weshalb sie ihn ausgerechnet zu begehren beginnt. Ein verkrachter Schriftsteller in Wien vergewaltigt sie beinahe.
Der unschlagbare Vorteil des Romans ist, diese Reihe nicht kommentieren zu müssen: Zieht Muna kalte Egomanen an, aus Schwäche aggressiv gewordene Männer? Löst die ihr eigene Mischung aus Liebesbedürftigkeit und Abwesenheit (sie wartet immer noch täglich auf Magnus) den Impuls aus, sich ihrer zu bemächtigen? Sucht sie, weil sie es von zu Hause als Liebe kennt, das Unheil? Im Kopf der Leserin läuft schon ununterbrochen die Leuchtschrift der Künstlerin Jenny Holzer durch: „Protect me from what I want“. Da trifft sie Magnus wieder. Und auch hier gibt es ein paar Fragen, die man besser nicht eindeutig beantwortet: Was macht sie da eigentlich, indem sie jahrelang Briefe an einen schreibt, den sie kaum kennt, der offenbar nicht gekannt werden will, als wäre er ihr engster Vertrauter? Warum gibt sie mehrmals fast oder ganz ihr Leben auf, um ihm hinterher zu ziehen, und hält sich doch auch an seinen Wunsch nach Abstand?
Nebenbei arbeitet sie für feministische Forschungsprojekte und Verlage, ihr Dissertationsthema heißt: „Tagebuch und Autobiografie: Weiblichkeitskonstruktionen und Erinnerungskultur“. Sein Habil-Projekt: „Männlichkeitskonstruktionen bei Hans Henny Jahnn“. Der Spott über das akademische Milieu ist milde in diesem Roman, der Ernst des Scherzes besteht darin, dass superavanciertes Wissen und fatales Begehren völlig ungerührt nebeneinander stehen können. Es hat umso mehr tragische Züge, wie Muna die Laufbahn, die man ihr als vielversprechender Intellektueller nahelegt, in Hingebung an Magnus versenkt. Und Freundschaften gleich mit.
An der Gewaltspirale, in die sich das zuerst noch als existenzialistische Distanziertheit missverständliche Verhalten dieses Mannes hineindreht, gibt es nichts zu deuteln. Körperliche Gewalt ist körperliche Gewalt. Beeindruckender noch wirkt aber, wie Terézia Mora die Gewalt langsam in den Gefühlshaushalt der beiden einschleicht. Muna überredet Magnus, ihr seine Fotos von einer gemeinsamen Reise zu zeigen: „Es sind nie Menschen drauf.
Ich fotografiere keine Menschen.
Warum nicht?
Ich beherrsche es nicht, und ich kann schlechte Bilder nicht leiden.“
Noch eine lässliche Abwehr ihrer überschwänglichen Zugewandtheit, nur einen Tick zu hart. Dann gehen sie zusammen zu einem Empfang, sie fühlt sich wohl, er: „Man hätte denken können, du seist die Hauptperson.“ Ein Abend mit ihren Freunden, sie flüstert ihm eine Indiskretion ins Ohr, er: „Und was soll das jetzt?“, wirft ein Weinglas um und verlässt wortlos das Lokal. Droht überhaupt permanent zu verschwinden. Sie versucht ein ums andere Mal, seine „Regeln“ zu befolgen, ihn und sich vor den irritierten Blicken Dritter zu isolieren: „Der Mann war voller wunder Punkte, und ich kannte ihn nicht genug, um zu wissen, welche und wo und wie ich sie vermeiden konnte.“ Also versucht sie es selbstvergessen zu lernen.
Man könnte das nun alles als Studie zur alarmierten Frage der Beziehungsberatung interpretieren: Warum verlassen Frauen ihre gewalttätigen Männer nicht? Aber die eigentliche Sensation dieses Romans ist subtiler. In ihrem Arbeitstagebuch beobachtet Terézia Mora einmal, wie die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang in ihrem Roman „Menschenwerk“, der 2014 auf deutsch erschien, „gebrochene Männer“ beschreibt. Mora nennt die Figurenzeichnung „ikonographisch“ in dem Sinne, dass man sie sofort wiedererkennt. Und merkt an, „dass sowohl die männlichen als auch die weiblichen Autoren am Fortschreiben dieser männlichen Ikonen arbeiten, während ‚niemand‘ in vergleichbarer Breite an weiblichen Ikonen schreibt.“
„Muna“ ist eine solche Ikone. An Frauen, historischen wie gegenwärtigen ist sie dermaßen wiedererkennbar, diese spezielle Kombination aus ihrerseits leise egoistisch gepflegten Illusionen und umso aufopferungsvollerer Hingabe an das Liebesgegenüber, sein Begehren, seine brutale Abgrenzung, die Realitätsverweigerung und Tapferkeit, mit der sie die Hoffnung auf eine ganz einzigartige Liebe aufrechterhalten. So wiedererkennbar, dass es geradezu unheimlich ist.
Terézia Mora schreibt Prosa und übersetzt aus dem Ungarischen, etwa Bücher von Péter Esterházy und Andrea Tompa. 2018 bekam sie den Georg-Büchner-Preis.
Foto: Friedrich Bungert
Terézia Mora:
Muna oder
Die Hälfte des Lebens. Roman. Luchterhand, München 2023.
448 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frau erkennen
Nach ihrer Romanreihe über den Normalo Darius Kopp schreibt die
genial präzise Erzählerin Terézia Mora jetzt eine „Trilogie der Frauen“.
Sie beginnt mit einem unheimlichen Fall von Gewalt in der Liebe
VON MARIE SCHMIDT
Würden Sie sich in diesen Mann verlieben? „Und schon wieder war ich mir nicht sicher, ob er mich wirklich brutal abgekanzelt hatte oder ob ich zu empfindlich war.“ Fragt sich eine Achtzehnjährige. Trau deinem Bauchgefühl, antwortet der Therapiesprech von heute. Aber der innere Kompass fehlt auch, „weil ich so völlig allein war, weil ich niemanden fragen konnte, was wovon zu halten war – Du wirst doch nicht hier anfangen zu heulen?“ Das ist die Stimme des Geliebten – oder der Mutter? –, die sich ins Selbstgespräch drängt. Also tapfer bleiben: „Er“ macht sie vielleicht runter, aber es handelt sich um „den schönsten Mann, den ich je im Leben sehen würde“.
Die Schlagwörter liegen nahe für die Beziehung, oder eigentlich Beziehungen, von denen Terézia Moras Roman „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ handelt. Womöglich zu nahe, in einer von der Metoo-Bewegung und populärem Feminismus gestählten Leserschaft: emotionale Misshandlung, toxische Männlichkeit, Gewalt, Machtmissbrauch. All das liegt von Anfang an auf der Hand, Terézia Moras Erzählerin Muna ist vielleicht verloren, jung, naiv, aber sie sieht die „red flags“. Trotzdem käme es einem grausam und besserwisserisch dieser Figur gegenüber vor, den Roman nicht in der Hoffnung zu lesen, dass eine Liebesgeschichte daraus wird. Die Hoffnung macht einen selbst wie Muna verletzbar durch ihre Vergeblichkeit.
Eine Scheu, diesem Buch mit Begriffen zu Leibe zu rücken, kommt auch daher, dass Terézia Mora kaum explizit wird in der Figurenpsychologie. Eher bringt sie ihre Form zur höchsten Kunst, in wenigen Strichen, eher spontan wirkenden Bemerkungen, ihre Figuren sehr nahe kommen zu lassen, von dem mustergültigen Romananfang an: „Nachdem sie meine Mutter mit Blaulicht weggebracht hatten, ging ich in den Hof, wo das Fahrrad stand, und schon wieder hatte es einen Platten. Ihr miesen Arschlöcher!“ Laute und leise, innere und äußere Stimmen, Vorfälle und Wahrnehmungen fließen ohne Anführungszeichen ineinander, und es gibt keine Welt in dieser Erzählung als die der Ich-Erzählerin Muna Appelius. Darin bleibt das Mehrdeutige, Ambige, Unklare einfach stehen. Das ist Terézia Moras genial präziser Realismus. Rhythmus und Textur dieser Erzählweise sind ein Erlebnis, selbst wenn man vor ihrem Thema zurückscheuen sollte.
Ihre vorigen Romane „Der einzige Mann auf dem Kontinent“, „Das Ungeheuer“ und „Auf dem Seil“ bilden eine Trilogie, deren Hauptfigur Darius Kopp in seiner ausdrücklichen Normalität sehr männlich gezeichnet war. In ihrem Arbeitstagebuch „Fleckenverlauf“, das 2021 erschien, gibt es den Hinweis, dass mit „Muna“ jetzt eine „Trilogie der Frauen“ beginnt. Auf dem Titelblatt des ersten Teils steht „Die weibliche Variante“. Und die ist so eigen, dass man sich sofort den Rashomon-Effekt vorstellt, eine Wiederholung derselben Geschichte aus einer anderen Perspektive, zum Beispiel der ihres Liebesobjekts, die ein vollkommen anderes Erleben ergäbe. Aber gerade in einer unsicheren Erzählsituation wirkt es wie eine politische Entscheidung, bei dieser Frau und ihrer Sicht zu bleiben. So schmerzhaft es ist, dass gerade sie selbst unendlich bereit ist, die Gewalt, die sie erfährt, kleinzureden und wegzuinterpretieren.
Zu Anfang wird Muna gerade volljährig. Sie lebt in einer Kleinstadt in der DDR mit dem fiktiven Namen Jüris. Die Mutter ist eine mäßig erfolgreiche Schauspielerin am Stadttheater und spätestens seit dem Tod des Vaters Alkoholikerin. Sie zupft und massiert an ihrem Körper herum, der keine jugendliche Form mehr annehmen will und gibt Muna die Regeln des Lebens unter männlichen Blicken weiter: „Irgendwann muss man sich als Frau sowieso entscheiden: Ziege oder Kuh.“ Nach einem Suizidversuch der Mutter ist Muna auf sich allein gestellt. Sie jobbt bei einer Zeitung und deren Magazin, wo der „schönste Mann“ als Autor und Fotograf auftaucht. Eigentlich ist er Lehrer. Und von vorne herein abweisend. Womöglich ein vom Leben in der Diktatur deformierter Charakter.
Muna folgt ihm auf dem Fahrrad durch die Stadt, beobachtet, mit wem er ins Theater geht, und nachdem sie Abitur gemacht hat, kommt es zu einer Nacht gespielter Abgeklärtheit und erstem Sex. Dann verschwindet dieser Magnus Otto. Er sagt, auf eine Fahrradtour, die dann wohl doch eher in den Westen geht, und kurz darauf löst die Wende die Welt, in der sie sich begegnet sind, auf. Bis sie ihn wieder trifft, hat Muna studiert, und es gibt eine Reihe weiterer Männer, die unversehens ihre Grenzen missachten. Ein Englischdozent in Berlin überrumpelt sie ins Bett. Der Vater der Kinder, die sie in London babysittet, ist seiner Familie gegenüber kalt, weshalb sie ihn ausgerechnet zu begehren beginnt. Ein verkrachter Schriftsteller in Wien vergewaltigt sie beinahe.
Der unschlagbare Vorteil des Romans ist, diese Reihe nicht kommentieren zu müssen: Zieht Muna kalte Egomanen an, aus Schwäche aggressiv gewordene Männer? Löst die ihr eigene Mischung aus Liebesbedürftigkeit und Abwesenheit (sie wartet immer noch täglich auf Magnus) den Impuls aus, sich ihrer zu bemächtigen? Sucht sie, weil sie es von zu Hause als Liebe kennt, das Unheil? Im Kopf der Leserin läuft schon ununterbrochen die Leuchtschrift der Künstlerin Jenny Holzer durch: „Protect me from what I want“. Da trifft sie Magnus wieder. Und auch hier gibt es ein paar Fragen, die man besser nicht eindeutig beantwortet: Was macht sie da eigentlich, indem sie jahrelang Briefe an einen schreibt, den sie kaum kennt, der offenbar nicht gekannt werden will, als wäre er ihr engster Vertrauter? Warum gibt sie mehrmals fast oder ganz ihr Leben auf, um ihm hinterher zu ziehen, und hält sich doch auch an seinen Wunsch nach Abstand?
Nebenbei arbeitet sie für feministische Forschungsprojekte und Verlage, ihr Dissertationsthema heißt: „Tagebuch und Autobiografie: Weiblichkeitskonstruktionen und Erinnerungskultur“. Sein Habil-Projekt: „Männlichkeitskonstruktionen bei Hans Henny Jahnn“. Der Spott über das akademische Milieu ist milde in diesem Roman, der Ernst des Scherzes besteht darin, dass superavanciertes Wissen und fatales Begehren völlig ungerührt nebeneinander stehen können. Es hat umso mehr tragische Züge, wie Muna die Laufbahn, die man ihr als vielversprechender Intellektueller nahelegt, in Hingebung an Magnus versenkt. Und Freundschaften gleich mit.
An der Gewaltspirale, in die sich das zuerst noch als existenzialistische Distanziertheit missverständliche Verhalten dieses Mannes hineindreht, gibt es nichts zu deuteln. Körperliche Gewalt ist körperliche Gewalt. Beeindruckender noch wirkt aber, wie Terézia Mora die Gewalt langsam in den Gefühlshaushalt der beiden einschleicht. Muna überredet Magnus, ihr seine Fotos von einer gemeinsamen Reise zu zeigen: „Es sind nie Menschen drauf.
Ich fotografiere keine Menschen.
Warum nicht?
Ich beherrsche es nicht, und ich kann schlechte Bilder nicht leiden.“
Noch eine lässliche Abwehr ihrer überschwänglichen Zugewandtheit, nur einen Tick zu hart. Dann gehen sie zusammen zu einem Empfang, sie fühlt sich wohl, er: „Man hätte denken können, du seist die Hauptperson.“ Ein Abend mit ihren Freunden, sie flüstert ihm eine Indiskretion ins Ohr, er: „Und was soll das jetzt?“, wirft ein Weinglas um und verlässt wortlos das Lokal. Droht überhaupt permanent zu verschwinden. Sie versucht ein ums andere Mal, seine „Regeln“ zu befolgen, ihn und sich vor den irritierten Blicken Dritter zu isolieren: „Der Mann war voller wunder Punkte, und ich kannte ihn nicht genug, um zu wissen, welche und wo und wie ich sie vermeiden konnte.“ Also versucht sie es selbstvergessen zu lernen.
Man könnte das nun alles als Studie zur alarmierten Frage der Beziehungsberatung interpretieren: Warum verlassen Frauen ihre gewalttätigen Männer nicht? Aber die eigentliche Sensation dieses Romans ist subtiler. In ihrem Arbeitstagebuch beobachtet Terézia Mora einmal, wie die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang in ihrem Roman „Menschenwerk“, der 2014 auf deutsch erschien, „gebrochene Männer“ beschreibt. Mora nennt die Figurenzeichnung „ikonographisch“ in dem Sinne, dass man sie sofort wiedererkennt. Und merkt an, „dass sowohl die männlichen als auch die weiblichen Autoren am Fortschreiben dieser männlichen Ikonen arbeiten, während ‚niemand‘ in vergleichbarer Breite an weiblichen Ikonen schreibt.“
„Muna“ ist eine solche Ikone. An Frauen, historischen wie gegenwärtigen ist sie dermaßen wiedererkennbar, diese spezielle Kombination aus ihrerseits leise egoistisch gepflegten Illusionen und umso aufopferungsvollerer Hingabe an das Liebesgegenüber, sein Begehren, seine brutale Abgrenzung, die Realitätsverweigerung und Tapferkeit, mit der sie die Hoffnung auf eine ganz einzigartige Liebe aufrechterhalten. So wiedererkennbar, dass es geradezu unheimlich ist.
Terézia Mora schreibt Prosa und übersetzt aus dem Ungarischen, etwa Bücher von Péter Esterházy und Andrea Tompa. 2018 bekam sie den Georg-Büchner-Preis.
Foto: Friedrich Bungert
Terézia Mora:
Muna oder
Die Hälfte des Lebens. Roman. Luchterhand, München 2023.
448 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2023Der kurze Weg vom Sex zur Gewalt
Warnungen sind unerwünscht: Terézia Moras Roman "Muna" schildert eine toxische Beziehung
Ob sie eigentlich böse sei, fragt der angehende Schriftsteller Arnold die Studentin Muna, was nun genau böse an ihr sei, und schließlich: "Wem willst du Böses?" Muna geht im Geist die Menschen durch, die sie verletzt haben - ihre alkoholkranke Mutter, die kaltherzige Tante, der übergriffige schottische Gastdozent -, und antwortet, ihr fielen durchaus Menschen ein, denen sie eine "ordentliche Abreibung" wünsche oder sogar den Tod. Dabei ließe sich der Konflikt mit ihnen doch ganz einfach lösen: "Wenn sie mir sagen würden, sie lieben mich, wäre ihnen nicht nur alles verziehen, ich würde sogar mit all meinen Kräften daran arbeiten, ihnen ihr Leben so gut wie möglich zu machen."
Bei ihm sei das anders, sagt Arnold. Dann fällt er über sie her, begrapscht sie und lässt sich nur knapp durch massive Gegenwehr aufhalten.
Arnolds Opfer ist die Erzählerin in Terézia Moras neuem Roman "Muna oder Die Hälfte des Lebens", der Anfang September erschienen ist und zurecht auf den Shortlists gleich zweier renommierter Literaturauszeichnungen steht - er ist für den Raabepreis ebenso nominiert wie für den Deutschen Buchpreis. Die wie die Autorin 1971 geborene Muna schildert darin, so scheint es, weitgehend chronologisch, was ihr zwischen 1989 und etwa 2010 widerfährt, zwischen dem Mauerfall, den sie in Ostdeutschland erlebt, und dem späten Beginn ihrer Laufbahn als Schriftstellerin. Sie lebt in Berlin, London, Wien, wieder Berlin, Saint-Nazaire an der französischen Atlantikküste, Basel und ein weiteres Mal in der deutschen Hauptstadt. Sie ist Studentin, Kindermädchen, Kellnerin, Doktorandin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an Forschungsprojekten, vertritt die schwangere Pressefrau eines Verlags, verkauft in einem Modeladen, wird Buchhändlerin und schließlich Autorin.
Ihre Biographie gleicht also der vieler anderer, die in den Jahren seit der Wiedervereinigung auf den Arbeitsmarkt drängten, sie ist geprägt von jähen Orts- und Stellenwechseln, von materieller Unsicherheit und von der Notwendigkeit, sich ständig auf neue Kollegen und Freunde einzustellen und die alten aus den Augen zu verlieren. Allerdings besitzt Munas Erzählung in ihrer jahrzehntelangen Obsession für den Lehrer und Amateurfotografen Magnus einen bemerkenswert konstanten roten Faden. Was sie berichtet, beginnt und endet mehr oder weniger mit ihm, und was ihr mit und durch Magnus widerfährt, ist das wesentliche Thema des Romans.
Muna lernt ihn noch vor dem Abitur in ihrer ostdeutschen Heimatstadt kennen, nachdem sie einen Schreibwettbewerb mit einem Gedicht gewonnen hat, in der örtlichen Zeitung hospitiert und nun in der Redaktion eines Kulturmagazins aushilft, das Magnus' Fotos publiziert. Muna verliebt sich in den, wie sie schreibt, ausgesprochen schönen Mann, der sie offensichtlich kaum bemerken will, folgt ihm heimlich durch die Stadt, schläft mit ihm und verliert ihn schließlich, als er im Sommer 1989 von einer Reise nicht mehr zurückkehrt wie so viele andere auch. Ihre Briefe bleiben unbeantwortet. Erst Jahre später sehen sie sich zufällig wieder. Sie beginnen eine Beziehung, die sie wesentlich ernster nimmt als er, behalten je eigene Wohnungen, unternehmen Reisen und sind nicht nur in der Familienplanung unterschiedlicher Auffassung über den richtigen Grad an Intensität in dieser Gemeinsamkeit.
Mora lässt Muna erzählen, aber sie umgibt ihre Erzählerin geschickterweise mit einer Reihe von Freunden und Freundinnen, deren Reaktionen und Kommentare uns über Munas Bericht ebenso erreichen, ihn ergänzen, relativieren oder sogar unterlaufen. Nicht alles, was sie sagen, möchte Muna hören, vor allem nicht die dezenten Warnungen davor, sich in der hart erkämpften Beziehung mit Magnus klein zu machen und unterzuordnen. Denn ihr Freund, immer bereit, mit ihr zu schlafen, hält sie mal auf Abstand, mal kontrolliert er sie in wachsendem Maße. Es kommt zu Aggressionen, verbalen wie nonverbalen, und während sich Muna anfangs erschrocken und empört von ihm zurückzieht, bis er sich ihr zerknirscht nähert, fängt sie später an, Entschuldigungen für sein Verhalten zu suchen und zugleich die Schuld bei sich selbst, bis sie immer häufiger ein Halstuch tragen muss, um die Spuren seines Würgegriffs zu vertuschen, oder lieber gleich tagelang zu Hause bleibt, bis alles ausgeheilt ist.
Solche Passagen sind kaum auszuhalten, vor allem diejenigen, in denen Muna mit großem rhetorischen Eifer Magnus' Verhalten rechtfertigt, indem sie seine Perspektive einzunehmen glaubt: "Ich gebe zu, dass ich anfing, wie am Spieß zu schreien. Wenn jemand das mit mir gemacht hätte, hätte ich denjenigen wahrscheinlich auch von meiner Schwelle gestoßen und die Tür vor ihm zugeknallt. Und hätte derjenige nicht genug Körperkontrolle gehabt und wäre hingefallen und hätte dann, auf dem Boden sitzend, schäumend, gegen die Tür getreten, hätte ich dann auch die Tür aufgemacht und hätte demjenigen mit dem Gürtel eins übergebraten" - und so weiter, seitenlang.
Wo der Weg von "Ich hasse sie so, dass ich ihnen den Tod wünsche" zu "Alles wäre gut, wenn sie mich doch nur liebten" lediglich ein paar Sätze lang ist, da ist auch die Bereitschaft groß, die Augen vor dem Hässlichen und Aggressiven, das nun einmal geschieht, zu verschließen und im Bericht zu verschleiern. Es ist die große Kunst der Autorin, dass im Verlauf des Romans neben dem, was erzählt wird, die Stimme derjenigen, die erzählt, immer hörbarer wird, dass unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird, wie Muna das Geschehene für sich ordnet, aufbereitet und formt - keineswegs zufällig ist im Roman immer wieder von akademischen Forschungsprojekten die Rede, die sich um Erinnerungen und deren Konstruiertheit drehen.
Dass Munas Perspektive eingefärbt ist, liegt auf der Hand, und Mora führt das auch vor. Besonders offen am Ende: Muna schreibt bereits literarisch über ihre Erlebnisse, und ihre Schöpferin gibt einen dezenten Hinweis auf das Überlappen von Fiktion und behaupteter Realität, wenn ihre Erzählerin von ihrer neuen Wohnung spricht - über einer Toreinfahrt, zwei Balkone in beide Richtungen -, die wiederum Magnus' früherer sehr ähnelt, einer Wohnung, die sie Jahre zuvor Zentimeter für Zentimeter erkundet haben will.
Und auch die Vorsicht ihrer Erzählerin führt Mora vor, in Passagen, die geschrieben wurden und dick durchstrichen sind, weil sich die oft sehr mutige Muna hier doch nicht sagen mag, was sie eigentlich meint. Der Autorin ist zu verdanken, dass sie ihr dennoch eine großartige und unvergessliche Stimme gibt. TILMAN SPRECKELSEN
Terézia Moria: "Muna oder Die Hälfte des Lebens". Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2023. 443 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warnungen sind unerwünscht: Terézia Moras Roman "Muna" schildert eine toxische Beziehung
Ob sie eigentlich böse sei, fragt der angehende Schriftsteller Arnold die Studentin Muna, was nun genau böse an ihr sei, und schließlich: "Wem willst du Böses?" Muna geht im Geist die Menschen durch, die sie verletzt haben - ihre alkoholkranke Mutter, die kaltherzige Tante, der übergriffige schottische Gastdozent -, und antwortet, ihr fielen durchaus Menschen ein, denen sie eine "ordentliche Abreibung" wünsche oder sogar den Tod. Dabei ließe sich der Konflikt mit ihnen doch ganz einfach lösen: "Wenn sie mir sagen würden, sie lieben mich, wäre ihnen nicht nur alles verziehen, ich würde sogar mit all meinen Kräften daran arbeiten, ihnen ihr Leben so gut wie möglich zu machen."
Bei ihm sei das anders, sagt Arnold. Dann fällt er über sie her, begrapscht sie und lässt sich nur knapp durch massive Gegenwehr aufhalten.
Arnolds Opfer ist die Erzählerin in Terézia Moras neuem Roman "Muna oder Die Hälfte des Lebens", der Anfang September erschienen ist und zurecht auf den Shortlists gleich zweier renommierter Literaturauszeichnungen steht - er ist für den Raabepreis ebenso nominiert wie für den Deutschen Buchpreis. Die wie die Autorin 1971 geborene Muna schildert darin, so scheint es, weitgehend chronologisch, was ihr zwischen 1989 und etwa 2010 widerfährt, zwischen dem Mauerfall, den sie in Ostdeutschland erlebt, und dem späten Beginn ihrer Laufbahn als Schriftstellerin. Sie lebt in Berlin, London, Wien, wieder Berlin, Saint-Nazaire an der französischen Atlantikküste, Basel und ein weiteres Mal in der deutschen Hauptstadt. Sie ist Studentin, Kindermädchen, Kellnerin, Doktorandin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an Forschungsprojekten, vertritt die schwangere Pressefrau eines Verlags, verkauft in einem Modeladen, wird Buchhändlerin und schließlich Autorin.
Ihre Biographie gleicht also der vieler anderer, die in den Jahren seit der Wiedervereinigung auf den Arbeitsmarkt drängten, sie ist geprägt von jähen Orts- und Stellenwechseln, von materieller Unsicherheit und von der Notwendigkeit, sich ständig auf neue Kollegen und Freunde einzustellen und die alten aus den Augen zu verlieren. Allerdings besitzt Munas Erzählung in ihrer jahrzehntelangen Obsession für den Lehrer und Amateurfotografen Magnus einen bemerkenswert konstanten roten Faden. Was sie berichtet, beginnt und endet mehr oder weniger mit ihm, und was ihr mit und durch Magnus widerfährt, ist das wesentliche Thema des Romans.
Muna lernt ihn noch vor dem Abitur in ihrer ostdeutschen Heimatstadt kennen, nachdem sie einen Schreibwettbewerb mit einem Gedicht gewonnen hat, in der örtlichen Zeitung hospitiert und nun in der Redaktion eines Kulturmagazins aushilft, das Magnus' Fotos publiziert. Muna verliebt sich in den, wie sie schreibt, ausgesprochen schönen Mann, der sie offensichtlich kaum bemerken will, folgt ihm heimlich durch die Stadt, schläft mit ihm und verliert ihn schließlich, als er im Sommer 1989 von einer Reise nicht mehr zurückkehrt wie so viele andere auch. Ihre Briefe bleiben unbeantwortet. Erst Jahre später sehen sie sich zufällig wieder. Sie beginnen eine Beziehung, die sie wesentlich ernster nimmt als er, behalten je eigene Wohnungen, unternehmen Reisen und sind nicht nur in der Familienplanung unterschiedlicher Auffassung über den richtigen Grad an Intensität in dieser Gemeinsamkeit.
Mora lässt Muna erzählen, aber sie umgibt ihre Erzählerin geschickterweise mit einer Reihe von Freunden und Freundinnen, deren Reaktionen und Kommentare uns über Munas Bericht ebenso erreichen, ihn ergänzen, relativieren oder sogar unterlaufen. Nicht alles, was sie sagen, möchte Muna hören, vor allem nicht die dezenten Warnungen davor, sich in der hart erkämpften Beziehung mit Magnus klein zu machen und unterzuordnen. Denn ihr Freund, immer bereit, mit ihr zu schlafen, hält sie mal auf Abstand, mal kontrolliert er sie in wachsendem Maße. Es kommt zu Aggressionen, verbalen wie nonverbalen, und während sich Muna anfangs erschrocken und empört von ihm zurückzieht, bis er sich ihr zerknirscht nähert, fängt sie später an, Entschuldigungen für sein Verhalten zu suchen und zugleich die Schuld bei sich selbst, bis sie immer häufiger ein Halstuch tragen muss, um die Spuren seines Würgegriffs zu vertuschen, oder lieber gleich tagelang zu Hause bleibt, bis alles ausgeheilt ist.
Solche Passagen sind kaum auszuhalten, vor allem diejenigen, in denen Muna mit großem rhetorischen Eifer Magnus' Verhalten rechtfertigt, indem sie seine Perspektive einzunehmen glaubt: "Ich gebe zu, dass ich anfing, wie am Spieß zu schreien. Wenn jemand das mit mir gemacht hätte, hätte ich denjenigen wahrscheinlich auch von meiner Schwelle gestoßen und die Tür vor ihm zugeknallt. Und hätte derjenige nicht genug Körperkontrolle gehabt und wäre hingefallen und hätte dann, auf dem Boden sitzend, schäumend, gegen die Tür getreten, hätte ich dann auch die Tür aufgemacht und hätte demjenigen mit dem Gürtel eins übergebraten" - und so weiter, seitenlang.
Wo der Weg von "Ich hasse sie so, dass ich ihnen den Tod wünsche" zu "Alles wäre gut, wenn sie mich doch nur liebten" lediglich ein paar Sätze lang ist, da ist auch die Bereitschaft groß, die Augen vor dem Hässlichen und Aggressiven, das nun einmal geschieht, zu verschließen und im Bericht zu verschleiern. Es ist die große Kunst der Autorin, dass im Verlauf des Romans neben dem, was erzählt wird, die Stimme derjenigen, die erzählt, immer hörbarer wird, dass unsere Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird, wie Muna das Geschehene für sich ordnet, aufbereitet und formt - keineswegs zufällig ist im Roman immer wieder von akademischen Forschungsprojekten die Rede, die sich um Erinnerungen und deren Konstruiertheit drehen.
Dass Munas Perspektive eingefärbt ist, liegt auf der Hand, und Mora führt das auch vor. Besonders offen am Ende: Muna schreibt bereits literarisch über ihre Erlebnisse, und ihre Schöpferin gibt einen dezenten Hinweis auf das Überlappen von Fiktion und behaupteter Realität, wenn ihre Erzählerin von ihrer neuen Wohnung spricht - über einer Toreinfahrt, zwei Balkone in beide Richtungen -, die wiederum Magnus' früherer sehr ähnelt, einer Wohnung, die sie Jahre zuvor Zentimeter für Zentimeter erkundet haben will.
Und auch die Vorsicht ihrer Erzählerin führt Mora vor, in Passagen, die geschrieben wurden und dick durchstrichen sind, weil sich die oft sehr mutige Muna hier doch nicht sagen mag, was sie eigentlich meint. Der Autorin ist zu verdanken, dass sie ihr dennoch eine großartige und unvergessliche Stimme gibt. TILMAN SPRECKELSEN
Terézia Moria: "Muna oder Die Hälfte des Lebens". Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2023. 443 S., geb., 25,- Euro.
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»Wer diesen Roman liest, wird ihn nicht mehr los, wird sie nicht mehr los: die Ich-Erzählerin Muna.« Natascha Freundel / rbb Kultur