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Das Goldene Zeitalter der englischen Musik im ausgehenden 16. Jahrhundert war eine Periode schwerwiegender kultureller Konflikte und einer neuartigen sozialen Mobilität. Und so war die musikalisch sensible Erkundung der eigenen Subjektivität in den weltlichen Madrigalen und Lautenliedern nicht nur eine Reaktion auf die sich vollziehenden Umbrüche, sondern eine eigenständige Ausdrucksform, in der die Chancen und Unwägbarkeiten eines neuen Zeitalters verhandelt und künstlerisch bewältigt wurden. Im Sinne einer kulturellen Poetik der Musik stellt Sebastian Klotz in diesem Buch rhetorisch…mehr

Produktbeschreibung
Das Goldene Zeitalter der englischen Musik im ausgehenden 16. Jahrhundert war eine Periode schwerwiegender kultureller Konflikte und einer neuartigen sozialen Mobilität. Und so war die musikalisch sensible Erkundung der eigenen Subjektivität in den weltlichen Madrigalen und Lautenliedern nicht nur eine Reaktion auf die sich vollziehenden Umbrüche, sondern eine eigenständige Ausdrucksform, in der die Chancen und Unwägbarkeiten eines neuen Zeitalters verhandelt und künstlerisch bewältigt wurden. Im Sinne einer kulturellen Poetik der Musik stellt Sebastian Klotz in diesem Buch rhetorisch motivierte Kommunikationsformen dar, die bereits im Bewusstsein der Zeit um 1600 umstritten waren. Er nutzt dazu die Anregungen der aktuellen Literatur-, Rhetorik- und Kulturtheorie zur frühen Neuzeit.

Zielgruppe: Musikwissenschaftler, Musiksoziologen
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.1999

Wem die Laute schlägt
Sebastian Klotz analysiert die Weisen elisabethanischer Musik

Eines der schönsten Bilder des englischen Miniaturmalers Nicholas Hilliard zeigt Königin Elisabeth I., verhalten lächelnd, beim Lautenspiel: kein Staatsporträt, sondern eine fast private Darstellung der "Virgin Queen" bei einem Zeitvertreib, den sie mit vielen ihrer Höflinge und ihrer bürgerlichen Untertanen teilte. Ihre Regierungszeit war eine Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs für den landbesitzenden Adel und die Kaufleute, die das begehrte Wolltuch von der Insel auf den Kontinent brachten und auf der Rückfahrt Luxuswaren importierten. In welchem Maße mit dem Reichtum auch das Verlangen nach Repräsentation stieg, demonstrieren noch heute die prachtvollen Landsitze dieser Epoche. Ihre Fassaden sprechen vom wetteifernden Stolz der Erbauer auf Amt und Leistung, auf Modernität und Vertrautheit mit der kontinentalen Renaissancekultur - Stein statt Fachwerk, Symmetrie statt mittelalterlicher Bauwillkür, Ziergärten statt Verteidigungsanlagen.

Wer es durch die Gunst der Krone oder durch geschickte Nutzung der eigenen Ländereien zu einem derartigen Palast gebracht hatte, mußte sich wie die großen Vorbilder, die italienischen Adelshäuser, aktiv oder fördernd mit den freien Künsten beschäftigen, um die kulturellen Normen dieser neuen Gesellschaft zu erfüllen. Unter dem Patronat der Gentry eröffneten sich neue, allerdings vom Glück der Arbeitgeber abhängige Verdienstmöglichkeiten für Komponisten und Musiker; gleichzeitig blühte das Geschäft mit Notendrucken auf, und eine bisher nicht gekannte Kommerzialisierung des Musiklebens setzte ein. Wenn man mit Blick auf die erhaltenen Werke eines Thomas Tallis oder John Dowland vom "Goldenen Zeitalter der englischen Musik" redet, sollte man nicht vergessen, daß die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts mit ihren ökonomischen und gesellschaftlichen Umwälzungen für viele Musiker und ihre Zuhörer eine unsichere, verwirrende Epoche war.

Sebastian Klotz spürt der Funktion von Musik als sozialer und sozialisierender Tätigkeit in der elisabethanischen Gesellschaft nach und stellt in seinem Buch das neue Element in den Kompositionen dieser Zeit, die "sensible Erkundung der eigenen Subjektivität in den Madrigalen und Lautenliedern", in den Mittelpunkt. Um Theorie und Technik der musikalischen Kommunikation zwischen dem Ich und seiner Welt zu analysieren, greift er aktuelle Ansätze der Kultursoziologie, Literatur-, Philosophie- und Rhetorikgeschichte auf. So bewundernswert dieser hoch zielende Versuch einer Zusammenschau von Ideologie, Poesie, Musik und Rezeption auch ist, so schwierig ist es andererseits, die immense Stoffülle auf rund dreihundert Textseiten aufzubereiten. Das Ergebnis ist eine Studie, die bei ihrem Leser akademisches Wissen in verschiedenen Disziplinen erfordert und sich ohne die Zuhilfenahme anderer Bücher nicht studieren läßt.

Schon das erste, fünfundsechzig Seiten umfassende Kapitel enthält eine vom Mittelalter bis etwa 1600 voranschreitende Erörterung der Funktionen von Musik und Rhetorik im englischen Schrifttum und dürfte damit für viele "nur" Musikinteressierte zur tour de force werden: Rhetorische Fachbegriffe werden als bekannt vorausgesetzt, umfangreiche lateinische Zitate nicht übersetzt.

Der dornige Weg führt zu der Schlußfolgerung, daß Korrespondenzen zwischen Rhetorik und Musik in England nicht wie etwa in Deutschland im Bereich einzelner, abbildender Figuren gesucht wurden, sondern die strukturelle Ebene einer Komposition prägten. Nach einer Darstellung der gesellschaftlichen und poetologischen Rahmenbedingungen für die Gattungen Madrigal und Ayre (Lautenlied) wendet Klotz sich im Hauptteil seiner Studie exemplarischen Werken zu, um ebendiese rhetorisch-poetisch bedingten Strukturelemente offenzulegen. Hier macht sich nun das größte Manko des Buches bemerkbar: In den meisten Fällen fehlen die Noten, statt dessen wird auf das von Philipp Ledger herausgegebene "Oxford Book of English Madrigals" (Oxford 1984) und verschiedene Bände der Serie "The English Lute-Songs" verwiesen. Welcher deutsche Leser hat denn alle diese Ausgaben im Bücherschrank stehen? Wo sie nicht vorhanden sind, kann man die musikalische und metrische Analyse oft nur ahnend nachvollziehen.

Madrigal und Ayre werden als zwei bewußt gegeneinander abgegrenzte poetische und musikalische Ausdrucksformen erfaßt: hier das in Gesellschaft aufzuführende Madrigal mit seiner lockeren Form und Affektvielfalt, das nach dem rhetorischen Prinzip der persuasio den Hörer überreden soll, dort das epigrammatisch kurze, kunstvoll einfache Lautenlied mit durchgehendem Grundaffekt, in den der Zuhörer mittels der Ichform des Textes einbezogen wird. In John Dowlands berühmten pathetischen Ayres ("Flow, my

tears"), die laut Vorrede des Komponisten in ihrer melancholischen Stimmung unterhalten sollen, sieht Klotz einen Beweis für die Funktion der Musik als Medium der Selbsterkenntnis - Kunst, die nicht bloß der Kurzweil dient, sondern einer komplexen Auseinandersetzung des Individuums mit seiner problembeladenen Umwelt.

Hinter theoretischen Erörterungen und Analysen bleiben die komponierenden, singenden und lautespielenden Zeitgenossen Elisabeths I. nur schattenhafte Gestalten, denn persönliche Textdokumente oder biographische Details sucht man vergeblich. So muß auch der Autor am Ende zugeben, daß seine Studie lediglich "das vermutete rhetorische Verständnis von Musik" darzulegen versuche, da keine bestätigenden Originalquellen vorlägen. Auf der Basis der Thesen von Klotz wären noch weitere Untersuchungen wünschenswert, etwa über die Bedeutung des Rollenspiels (die hier nur kurz angesprochen wird) oder der zusammen mit dem neuen Körperbewußtsein immer wieder erwähnten Erotik.

Das Titelzitat "Music with her silver sound" stammt aus dem vierten Akt von Shakespeares "Romeo und Julia", der, wie Klotz es darstellt, eine "merkwürdige Szene" enthält: "Eine ganze Band von Musikern steht in voller Montur auf der Bühne - und versagt den Dienst." Was der Autor als Beleg für die Kommerzialisierung der Musik heranzieht, wäre als Karikatur eines Möchtegernmusikers, der sich nicht an soziale Konventionen hält, ergiebiger zu lesen: Die zur Hochzeit engagierten Berufsmusiker haben nämlich gerade erfahren, daß Julia gestorben ist, und wollen das Trauerhaus still verlassen, da stürzt der Diener Peter herein und drängt sie, seinen Schmerz rasch mit einem lustigen Stück zu beschwichtigen. Weil die Musiker sich standhaft weigern, etwas derart Unpassendes zu tun, singt Peter schließlich selbst, und zwar ein Lied, das mit seinen etwas übertriebenen Alliterationen ("When griping grief the heart doth wound, And doleful dumps the mind oppress . . .") wie eine Parodie auf die pathetischen Ayres wirkt.

Shakespeares Liebesdrama erschien 1597 im Druck, als John Dowland sein "First Book of Songes or Ayres" veröffentlichte und damit die Serie der englischen Lautenlieder-Sammlungen begann. Was wollte Shakespeare hier ins Lächerliche ziehen - das groteske Verlangen Peters nach der Trösterin Musik, seine mißlingende Aneignung einer Art von Musik, die nur der Oberschicht zusteht, oder die "à la mode"-Erzeugnisse zweitrangiger Poeten? Auch über diese Art der Kommunikation wüßte man gerne mehr.

DOROTHEA SCHRÖDER

Sebastian Klotz: "Music with her silver sound". Kommunikationsformen im Goldenen Zeitalter der englischen Musik. Bärenreiter Verlag, Kassel 1998. 329 S., Notenbeispiele, 39 Abb., br., 58,- DM.

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