Das Städel Museum in Frankfurt am Main gilt als einer der Vorreiter der Provenienzforschung an deutschen Museen und hat in der jüngsten Vergangenheit mehrfach Gemälde an ihre rechtmäßigen Eigentümer restituiert. Die international geführten Diskussionen zur Restitution von Kunstwerken drehen sich dabei immer wieder auch um ethische Fragen sowie um die Verantwortung der Protagonisten und führen die Notwendigkeit vor Augen, einzelne Aspekte musealer Arbeit im "Dritten Reich" nicht isoliert, sondern in ihrem politischen wie kunsthistorischen Kontext vom Kaiserreich bis in die Nachkriegszeit zu betrachten. Der für die vorliegende Publikation gewählte Titel Museum im Widerspruch fängt die durchaus ambivalenten Erkenntnisse der für die Frankfurter Situation in Kooperation der Forschungsstelle "Entartete Kunst" mit dem Städel durchgeführten Untersuchungen wie in einem Brennspiegel ein. In der Tat standen die Direktoren und Kuratoren des Städelsches Kunstinstituts und der Städtischen Galerie im "Dritten Reich" oft genug im Widerspruch zu einer kunsthistorisch-wissenschaftlichen Selbstverpflichtung, die gerade im Bereich des Museums als öffentlicher Einrichtung auf moralische wie juristische Rechtmäßigkeit, auf einen sorgsamen Umgang mit Mäzenen, Sammlern und Publikum, mit den Kunstwerken, ihrer Präsentation und ihrem Erhalt abzielen muss. Der Band fragt einerseits danach, inwiefern die Notlage jüdischer Sammler ausgenutzt wurde und die Situation im besetzten im Ausland zum unrechtmäßigen Erwerb von Kunstwerken führte. Andererseits standen einige Entscheidungen und Maßnahmen der Direktion und Mitarbeiter des Städel auch im deutlichen Widerspruch zur nationalsozialistischen Doktrin. Schließlich wird auch der Frage nach den Restitutionsvorgängen in der Nachkriegszeit sowie nach einer Neuordnung des Museums in diesen Jahren nachgegangen. Die nun veröffentlichten Forschungsergebnisse über die Geschichte des Städel im "Dritten Reich" weisen weit über den Frankfurter Wirkungskreis hinaus und tragen grundlegend zur Aufarbeitung nationalsozialistischer Kunst- und Kulturpolitik bei.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2011Wegsehen im Dienst an der Kunst
Zwischen Schweigen, Sprechen, Lüge und Wahrheit: Das Frankfurter Städel hat seine Geschichte im Nationalsozialismus erforschen lassen.
Eigentlich könnte man sich auch wundern: Soeben ist das Buch "Museum im Widerspruch" erschienen, dessen Beiträge auf eine Tagung im vergangenen Jahr (F.A.Z. vom 22. Februar 2010) zurückgehen, und schwarz auf weiß können wir nun also die Geschichte des Frankfurter Städel im Nationalsozialismus nachlesen. Was die einen taten - und was den anderen angetan wurde. Durchforstet haben die Archive Kunsthistoriker und Historiker unter der Leitung von Uwe Fleckner, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg und Leiter der Forschungsstelle "Entartete Kunst"; in Auftrag wurde das Projekt 2008 gegeben und zwar von Max Hollein, dem heutigen Direktor des Städel. Was daran verwunderlich ist? Doch eigentlich der Zeitpunkt. Immerhin haben private Unternehmen wie die Dresdner Bank, die Bertelsmann AG oder der Volkswagenkonzern bereits in den neunziger Jahren unabhängige Forscherteams damit beauftragt, die Geschichte ihres Hauses zu untersuchen. Und von einem Museum, einer öffentlichen Bildungseinrichtung, hätte man vielleicht erwartet, dass es mehr Willen zur Aufklärung zeigt als ein privater Wirtschaftskonzern.
Hätte man? Tatsächlich lehrt die jüngere Geschichte, dass öffentliche Einrichtungen und private Konzerne gleich handeln. Die deutschen Unternehmen stellten sich erst nach Jahrzehnten ihrer Vergangenheit, nämlich dann, als sie in die Vereinigten Staaten expandierten und als überraschender Rückschlag der Globalisierung plötzlich aus dem Ausland die Forderung kam, man möge bitte endlich die Zwangsarbeiter entschädigen. Die Museen gerieten im gleichen Zeitraum wegen amerikanischer Restitutionsforderungen unter Druck und schließlich deshalb, weil andere Institutionen vor einigen Jahren begannen, das Thema aufzuarbeiten, darunter das Jüdische Museum mit der Ausstellung "Raub und Restitution". Mit Blick auf die deutsche Museumslandschaft spielt das Städel allerdings die Rolle eines Pioniers. Es ist das erste deutsche Kunstmuseum, das den Auftrag vergeben hat, seine Geschichte aufzuarbeiten.
Wer sich fragt, wie das sein kann, der wird in dem vorzüglich recherchierten Band die Antworten finden. Der Grund nämlich, warum die Aufarbeitung so lange dauert, liegt gerade in dem Selbstverständnis von Museen, eine moralische Institution zu sein. Als solche wähnten sich die deutschen Kunstmuseen in der Nachkriegszeit auf der anderen Seite - auf der Seite der Opfer und nicht der Täter. In Frankfurt war die Zeit zwischen 1933 und 1945 nicht etwa vergessen, im Gegenteil, es kursierten zahlreiche Geschichten: über Bilder etwa, die im Zuge der nationalsozialistischen Kunstpolitik als "entartete Kunst" konfisziert wurden; oder über Museumsmitarbeiter, die versuchten, die Werke in ihrem Haus zu schützen. Insbesondere über den langjährigen Direktor, der dem Städelschen Kunstinstitut von 1938 bis 1972 vorstand, wurden geradezu heldenhafte Dinge erzählt: Ernst Holzinger, der die als "entartet" eingestufte Sammlung Carl Hagemanns 1937 im Depot versteckte, um sie vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu schützen. Holzinger, der 1941 den Maler Max Beckmann im Exil besuchte. Holzinger, den der emigrierte Erwin Panofsky 1950 nach Princeton einlud und als "best art historian of his generation" bezeichnete.
Was das Problem mit diesen Geschichten ist? Sie sind, auch das kann man in dem Sammelband nachlesen, vollkommen wahr. Aber - und damit beginnen die Schwierigkeiten - sie sind nur ein Ausschnitt und stehen Geschichten gegenüber, die nach dem Krieg niemand erzählen wollte und auch Holzinger verschwieg. Nicht zur Sprache kam etwa nach 1945 Holzingers Rolle als Kunstsachverständiger des Deutschen Reichs, in dessen Auftrag er 1941 und 1942 durch Holland und Frankreich reiste, um Kunstwerke auf Auktionen in den besetzten Ländern anzukaufen, deren Besitzer auf der Flucht oder ermordet worden waren. Unerzählt blieb lange Zeit auch, dass er als Sachverständiger des Reichserziehungsministeriums arbeitete, eine Funktion, in der er Wert und Qualität von beschlagnahmtem jüdischem Kunstbesitz zu überprüfen hatte. Wie die Schweizer Historikerin Esther Tisa Francini schreibt, war Holzinger zwischen 1941 und 1943 in 55 Fällen gutachterlich tätig. Wie passt das zusammen?
Die Logik, nach der sich das Geflecht von Schweigen, Sprechen, Lüge und Wahrheit entwirren lässt, wurde bereits bei der Tagung im vergangenen Jahr deutlich. Sie versteckt sich in Wendungen wie "Dienst am Museum", "Verpflichtung gegenüber der Institution" oder "Sicherung der Objekte als oberstes Gebot". Anders formuliert: Wenn es darum ging, den Bestand des Museums zu schützen, stellte Holzinger die Interessen seines Hauses über die Ansinnen der nationalsozialistischen Kunstpolitik. Er handelte dann beherzt und mutig. Geradezu kaltschnäuzig konnte er aber dieselben Interessen gegenüber den Opfern des nationalsozialistischen Regimes vertreten, wenn sich Erben etwa nach dem Krieg um die Restitution von Kunstwerken bemühten. Für den Dienst an der Kunst setzte sich Holzinger über Menschen hinweg - nationalsozialistische Vorgesetzte ebenso wie enteignete Juden.
Auch der Fall Alfred Wolters liegt ähnlich. Wolters leitete von 1928 bis 1949 die mit dem Städel verbundene Städtische Galerie und reichte im Mai 1938 ein schriftliches Rücktrittsgesuch bei der Stadt ein, da er die "entartete Kunst nicht als entartet empfinden" könne. Die Bilder des Malers Jakob Nussbaum versteckte er in falsch ausgezeichneten Kisten vor den Nationalsozialisten. Im Jahr 1936 übernahm er jedoch trotzdem die Aufgabe, Listen von "national wertvollem Kulturgut" in Frankfurter Sammlungen zu erstellen, deren Ausfuhr polizeilich verhindert werden sollte. Wolters setzte darauf unter anderem die berühmte Sammlung Goldschmidt-Rothschild oder die der Witwe Martha Nathan. Der Beitrag von Eva Mongi-Vollmer, Mitglied der Forschungsgruppe und Kuratorin am Städel, dokumentiert ein Schreiben Wolters', in dem er darum bittet, sechs Werke für die Städtische Galerie aus der Sammlung Nathan einzuziehen.
Von Zwang und politischem Druck auf jüdische Eigentümer wollten allerdings weder Wolters noch Holzinger nach dem Krieg wissen: Entsetzen bereitete ihnen allein die "katastrophale Einbuße an Kunstbesitz", wie Wolters schrieb, den das Städel erlitten hatte. Von da an betrachte man sich selbst als Opfer, eine Haltung, die eine erstaunliche Härte gegenüber den wirklichen Opfern nach sich zog, wie man in dem Beitrag von Dorothea Schöne nachlesen kann. Als die Erben von Goldschmidt-Rothschild sich nach dem Krieg um die Herausgabe ihres Frankfurter Besitzes bemühten, setzte Wolters die Objekte 1948 auf eine Liste von Kunstwerken, die für das Profil der Städtischen Galerie besondere Bedeutung hätten. Die Werke wurden trotzdem restituiert, und die Direktion des Städels zeigte sich fassungslos, dass "Kulturbesitz internationalen Wertes" und "nationaler Bedeutung" preisgegeben worden sei.
Den Rechtsanwalt von Martha Nathan, der sich nach 1945 wegen der Restitution von Bildern an Holzinger wandte, speiste man mit der Antwort ab, das "Städelsche Kunstinstitut hat nachweislich nie eine antisemitische Handlung vorgenommen". Und man fand auch nichts dabei, den Verlust von restituierten Werke in einem Atemzug mit den Beschlagnahmungen von 1936/37 zu nennen. Vergangenheitsbewältigung hieß, den Verlust von Dr. Gachet zu beklagen, Vincent van Goghs Porträt, das 1937 als sogenannte "entartete Kunst" aus dem Städel beschlagnahmt worden war. Das Fehlen von Dr. Gachet, eines bis heute verschollenen Bildes, wurde tiefer empfunden als die Auslöschung und Vertreibung von Sammlerfamilien wie den Weinbergs, Nathans oder Goldschmidt-Rothschilds.
Es musste also eine neue Generation von Museumsdirektoren kommen, um mit der Opferrolle der deutschen Museen aufzuräumen. Dass sich auch das Museumspublikum für die Auseinandersetzung mit der Geschichte interessiert, zeigte bereits die Tagung: Der Vortragsraum war bis auf den letzten Platz gefüllt. Und auch in München, als das Zentralinstitut für Kunstgeschichte zu dem Kolloquium "Provenienzforschung in München" lud, herrschte großer Andrang. Eine Überraschung bietet das Buch im Übrigen auch: Ohne viel Aufsehens entledigt man sich Ernst Holzingers, des einstigen Übervaters des Hauses, und setzt an dessen Stelle Georg Swarzenski. Den Auftakt des Buches bildet nämlich ein Kapitel, geschrieben von Thomas W. Gaetgens, der nun Leben und Wirken des einstigen Generaldirektors würdigt. 1928 wurde Swarzenski ernannt, bis 1937 leitete er das Städel und musste dann wegen seiner jüdischen Abstammung in die Vereinigten Staaten emigrieren, wo er von da an als Kurator am Museum of Fine Arts in Boston arbeitete. Unter seiner Leitung, führt Gaetgens aus, sei "alte und neue Kunst zu einer organischen Einheit geworden, wie sie selten zu finden ist". Kurzum: Swarzenskis Vermächtnis, so Gaetgens, sei der Einsatz für die zeitgenössische Kunst im Städel. Im Herbst eröffnet der Anbau des Hauses für die zeitgenössische Kunst. Der neue Übervater kommt also genau zum richtigen Zeitpunkt.
JULIA VOSS
"Museum im Widerspruch". Das Städel und der Nationalsozialismus. Hrsg. von Uwe Fleckner und Max Hollein.
Akademie Verlag, Berlin 2010. 372 S., Abb., geb., 49,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwischen Schweigen, Sprechen, Lüge und Wahrheit: Das Frankfurter Städel hat seine Geschichte im Nationalsozialismus erforschen lassen.
Eigentlich könnte man sich auch wundern: Soeben ist das Buch "Museum im Widerspruch" erschienen, dessen Beiträge auf eine Tagung im vergangenen Jahr (F.A.Z. vom 22. Februar 2010) zurückgehen, und schwarz auf weiß können wir nun also die Geschichte des Frankfurter Städel im Nationalsozialismus nachlesen. Was die einen taten - und was den anderen angetan wurde. Durchforstet haben die Archive Kunsthistoriker und Historiker unter der Leitung von Uwe Fleckner, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg und Leiter der Forschungsstelle "Entartete Kunst"; in Auftrag wurde das Projekt 2008 gegeben und zwar von Max Hollein, dem heutigen Direktor des Städel. Was daran verwunderlich ist? Doch eigentlich der Zeitpunkt. Immerhin haben private Unternehmen wie die Dresdner Bank, die Bertelsmann AG oder der Volkswagenkonzern bereits in den neunziger Jahren unabhängige Forscherteams damit beauftragt, die Geschichte ihres Hauses zu untersuchen. Und von einem Museum, einer öffentlichen Bildungseinrichtung, hätte man vielleicht erwartet, dass es mehr Willen zur Aufklärung zeigt als ein privater Wirtschaftskonzern.
Hätte man? Tatsächlich lehrt die jüngere Geschichte, dass öffentliche Einrichtungen und private Konzerne gleich handeln. Die deutschen Unternehmen stellten sich erst nach Jahrzehnten ihrer Vergangenheit, nämlich dann, als sie in die Vereinigten Staaten expandierten und als überraschender Rückschlag der Globalisierung plötzlich aus dem Ausland die Forderung kam, man möge bitte endlich die Zwangsarbeiter entschädigen. Die Museen gerieten im gleichen Zeitraum wegen amerikanischer Restitutionsforderungen unter Druck und schließlich deshalb, weil andere Institutionen vor einigen Jahren begannen, das Thema aufzuarbeiten, darunter das Jüdische Museum mit der Ausstellung "Raub und Restitution". Mit Blick auf die deutsche Museumslandschaft spielt das Städel allerdings die Rolle eines Pioniers. Es ist das erste deutsche Kunstmuseum, das den Auftrag vergeben hat, seine Geschichte aufzuarbeiten.
Wer sich fragt, wie das sein kann, der wird in dem vorzüglich recherchierten Band die Antworten finden. Der Grund nämlich, warum die Aufarbeitung so lange dauert, liegt gerade in dem Selbstverständnis von Museen, eine moralische Institution zu sein. Als solche wähnten sich die deutschen Kunstmuseen in der Nachkriegszeit auf der anderen Seite - auf der Seite der Opfer und nicht der Täter. In Frankfurt war die Zeit zwischen 1933 und 1945 nicht etwa vergessen, im Gegenteil, es kursierten zahlreiche Geschichten: über Bilder etwa, die im Zuge der nationalsozialistischen Kunstpolitik als "entartete Kunst" konfisziert wurden; oder über Museumsmitarbeiter, die versuchten, die Werke in ihrem Haus zu schützen. Insbesondere über den langjährigen Direktor, der dem Städelschen Kunstinstitut von 1938 bis 1972 vorstand, wurden geradezu heldenhafte Dinge erzählt: Ernst Holzinger, der die als "entartet" eingestufte Sammlung Carl Hagemanns 1937 im Depot versteckte, um sie vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu schützen. Holzinger, der 1941 den Maler Max Beckmann im Exil besuchte. Holzinger, den der emigrierte Erwin Panofsky 1950 nach Princeton einlud und als "best art historian of his generation" bezeichnete.
Was das Problem mit diesen Geschichten ist? Sie sind, auch das kann man in dem Sammelband nachlesen, vollkommen wahr. Aber - und damit beginnen die Schwierigkeiten - sie sind nur ein Ausschnitt und stehen Geschichten gegenüber, die nach dem Krieg niemand erzählen wollte und auch Holzinger verschwieg. Nicht zur Sprache kam etwa nach 1945 Holzingers Rolle als Kunstsachverständiger des Deutschen Reichs, in dessen Auftrag er 1941 und 1942 durch Holland und Frankreich reiste, um Kunstwerke auf Auktionen in den besetzten Ländern anzukaufen, deren Besitzer auf der Flucht oder ermordet worden waren. Unerzählt blieb lange Zeit auch, dass er als Sachverständiger des Reichserziehungsministeriums arbeitete, eine Funktion, in der er Wert und Qualität von beschlagnahmtem jüdischem Kunstbesitz zu überprüfen hatte. Wie die Schweizer Historikerin Esther Tisa Francini schreibt, war Holzinger zwischen 1941 und 1943 in 55 Fällen gutachterlich tätig. Wie passt das zusammen?
Die Logik, nach der sich das Geflecht von Schweigen, Sprechen, Lüge und Wahrheit entwirren lässt, wurde bereits bei der Tagung im vergangenen Jahr deutlich. Sie versteckt sich in Wendungen wie "Dienst am Museum", "Verpflichtung gegenüber der Institution" oder "Sicherung der Objekte als oberstes Gebot". Anders formuliert: Wenn es darum ging, den Bestand des Museums zu schützen, stellte Holzinger die Interessen seines Hauses über die Ansinnen der nationalsozialistischen Kunstpolitik. Er handelte dann beherzt und mutig. Geradezu kaltschnäuzig konnte er aber dieselben Interessen gegenüber den Opfern des nationalsozialistischen Regimes vertreten, wenn sich Erben etwa nach dem Krieg um die Restitution von Kunstwerken bemühten. Für den Dienst an der Kunst setzte sich Holzinger über Menschen hinweg - nationalsozialistische Vorgesetzte ebenso wie enteignete Juden.
Auch der Fall Alfred Wolters liegt ähnlich. Wolters leitete von 1928 bis 1949 die mit dem Städel verbundene Städtische Galerie und reichte im Mai 1938 ein schriftliches Rücktrittsgesuch bei der Stadt ein, da er die "entartete Kunst nicht als entartet empfinden" könne. Die Bilder des Malers Jakob Nussbaum versteckte er in falsch ausgezeichneten Kisten vor den Nationalsozialisten. Im Jahr 1936 übernahm er jedoch trotzdem die Aufgabe, Listen von "national wertvollem Kulturgut" in Frankfurter Sammlungen zu erstellen, deren Ausfuhr polizeilich verhindert werden sollte. Wolters setzte darauf unter anderem die berühmte Sammlung Goldschmidt-Rothschild oder die der Witwe Martha Nathan. Der Beitrag von Eva Mongi-Vollmer, Mitglied der Forschungsgruppe und Kuratorin am Städel, dokumentiert ein Schreiben Wolters', in dem er darum bittet, sechs Werke für die Städtische Galerie aus der Sammlung Nathan einzuziehen.
Von Zwang und politischem Druck auf jüdische Eigentümer wollten allerdings weder Wolters noch Holzinger nach dem Krieg wissen: Entsetzen bereitete ihnen allein die "katastrophale Einbuße an Kunstbesitz", wie Wolters schrieb, den das Städel erlitten hatte. Von da an betrachte man sich selbst als Opfer, eine Haltung, die eine erstaunliche Härte gegenüber den wirklichen Opfern nach sich zog, wie man in dem Beitrag von Dorothea Schöne nachlesen kann. Als die Erben von Goldschmidt-Rothschild sich nach dem Krieg um die Herausgabe ihres Frankfurter Besitzes bemühten, setzte Wolters die Objekte 1948 auf eine Liste von Kunstwerken, die für das Profil der Städtischen Galerie besondere Bedeutung hätten. Die Werke wurden trotzdem restituiert, und die Direktion des Städels zeigte sich fassungslos, dass "Kulturbesitz internationalen Wertes" und "nationaler Bedeutung" preisgegeben worden sei.
Den Rechtsanwalt von Martha Nathan, der sich nach 1945 wegen der Restitution von Bildern an Holzinger wandte, speiste man mit der Antwort ab, das "Städelsche Kunstinstitut hat nachweislich nie eine antisemitische Handlung vorgenommen". Und man fand auch nichts dabei, den Verlust von restituierten Werke in einem Atemzug mit den Beschlagnahmungen von 1936/37 zu nennen. Vergangenheitsbewältigung hieß, den Verlust von Dr. Gachet zu beklagen, Vincent van Goghs Porträt, das 1937 als sogenannte "entartete Kunst" aus dem Städel beschlagnahmt worden war. Das Fehlen von Dr. Gachet, eines bis heute verschollenen Bildes, wurde tiefer empfunden als die Auslöschung und Vertreibung von Sammlerfamilien wie den Weinbergs, Nathans oder Goldschmidt-Rothschilds.
Es musste also eine neue Generation von Museumsdirektoren kommen, um mit der Opferrolle der deutschen Museen aufzuräumen. Dass sich auch das Museumspublikum für die Auseinandersetzung mit der Geschichte interessiert, zeigte bereits die Tagung: Der Vortragsraum war bis auf den letzten Platz gefüllt. Und auch in München, als das Zentralinstitut für Kunstgeschichte zu dem Kolloquium "Provenienzforschung in München" lud, herrschte großer Andrang. Eine Überraschung bietet das Buch im Übrigen auch: Ohne viel Aufsehens entledigt man sich Ernst Holzingers, des einstigen Übervaters des Hauses, und setzt an dessen Stelle Georg Swarzenski. Den Auftakt des Buches bildet nämlich ein Kapitel, geschrieben von Thomas W. Gaetgens, der nun Leben und Wirken des einstigen Generaldirektors würdigt. 1928 wurde Swarzenski ernannt, bis 1937 leitete er das Städel und musste dann wegen seiner jüdischen Abstammung in die Vereinigten Staaten emigrieren, wo er von da an als Kurator am Museum of Fine Arts in Boston arbeitete. Unter seiner Leitung, führt Gaetgens aus, sei "alte und neue Kunst zu einer organischen Einheit geworden, wie sie selten zu finden ist". Kurzum: Swarzenskis Vermächtnis, so Gaetgens, sei der Einsatz für die zeitgenössische Kunst im Städel. Im Herbst eröffnet der Anbau des Hauses für die zeitgenössische Kunst. Der neue Übervater kommt also genau zum richtigen Zeitpunkt.
JULIA VOSS
"Museum im Widerspruch". Das Städel und der Nationalsozialismus. Hrsg. von Uwe Fleckner und Max Hollein.
Akademie Verlag, Berlin 2010. 372 S., Abb., geb., 49,80 [Euro].
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"'Museum im Widerspruch' [...] zeichnet sich durch tiefgreifende Recherchen aus [...] und dokumentiert schonungslos ein heikles Stück Kunst- und Betriebsgeschichte in Nazi-Deutschland." Informationsdienst Kunst, Nr. 473, 10. März 2011, S. 12 "'Museum im Widerspruch' ist nicht nur eine exzellente Forschungsarbeit, sondern auch eine eindrückliche, über weite Strecken spannend zu lesende Geschichte der ambivalenten Rolle, die das Städel Museum während des Dritten Reichs gespielt hat." Eva Hepper in: Deutschlandradio Kultur, 5. April 2011, 14:33 Uhr "Das Frankfurter Städel hat nun in dem Buch "Museum im Widerspruch" die eigene, durchaus ambivalente Geschichte dargestellt. Das ist in doppelter Hinsicht einzigartig. Das Städel ist das erste Museum in der Republik, das gezielt die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit in Auftrag gegeben hat. Aber "Museumim Widerspruch" ist noch aus einem anderen Grund bemerkenswert: Es räumt auf mit der eindimensionalen Sicht auf Opfer hier, Täter dort. [....] Manche Geschichte liest sich spannend wie ein Krimi, wobei die Buchaufsätze, hervorgegangen aus einer Tagung im vergangenen Jahr, die Faktenlage gewissenhaft aufarbeiten." Stuttgarter Zeitung "Mit Blick auf die deutsche Museumslandschaft spielt das Städel die Rolle eines Pioniers. Es ist das erste deutsche Kunstmuseum, das den Auftrag vergeben hat, seine Geschichte aufzuarbeiten. Wer sich fragt, wie das sein kann, der wird in dem vorzüglich recherchierten Band die Antworten finden." FAZ