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Nach der Oktoberrevolution 1917 flohen zahlreiche Komponisten ins Ausland, die russische Musikgeschichte spaltete sich in einen inner- und einen außersowjetischen Strang. Die anfängliche Experimentierfreude in der UdSSR wurde bald durch Stalin unterbunden. Parallel etablierte sich die russische Musik im Ausland, repräsentiert durch Namen wie Prokofjew, Rachmaninow und Strawinsky. Der vorliegende Band widmet sich erstmals umfassend der Spaltung der russischen Musikkultur. Als Schlüsselfigur der Zeit zwischen 1930 und 1950 entpuppt sich dabei Prokofjew, der in die Sowjetunion zurückkehrte und…mehr

Produktbeschreibung
Nach der Oktoberrevolution 1917 flohen zahlreiche Komponisten ins Ausland, die russische Musikgeschichte spaltete sich in einen inner- und einen außersowjetischen Strang. Die anfängliche Experimentierfreude in der UdSSR wurde bald durch Stalin unterbunden. Parallel etablierte sich die russische Musik im Ausland, repräsentiert durch Namen wie Prokofjew, Rachmaninow und Strawinsky. Der vorliegende Band widmet sich erstmals umfassend der Spaltung der russischen Musikkultur. Als Schlüsselfigur der Zeit zwischen 1930 und 1950 entpuppt sich dabei Prokofjew, der in die Sowjetunion zurückkehrte und beide Musikkulturen in sich vereinte.
Russisches Musikleben nach der Oktoberrevolution 1917. Während zahlreiche Komponisten vor Stalin ins Ausland flohen, darunter Rachmaninow und Strawinsky, blieben andere im Land und etablierten dort eine eigene Traditionslinie. Der Band widmet sich erstmals umfassend der Spaltung der russischen Musikkultur. Als Schlüsselfigur der Zeit zwischen 1930 und 1950 entpuppt sich dabei Prokofjew, der in die Sowjetunion zurückkehrte und beide Musikkulturen in sich vereinte.
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Autorenporträt
Friedrich Geiger, Privatdozent an der Universität Hamburg und wiss. Mitarbeiter am Musikwissenschaftlichen Seminar der FU Berlin; Eckhard John, wiss. Mitarbeiter des Deutschen Volksliedsarchivs, Freiburg
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.12.2004

Maschinenklänge der Utopie
Ein Band über die Musik zwischen Emigration und Stalinismus

Das gewaltige Gesamtkunstwerk der stalinistischen Kultur hat wie ein Mähdrescher Künstler angesogen, weggeschleudert und zermalmt. Ende der zwanziger Jahre, nach einer Phase der Experimente und langen Zügel, fuhr der Sowjetstaat seine Ernte ein und trennte mit harter Hand das, was ihm als Spreu erschien, vom nahrungstauglichen Weizen. Dabei kam es vor, daß ein und dasselbe Menschenkorn nacheinander als Spreu und als Weizen durchging. Vor drei Jahren hatten sich am Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik deutsche und russische Wissenschaftler zusammengefunden, um die stalinistische Musikpolitik, die im Vergleich mit anderen Kultursphären als vergleichsweise "vegetarisch" gilt, im Ganzen und an Einzelschicksalen nachzuzeichnen. Die materialgesättigten, in vielem richtungweisenden Beiträge hat der J. B. Metzler-Verlag jetzt herausgebracht.

Daß sich die kulturpolitische Lage in Rußland um 1930 grundlegend wandelte, erklärt die Moskauer Musikwissenschaftlerin Swetlana Sawenko auch durch die gewandelte Selbstwahrnehmung des kommunistischen Projekts. Dessen Horizonte seien in den zwanziger Jahren noch offen gewesen, schreibt Frau Sawenko, der Traum von der Weltrevolution noch nicht ausgeträumt. Emigrierte Komponisten wie Strawinsky, Rachmaninow, Metner waren mit ihren Werken präsent, deren Aufführungen bei der Kritik ein lebhaftes Echo fanden. Der Komponist Vyschnegradski ließ sich in Paris einen sowjetischen Paß ausstellen, der emigrierte Dirigent Nikolai Malko verstand sich als Propagandist der sowjetischen Musik und Aufführungspraxis in Europa.

Je deutlicher wurde, daß die Wege von Rußland und dem Westen nicht zusammenkommen würden, desto weniger war eine nachwachsende Musikergeneration bereit, im Schatten klassenfremder Altmeister zu stehen. Proletarische Musik-Aktivisten wußten Aufführungen von Prokofjews "Stahlschritt" und Rachmaninows "Glocken" zu verhindern. Partei und Musikproletarier, die vorzugsweise aus der Folklore schöpften, zogen insbesondere gegen die urbane Unterhaltungsmusik zu Felde, die, als "Foxtrot-" und "Zigeunerunwesen" gebrandmarkt, das Lebensgefühl der NEP-Kleinkapitalisten einfing. Wie unauflöslich sich in diesem giftigen Krieg Ideologie, Neid und Willkür verknäulten, schildert der Dresdner Musikwissenschaftler Wolfgang Mende exemplarisch am Schicksal der Komponisten Nikolai Roslawez und Alexander Mossolow.

Das 1930 über den Neutöner Roslawez verhängte Berufsverbot besiegelte die Umwertung der revolutionären Werte. Der Komponist, der als Zensor lange Jahre über die guten sowjetischen Sitten wachte, bekämpfte in dieser Eigenschaft insbesondere das, was er als pseudoproletarischen Folkloreschund bezeichnete. So wurde er zum Lieblingsfeind der aus den Tiefen des Volkes auch ins Zensurkomitee nachrückenden Kader, die an Roslawez, trotz dessen Rückhalts unter Komponistenkollegen, wegen proletariatsfeindlicher Musikpolitik ein Exempel statuieren konnten. Aus Schaden klug geworden, übte der Musikpionier Selbstkritik, gab sein Markenzeichen der "Synthetakkorde" auf und schrieb eine Folklore-Symphonie namens "Sowjetisches Usbekistan".

Der gefeierte musikalische Konstruktivist Mossolow brachte gerade seine Industrieoper "Der Staudamm" heraus, als in den kulturpolitischen Gremien bürgerliche Fachleute durch zuverlässige Funktionäre ersetzt wurden. Plötzlich klang die wuchtige Maschinenmusik dem Proletariatsgeschmack "fremd" und wurde verboten. Auch Mossolow läuterte sich, indem er in die Folklore der Sowjetvölker eintauchte, handelte sich freilich durch ungebärdiges Benehmen noch acht Monate Lagerhaft wegen "konterrevolutionärer Propaganda" ein.

Das Gebäude der alten Hochkultur wurde in Etappen demontiert. Es gab Ruhepunkte und Hohlräume. 1932 beendete die Sowjetregierung die Kulturrevolution, indem sie alle Kulturorganisationen zu zentralen Verbänden zwangsvereinigte. Für Schostakowitsch, der später zum menschlichen Mahnmal für die sowjetische Kulturzertrümmerung wurde, begann damit die für sein Schaffen glücklichste und hoffnungsfroheste Zeit. Unterdessen fraß der Säuberungsvirus weiter. Zuerst verschwanden die Noten ausländischer Komponisten, dann auch ihre Namen aus der Presse.

Doch wie für die Literatur konnte die Sowjetbaustelle auch für die Musik Deserteure aus der Emigration zurückgewinnen. Der Emigrant Prokofjew hatte in den zwanziger Jahren mit Sowjetrußland abgeschlossen. Aber im Westen stand er als Komponist im Schatten von Strawinsky, als Pianist in dem von Rachmaninow. Prokofjews trotz harmonischer Freiheiten robust einfache, ansteckend energievolle Musik galt in Europa vielen unmodern. Den Anforderungen der stalinistischen Kultur nach Eingängigkeit, Programmatik und Brauchbarkeit für die Massen kam sie indes ganz natürlich entgegen. Es war wohl diese Affinität, gepaart mit der Möglichkeit, endlich zum Komponisten Nummer eins aufzusteigen, glaubt Musikforscher Andreas Wehrmeyer, was Prokofjew veranlaßte, nach fünfzehn Jahren in die umgekrempelte Heimat zurückzukehren. Dort setzte er ein Werk fort, das auf vielleicht einzigartige Weise ein heroisches Gewaltsystem und internationale Musikkonsumenten gleichermaßen zufriedenstellte.

KERSTIN HOLM

Friedrich Geiger, Eckhard John (Hrsg.): "Musik zwischen Emigration und Stalinismus". Russische Komponisten in den 1930er und 1940er Jahren. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2004. 278 S., br., 39,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kerstin Holm spricht dem Aufsatzband über den Wandel der stalinistischen Musikpolitik und -kultur ein Generallob aus. Ohne Ausnahme feiert sie die "materialgesättigten" und "in Vielem richtungsweisenden" Beiträge, die vor drei Jahren auf einem Symposium russischer und deutscher Wissenschaftler am Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik vorgetragen wurden. Besondere Erwähnung finden die Moskauer Musikwissenschaftlerin Swetlana Sawenko, die den Wandel der kulturpolitischen Lage um 1930 auch mit der geänderten Selbstwahrnehmung des kommunistischen Projekts erklärt. Aber auch die exemplarischen Fallstudien zu persönlichen Schicksalen wie dem von Nikolai Roslawez, Alexander Mossolow, Prokofjew oder Schostakowitsch erklären laut Holm, wie die "Gebäude der alten Hochkultur in Etappen demontiert" wurden.

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"Das Buch widmet sich erstmals umfassend dieser Spaltung der russischen Musikkultur." - ORF Wien

"Allgemein gesprochen bleibt festzuhalten, dass dieses Buch nicht nur einen Einblick in die ersten Forschungsresultate des Themengebietes gibt, sondern à la Kants 'Kritik der reinen Vernunft' eine Art Anleitung bietet, wie man diese Zeit und ihre Bedingungen analysieren und interpretieren kann." - Die Tonkunst

"Eines machen die Beiträge auf jeden Fall deutlich: Infolge einer bis in die Gegenwart hinein problematischen Dokumentationslage ist dieses Forschungsgebiet noch von vielen Vorurteilen geprägt, die sich oft auf eine zu schmale Materialbasis stützen. Zudem ist den Autoren zuzustimmen, wenn sie für die Bewertung vieler Quellen größere Vorsicht einfordern, als dies bisher oft geschah..." - Das Orchester
"Allgemein gesprochen bleibt festzuhalten, dass dieses Buch nicht nur einen Einblick in die ersten Forschungsresultate des Themengebietes gibt, sondern à la Kants 'Kritik der reinen Vernunft' eine Art Anleitung bietet, wie man diese Zeit und ihre Bedingungen analysieren und interpretieren kann." (Die Tonkunst)