Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 18,89 €
  • Gebundenes Buch

András Schiff ist einer der bedeutendsten Pianisten der Gegenwart. Internationale Beachtung erfuhr er außerdem für seine klare Stellungnahme gegen nationalistische Haltungen, etwa die Weigerung, im Ungarn Orbáns aufzutreten. Im Gespräch mit Martin Meyer gibt er Auskunft über seine künstlerischen Grundanschauungen, die Geschichte seiner jüdischen Familie und sein politisches Engagement. Seine Essays bieten Porträts großer Künstler, politische Beiträge und Interpretationen zentraler Klavierwerke.

Produktbeschreibung
András Schiff ist einer der bedeutendsten Pianisten der Gegenwart. Internationale Beachtung erfuhr er außerdem für seine klare Stellungnahme gegen nationalistische Haltungen, etwa die Weigerung, im Ungarn Orbáns aufzutreten. Im Gespräch mit Martin Meyer gibt er Auskunft über seine künstlerischen Grundanschauungen, die Geschichte seiner jüdischen Familie und sein politisches Engagement. Seine Essays bieten Porträts großer Künstler, politische Beiträge und Interpretationen zentraler Klavierwerke.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2017

Malen mit
dem Pedal
András Schiff führt durch
musikalische Landschaften
Der Pianist András Schiff ist ein begnadeter Lehrer. Viele seiner Meisterklassen kann man auf Youtube ansehen, ein zweifacher Genuss, einmal weil es so schön ist, diesem feinsinnig humorvollen Musiker beim Umgang mit Jüngeren zuzusehen, zum anderen lernt man dabei mehr über die Phrasierung bei Beethoven, den Pedalgebrauch bei Bach oder die Klangwelten Schuberts als aus manchem Buch. Einmal, ein Jugendlicher hat ihm Schuberts Impromptus in Es-dur vorgespielt, sagt Schiff in einer solchen öffentlichen Probe: „You are just playing the piano but you have to paint nature.“ Und spielt die gemeinte Stelle dann, als kündige sich am Horizont ein Gewitter an.
Die Natur malen mit Mitteln der Musik: Auch in Schiffs Texten und Reden, die hier erstmals versammelt werden, vergleicht er die Musik oft mit Landschaften. Einen der Aufsätze überschreibt er lakonisch „Betrachtungen eines Bergsteigers – Einige überflüssige Gedanken zu Beethovens Klaviersonaten“, um dann so fundiert wie erfahrungsgesättigt über die innere Architektur dieses Werks und die richtigen Instrumente für die unterschiedlichen Sonaten zu sprechen. Auch durch die Goldberg-Variationen führt er wie durch eine Landschaft – „Lassen Sie uns gemeinsam auf die Reise gehen, ich will Ihr Reiseführer sein.“ Im Folgenden zeigt er mit wenigen, genauen Sätzen auf die vor einem liegende Pracht, die Besonderheiten jeder einzelnen Variation, die Struktur der Gesamtlandschaft, die er so oft erkundet hat wie wenige andere: Seit mehr als vier Jahrzehnten studiert Schiff die großen Werkkomplexe, Schubert, Bach, Brahms, Janáček, Bartók. Beethovens 32 Klaviersonaten hat er bislang
25 Mal vollständig aufgeführt.
Dennoch, auch das macht den Reiz seiner Interpretationen wie dieser Texte aus, stellt er sich selbst nie in der Vordergrund, sondern sieht sich immer als Diener der Musik. „Tradition ist Schlamperei“, zitiert er Gustav Mahler einmal. Schiff studiert grundsätzlich die Original-Handschriften, liest die Literatur der zeitgenössischen Autoren, um Schumanns oder Mozarts Welt immer noch ein wenig besser zu verstehen, und hat in seinem klangarchäologischen Bemühen um den richtigen Anschlag im Falle Beethovens sogar alle Hebel in Bewegung gesetzt, um auf dessen Broadwood-Fortepiano spielen zu dürfen. Diese Texte über einzelne Komponisten oder Teilaspekte ihrer Werke – der Humor bei Haydn –, über Probleme der Aufführungspraxis – wann gibt man welche Zugaben? – und seine wichtigsten Lehrer – allein die Hommage an György Kurtág lohnt den Kauf – machen aber nur ein Drittel des Buches aus.
Auf den ersten 150 Seiten unterhält er sich mit dem Schweizer Publizisten Martin Meyer, mit dem er schon einen Band über Beethovens Klaviersonaten herausgegeben hat. Diesmal sprechen die beiden in einem Einführungsteil über künstlerisch-ästhetische Grundfragen, in denen Schiff en passant witzige Kurzporträts großer Weggefährten einstreut: „Rudolf Serkin – er war immer freundlich, tat aber geheimnisvoll, wenn man ihm Fragen stellte. Alles brauche viel Zeit, Rezepte gebe es für die Musik nicht. Na, das war mir auch schon aufgegangen.“
Auch hier ist auf jeder Seite zu spüren, mit welcher Genauigkeit und in welcher enzyklopädischen Tiefe Schiff versucht, den einzelnen Werken und Komponisten gerecht zu werden. Als ihm ein 14-Jähriger Liszts Dante-Sonate vorspielen wollte, weigerte er sich, das anzuhören. „Weil er die Göttliche Komödie nicht kannte.“ Als Laie hat man darüberhinaus seine helle Freude an Schiffs klavierpraktischen Einlassungen: „Beethoven hat auf revolutionäre Weise unglaubliche Pedalbezeichnungen vorgeschrieben, damit die Klänge zusammenwachsen. Er will bewusst Besonderes kundtun. Das ist im orthodoxen Unterricht verpönt: Man soll doch bitte sehr vor jeder neuen Harmonie das Pedal wechseln. Beethoven aber schreibt absichtsvoll gegen solche Regeln, und ihm ist entsprechend stattzugeben.“
Der zweite Teil der Gespräche erzählt chronologisch Schiffs Leben, die Kindheit im kommunistischen Budapest. Der unendlich hohe Stellenwert der Musik als Freiheitsraum im dumpfdiktatorischen Osten. Die Prägung durch Lehrer wie Kurtág oder Pál Kadosa – die beide Komponisten waren. Und es zeigt sich in dieser Nacherzählung, dass es oft ein großes Glück sein kann, wenn einer Zeit hat, um künstlerisch behutsam und beharrlich zu reifen. Schiff war über 30, als die große Karriere losging.
Während des Schreibens dieser Rezension habe ich András Schiff gehört, Schubertsonaten und Bach, das fühlte sich an wie ein innerer Frühling, lind, frisch, jung. Man könnte das Gesamtwerk seiner Einspielungen in ihrer maßvollen, singenden, immer so durch und durch humanen Grundgestimmtheit vielleicht auch zusammenfassen unter dem Titel: Das Wohltemperierte Klavier.
ALEX RÜHLE
András Schiff: Musik kommt aus der Stille. Gespräche mit Martin Meyer. Essays. Henschel Verlag, Berlin 2017. 253 Seiten, 24,95 Euro.
Humor bei Haydn? Welche
Zugaben gibt man wann?
Musizieren eröffnete in der
Diktatur Freiheitsräume
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr