Produktdetails
- Verlag: Prestel
- Seitenzahl: 224
- Abmessung: 305mm
- Gewicht: 1596g
- ISBN-13: 9783791321837
- Artikelnr.: 25054651
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2000Nicht nur das amerikanische Volk ist ein Volk von Museumsbesuchern geworden
Auch anderswo hat man den Architekten zum Glück ihre Phantasie nicht in der Schule abgetötet: Zwei Sammelbände dokumentieren neue Bauten
Als Jim Stirling, Englands Stararchitekt, mit seinem grasgrünen Köfferchen in der Hand über den grasgrünen Noppenboden seiner Stuttgarter Neuen Staatsgalerie schritt und sich zu seinem postmodernen Meisterwerk äußerte, scherzte er, ohne die leidige Kunst wäre die Architektur noch besser. Richard Meier, der Architekt des Frankfurter Museums für Kunsthandwerk, soll sich ähnlich erklärt haben. Dem Urheber des Jüdischen Museums in Berlin, Daniel Libeskind, las man von vornherein einen solchen Wunsch von den Augen ab. Jahrelang darf er seine Schöpfung zeigen, ohne durch Exponate behelligt zu werden. Das Museumsgehäuse ist zum ersten und wichtigsten Kunstgegenstand geworden.
Museen seien die Kathedralen des jüngstvergangenen Jahrhunderts, oder zumindest der letzten Jahrzehnte. Dieses Wort fällt mehrfach in den beiden neuen Publikationen zum Thema Museum. Tatsächlich sind den Schatzhäusern der Kunst, Kultur und Technik Pflichten übertragen worden, die keineswegs nur mit der Bewahrung, Pflege und Erschließung des Ausstellungsguts zu tun haben. Museen müssen kompensieren, was den Städten Leids getan worden ist. Museen sollen ihnen das Flair kultureller Aufgeschlossenheit verleihen, das Investoren anzieht. Museen haben für kommunale Identität zu sorgen wie einst die Kathedralen. Sie müssen das Gemeinwesen zusammenhalten, metaphorisch, doch auch im wörtlichen Sinn. Oft verknüpfen die vielteiligen Bauanlagen disparate Orte der Stadt, stellen Wegverbindungen her, bringen Berg und Tal zusammen wie das Museum in Mönchengladbach oder holen die Stadt zurück ans Flussufer wie das Guggenheim-Museum in Bilbao.
Seitdem die Städte mit Rathäusern und Theatern ausreichend versorgt sind, Kirchen kaum noch gebaut werden, Bahnhöfe sich in unterirdische und unsichtbare Einkaufsparadiese verwandeln, ist keine andere öffentliche Bauaufgabe übrig geblieben, die solche Aufgaben übernehmen könnte. Das Museum ist der einzige Ort, in dem Autonomie der Baukunst noch möglich scheint - neben dem opulenten Einzelhaus. Wo private Bauherren oder Stiftungen Museen bauen, handeln sie ohnehin jenseits nachprüfbarer Rendite-Kalkulationen. Sogar Rechnungshöfe der Kommunen und Länder verhalten sich im musealen Ernstfall nachsichtiger als Kostencontroller im kommerziellen Bauwesen. Wer wollte schon eines der wenigen denkbaren Gesamtkunstwerke vereiteln, auf dessen ertragreiche Nebenwirkungen die Stadtväter hoffen?
Seit den Museumsmaschinen à la Centre Pompidou und den Black Boxes, in denen erst die Inszenierungskünste der Ausstellungsmacher die Gegenstände zum Leben erweckten, haben die Architekten vollen Gebrauch von der gewährten Liberalität gemacht. Die neuen Veröffentlichungen spiegeln zwischen Bregenz und Bilbao, Los Angeles und Lissabon eine Vielfalt, die sich jeder typologischen Einordnung entzieht. Von den großen Animationskünstlern Frank O. Gehry, Daniel Libeskind oder Mario Botta bis zu den strengen Minimalisten Peter Zumthor oder Tadao Ando findet sich jede architektonische Spielart. Wobei Vittorio Magnago-Lampugnani, einer der Buchherausgeber, zu Recht daran erinnert, dass Purismus und Reduktion nicht demütigen Dienst an der ausgestellten Kunst bedeuten müssen. Es gibt auch die Hoffart der Askese.
Nichts scheint schwerer als die Gratwanderung zwischen den Ansprüchen der Architektur und denen der Kunst. Renzo Pianos Museum Beyeler in Basel-Riehen gehört zu den wenigen Häusern, in denen die Kunst sich wohl fühlt, ohne dass die Architektur zu kurz käme. Piano, Mitautor des Centre Pompidou, zählt zu den Architekten, die aus ihren eigenen Fehlern lernen. Schon bei der Kunstsammlung De Menil in Houston reagierte er auf die Nachteile des mechanistischen Allzweckpalasts und schuf mit einem sensiblen Lichtfilter Umweltbedingungen, unter denen die Kunst gedeiht. In Riehen kam die Rücksichtnahme auf die lokale Situation hinzu, auf die lange Mauer des Hanggrundstücks, auf die Lage oberhalb der Flussaue.
Meist aber scheint es die erste Sorge der Bauherren und Baumeister zu sein, alle Register ihrer Einbildungskraft zu ziehen, den Gast mit Designerlist, Infotainment, Cafeterien und Shops zu verwöhnen, ihm jede Anstrengung abzunehmen, ihm jede Unmutsfalte zu glätten. In seinem lesenswerten Konzentrat der Museumsgeschichte, einem Beitrag zum Prestel-Band, zitiert der Schweizer Architekturhistoriker Stanislaus von Moos, einst hätten die Bildersäle neun Zehntel der Museumsfläche belegt, jetzt nur noch ein Drittel. Neben den Räumen für Pflege und Verwaltung des Bestandes bestreiten heute Empfang, Lobby, Restaurant und Zirkulation den Löwenanteil.
Ein Ende des Museumsbaubooms ist nicht abzusehen, allenfalls eine kleine Zwischendepression, da sich längst nicht überall die Erwartungen auf den Zuspruch des Publikums erfüllt haben und öffentliches Geld knapp geworden ist. Auf jeweils neuntausend Schweizer, rechnet Harald Szeemann nach, kommt bereits ein Museum. Mit den Museumsbauten prosperieren auch die Bücher über Museumsbauten. Schon im Vorjahr hatte Victoria Newhouse eine Darstellung vorgelegt, die den allerneuesten Publikationen die Breite des Materials voraus hat und aus der Perspektive eines einzigen Autors geschrieben ist. Den Rang einer Enzyklopädie verfehlte das journalistisch flotte, sprunghaft gegliederte und amerikazentrierte Buch allerdings.
Auf die Vollständigkeit alles Wichtigen legen es die beiden Neuerscheinungen gar nicht erst an. Gerhard Mack stellt in seiner Broschüre sieben Interviews mit internationalen Museumsarchitekten zusammen. Da sie allesamt intelligente Leute sind, geben ihre Äußerungen nachvollziehbare Aufschlüsse zu ihrer Arbeit. Ausnahmslos sind ihre Bauten auch in dem kaleidoskopischen Sammelband berücksichtigt, den Vittorio Magnago-Lampugnani und Angeli Sachs als Begleitpublikation einer geplanten Wanderausstellung veröffentlichen. Zwei Dutzend neuer Kunsthäuser werden ausführlich publiziert und von einer multinationalen Kritikerschar analysiert.
Beiden Bänden sind Essays vorangestellt; im Prestel-Band dazu Kommentare von Künstlern. Ein Paukenschlag wie seinerzeit das Manifest von Markus Lüpertz ist nicht darunter. Der Düsseldorfer Malerfürst hatte wider den künstlerischen Ehrgeiz der Architekten gewettert. Alles, was die ausgestellte Kunst brauche, seien vier Wände, gutes Licht von oben und zwei Türen, eine zum Kommen und eine zum Gehen. Heute scheint der Pluralismus des Museumsbaus auch die Künstler toleranter gestimmt zu haben. Schließlich sind ihre Produktionen, je mehr sie sich verwechselbar dem Leben nähern, auf den Schutz des Museums angewiesen, um als Kunst erkennbar zu bleiben. Nach wie vor liegt die Definition dessen, was Kunst ist und was nicht, beim Museum.
Sind die zeitgenössischen Baukunstwerke Museen "für ein neues Jahrtausend", wie es der Titel des Prestel-Verlages vollmundig behauptet? Tausend Jahre zuvor war die Institution des Museums noch unbekannt. So lässt sich der Verdacht nicht abweisen: Die Gewohnheit, authentische Gegenstände zu ästhetischer Lust und historischer Belehrung in eigens dafür errichteten Gehäusen anzuhäufen, könnte am Ende des neuen Millenniums so befremdlich erscheinen wie zu Beginn des vergangenen Jahrtausends, im gänzlich museumslosen Mittelalter.
WOLFGANG PEHNT
Vittorio Magnago Lampugnani, Angeli Sachs (Hrsg): "Museen für ein neues Jahrtausend". Ideen, Projekte, Bauten. Prestel Verlag, München, London, New York 1999. 224 S., 438 Farb- u. S/W-Abb., geb., 98,- DM.
Gerhard Mack: "Kunstmuseen". Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Birkhäuser Verlag, Basel, Berlin, Boston 1999. 112 S., 160 Farb- u. S/W-Abb., br., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auch anderswo hat man den Architekten zum Glück ihre Phantasie nicht in der Schule abgetötet: Zwei Sammelbände dokumentieren neue Bauten
Als Jim Stirling, Englands Stararchitekt, mit seinem grasgrünen Köfferchen in der Hand über den grasgrünen Noppenboden seiner Stuttgarter Neuen Staatsgalerie schritt und sich zu seinem postmodernen Meisterwerk äußerte, scherzte er, ohne die leidige Kunst wäre die Architektur noch besser. Richard Meier, der Architekt des Frankfurter Museums für Kunsthandwerk, soll sich ähnlich erklärt haben. Dem Urheber des Jüdischen Museums in Berlin, Daniel Libeskind, las man von vornherein einen solchen Wunsch von den Augen ab. Jahrelang darf er seine Schöpfung zeigen, ohne durch Exponate behelligt zu werden. Das Museumsgehäuse ist zum ersten und wichtigsten Kunstgegenstand geworden.
Museen seien die Kathedralen des jüngstvergangenen Jahrhunderts, oder zumindest der letzten Jahrzehnte. Dieses Wort fällt mehrfach in den beiden neuen Publikationen zum Thema Museum. Tatsächlich sind den Schatzhäusern der Kunst, Kultur und Technik Pflichten übertragen worden, die keineswegs nur mit der Bewahrung, Pflege und Erschließung des Ausstellungsguts zu tun haben. Museen müssen kompensieren, was den Städten Leids getan worden ist. Museen sollen ihnen das Flair kultureller Aufgeschlossenheit verleihen, das Investoren anzieht. Museen haben für kommunale Identität zu sorgen wie einst die Kathedralen. Sie müssen das Gemeinwesen zusammenhalten, metaphorisch, doch auch im wörtlichen Sinn. Oft verknüpfen die vielteiligen Bauanlagen disparate Orte der Stadt, stellen Wegverbindungen her, bringen Berg und Tal zusammen wie das Museum in Mönchengladbach oder holen die Stadt zurück ans Flussufer wie das Guggenheim-Museum in Bilbao.
Seitdem die Städte mit Rathäusern und Theatern ausreichend versorgt sind, Kirchen kaum noch gebaut werden, Bahnhöfe sich in unterirdische und unsichtbare Einkaufsparadiese verwandeln, ist keine andere öffentliche Bauaufgabe übrig geblieben, die solche Aufgaben übernehmen könnte. Das Museum ist der einzige Ort, in dem Autonomie der Baukunst noch möglich scheint - neben dem opulenten Einzelhaus. Wo private Bauherren oder Stiftungen Museen bauen, handeln sie ohnehin jenseits nachprüfbarer Rendite-Kalkulationen. Sogar Rechnungshöfe der Kommunen und Länder verhalten sich im musealen Ernstfall nachsichtiger als Kostencontroller im kommerziellen Bauwesen. Wer wollte schon eines der wenigen denkbaren Gesamtkunstwerke vereiteln, auf dessen ertragreiche Nebenwirkungen die Stadtväter hoffen?
Seit den Museumsmaschinen à la Centre Pompidou und den Black Boxes, in denen erst die Inszenierungskünste der Ausstellungsmacher die Gegenstände zum Leben erweckten, haben die Architekten vollen Gebrauch von der gewährten Liberalität gemacht. Die neuen Veröffentlichungen spiegeln zwischen Bregenz und Bilbao, Los Angeles und Lissabon eine Vielfalt, die sich jeder typologischen Einordnung entzieht. Von den großen Animationskünstlern Frank O. Gehry, Daniel Libeskind oder Mario Botta bis zu den strengen Minimalisten Peter Zumthor oder Tadao Ando findet sich jede architektonische Spielart. Wobei Vittorio Magnago-Lampugnani, einer der Buchherausgeber, zu Recht daran erinnert, dass Purismus und Reduktion nicht demütigen Dienst an der ausgestellten Kunst bedeuten müssen. Es gibt auch die Hoffart der Askese.
Nichts scheint schwerer als die Gratwanderung zwischen den Ansprüchen der Architektur und denen der Kunst. Renzo Pianos Museum Beyeler in Basel-Riehen gehört zu den wenigen Häusern, in denen die Kunst sich wohl fühlt, ohne dass die Architektur zu kurz käme. Piano, Mitautor des Centre Pompidou, zählt zu den Architekten, die aus ihren eigenen Fehlern lernen. Schon bei der Kunstsammlung De Menil in Houston reagierte er auf die Nachteile des mechanistischen Allzweckpalasts und schuf mit einem sensiblen Lichtfilter Umweltbedingungen, unter denen die Kunst gedeiht. In Riehen kam die Rücksichtnahme auf die lokale Situation hinzu, auf die lange Mauer des Hanggrundstücks, auf die Lage oberhalb der Flussaue.
Meist aber scheint es die erste Sorge der Bauherren und Baumeister zu sein, alle Register ihrer Einbildungskraft zu ziehen, den Gast mit Designerlist, Infotainment, Cafeterien und Shops zu verwöhnen, ihm jede Anstrengung abzunehmen, ihm jede Unmutsfalte zu glätten. In seinem lesenswerten Konzentrat der Museumsgeschichte, einem Beitrag zum Prestel-Band, zitiert der Schweizer Architekturhistoriker Stanislaus von Moos, einst hätten die Bildersäle neun Zehntel der Museumsfläche belegt, jetzt nur noch ein Drittel. Neben den Räumen für Pflege und Verwaltung des Bestandes bestreiten heute Empfang, Lobby, Restaurant und Zirkulation den Löwenanteil.
Ein Ende des Museumsbaubooms ist nicht abzusehen, allenfalls eine kleine Zwischendepression, da sich längst nicht überall die Erwartungen auf den Zuspruch des Publikums erfüllt haben und öffentliches Geld knapp geworden ist. Auf jeweils neuntausend Schweizer, rechnet Harald Szeemann nach, kommt bereits ein Museum. Mit den Museumsbauten prosperieren auch die Bücher über Museumsbauten. Schon im Vorjahr hatte Victoria Newhouse eine Darstellung vorgelegt, die den allerneuesten Publikationen die Breite des Materials voraus hat und aus der Perspektive eines einzigen Autors geschrieben ist. Den Rang einer Enzyklopädie verfehlte das journalistisch flotte, sprunghaft gegliederte und amerikazentrierte Buch allerdings.
Auf die Vollständigkeit alles Wichtigen legen es die beiden Neuerscheinungen gar nicht erst an. Gerhard Mack stellt in seiner Broschüre sieben Interviews mit internationalen Museumsarchitekten zusammen. Da sie allesamt intelligente Leute sind, geben ihre Äußerungen nachvollziehbare Aufschlüsse zu ihrer Arbeit. Ausnahmslos sind ihre Bauten auch in dem kaleidoskopischen Sammelband berücksichtigt, den Vittorio Magnago-Lampugnani und Angeli Sachs als Begleitpublikation einer geplanten Wanderausstellung veröffentlichen. Zwei Dutzend neuer Kunsthäuser werden ausführlich publiziert und von einer multinationalen Kritikerschar analysiert.
Beiden Bänden sind Essays vorangestellt; im Prestel-Band dazu Kommentare von Künstlern. Ein Paukenschlag wie seinerzeit das Manifest von Markus Lüpertz ist nicht darunter. Der Düsseldorfer Malerfürst hatte wider den künstlerischen Ehrgeiz der Architekten gewettert. Alles, was die ausgestellte Kunst brauche, seien vier Wände, gutes Licht von oben und zwei Türen, eine zum Kommen und eine zum Gehen. Heute scheint der Pluralismus des Museumsbaus auch die Künstler toleranter gestimmt zu haben. Schließlich sind ihre Produktionen, je mehr sie sich verwechselbar dem Leben nähern, auf den Schutz des Museums angewiesen, um als Kunst erkennbar zu bleiben. Nach wie vor liegt die Definition dessen, was Kunst ist und was nicht, beim Museum.
Sind die zeitgenössischen Baukunstwerke Museen "für ein neues Jahrtausend", wie es der Titel des Prestel-Verlages vollmundig behauptet? Tausend Jahre zuvor war die Institution des Museums noch unbekannt. So lässt sich der Verdacht nicht abweisen: Die Gewohnheit, authentische Gegenstände zu ästhetischer Lust und historischer Belehrung in eigens dafür errichteten Gehäusen anzuhäufen, könnte am Ende des neuen Millenniums so befremdlich erscheinen wie zu Beginn des vergangenen Jahrtausends, im gänzlich museumslosen Mittelalter.
WOLFGANG PEHNT
Vittorio Magnago Lampugnani, Angeli Sachs (Hrsg): "Museen für ein neues Jahrtausend". Ideen, Projekte, Bauten. Prestel Verlag, München, London, New York 1999. 224 S., 438 Farb- u. S/W-Abb., geb., 98,- DM.
Gerhard Mack: "Kunstmuseen". Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Birkhäuser Verlag, Basel, Berlin, Boston 1999. 112 S., 160 Farb- u. S/W-Abb., br., 48,- DM.
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