"Als ich noch klein war, hatte ich Windeln an. Das war einfach, weil ich da nicht aufs Klo gehen musste. Aber Windeln sind für Babys. Ich und meine Freunde sind schon echt groß. Natürlich haben wir keine Windeln mehr an. Aber das ist auch nicht immer so einfach. Klar, ich kann auch im Stehen Pipi machen. Ich bin ja ein Junge. Aber ich darf das zu Hause nicht." Und warum gilt diese Regel dann nicht im Kaufhaus? Alles sehr verwirrend. Versteh' einer die Erwachsenen...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.02.2006Pipi & Popo
Warnung: Die folgenden Bücher enthalten schmutzige Wörter!
Ist ja alles nicht so einfach. Plötzlich ist die Windel weg, und es gibt kein Netz mehr, keinen doppelten Boden, in den man es immer so wunderbar badewannenwarm reinlaufen lassen konnte. Die Erwachsenen schauen einen auf einmal heimlich besorgt von der Seite an und fragen dauernd, ob man „mal muss”. Warum reden Erwachsene so? Warum sperren die immer ab, wenn sie selbst „mal müssen”? Und wie sehen eigentlich Pupse aus? Kann man die fangen? Warum soll man zu Hause nicht im Stehen pinkeln, im Kaufhaus aber dann auf keinen Fall im Sitzen? Und vor allem: was ist mit den Mädchen?
Was für phantastisch nahrhafte Themen! Kinder können oft gar nicht damit aufhören, all diese Dinge sprachlich breitzutreten. Wahrscheinlich, weil sie instinktiv merken, dass ihre sonst so sicheren Eltern auf dem weiten Feld der Exkremente schnell ins Schlingern geraten und in ihrer verklemmten Hilflosigkeit „diese Dinge” in geruchsfreie, blickdichte Synonyme verpacken. Oder sie reden selbst so zwanghaft zwanglos davon, dass die Kinder sich fragen, ob ihre Eltern an linksliberaler Koprolalie leiden.
Nun sind gleich zwei Bücher erschienen, die sich schon im Titel - Muss mal Pipi und So ein Kack! - komplementär ergänzen, und die all die oben genannten Fragen im richtigen Tonfall beantworten, weil sie so wie Kinder davon reden, voll geradezu inniger Neugier und Experimentierfreude.
Einer der unbedingt lebensqualitätserweiternden Aspekte der Kindheit ist ja der, dass Kinder noch keinen Ekel kennen. Alles ist hochinteressantes Anschauungsmaterial. Oh ihr herrlich changierenden Farben! Was für tolle Formen! Und die Gerüche! Die Schwedin Pernilla Stalfelt, die für ihr Buch Und was kommt dann? Das Kinderbuch vom Tod 2001 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde, geht in So ein Kack, mit einer kindlich-kruden Wissenschaftlichkeit an ihren Gegenstand heran, unterscheidet Zapfen- und Schraubenform, Elefantendung, Schafköttel und Unterwasserpupsen und erzählt, dass in Afrika aus getrocknetem Mist Häuser gebaut werden, was zu der Vorstellung eines Elchkackwolkenkratzers führt. Und gerade weil sie so genau und explizit von Fäkalien erzählt, verlieren die beim Vorlesen alles anrüchig Eklige. Naja, jedenfalls so lange, bis dieser Laster mit randvollen Klohauseimern an den Wartenden einer Bushaltestelle vorbeifährt und - ähm, was steht eigentlich nochmal in dem anderen Buch?
Manuela Olten erzählt in Muss mal Pipi (aus dem die Abbildung stammt) von einem Knirps, der so aussieht, als sei er aus ihrem Erstling Echte Kerle in dieses Buch herübergelaufen, einem Hosenmatz, der endlich allein aufs Klo darf und der diese thematische Neuerung als schillernde Versuchsanordnung auslebt: „In unseren Badeschwamm passt eine ganze Pipiladung!” Beim Arzt gibt es diese Klobrille, die sich selber reinigt und was glauben Sie eigentlich, was für phantastische synchrone Stehversuche man mit seiner Schwester und einer großen roten Wanne im Kinderzimmer machen kann, wenn die Erwachsenen erstmal die Türe zumachen?
ALEX RÜHLE
PERNILLA STALFELT: So ein Kack! Moritz Verlag 2005. 32 S., 11,80 Euro.
MANUELA OLTEN: Muss mal Pipi. Carlsen Verlag 2005, 32 S., 14 Euro.
Illustration aus Manuela Olten: Muss mal Pipi
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Warnung: Die folgenden Bücher enthalten schmutzige Wörter!
Ist ja alles nicht so einfach. Plötzlich ist die Windel weg, und es gibt kein Netz mehr, keinen doppelten Boden, in den man es immer so wunderbar badewannenwarm reinlaufen lassen konnte. Die Erwachsenen schauen einen auf einmal heimlich besorgt von der Seite an und fragen dauernd, ob man „mal muss”. Warum reden Erwachsene so? Warum sperren die immer ab, wenn sie selbst „mal müssen”? Und wie sehen eigentlich Pupse aus? Kann man die fangen? Warum soll man zu Hause nicht im Stehen pinkeln, im Kaufhaus aber dann auf keinen Fall im Sitzen? Und vor allem: was ist mit den Mädchen?
Was für phantastisch nahrhafte Themen! Kinder können oft gar nicht damit aufhören, all diese Dinge sprachlich breitzutreten. Wahrscheinlich, weil sie instinktiv merken, dass ihre sonst so sicheren Eltern auf dem weiten Feld der Exkremente schnell ins Schlingern geraten und in ihrer verklemmten Hilflosigkeit „diese Dinge” in geruchsfreie, blickdichte Synonyme verpacken. Oder sie reden selbst so zwanghaft zwanglos davon, dass die Kinder sich fragen, ob ihre Eltern an linksliberaler Koprolalie leiden.
Nun sind gleich zwei Bücher erschienen, die sich schon im Titel - Muss mal Pipi und So ein Kack! - komplementär ergänzen, und die all die oben genannten Fragen im richtigen Tonfall beantworten, weil sie so wie Kinder davon reden, voll geradezu inniger Neugier und Experimentierfreude.
Einer der unbedingt lebensqualitätserweiternden Aspekte der Kindheit ist ja der, dass Kinder noch keinen Ekel kennen. Alles ist hochinteressantes Anschauungsmaterial. Oh ihr herrlich changierenden Farben! Was für tolle Formen! Und die Gerüche! Die Schwedin Pernilla Stalfelt, die für ihr Buch Und was kommt dann? Das Kinderbuch vom Tod 2001 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde, geht in So ein Kack, mit einer kindlich-kruden Wissenschaftlichkeit an ihren Gegenstand heran, unterscheidet Zapfen- und Schraubenform, Elefantendung, Schafköttel und Unterwasserpupsen und erzählt, dass in Afrika aus getrocknetem Mist Häuser gebaut werden, was zu der Vorstellung eines Elchkackwolkenkratzers führt. Und gerade weil sie so genau und explizit von Fäkalien erzählt, verlieren die beim Vorlesen alles anrüchig Eklige. Naja, jedenfalls so lange, bis dieser Laster mit randvollen Klohauseimern an den Wartenden einer Bushaltestelle vorbeifährt und - ähm, was steht eigentlich nochmal in dem anderen Buch?
Manuela Olten erzählt in Muss mal Pipi (aus dem die Abbildung stammt) von einem Knirps, der so aussieht, als sei er aus ihrem Erstling Echte Kerle in dieses Buch herübergelaufen, einem Hosenmatz, der endlich allein aufs Klo darf und der diese thematische Neuerung als schillernde Versuchsanordnung auslebt: „In unseren Badeschwamm passt eine ganze Pipiladung!” Beim Arzt gibt es diese Klobrille, die sich selber reinigt und was glauben Sie eigentlich, was für phantastische synchrone Stehversuche man mit seiner Schwester und einer großen roten Wanne im Kinderzimmer machen kann, wenn die Erwachsenen erstmal die Türe zumachen?
ALEX RÜHLE
PERNILLA STALFELT: So ein Kack! Moritz Verlag 2005. 32 S., 11,80 Euro.
MANUELA OLTEN: Muss mal Pipi. Carlsen Verlag 2005, 32 S., 14 Euro.
Illustration aus Manuela Olten: Muss mal Pipi
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Dieses Buch empfiehlt Sabine Sütterlin für Kinder, die gerade trocken werden. In verschiedenen Bildern und mit knappen Sätzen erzählt Manuela Olten das Alltagsdrama, eines kleinen Jungen zu müssen. Und man sieht ihn dabei mal verschämt und schuldbewusst, mal staunend und stolz.
© Perlentaucher Medien GmbH
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