Produktdetails
  • Punto de lectura Nr.6/3
  • Verlag: Suma de letras
  • Seitenzahl: 191
  • Spanisch
  • Abmessung: 175mm
  • Gewicht: 133g
  • ISBN-13: 9788466301015
  • ISBN-10: 8466301011
  • Artikelnr.: 10067718
Autorenporträt
Antonio Muñoz Molina wurde 1956 im andalusischen Úbeda geboren. Sein belletristisches Werk ist vielfach preisgekrönt; so wurde er beispielsweise gleich zwei Mal mit dem spanischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet. 1995 wurde er in die Königlich Spanische Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen. Muñoz Molina lebt derzeit in Madrid und New York City, wo er bis 2006 das Instituto Cervantes leitete. 2013 wurde er mit dem Prinz-von-Asturien-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Fremdsprachen schwach, Betragen befriedigend
Antonio Muñoz Molinas Romanbausatz / Von Paul Ingendaay

Wenn eine Rezension geschrieben wird, liegt die Lektüre des Buches noch nicht lange zurück, vielleicht Tage, manchmal auch nur Stunden. Der Rezensent kann also noch nicht wissen, wie sich das Gelesene in seiner Erinnerung ablagern wird: Die Zeit hat für ihn keine Tiefendimension. Ist aber das, was nach ein paar Jahren übrigbleibt - die präzise Vorstellung von bestimmten Bildern oder das immer noch wache Aroma der Lektüre -, nicht genauso wichtig oder sogar wichtiger als das sofort vorzeigbare Substrat der ersten Begegnung? Was nützt es denn, wenn man Handlung und Struktur eines Buches beisammenhat - oft eine Sache des Kugelschreibers eher als des lesenden Verstandes -, aber nicht weiß, ob das Vergessen irgend etwas davon übrigläßt? Weil immer das Neue zählt und nicht das Alte, gilt ebenso: Vom Fortleben der Bücher in ihren Köpfen wissen Rezensenten wenig.

Ein Test ist da sehr willkommen. Vor gut zwei Jahren erschien in Spanien bei Alfaguara der Kurzroman "Carlota Fainberg" von Antonio Muñoz Molina. Der Autor, geboren 1956 in Úbeda, ist so etwas wie der Musterknabe der spanischen Literatur, das jüngste Mitglied der Königlich-Spanischen Akademie, ein früh gefeierter und dekorierter Autor zahlreicher Bücher, akklamiert übrigens in beiden politischen Lagern, was in Spanien gemeinhin als ausgeschlossen gilt. "Carlota Fainberg" - oder in der beschleunigt erotischen Titelgebung auf deutsch "Carlotas Liebhaber" - ist der Form nach ein klassischer Kurzroman. Zwei Spanier lernen sich in der Wartehalle des Flughafens von Pittsburgh kennen, draußen tobt ein Unwetter, die Flüge verzögern sich, man muß die Zeit totschlagen und hat also Zeit zum Erzählen. Der Erzähler des Buches ist Claudio, ein Literaturwissenschaftler mit Wohnsitz in Amerika, ein scheuer und etwas linkischer Bursche, übrigens kein herausragender Kopf, der seine Rede mit Anglizismen pfeffert, um Urbanität zu demonstrieren. Er spricht zum Beispiel von einem "ride" zum Bahnhof, einem "raincoat" oder der "weather forecast", oder er sagt, in Amerika finde man es "slightly upsetting", daß Frauen sich schminken und Miniröcke anziehen, um im Lebensmittelgeschäft an der Ecke einkaufen zu gehen, während es dort andererseits "etwas unpleasant" sei, jemanden um einen Gefallen zu bitten. Das Buch ist auf der lexikalischen Ebene eine fein dosierte Satire auf die spanisch-amerikanische Kulturdifferenz sowie die notorisch fremdsprachenschwachen Spanier.

Claudio wartet auf den Abflug nach Buenos Aires, wo er einen Vortrag (er nennt es ein "paper") über ein Borges-Sonett halten soll. Nach Buenos Aires wiederum will sein Gesprächspartner Marcelo nie wieder zurückkehren, einer orkanartigen Affäre wegen, die ihn durch die Flure eines leeren, heruntergekommenen Hotelpalastes gefegt hat und in das Bett einer unaussprechlich gefräßigen Frau. Diese Affäre - und ihre Anstifterin und Protagonistin, die Argentinierin Carlota Fainberg - ist der eigentliche Gegenstand des Buches. Beziehungsweise das Erzählen davon, die Reflexion fünf Jahre danach, die nachschmeckende Erinnerung.

Muñoz Molina hat die Umrisse seiner Figuren so fein gezeichnet, daß man als Leser über den größeren Teil der 120 Seiten gar nicht mehr will, als Marcelo und Claudio zuzuhören - hier dem offenherzigen, wohlgenährten Macho, der einem wildfremden Mann etwas angeberisch, aber eben nicht nur das, von einem überaus merkwürdigen Seitensprung berichtet, der ihn in alle Ewigkeit untauglich für weitere Seitensprünge gemacht hat, dort dem staunenden Zuhörer, der ganz nach dem Muster der Campus-Romane eines David Lodge die narrativen Strategien seines Gegenübers mit musterschülerhafter Altklugheit kommentiert. (Muñoz Molina selbst hat mal an einer amerikanischen Universität gelehrt, und wir erfahren an dieser Stelle, wieviel er davon profitiert hat.)

Jetzt zu der eingangs erwähnten lesenden Erinnerung. Schon damals, im Original, wirkte das Buch geschickt aufgebaut und mit unbestrittener Eleganz erzählt, intelligent, unterhaltsam, auf liebevolle Art ironisch und so weiter: toll für eine Zugreise oder einen längeren Flug, natürlich auch für klimatisierte Wartehallen in Pittsburgh oder anderswo. Die deutsche Übersetzung von Sabine Giersberg kann es mit Muñoz Molinas schönem Orgelton mühelos aufnehmen, sie orgelt eigentlich genauso schön. Und doch ist da der seltsame Tatbestand, daß die Erinnerung von der damaligen Lektüre nur gut die Hälfte bewahrt hat; der zweite Teil des Buches glitt verblüffend rasch ins Vergessen. Warum? Schuld des verdösten Lesers und seines trägen Verstandes? Oder stimmte mit diesem zweiten Teil etwas nicht?

Leider wohl letzteres. Muñoz Molina weiß einfach nicht, wie er seine bis dahin hübsch ersonnene Geschichte beenden oder genauer, was der Leser damit anfangen soll. Also bastelt er uns etwas und vertraut darauf, daß wir seine Geschicklichkeit zu würdigen wissen. Doch das Schielen auf den Schluß und die Pointe, vielleicht auch den literarischen Geist, den das Ganze atmen soll - den im Vorwort beschworenen Geist klassischer Kurzromane von Stevenson, Henry James, Thomas Mann und Bioy Casares -, all dieses Kalkül tut der Sache überhaupt nicht gut.

Denn am Ende geht Claudio tatsächlich hin und überprüft in Buenos Aires, in den Hallen eines verkommenen Hotels, was an Marcelos stürmischer Affäre dran war, er sucht Carlota Fainberg, er dekonstruiert, um es in seinem eigenen Jargon zu sagen, die absonderliche Geschichte seines Bekannten. Ein Schleier über das, was er dort findet! Nur soviel, es rettet das Ende nicht, daß Claudio als Literaturwissenschaftler genau das tut, was seines Gewerbes ist, auseinandernehmen, analysieren, Bedeutungen erschnuppern. Es rettet das Ende dieses inspiriert begonnenen Kurzromans auch deswegen nicht, weil der doppelte Boden, das Kokettieren mit der Nichtnaivität des Erzählens, inzwischen das sicherste Indiz für postmodernes Kunsthandwerk ist.

Antonio Muñoz Molina: "Carlota Fainberg". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Sabine Giersberg. Rowohlt Verlag, Reinbek 2002. 126 S., br., 12,- .

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