Vom Anti-Blockier-System bis zum Zankapfel: In einem amüsanten Streifzug durch die deutsche Sprache geht Karl-Wilhelm Weeber deren griechischen Wurzeln auf den Grund. Der Leser lernt dabei die wahre Identität des Banausen kennen und erfährt, wer denn nun die Eulen nach Athen getragen hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2008Nur Blinde sprechen jetzt noch vom Augenoptiker
Karl-Wilhelm Weeber hat genau hingesehen: Unsere Alltagssprache ist durchsetzt von griechischen Wörtern
Das Buch segelt erfolgreich zwischen Skylla und Charybdis hindurch: zwischen der Skylla des trockenen Aufzählens vieler Wörter, die direkt oder indirekt aus dem Griechischen kommen, und der Charybdis der allzu effekthascherischen Bezugnahmen auf Aktuelles und Aktuellstes. Immer ist es informativ, fast immer zutreffend, immer geistreich und witzig, ohne dass man das Gefühl haben müsste, hier bemühe sich jemand verzweifelt, mit aller Gewalt die Aktualität und Gegenwart des Griechischen in unserer Sprache plausibel zu machen. Ein einziges Mal verlässt den Autor die contenance, als er nämlich etwas gequetscht auf eine teilweise negative Kritik eines seiner Bücher in dieser Zeitung eingeht. Er nennt sie "gute alte bildungsbürgerliche Tante FAZ", was nur zum Teil richtig ist: "Gut" ist sie, "alt" mag sie einem 1950 geborenen Autor erscheinen, "bildungsbürgerlich" dürfte sie gerne noch etwas mehr sein, und der Spitzname "Tante" ist schon vergeben, an die "Vossische Zeitung", die "Tante Voss".
Nach einer Einleitung, in der sogar von dem Wort "Eisbein" als griechischen Ursprungs die Rede ist, ist das Buch in unterschiedliche Sachgruppen eingeteilt, nur verwendet der Autor ein so trockenes Wort natürlich nicht, und ebensowenig werden die jetzt folgenden summarischen Bezeichnungen dem Stil des Buches gerecht: Nach der Besprechung der griechischen Vor- und Endsilben in unserer Sprache dreht es sich um griechische Wortstämme, damit man die Worttrennung richtig vornimmt - ob das noch mit den neuen Rechtschreibregeln übereinstimmt? Um Wörter aus den großen Bereichen des Sports und der Namenskunde handelt es sich weiter, Kapitel über griechische Wörter im Bereich des Klimas, der Medizin, des Sehens schließen sich an. Gastronomisches, Philosophie, Politik werden besprochen - nein, nicht besprochen, sondern äußerst lesbar vorgestellt. Musikalische Begriffe und spezifische Wortgeschichten folgen, und dann kommt ein ganzes Kapitel über Variationen von Wörtern mit dem Bestandteil "logos". Den Beschluss macht ein Kapitel über die heutige Jugendsprache, das ich nicht, anders als der frühere Rezensent in einem parallelen Fall, peinlich, sondern nur geistreich finden kann.
Zwei Bereiche fallen aus dem Rahmen. Im "Kulturwortschatz Griechisch" werden in alphabetischer Reihenfolge zahlreiche weitere Begriffe vorgestellt, möglicherweise doch eine Verlegenheitslösung, und in der Mitte kann man sich an einem fiktiven und aufschlussreichen Gespräch zwischen Michael Schumacher und Archimedes erfreuen, das von einem ungenannt bleibenden Fachmann moderiert wird. Auch das hätte womöglich den Zorn des früheren Rezensenten erregt. Der jetzige kann nur sagen, dass der Verfasser bei aller manchmal sich überkugelnder Heiterkeit die Grenze zur Peinlichkeit nie überschritten hat. Aber das mag Geschmackssache sein. Für den, der nur nachschlagen möchte, stehen ein knappes Literaturverzeichnis und ein griechisches und ein deutsches Register am Schluss des Bandes bereit.
Einige Einzelbemerkungen: Sappho stammte nicht bloß aus Lesbos, sondern war wohl wirklich lesbisch im heutigen Sinn, wie Jürgen Dummer gezeigt hat; bei "obolos" hätte noch erwähnt werden können, dass "obelos", "Spieß", von den Griechen ein ironisches Diminutiv "obeliskos" bekommen hatte, Spießchen, womit sie ausgerechnet die riesenhaften ägyptischen Obelisken meinten; István ist keine slawische, sondern ungarische Variante von stephanos, Stephan; in der Tat ist "Augenoptiker" eine absurde Bildung, weil ein Optiker nur mit Augen zu tun hat, es sei denn, man vergnüge sich an der in Hamburg gängigen Etymologie; ein guter Einfall ist, die um sich greifenden eheähnlichen Verbindungen "gamoid" zu nennen; das "Neue Deutschland" war nicht das "Zentralorgan" des ZK der SED, sondern nur das "Organ".
Etwas bleibt enigmatisch (ainigma = Rätsel). Der Untertitel des Buches verspricht Aufklärung darüber, "warum" die deutsche Sprache so viele griechische Wörter enthält. "Dass" sie es tut, davon ist in dem Buch kenntnisreich und amüsant die Rede. Aber "warum"? Dieses Rätsel bleibt ungelöst.
WOLFGANG SCHULLER
Karl-Wilhelm Weeber: "Musen am Telefon". Warum wir alle wie die alten Griechen sprechen, ohne es zu merken. Primus Verlag, Darmstadt 2008. 236 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Karl-Wilhelm Weeber hat genau hingesehen: Unsere Alltagssprache ist durchsetzt von griechischen Wörtern
Das Buch segelt erfolgreich zwischen Skylla und Charybdis hindurch: zwischen der Skylla des trockenen Aufzählens vieler Wörter, die direkt oder indirekt aus dem Griechischen kommen, und der Charybdis der allzu effekthascherischen Bezugnahmen auf Aktuelles und Aktuellstes. Immer ist es informativ, fast immer zutreffend, immer geistreich und witzig, ohne dass man das Gefühl haben müsste, hier bemühe sich jemand verzweifelt, mit aller Gewalt die Aktualität und Gegenwart des Griechischen in unserer Sprache plausibel zu machen. Ein einziges Mal verlässt den Autor die contenance, als er nämlich etwas gequetscht auf eine teilweise negative Kritik eines seiner Bücher in dieser Zeitung eingeht. Er nennt sie "gute alte bildungsbürgerliche Tante FAZ", was nur zum Teil richtig ist: "Gut" ist sie, "alt" mag sie einem 1950 geborenen Autor erscheinen, "bildungsbürgerlich" dürfte sie gerne noch etwas mehr sein, und der Spitzname "Tante" ist schon vergeben, an die "Vossische Zeitung", die "Tante Voss".
Nach einer Einleitung, in der sogar von dem Wort "Eisbein" als griechischen Ursprungs die Rede ist, ist das Buch in unterschiedliche Sachgruppen eingeteilt, nur verwendet der Autor ein so trockenes Wort natürlich nicht, und ebensowenig werden die jetzt folgenden summarischen Bezeichnungen dem Stil des Buches gerecht: Nach der Besprechung der griechischen Vor- und Endsilben in unserer Sprache dreht es sich um griechische Wortstämme, damit man die Worttrennung richtig vornimmt - ob das noch mit den neuen Rechtschreibregeln übereinstimmt? Um Wörter aus den großen Bereichen des Sports und der Namenskunde handelt es sich weiter, Kapitel über griechische Wörter im Bereich des Klimas, der Medizin, des Sehens schließen sich an. Gastronomisches, Philosophie, Politik werden besprochen - nein, nicht besprochen, sondern äußerst lesbar vorgestellt. Musikalische Begriffe und spezifische Wortgeschichten folgen, und dann kommt ein ganzes Kapitel über Variationen von Wörtern mit dem Bestandteil "logos". Den Beschluss macht ein Kapitel über die heutige Jugendsprache, das ich nicht, anders als der frühere Rezensent in einem parallelen Fall, peinlich, sondern nur geistreich finden kann.
Zwei Bereiche fallen aus dem Rahmen. Im "Kulturwortschatz Griechisch" werden in alphabetischer Reihenfolge zahlreiche weitere Begriffe vorgestellt, möglicherweise doch eine Verlegenheitslösung, und in der Mitte kann man sich an einem fiktiven und aufschlussreichen Gespräch zwischen Michael Schumacher und Archimedes erfreuen, das von einem ungenannt bleibenden Fachmann moderiert wird. Auch das hätte womöglich den Zorn des früheren Rezensenten erregt. Der jetzige kann nur sagen, dass der Verfasser bei aller manchmal sich überkugelnder Heiterkeit die Grenze zur Peinlichkeit nie überschritten hat. Aber das mag Geschmackssache sein. Für den, der nur nachschlagen möchte, stehen ein knappes Literaturverzeichnis und ein griechisches und ein deutsches Register am Schluss des Bandes bereit.
Einige Einzelbemerkungen: Sappho stammte nicht bloß aus Lesbos, sondern war wohl wirklich lesbisch im heutigen Sinn, wie Jürgen Dummer gezeigt hat; bei "obolos" hätte noch erwähnt werden können, dass "obelos", "Spieß", von den Griechen ein ironisches Diminutiv "obeliskos" bekommen hatte, Spießchen, womit sie ausgerechnet die riesenhaften ägyptischen Obelisken meinten; István ist keine slawische, sondern ungarische Variante von stephanos, Stephan; in der Tat ist "Augenoptiker" eine absurde Bildung, weil ein Optiker nur mit Augen zu tun hat, es sei denn, man vergnüge sich an der in Hamburg gängigen Etymologie; ein guter Einfall ist, die um sich greifenden eheähnlichen Verbindungen "gamoid" zu nennen; das "Neue Deutschland" war nicht das "Zentralorgan" des ZK der SED, sondern nur das "Organ".
Etwas bleibt enigmatisch (ainigma = Rätsel). Der Untertitel des Buches verspricht Aufklärung darüber, "warum" die deutsche Sprache so viele griechische Wörter enthält. "Dass" sie es tut, davon ist in dem Buch kenntnisreich und amüsant die Rede. Aber "warum"? Dieses Rätsel bleibt ungelöst.
WOLFGANG SCHULLER
Karl-Wilhelm Weeber: "Musen am Telefon". Warum wir alle wie die alten Griechen sprechen, ohne es zu merken. Primus Verlag, Darmstadt 2008. 236 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wolfgang Schuller hat fast nur Gutes zu sagen zu diesem heiteren Nachschlagewerk von Karl-Wilhelm Weeber. Dass es genau den Mittelweg nimmt zwischen trockener Erbsenzählerei und ranschmeißerischem Aktualisierungsversuch, zum Beispiel. Dass Weeber abgesehen von Informationen eben auch Witz und Geist zu bieten hat. Etwa im Kapitel, das die heutige Jugendsprache aufs Griechische hin abklopft oder in einem fiktiven Gespräch zwischen Michael Schuhmacher und Archimedes. Schuller stellt uns den Band seiner inneren Ordnung nach vor, von der Erörterung griechischer Wortstämme bis hinzu einzelnen Wortgruppen (Gastronomie, Medizin, Politik etc.) und -geschichten. Immer findet er, was er liest, informativ und heiter, nie peinlich. Bei soviel Lob erscheinen die richtigstellenden "Einzelbemerkungen", mit denen Schuller seine Besprechung enden lässt, marginal.
© Perlentaucher Medien GmbH
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