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Wir suchen, brauchen und fürchten sie: die Kraft der Muße
Haben Sie heute schon Däumchen gedreht und an die Wand gestarrt? Und dabei an nichts Bestimmtes gedacht? Falls nicht, so holen Sie es bitte bald nach. Für Gewissensbisse gibt es keinerlei Grund. Denn: Muße ist zur bedrohten Ressource geworden. Die Beschleunigungsgesellschaft mit ihrem Arbeitsdruck und dem Zwang zur permanenten Kommunikation lässt uns nicht zur Ruhe kommen. Dabei haben Gehirnforscher und Psychologen längst herausgefunden, wie wichtig Phasen absichtslosen Nichtstuns sind. Sie fördern nicht nur die Regeneration und…mehr

Produktbeschreibung
Wir suchen, brauchen und fürchten sie: die Kraft der Muße

Haben Sie heute schon Däumchen gedreht und an die Wand gestarrt? Und dabei an nichts Bestimmtes gedacht? Falls nicht, so holen Sie es bitte bald nach. Für Gewissensbisse gibt es keinerlei Grund. Denn: Muße ist zur bedrohten Ressource geworden. Die Beschleunigungsgesellschaft mit ihrem Arbeitsdruck und dem Zwang zur permanenten Kommunikation lässt uns nicht zur Ruhe kommen. Dabei haben Gehirnforscher und Psychologen längst herausgefunden, wie wichtig Phasen absichtslosen Nichtstuns sind. Sie fördern nicht nur die Regeneration und stärken das Gedächtnis, sondern sind auch die Voraussetzung für Einfallsreichtum und Kreativität. Große Ideen brauchen vor allem eines: Zeit und Muße. Isaac Newton kam der zündende Einfall zu seiner Gravitationstheorie im Garten, als er versonnen einen Apfel betrachtete. Descartes philosophierte am besten im Bett. Doch von solch kreativen Auszeiten können die meisten heute nur träumen. Ulrich Schnabel beschreibt die Ursachen der allgemeinen Zeitnot, zeigt uns, wo wir auch heute noch Inseln der Muße finden können, und bietet eine Fülle von konkreten Anregungen und Tipps für alle, die dem permanenten Drang zur Beschleunigung widerstehen wollen.

- Von John Cage über John Lennon bis zu Britta Steffen.
- Konkrete Tipps zu einem sinnvollen Umgang mit der Informationsflut.
- Spektakuläre Psycho-Versuche unter Tage: Was denken und fühlen wir, wenn wir lange
allein sind?

Autorenporträt
Schnabel, Ulrich
Ulrich Schnabel, geboren 1962, studierte Physik und Publizistik in Karlsruhe und Berlin und ist Wissenschaftsredakteur bei der ZEIT. Ulrich Schnabel schrieb in der ZEIT und in GEO viel beachtete Artikel über Religion und Bewusstseinsforschung und wurde 2006 mit dem »Georg von Holtzbrinck-Preis« für Wissenschaftsjournalismus ausgezeichnet. Drei Jahre später veröffentlichte er bei Blessing: "Die Vermessung des Glaubens". Es wurde von "Bild der Wissenschaft" als "Wissenschaftsbuch des Jahres 2009" ausgezeichnet. Im Oktober 2010 erhielt Schnabel ferner den Werner und Inge Grüter-Preis für Wissenschaftsvermittlung. Sein Buch "Muße. Vom Glück des Nichtstuns" (2010) wurde ein Best- und Longseller. 2015 veröffentlichte er bei Blessing "Was kostet ein Lächeln? Von der Macht der Emotionen in unserer Gesellschaft."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2011

Entschleunigung lässt sich nicht dem Zufall überlassen

Im System der Gehetzten kommt man nicht umhin, auch die Muße zu planen, erklärt Ulrich Schnabel in seiner konstruktiven Kulturkritik. Doch Chronobiologen sehen da wenig Spielraum: Durch Till Roennebergs Buch weht ein eisiger deterministischer Wind.

Könnten wir uns mit dem Lebensstil der Vorfahren begnügen, hätten wir dank unserer technischen Möglichkeiten alle Zeit der Welt. Doch wir reisen zwar schneller, aber dafür weiter, arbeiten effizienter, aber mehr, haben mehr Möglichkeiten, aber höhere Ansprüche. So ist Zeitnot zum Dauerzustand und zum Signum der modernen Gesellschaft geworden. Wir leben in einem System der Gehetzten, konstatiert Ulrich Schnabel, Wissenschaftsredakteur bei der "Zeit". Und in einem System der Unausgeschlafenen und Gleichgetakteten, ergänzt Till Roenneberg. Sechzig Prozent der Menschen leiden unter chronischem Jetlag, so der Chronobiologe. Und zwar nicht, weil sie viel unterwegs wären, sondern weil ihre innere Uhr nicht zu dem Rhythmus passt, zu dem die Gesellschaft sie zwingt.

Bereitwillig lassen wir uns einreden, Zeitnot sei unser persönliches Problem. Wer sich gestresst fühlt, hat eben kein gutes Zeitmanagement, wer morgens im Büro nicht geradeaus denken kann, hätte eben früher ins Bett gehen müssen. Tatsächlich sind Zeitnot und Übermüdung längst gesamtgesellschaftliche Phänomene, betonen beide Autoren. Schnabel führt aus, was allen hin und wieder schwant: Die tägliche Hetzerei ist nicht nur Gift für unsere Gesundheit, sie bringt uns um die Momente, für die es sich, pathetisch gesagt, zu leben lohnt. Er plädiert fundiert und vielseitig für das "Glück der Muße" dafür, öfter mal die Gedanken schweifen zu lassen, zu fragen: Muss ich das tun? Will ich das tun?

Dazu analysiert Schnabel, wie das System der Gehetzten funktioniert und wie es entstanden ist. Er entwirft eine Methodologie, wie man sich Schritt für Schritt Platz für Muße schaffen kann, ohne die eigene Willenskraft zu überfordern, und warnt vor den Fallen, in die nur allzu leicht tappt, wer versucht, Muße wie ein konsumierbares Gut der Verwertungslogik zu unterwerfen. Im System der Gehetzten müsse man die Kunst des Nichtstuns erst wieder lernen. Ohne die bewusste Entscheidung zur Muße bleibe sie aus.

Sich Stress zu machen steckt hingegen in der Natur des Menschen. Evolutionsbiologisch liegt es nahe, immer mehr und immer Neues zu wollen. Das Belohnungssystem unseres Gehirns spricht auf neue Reize viel stärker an als auf bekannte. Doch wir müssen darauf achten, so Schnabel, dass diese Mechanismen uns nicht beherrschen, denn ihre Versprechen sind trügerisch: Auf die Erfüllung des einen Wunsches folgt bekanntlich bald der nächste. Muße bestehe hingegen darin, nicht ständig Wünschen hinterherzurennen, sondern mit den Beständen auszukommen.

Doch die Häppchen-Kultur bestimmt entgegen allen Appellen zur "Nachhaltigkeit" unseren Alltag. Im Büro ist Multitasking angesagt. Ganze elf Minuten können sich Angestellte einer kalifornischen High-tech-Firma mit einer Aufgabe befassen, zitiert Schnabel eine Forscherin. Dann piept die nächste Mail, klingelt das Telefon, steht der Kollege in der Tür. Dieser Rhythmus hat sich bereits so eingeschliffen, dass sich die Angestellten, wenn denn einmal niemand stört, selbst unterbrechen, Blumen gießen oder Papier sortieren. Dagegen stellt Schnabel Portraits von Sportlern, Unternehmern, Wissenschaftlern, die zu ihrem Mittagsschläfchen stehen, die sich Ruheinseln erhalten und trotzdem (oder deshalb) erfolgreich sind.

Diese erfolgreichen Müßiggänger haben die Wissenschaft längst auf ihrer Seite: Das Gehirn braucht Ruhe, um aufzuräumen, nur ausgeschlafene Menschen sind kreativ und ausgeglichen, und Gehetze macht niemanden glücklich. Fragen Sie einmal nicht, was Sie für Ihr Bankkonto tun können, sondern was Ihr Bankkonto dazu beiträgt, dass Sie das Leben im Hier und Jetzt genießen können, empfiehlt Schnabel. Doch Muße ist nicht unbedingt gleich Freizeit. Erfüllung (oder naturalistisch gesprochen: Flow) erfahren wir oft leichter bei der Arbeit - vorausgesetzt, es handelt sich um Dinge, die wir aus eigenem Antrieb und gern tun. Keine Kontrolle zu haben belastet oft mehr, als stark gefordert zu sein, so Schnabel. Er gibt Anleitungen für den pfleglichen Umgang mit dem allzeit überforderten Arbeitsgedächtnis, dem übervollen Terminkalender, für einfache Meditationsübungen. Und er empfiehlt, die klassischen Strategien der Karriereplanung auch für die Mußeplanung einzusetzen.

Wie steht es mit den neurobiologischen Voraussetzungen der Mußeplanung? Wenn es nach Till Roenneberg geht, müsste ein Imperativ der Mußeplanung lauten: "Folge deiner Innenzeit!" Die "Innenzeit", der Chronotyp des Menschen, bestimmt, wann er wach und wann er müde ist. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Chronotypen kann zwölf Stunden betragen. Extreme Früh- und extreme Spättypen könnten sich ein Bett teilen, ohne jemals gemeinsam darin liegen zu müssen, so Roenneberg. Doch für eine solche Variationsbreite ist in der Gesellschaft zu wenig Platz. Arbeitsbeginn um sieben, Schule spätestens um acht. Dummerweise kann ein später Chronotyp früh am Abend nicht schlafen, ein früher nicht bis Mittag im Bett bleiben. So bekommen späte Chronotypen während der Woche zu wenig Schlaf, weil sie zur Arbeit müssen, wenn ihre innere Uhr gerade Mitternacht zeigt. Frühe Chronotypen leiden am Wochenende, weil sie von den Nachteulen zu Konzerten, Partys und Discotheken geschleppt werden und trotzdem Sonntags beim Bäcker die Ersten sind.

Der Autor erklärt, dass die innere Uhr des Menschen genaugenommen aus vielen verschiedenen Uhren besteht, die mehr oder weniger gut untereinander und mit den hellen Tagesstunden synchronisiert sind. Was dazu führt, dass bei einer Fernreise die verschiedenen inneren Organe zu verschiedenen Zeiten in der neuen Zeitzone ankommen, so Roenneberg.

Leider entspricht dem fesselnden Thema keine gute Darstellungsform. In dem Bemühen, es dem Leser leicht zu machen, unterteilt er seine Kapitel in "Fall", "Hintergrund" und Erläuterungen in den Fußnoten. So tauchen reale Forscher in erfundenen Geschichten unter falschem Namen auf, was dann in den Fußnoten wieder richtiggestellt wird. Zudem reflektiert der Autor ständig, zu welchem Zweck er welche Geschichten erfunden hat, kritisiert sie selbst als hergeholt oder anthropozentrisch und ist so übermäßig präsent.

Biologische Erklärungen für unterschiedliches Zeitempfinden zieht er kulturellen Erklärungen jederzeit vor. Jugendliche sind nicht in der Schule müde, weil sie abends zu lange in der Disco waren, sondern sie waren in der Disco, weil dies der einzige Ort ist, an dem sie zu später Stunde noch laut sein können, ohne die Nachbarn zu stören. Kommt ein junger Mensch wieder früher aus dem Bett, sei dies ein sicherer Marker für das Ende der Adoleszenz. Statt so zu tun, als müssten wir noch immer im Morgengrauen mit der Sense auf dem Feld stehen, sollten die modernen Arbeitszeiten berücksichtigen, dass wir keine Bauern mehr sind, fordert Roenneberg. Könnten wir nach unserer Innenzeit leben, wären wir weniger müde, besser gelaunt, würden mehr leisten und wären seltener krank. Doch sollte man wirklich keine Chance haben, sich in seinem jeweiligen Schlafverhalten umzugewöhnen? Die starren, auf fixe Schlaftypen gerichteten Prämissen der Chronobiologie haben etwas Beunruhigendes. Durch Roennebergs Buch weht ein eisiger deterministischer Wind. Schnabels Kulturkritik dagegen hält es für möglich, dass der Mensch auch anders kann.

MANUELA LENZEN.

Till Roenneberg: "Wie wir ticken". Die Bedeutung der Chronobiologie für unser Leben.

DuMont Buchverlag, Köln 2010. 312 S., geb., 19,95 [Euro].

Ulrich Schnabel: "Muße". Vom Glück des Nichtstuns.

Blessing Verlag, München 2010. 287 S., geb., 19,95 [Euro].

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