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Mit dem Zusammenbruch des Vielvölkerreiches Sowjetunion geriet kaum eine andere Region der ehemaligen UdSSR so stark in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit wie die südlichen (muslimischen) Republiken in Kaukasien und in Mittelasien. Hier stellen sich dem Betrachter nicht nur Fragen nach Ursachen, Triebkräften und Trägern von Auflösungsprozessen polyethnischer Imperien und deren globalen Konsequenzen, sondern angesichts der immer wieder ausbrechenden bewaffneten Konflikte ist die Frage nach der Tragfähigkeit des mitteleuropäischen Modells nationalstaatlicher Institutionalisierung von…mehr

Produktbeschreibung
Mit dem Zusammenbruch des Vielvölkerreiches Sowjetunion geriet kaum eine andere Region der ehemaligen UdSSR so stark in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit wie die südlichen (muslimischen) Republiken in Kaukasien und in Mittelasien.
Hier stellen sich dem Betrachter nicht nur Fragen nach Ursachen, Triebkräften und Trägern von Auflösungsprozessen polyethnischer Imperien und deren globalen Konsequenzen, sondern angesichts der immer wieder ausbrechenden bewaffneten Konflikte ist die Frage nach der Tragfähigkeit des mitteleuropäischen Modells nationalstaatlicher Institutionalisierung von aktueller Bedeutung: Eliten befinden sich auf der Suche nach neuen Orientierungspunkten für eine stabilisierende Gruppen-Identität und greifen dabei auf die Ansatzpunkte der Intellektuellen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zurück. Aspekte der Abstammung, Sprache, Kultur und Territorium sind im Zusammenhang mit dem Aufbau eines nationalen Bürgerstaates von anhaltender Brisanz.
Die vorliegende Arbeit gehört zu den ersten deutschsprachigen Monographien zur neuzeitlichen Geschichte Aserbaidschans und legt exemplarisch eine historische Untersuchung zur Herausbildung von neuzeitlichen Gruppenidentitäten an einer Schnittstelle zwischen Europa und Asien vor. Vor dem Hintergrund der Untersuchung der Wirkungen russischer Kolonialpolitik in den muslimischen Provinzen Südostkaukasiens vom Ende des 18. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert werden Ursachen, Einflussfaktoren und Äußerungsformen von Selbstvergewisserung und Vergemeinschaftungsprozessen unter den aserbaidschanischen Muslimen dargestellt.
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Autorenporträt
Dr. Eva-Maria Auch ist Privatdozentin am Seminar für Osteuropäische Geschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn, Dr. h. c. der Western University, Baku, Honoararbotschaftsrätin für wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit der aserbaidschanischen Botschaft in Deutschland. Sie bearbeitet derzeit ein von der Gerda-Henkel-Stiftung gefördertes Projekt zum Thema "Bürgerlich-muslimische Eliten in Südkaukasien/Aserbaidschan: Herausbildung, Aktionsfelder und Vernichtung zwischen sozialer Modernisierung und politischer Umwälzung (1880-1940)" und legte bereits zahlreiche Arbeiten zur neueren und neuesten Geschichte Aserbaidschans vor. Eva-Maria Auch ist Mitherausgeberin der Reihe "Kaukasienstudien - Caucasian Studies", die im Reichert Verlag erscheint.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.05.2005

Mit Säbel, Krummdolch und Besoldung
Für alle Wendungen gerüstet: Eva-Maria Auch erzählt, wie Russland den Südkaukasus kolonisierte
Ein Zauber geht vom Kaukasus aus. Zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer gelegen, ist er die hochgebirgige Brücke von Asien nach Europa. Auf der einen Seite kontrollieren sie die Türken und Perser, auf der anderen Seite die Russen. Als das Sowjetreich verging, verschwand auch dort das letzte koloniale Imperium. Wie es 200 Jahre davor aufkam, das zeigt Eva-Maria Auch. Die namhafte Forscherin am Osteuropa-Seminar der Bonner Universität erkundet den Identitätswandel der nichtrussischen Völker in zaristischer Zeit.
Dies betrifft vor allem Muslime in den dortigen zwei Dutzend Nationalitäten. Sie erlebten nach dem Zerfall der persischen Dynastien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine allzu kurze Blüte ihrer südkaukasischen Chanate, etwa Kuban, Eriwan, Karabagh, Nachitschewan und Schirwan. Bald stieß die russische Grenze im Süden an das Osmanische Reich und Persien. Armenien und Georgien bildeten spezielle Enklaven, die an das eigentliche Untersuchungsgebiet im südöstlichen Kaukasus mit Baku als Zentrum grenzten. Dort also, wo das heutige Aserbaidschan liegt.
Wie die Kolonisierung verlief, das hat Auch in jahrelanger Forschung erhellt. Nach den Eroberern kamen die Steuerbeamten und die Militärbürokraten. Die zaristische Politik zielte aber auch darauf ab, durch Siedlungskolonien Tatsachen zu schaffen. Die Russifizierung der Völker setzte ein. Mithin entstanden eigene Mischkulturen. Wenn es auch offiziell keine Strategie der Marginalisierung und Ausgrenzung von Einheimischen gab, folgert die Expertin, die in Baku Orientalistik studiert hat, so trug die Politik der Zaren doch Merkmale des neuzeitlichen Kolonialismus. Dabei reiften herrschaftliche Beziehungen unter lokalen Mehrheiten und der fremden Minderheit heran.
Laut Auch lief es im Kaukasus anders. Westeuropas Wege der Zivilisierung von Einheimischen konnte schon deshalb nicht einfach nachvollzogen werden, weil Russland die Kolonien eingemeindet hat. Die Eroberten, sagt die Forscherin, waren nicht durch Meere auf Abstand zu halten. Freilich fragt es sich da, ob nicht die Hochgebirge und Steppen als Barriere gleichwohl die Rolle des Meeres erfüllen.
Überall Personalmangel
Während sich Russland zum modernen Staat entwickelte, stellte das Verhältnis zu den Bewohnern der neu angegliederten Gebiete eine permanente Herausforderung dar. Sollten sie überhaupt „zivilisiert” und integriert werden oder bildeten russische Oberschichten in den Regionen genügend Potenzial, um die Lebenswelten in deren Sinn zu ändern? Bei den Wolga-Tataren, so betont Eva-Maria Auch, blühten unter Katharina II. nicht nur die muslimischen Gemeinden auf, sondern Tataren wurden sogar in den russischen Adel einbezogen. Nicht so bei den kaukasischen Muslimen.
Über einhundert Jahre stützten sich die Russen da auf Säbel und Krummdolch der Kosaken. Die Militärbürokratie sah den Kaukasus als strategischen Raum gegen die Osmanen und Perser an. Da ihr aber Personal fehlte, sind Muslime zu Trägern der Bildung und zu Untertanen geworden. Daher wahrten einige Chanfamilien, Bekis und Melikis ihren Stand, indem ihre Söhne in den staatlichen Apparat gingen. Andere vermieden den sozialen Abstieg durch Bildung und Militärdienst. Dritte wandten sich neuen Tätigkeiten zu oder wanderten aus. Die staatliche geistliche Verwaltung erhob 1873 viele islamische Würdenträger zu Staatsbediensteten. Der Islam erfuhr die Angleichung an staatlich kontrollierte Kirchenstrukturen. Scheichs aber, die sich widersetzten, entwickelten den Reformislam.
Hier wäre einzuwenden, dass sich diese Methoden der zentralen Herrschaft über Muslime doch nicht sehr von westlichen unterschieden haben. Erinnert sei nur an den Begründer der modernen Islamkunde, Carl Heinrich Becker. Dieser Hamburger Professor umriss die ideale Islam-Politik, die Berlin in seinen mittelafrikanischen Kolonien betreiben möge: die islamischen Ideale und lokalen Verhältnisse studieren, um für alle Wendungen gerüstet zu sein; die Friedlichkeit gewisser Völker pflegen und die Empfindlichkeit der Fanatiker schonen; Gegensätze unter ihnen fördern; die einflussreichen Lehrer und Mächtigen in freiwillige Abhängigkeit bringen. Das Beste wäre die staatliche Besoldung dieser Leute, so wäre man vor Aufständen sicher. Wenig anders stellt es sich im Kaukasus dar. Eva-Maria Auch zeigt die typischen drei Wirkungen auf, die mit der inneren Kolonisierung einhergehen: das Alte wird zerstört oder konserviert, Neues kommt. Lernangebote geben auch Einheimischen die Chance, in die Elite aufzusteigen. Der Erdölboom führt zur Nischenproduktion. Islamische Unternehmer lassen sich nieder.
Rezept für den Nahen Osten
Zweierlei hebt die Autorin hervor. Zum einen wie Petersburg seine Macht durch christliche Siedler stärkte, etwa Armenier, Griechen und Deutsche sowie russische Sektierer und Altgläubige. Das veränderte die ethnisch-konfessionelle Lage, zumal Gesetze diese Einwanderer privilegierten. Manche aktuellen Konflikte wurzeln hier. Zum anderen fällt der Kurs auf, der alte Autoritäten und Notabeln entmündigt hat. Späterhin tischte Moskau dieses Rezept im Nahen Osten auf, der, vom arabischen Sozialismus erfasst, Tyrannen erlebte. Fraglos bleibt der Kaukasus ein Herd von Krisen. Beispielhaft hat Eva-Maria Auch nicht allein eine südkaukasische Lücke gefüllt, sondern sie erlaubt es, Nah- und Mittelost fortan als den einen historischen Großraum zu erkennen, der er über ein Jahrtausend war.
WOLFGANG G. SCHWANITZ
EVA-MARIA AUCH: Muslim - Untertan - Bürger. Identitätswandel in gesellschaftlichen Transformationsprozessen der muslimischen Ostprovinzen Südkaukasiens. Ein Beitrag zur vergleichenden Nationalismusforschung. Reichert Verlag, Wiesbaden 2004. 679 Seiten, 69 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr verdienstvoll sei diese Geschichte des Kaukasus, meint Wolfgang G. Schwanitz, die die Osteuropa-Forscherin Eva-Maria Auch vorlegt. Auch hat sich auf den Identitätswandel der nichtrussischen Völker im Zarenreich konzentriert, stellt der Rezensent ihre Studie vor, habe in jahrelanger Arbeit den Prozess der Kolonisierung und Russifizierung der dort ansässigen rund zwei Dutzend Nationalitäten untersucht. Die Politik der Zaren besaß durchaus Merkmale des neuzeitlichen Kolonialismus, wie ihn auch die westlichen Völker betrieben haben, fasst Schwanitz Auchs Untersuchungsergebnisse zusammen; doch setzte man nicht auf überseeische Gebiete, sondern gründete Siedlungskolonien, die eingemeindet wurden und darum neue Mischkulturen entstehen ließen. Die Ansiedlung von Christen im überwiegend muslimischen Umfeld war ein geschickter Zug der russischen Herrscher, alte Autoritäten zu unterminieren und neue Herrschaftsstrukturen und Privilegien zu schaffen, resümiert Schwanitz. Viele aktuelle Konflikte wurzeln in dieser Politik, glaubt er. Das Verdienst der Autorin sei es nicht nur, insbesondere den Südkaukasus vorzustellen, sondern Nah- und Mittelost insgesamt als "einen historischen Großraum" erkennbar zu machen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Eva-Maria Auch's book (...) is among the very best studies of the complicated relationship between Russia and the southern side of the Caucasus. She examines the Muslim societies of the region from the period of their incorporation into the tsarist empire in the early 19th century up through the 1905 Revolution. (...)
This book draws on extensive research in archives in Russia and Azerbaijan as well as a sprawling bibliography of period writings and contemporary scholarship. Auch readiliy cites both Russian and Azeri materials, which allows her to provide views from all sides of the colonization equation. There is everything here - from social and demographic history to the history of economic policy and "discursology". (...) the book still offers the fullest perspective to date on the operations of Russian colonial power and its consequences in the Muslim lands "beyond the Caucasus" in the 19th century."

In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. 56 (2008). Heft 2. S. 290-291.