Interpretinnen und Interpreten haben von jeher massgeblich auf die Entstehung, Aufführungspraxis, Distribution und Rezeption von Kompositionen eingewirkt. Das macht sie zu zentralen Akteuren des Musikschaffens, welche die Musikwissenschaft jedoch erst in jüngerer Vergangenheit als eigenständigen Forschungsgegenstand für sich entdeckte. Die vorliegende Publikation rückt mit den Sängerinnen Cathy Berberian und Carla Henius sowie dem Schauspieler und Vokalkünstler Roy Hart drei Interpretenpersönlichkeiten aus dem näheren wie weiteren Umfeld der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik in den Fokus, die in besonders prägnanter Weise das Vokalrepertoire ihrer Zeit beeinflusst haben - sei es aufgrund ihrer spezifischen vokalen Fähigkeiten und Arbeitsweisen, sei es als Initiatoren und Auftraggeberinnen. Dieses Repertoire wirft nicht selten aufführungspraktische Fragen auf: Wie lassen sich Kompositionen interpretieren, die als vokale Porträts eines Sängers bzw. einer Sängerin entstanden oder womöglich nur durch eine einzige Person gesangstechnisch umsetzbar sind? Welche Relevanz besitzt dieses historische Repertoire in der Gegenwart und wie definiert sich darin der Handlungsrahmen von Interpretation? Was kann Interpretation leisten - nicht als Dienerin einer vermeintlichen Autoreninstanz oder als Medium zur Verdeutlichung von Forschungsergebnissen, sondern als eigenständige epistemische Technik? Der vorliegende Band zielt damit auf zweierlei: zum Einen auf das Erhellen konkreter historischer Kontexte und die Anwendung der daraus generierten Erkenntnisse in Musikforschung wie Musikpraxis, zum Anderen auf die Veranschaulichung von Musikpraxis in ihrem Potenzial als erkenntnisgenerierendes Verfahren. Beide Aspekte eint das Verständnis von Interpretation als kreative Praxis.