Zwischen 1934 und 1944 trafen sich Mussolini und Hitler insgesamt siebzehnmal - öfter als jedes andere Duo westlicher Staatschefs der damaligen Zeit. Die beiden Diktatoren sandten einander Glückwunschtelegramme zum Geburtstag, Hitler gratulierte Mussolini regelmäßig zum Jahrestag des »Marsches auf Rom«. Obwohl sie sich persönlich nicht ausstehen konnten, gelang ihnen die Inszenierung einer Freundschaft. Sie sollte nach außen Einheit und Macht demonstrieren und nach innen Volksnähe vermitteln.
Entlang der wichtigsten Begegnungen - von den pompösen Staatsempfängen der Anfangszeit bis zum letzten Treffen am 20. Juli 1944 in der Wolfsschanze - zeichnet Christian Goeschel die wechselvolle Geschichte dieser folgenreichen »Freundschaft« nach. Er untersucht die diplomatischen Taktiken und propagandistischen Techniken und wirft ein neues Licht auf die zerstörerische Allianz zwischen dem faschistischen Italien und Nazi-Deutschland. Am Prototyp choreographierter Diktatorenfreundschaft im Zeitalter der Massenmedien zeigt dieses Buch, was geschehen kann, wenn im Feld der Politik Performance und Macht miteinander verschmelzen.
Entlang der wichtigsten Begegnungen - von den pompösen Staatsempfängen der Anfangszeit bis zum letzten Treffen am 20. Juli 1944 in der Wolfsschanze - zeichnet Christian Goeschel die wechselvolle Geschichte dieser folgenreichen »Freundschaft« nach. Er untersucht die diplomatischen Taktiken und propagandistischen Techniken und wirft ein neues Licht auf die zerstörerische Allianz zwischen dem faschistischen Italien und Nazi-Deutschland. Am Prototyp choreographierter Diktatorenfreundschaft im Zeitalter der Massenmedien zeigt dieses Buch, was geschehen kann, wenn im Feld der Politik Performance und Macht miteinander verschmelzen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2020Den großen Worten mussten Taten folgen
Achsenrhetorik: Christian Goeschel untersucht die Geschichte der Allianz zwischen Benito Mussolini und Adolf Hitler
Mehr konnte bei dem ersten Zusammentreffen gar nicht schieflaufen. 1934 empfing der uniformierte Mussolini einen linkisch aus dem Flugzeug steigenden Hitler, der mit seinem Trenchcoat und zerknautschen Filzhut wie ein Büroangestellter aussah. Während Hitler seinem Idol beflissen den angeblich "deutschen Gruß" entbot, schüttelte ihm sein Gegenüber schnöde die Hand. Mehr symbolische Distanzierung innerhalb nur weniger Sekunden war kaum denkbar. Immerhin umspülte die Diktatoren auf der Motorbootfahrt nach Venedig die Begeisterung ozeanischer Menschenmassen, die bei der Ankunft auf festem Stadtboden von endlosen Paradeformationen abgelöst wurde. In ihrer Vorliebe für diese Mischung aus Populismus, Militarismus und Führerkult waren sich die Diktatoren schnell einig.
Der in Manchester lehrende deutsche Historiker Christian Goeschel liefert mit seiner anschaulichen Kulturgeschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staatschefs eine äußerst lesenswerte Analyse von deren "seltsamer Mischung" aus "Ambivalenz und Bewunderung". Das Diktatorenduo begegnete sich zwischen 1934 und 1944 insgesamt siebzehnmal. In der "vagen Freundschaft" verkehrte sich die Machtbalance im Laufe der Beziehung komplett. Es begann in den zwanziger Jahren mit einem nahezu unterwürfigen Hitler, der Mussolini bis in die dreißiger Jahre hinein als Führungsfigur anhimmelte und nachahmte. Die zentrale Vorbildfunktion, die Mussolini für Hitlers Politik hatte, ist durch die 2017 erschienene Studie von Wolfgang Schieder ("Adolf Hitler - politischer Zauberlehrling Mussolinis") bereits konzise erfasst worden. Schieder zeigt darin, wie die beiden Gewaltmenschen ihre Männerfreundschaft in ritualisierter Form politisch inszenierten. Dabei handelte es sich, so Schieder, um ein "herrschaftspolitisch instrumentelles Handeln", welches den Aufbau der deutschen Führerdiktatur beförderte.
Mit den zunehmenden außenpolitischen Erfolgen Hitlers seit der Annexion Österreichs im März 1938 und dann vor allem dank der militärischen Übermacht Deutschlands im Zweiten Weltkrieg verkehrte sich das Machtverhältnis ins Gegenteil. Der enttäuschte Hitler hatte seinen Respekt im Laufe der italienischen Niederlagen 1940/41 verloren und musste Mussolini, der auf Befehl des italienischen Königs in Gefangenschaft gesetzt worden war, schließlich im September 1943 sogar aus den Abruzzen ausfliegen lassen. Als er die faschistische Republik von Salò am Gardasee übernahm, herrschte der erschöpfte und erkrankte Mussolini nur noch über einen vollkommen von Deutschland abhängigen Vasallenstaat.
Im Propagandagerassel der deutsch-italienischen Bündnispolitik entwickelte sich, so Goeschel, ein neuer, "unbürokratischer und unfachmännischer" Diplomatiestil mitsamt einer faschistischen Symbolsprache, die sich von herkömmlichen Galadiners, Kommuniqués, Geheimverhandlungen und höflicher Diplomatensprache zu distanzieren suchte. Dass Militarismus und Volksverbundenheit bei den Aufmärschen und Führerreden miteinander verkoppelt wurden, erinnerte an die monarchistische Formensprache, aber die Modernität der Inszenierungen mitsamt ihrer technischen Aufrüstung sowie die ritualisierte Zurschaustellung einer geschlossenen Männerfreundschaft waren neu. Jenseits der beiden Diktatoren verwoben sich zudem auch die Führungseliten beider Länder in einer Art Nebendiplomatie. Wie die fast zeitgleich erschienene Studie von Nils Fehlhaber über die "Netzwerke der ,Achse Berlin-Rom'" (Böhlau Verlag) verdeutlicht, war ein polykratischer Unterbau durch mehr als einhundert Besuchsreisen von faschistischen Kadern entstanden, in denen sich die Propagandaministerien, die Jugendorganisationen, die Erziehungsministerien und die Justiz - jenseits der offiziellen Außenpolitik - miteinander verzahnten. In undiplomatischer Art und Weise stellten diese ihre entschlossene Unbedingtheit zur Schau und "arbeiteten der Achse entgegen".
Bei der Frage, welche Bedeutung die Ideologie für das Bündnis von Italien und Deutschland spielte, will sich Goeschel nicht so recht zu einer Antwort durchringen. Ein strategisches "Zweckbündnis" sei es gewesen, so heißt es am Ende des Buches, mit einem "gemeinsamen ideologischen Nenner". Immerhin war es Mussolini und Hitler beim Münchner Abkommen Ende September 1938 gelungen, die westeuropäische Spitzendiplomatie um den britischen Premierminister Neville Chamberlain und den französischen Premierminister Édouard Daladier über den Tisch zu ziehen. Gemeinsame Machtpolitik, Expansionsdrang und der Wille zur Revision der Versailler Nachkriegsordnung spielten zweifellos die entscheidende Rolle für den Aufbau einer "Neuen Ordnung" in Europa.
"Hochtrabende Achsenrhetorik" nennt Goeschel den Ton der antikommunistischen und antidemokratischen Propaganda der beiden Faschisten. Mit solchen und ähnlichen Formulierungen zur "vordergründigen Harmonie" konterkariert er seinen eigenen Ansatz. Denn im Grunde geht der Autor ganz überzeugend von der eminenten und einer eigenen Dynamik gehorchenden Bedeutung der politischen Symbolik aus, die die zahlreichen strategischen Divergenzen und nationalen Egoismen im Achsenbündnis überbrückte. So manövrierten sich die faschistischen Bruderländer durch ihre Rhetorik und das Image von miteinander unverbrüchlich befreundeten Führernaturen in ein immer engeres Bündnis. Die politische inszenierte Freundschaft der Diktatoren war so etwas wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, da der prahlerischen Rhetorik und den großspurigen Ankündigungen schlichtweg Taten folgen mussten. Im Achsenbündnis, welches in der italienischen Bevölkerung nahezu durchgängig unpopulär gewesen war, radikalisierten sich beide Regime immer weiter.
Am Ende aber war der Faschismus mehr als nur die bloße Ästhetisierung von Politik, mehr als instrumentalisierte Verbrüderungsszenen oder undiplomatisch vorgeführte Machtgesten. Die transnational verwobene Selbstdarstellung der Faschistenführer erfasst zwar eine zentrale Dimension der Diktaturen, aber nicht die ganze Praxis ihres mörderischen Handwerks. Vielleicht sollte ein Buch über die Kulturgeschichte der Diplomatie Mussolinis und Hitlers auch das berücksichtigen, was die Faschisten am besten konnten: töten.
SVEN REICHARDT
Christian Goeschel:
"Mussolini und Hitler".
Die Inszenierung einer
faschistischen Allianz.
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 476 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Achsenrhetorik: Christian Goeschel untersucht die Geschichte der Allianz zwischen Benito Mussolini und Adolf Hitler
Mehr konnte bei dem ersten Zusammentreffen gar nicht schieflaufen. 1934 empfing der uniformierte Mussolini einen linkisch aus dem Flugzeug steigenden Hitler, der mit seinem Trenchcoat und zerknautschen Filzhut wie ein Büroangestellter aussah. Während Hitler seinem Idol beflissen den angeblich "deutschen Gruß" entbot, schüttelte ihm sein Gegenüber schnöde die Hand. Mehr symbolische Distanzierung innerhalb nur weniger Sekunden war kaum denkbar. Immerhin umspülte die Diktatoren auf der Motorbootfahrt nach Venedig die Begeisterung ozeanischer Menschenmassen, die bei der Ankunft auf festem Stadtboden von endlosen Paradeformationen abgelöst wurde. In ihrer Vorliebe für diese Mischung aus Populismus, Militarismus und Führerkult waren sich die Diktatoren schnell einig.
Der in Manchester lehrende deutsche Historiker Christian Goeschel liefert mit seiner anschaulichen Kulturgeschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staatschefs eine äußerst lesenswerte Analyse von deren "seltsamer Mischung" aus "Ambivalenz und Bewunderung". Das Diktatorenduo begegnete sich zwischen 1934 und 1944 insgesamt siebzehnmal. In der "vagen Freundschaft" verkehrte sich die Machtbalance im Laufe der Beziehung komplett. Es begann in den zwanziger Jahren mit einem nahezu unterwürfigen Hitler, der Mussolini bis in die dreißiger Jahre hinein als Führungsfigur anhimmelte und nachahmte. Die zentrale Vorbildfunktion, die Mussolini für Hitlers Politik hatte, ist durch die 2017 erschienene Studie von Wolfgang Schieder ("Adolf Hitler - politischer Zauberlehrling Mussolinis") bereits konzise erfasst worden. Schieder zeigt darin, wie die beiden Gewaltmenschen ihre Männerfreundschaft in ritualisierter Form politisch inszenierten. Dabei handelte es sich, so Schieder, um ein "herrschaftspolitisch instrumentelles Handeln", welches den Aufbau der deutschen Führerdiktatur beförderte.
Mit den zunehmenden außenpolitischen Erfolgen Hitlers seit der Annexion Österreichs im März 1938 und dann vor allem dank der militärischen Übermacht Deutschlands im Zweiten Weltkrieg verkehrte sich das Machtverhältnis ins Gegenteil. Der enttäuschte Hitler hatte seinen Respekt im Laufe der italienischen Niederlagen 1940/41 verloren und musste Mussolini, der auf Befehl des italienischen Königs in Gefangenschaft gesetzt worden war, schließlich im September 1943 sogar aus den Abruzzen ausfliegen lassen. Als er die faschistische Republik von Salò am Gardasee übernahm, herrschte der erschöpfte und erkrankte Mussolini nur noch über einen vollkommen von Deutschland abhängigen Vasallenstaat.
Im Propagandagerassel der deutsch-italienischen Bündnispolitik entwickelte sich, so Goeschel, ein neuer, "unbürokratischer und unfachmännischer" Diplomatiestil mitsamt einer faschistischen Symbolsprache, die sich von herkömmlichen Galadiners, Kommuniqués, Geheimverhandlungen und höflicher Diplomatensprache zu distanzieren suchte. Dass Militarismus und Volksverbundenheit bei den Aufmärschen und Führerreden miteinander verkoppelt wurden, erinnerte an die monarchistische Formensprache, aber die Modernität der Inszenierungen mitsamt ihrer technischen Aufrüstung sowie die ritualisierte Zurschaustellung einer geschlossenen Männerfreundschaft waren neu. Jenseits der beiden Diktatoren verwoben sich zudem auch die Führungseliten beider Länder in einer Art Nebendiplomatie. Wie die fast zeitgleich erschienene Studie von Nils Fehlhaber über die "Netzwerke der ,Achse Berlin-Rom'" (Böhlau Verlag) verdeutlicht, war ein polykratischer Unterbau durch mehr als einhundert Besuchsreisen von faschistischen Kadern entstanden, in denen sich die Propagandaministerien, die Jugendorganisationen, die Erziehungsministerien und die Justiz - jenseits der offiziellen Außenpolitik - miteinander verzahnten. In undiplomatischer Art und Weise stellten diese ihre entschlossene Unbedingtheit zur Schau und "arbeiteten der Achse entgegen".
Bei der Frage, welche Bedeutung die Ideologie für das Bündnis von Italien und Deutschland spielte, will sich Goeschel nicht so recht zu einer Antwort durchringen. Ein strategisches "Zweckbündnis" sei es gewesen, so heißt es am Ende des Buches, mit einem "gemeinsamen ideologischen Nenner". Immerhin war es Mussolini und Hitler beim Münchner Abkommen Ende September 1938 gelungen, die westeuropäische Spitzendiplomatie um den britischen Premierminister Neville Chamberlain und den französischen Premierminister Édouard Daladier über den Tisch zu ziehen. Gemeinsame Machtpolitik, Expansionsdrang und der Wille zur Revision der Versailler Nachkriegsordnung spielten zweifellos die entscheidende Rolle für den Aufbau einer "Neuen Ordnung" in Europa.
"Hochtrabende Achsenrhetorik" nennt Goeschel den Ton der antikommunistischen und antidemokratischen Propaganda der beiden Faschisten. Mit solchen und ähnlichen Formulierungen zur "vordergründigen Harmonie" konterkariert er seinen eigenen Ansatz. Denn im Grunde geht der Autor ganz überzeugend von der eminenten und einer eigenen Dynamik gehorchenden Bedeutung der politischen Symbolik aus, die die zahlreichen strategischen Divergenzen und nationalen Egoismen im Achsenbündnis überbrückte. So manövrierten sich die faschistischen Bruderländer durch ihre Rhetorik und das Image von miteinander unverbrüchlich befreundeten Führernaturen in ein immer engeres Bündnis. Die politische inszenierte Freundschaft der Diktatoren war so etwas wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, da der prahlerischen Rhetorik und den großspurigen Ankündigungen schlichtweg Taten folgen mussten. Im Achsenbündnis, welches in der italienischen Bevölkerung nahezu durchgängig unpopulär gewesen war, radikalisierten sich beide Regime immer weiter.
Am Ende aber war der Faschismus mehr als nur die bloße Ästhetisierung von Politik, mehr als instrumentalisierte Verbrüderungsszenen oder undiplomatisch vorgeführte Machtgesten. Die transnational verwobene Selbstdarstellung der Faschistenführer erfasst zwar eine zentrale Dimension der Diktaturen, aber nicht die ganze Praxis ihres mörderischen Handwerks. Vielleicht sollte ein Buch über die Kulturgeschichte der Diplomatie Mussolinis und Hitlers auch das berücksichtigen, was die Faschisten am besten konnten: töten.
SVEN REICHARDT
Christian Goeschel:
"Mussolini und Hitler".
Die Inszenierung einer
faschistischen Allianz.
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 476 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.02.2020Zeremonien
der Zerstörer
Christian Goeschel deutet die „Achse Rom-Berlin“
als Inszenierung – doch das trifft nicht den Kern
der Beziehung zwischen Hitler und Mussolini
VON HANS WOLLER
Mussolini weinte. Als er sich in Berlin am 29. September 1937 von Hitler verabschiedete, konnte er sich nicht mehr beherrschen. „Diese beiden Männer gehören zusammen“, notierte der Augenzeuge Joseph Goebbels in seinem Tagebuch, der auch die Tränen des „Duce“ gesehen haben will. Szenen wie diese lieferten den Stoff für eine der verhängnisvollsten Männerfreundschaften der neueren Geschichte oder wenigstens für deren Inszenierung. Hitler und Mussolini erscheinen darin als die Protagonisten einer innigen Beziehung, die etwa zehn Jahre währte und Sprengkraft genug besaß, um fast die halbe Welt in die Luft zu jagen.
Was hatte es auf sich mit dieser Beziehung, die zum Sinnbild der „Achse Berlin-Rom“ und damit des Bündnisses zwischen dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland stilisiert wurde? Christian Goeschel, der in Manchester lehrende deutsche Historiker, ist nicht der erste, der sich mit diesem Verbrecherduo befasst. Ganze Heerscharen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Herren Länder haben den „Duce“ und den „Führer“ unter die Lupe genommen und dabei primär ihr wechselvolles Zusammenspiel im Zeichen von Kooperation, Konkurrenz und Konflikt analysiert: Hitlers Werben um die Gunst des bewunderten Mussolini, das erste Treffen der beiden Diktatoren in Venedig 1934, die Annäherung von der Ausrufung der „Achse“ 1936 bis zum Militärbündnis („Stahlpakt“) 1939, schließlich die gemeinsame Kriegführung gegen eine Welt von Feinden, die Entfremdung, die totale militärische Niederlage und der fast simultane Tod binnen zweier Tage im April 1945. Das alles und noch viel mehr hat die Geschichtswissenschaft zum Thema gemacht; zuletzt der Altmeister der deutschen Faschismusforschung, Wolfgang Schieder, dessen Buch „Adolf Hitler – Politischer Zauberlehrling Mussolinis“ Goeschel auch in der deutschen Ausgabe (die englische erschien 2017) ignoriert, obwohl es mehr als die Hälfte dessen ziemlich souverän behandelt, was er untersucht.
Christian Goeschel bändigt diese disparate Fülle an Forschungsergebnissen in einem handlichen Band. Das verdient Respekt, zumal es ihm auch gelingt, die wechselnden gegenseitigen Wahrnehmungen und Einschätzungen der beiden Diktatoren und den gar nicht zu überschätzenden Stellenwert von „Führer“ und „Duce“ für die faschistische Allianz überzeugend herauszuarbeiten. Ohne die beiden hätte es die „Achse“ nicht gegeben – und ohne sie hätte sie keinen Bestand gehabt. Problematisch wird es dann, wenn Goeschel die traditionellen Bahnen verlässt und versucht, die alten Interpretationen durch neue zu ersetzen. Er privilegiert dabei eine „Herangehensweise“, die Rituale, Zeremonien, Emotionen, Gesten und andere soziokulturelle Aspekte der Diplomatie ins Zentrum der Analyse rückt. Abgesehen davon, dass solche Ansätze mittlerweile auch schon etwas Staub angesetzt haben, wird seit Langem nicht mehr bestritten, dass der „Umgangston“ bei Gipfeltreffen und anderen diplomatischen Stippvisiten gebührende Beachtung finden muss. Gerade der Besuch Mussolinis im Deutschen Reich 1937 und Hitlers Gegenbesuch in Italien ein Jahr später, die Goeschel detailliert, aber auch unter Rückgriff auf fragwürdige Memoirenliteratur schildert, sind von der Geschichtswissenschaft mitnichten ausgespart worden – ohne dass man freilich sagen könnte, der Kenntnisstand über die „Achse“ habe sich dadurch signifikant erhöht. Wenn Mussolini bei seinen Reisen nach Deutschland des Nachts über den Brenner fuhr, um der vermutlich murrenden deutschsprachigen Südtiroler nicht ansichtig werden zu müssen, so kann man darin durchaus eine Widerspiegelung der faschistischen Südtirolpolitik erblicken. Goeschel weist einige Male auf diese Nachtfahrten des „Duce“ hin, und er betont ebenfalls mehrmals, dass sich die frühzeitig bestehende Asymmetrie der „Achse“ an der Tatsache ablesen lässt, dass Mussolini öfter in das Deutsche Reich reiste als Hitler nach Italien.
Recht und schön. Aber wusste man das nicht auch so schon längst? Fruchtbarer wäre es gewesen, wenn der Autor seine These, die Treffen der beiden Diktatoren wie die ganze faschistische Allianz seien inszeniert worden und diese Inszenierungen hätten eine „machtvolle politische Dynamik“ entfaltet, ausführlich diskutiert und begründet hätte. Was hat man in Szene gesetzt? Eine Freundschaft, die es nicht gab? Eine Allianz, die nur auf dem Papier bestand oder doch einen ganz realen Kern hatte? Und worin bestand er? Goeschel lässt den Leser darüber im Unklaren, und er steht ihm auch nicht bei, wenn es um die politische Dynamik geht, die bei den Treffen zwischen Hitler und Mussolini fraglos entstand. Wo lagen ihre Quellen? In welche Richtung wurde diese Dynamik von wem gelenkt – und mit welchem Erfolg? Wurde die „Achse“ automatisch zu einer „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“?
Antworten auf solche Fragen erhält man nur, wenn machtpolitische und ideologische Präferenzen in einem viel stärkeren Maße Beachtung finden, als Goeschel ihnen angedeihen lässt. Die Fokussierung auf Rituale, Zeremonien und Gesten oder, wie er schreibt, auf die „emotive Politik der Mussolini-Hitler-Beziehung“ hilft hier genau so wenig weiter wie bei der Frage, ob die Dynamik wirklich so „machtvoll“ war, wie Goeschel anklingen lässt. Beeinflusste sie die Kontrahenten in Paris und London, in Washington und Moskau tatsächlich, und beeindruckte sie am Ende sogar Hitler und Mussolini selbst so stark, dass sie zumindest zeitweilig zu Gefangenen ihrer eigenen Inszenierungen wurden?
Die Folgen der sträflichen Vernachlässigung von Machtpolitik und Ideologie zeigen sich auch mit Blick auf zwei ganz große Probleme, die Goeschel gleichsam nebenbei lösen will, obwohl er sich dabei von den selbst gesteckten Zielen weit entfernt. Das erste bezieht sich auf die Kohärenz der „Achse“, die Goeschel für viel prekärer hält, als sie nach den Erkenntnissen der neueren Forschung war. Belege dafür bleibt er aber schuldig und muss er schuldig bleiben, weil sich die Geschichte der „Achse“ nicht in der Beziehungsgeschichte der beiden Diktatoren erschöpfte, die Goeschel vor allem behandelt. Die „Achse“ war viel mehr – nämlich ein umfassendes Projekt der bilateralen Annäherung und Verständigung zur revolutionären Umgestaltung der beiden Staaten und der halben Welt. Hitler und Mussolini gaben den Anstoß dazu, der namentlich von den Parteien, von der Wirtschaft und den Wissenschaften und nicht zuletzt von den Militärführungen aufgenommen und in praktische Politik verwandelt wurde – trotz vieler Widerstände und Vorbehalte, die auch in beiden Gesellschaften bestanden, aber nie solche Ausmaße erreichten, wie Goeschel gestützt auf eine mehr als dürftige Quellenlage suggeriert. Nicht zuletzt hatte die „Achse“ einen ebenso beträchtlichen wie letalen Erfolg, wie die verheerende Verbrechensbilanz der beiden Regime beweist.
Dieser radikale Endzweck der faschistischen Allianz bleibt in Goeschels Studie genau so blass wie sein Beitrag zu dem zweiten Großproblem, das er sich en passant auch noch vornimmt. Wir, betont er, können „nicht einmal im Ansatz begreifen (…), was der Faschismus war, wenn wir nicht die politische Beziehung der beiden wichtigsten faschistischen Staatsmänner in ihrem größeren Kontext untersuchen“. Große Worte, die seinen methodischen Zugriff legitimieren sollen und natürlich Appetit machen. Wer wüsste nach fast einem Jahrhundert ebenso intensiver wie kontroverser Debatten nicht gerne mehr darüber, was der Faschismus wirklich war und wie er zu definieren ist? Wo lagen seine Wurzeln? Welche gesellschaftlichen Schichten trugen ihn? Was bewirkte seine permanente Radikalisierung, die schließlich in Völkermord und Vernichtungskrieg gipfelte? Fragen über Fragen also, denen Goeschel sich letztlich nicht ernsthaft stellt. Am Ende bleibt es bei kühnen Ankündigungen – und bei einem knurrenden Magen.
Hans Woller ist Historiker und Autor von Biografien über Benito Mussolini (München 2016) und Gerd Müller (München 2019).
Ganz nebenbei versucht der
Autor auch zu erkunden,
was der Faschismus wirklich war
Christian Goeschel:
Mussolini und Hitler. Die Inszenierung einer faschistischen Allianz. Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Suhrkamp, Berlin 2019. 476 Seiten, 28 Euro.
Zwei Faschisten in Florenz: Mussolini (links) und Hitler lassen sich 1940 bejubeln.
Foto: AFP
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der Zerstörer
Christian Goeschel deutet die „Achse Rom-Berlin“
als Inszenierung – doch das trifft nicht den Kern
der Beziehung zwischen Hitler und Mussolini
VON HANS WOLLER
Mussolini weinte. Als er sich in Berlin am 29. September 1937 von Hitler verabschiedete, konnte er sich nicht mehr beherrschen. „Diese beiden Männer gehören zusammen“, notierte der Augenzeuge Joseph Goebbels in seinem Tagebuch, der auch die Tränen des „Duce“ gesehen haben will. Szenen wie diese lieferten den Stoff für eine der verhängnisvollsten Männerfreundschaften der neueren Geschichte oder wenigstens für deren Inszenierung. Hitler und Mussolini erscheinen darin als die Protagonisten einer innigen Beziehung, die etwa zehn Jahre währte und Sprengkraft genug besaß, um fast die halbe Welt in die Luft zu jagen.
Was hatte es auf sich mit dieser Beziehung, die zum Sinnbild der „Achse Berlin-Rom“ und damit des Bündnisses zwischen dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland stilisiert wurde? Christian Goeschel, der in Manchester lehrende deutsche Historiker, ist nicht der erste, der sich mit diesem Verbrecherduo befasst. Ganze Heerscharen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Herren Länder haben den „Duce“ und den „Führer“ unter die Lupe genommen und dabei primär ihr wechselvolles Zusammenspiel im Zeichen von Kooperation, Konkurrenz und Konflikt analysiert: Hitlers Werben um die Gunst des bewunderten Mussolini, das erste Treffen der beiden Diktatoren in Venedig 1934, die Annäherung von der Ausrufung der „Achse“ 1936 bis zum Militärbündnis („Stahlpakt“) 1939, schließlich die gemeinsame Kriegführung gegen eine Welt von Feinden, die Entfremdung, die totale militärische Niederlage und der fast simultane Tod binnen zweier Tage im April 1945. Das alles und noch viel mehr hat die Geschichtswissenschaft zum Thema gemacht; zuletzt der Altmeister der deutschen Faschismusforschung, Wolfgang Schieder, dessen Buch „Adolf Hitler – Politischer Zauberlehrling Mussolinis“ Goeschel auch in der deutschen Ausgabe (die englische erschien 2017) ignoriert, obwohl es mehr als die Hälfte dessen ziemlich souverän behandelt, was er untersucht.
Christian Goeschel bändigt diese disparate Fülle an Forschungsergebnissen in einem handlichen Band. Das verdient Respekt, zumal es ihm auch gelingt, die wechselnden gegenseitigen Wahrnehmungen und Einschätzungen der beiden Diktatoren und den gar nicht zu überschätzenden Stellenwert von „Führer“ und „Duce“ für die faschistische Allianz überzeugend herauszuarbeiten. Ohne die beiden hätte es die „Achse“ nicht gegeben – und ohne sie hätte sie keinen Bestand gehabt. Problematisch wird es dann, wenn Goeschel die traditionellen Bahnen verlässt und versucht, die alten Interpretationen durch neue zu ersetzen. Er privilegiert dabei eine „Herangehensweise“, die Rituale, Zeremonien, Emotionen, Gesten und andere soziokulturelle Aspekte der Diplomatie ins Zentrum der Analyse rückt. Abgesehen davon, dass solche Ansätze mittlerweile auch schon etwas Staub angesetzt haben, wird seit Langem nicht mehr bestritten, dass der „Umgangston“ bei Gipfeltreffen und anderen diplomatischen Stippvisiten gebührende Beachtung finden muss. Gerade der Besuch Mussolinis im Deutschen Reich 1937 und Hitlers Gegenbesuch in Italien ein Jahr später, die Goeschel detailliert, aber auch unter Rückgriff auf fragwürdige Memoirenliteratur schildert, sind von der Geschichtswissenschaft mitnichten ausgespart worden – ohne dass man freilich sagen könnte, der Kenntnisstand über die „Achse“ habe sich dadurch signifikant erhöht. Wenn Mussolini bei seinen Reisen nach Deutschland des Nachts über den Brenner fuhr, um der vermutlich murrenden deutschsprachigen Südtiroler nicht ansichtig werden zu müssen, so kann man darin durchaus eine Widerspiegelung der faschistischen Südtirolpolitik erblicken. Goeschel weist einige Male auf diese Nachtfahrten des „Duce“ hin, und er betont ebenfalls mehrmals, dass sich die frühzeitig bestehende Asymmetrie der „Achse“ an der Tatsache ablesen lässt, dass Mussolini öfter in das Deutsche Reich reiste als Hitler nach Italien.
Recht und schön. Aber wusste man das nicht auch so schon längst? Fruchtbarer wäre es gewesen, wenn der Autor seine These, die Treffen der beiden Diktatoren wie die ganze faschistische Allianz seien inszeniert worden und diese Inszenierungen hätten eine „machtvolle politische Dynamik“ entfaltet, ausführlich diskutiert und begründet hätte. Was hat man in Szene gesetzt? Eine Freundschaft, die es nicht gab? Eine Allianz, die nur auf dem Papier bestand oder doch einen ganz realen Kern hatte? Und worin bestand er? Goeschel lässt den Leser darüber im Unklaren, und er steht ihm auch nicht bei, wenn es um die politische Dynamik geht, die bei den Treffen zwischen Hitler und Mussolini fraglos entstand. Wo lagen ihre Quellen? In welche Richtung wurde diese Dynamik von wem gelenkt – und mit welchem Erfolg? Wurde die „Achse“ automatisch zu einer „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“?
Antworten auf solche Fragen erhält man nur, wenn machtpolitische und ideologische Präferenzen in einem viel stärkeren Maße Beachtung finden, als Goeschel ihnen angedeihen lässt. Die Fokussierung auf Rituale, Zeremonien und Gesten oder, wie er schreibt, auf die „emotive Politik der Mussolini-Hitler-Beziehung“ hilft hier genau so wenig weiter wie bei der Frage, ob die Dynamik wirklich so „machtvoll“ war, wie Goeschel anklingen lässt. Beeinflusste sie die Kontrahenten in Paris und London, in Washington und Moskau tatsächlich, und beeindruckte sie am Ende sogar Hitler und Mussolini selbst so stark, dass sie zumindest zeitweilig zu Gefangenen ihrer eigenen Inszenierungen wurden?
Die Folgen der sträflichen Vernachlässigung von Machtpolitik und Ideologie zeigen sich auch mit Blick auf zwei ganz große Probleme, die Goeschel gleichsam nebenbei lösen will, obwohl er sich dabei von den selbst gesteckten Zielen weit entfernt. Das erste bezieht sich auf die Kohärenz der „Achse“, die Goeschel für viel prekärer hält, als sie nach den Erkenntnissen der neueren Forschung war. Belege dafür bleibt er aber schuldig und muss er schuldig bleiben, weil sich die Geschichte der „Achse“ nicht in der Beziehungsgeschichte der beiden Diktatoren erschöpfte, die Goeschel vor allem behandelt. Die „Achse“ war viel mehr – nämlich ein umfassendes Projekt der bilateralen Annäherung und Verständigung zur revolutionären Umgestaltung der beiden Staaten und der halben Welt. Hitler und Mussolini gaben den Anstoß dazu, der namentlich von den Parteien, von der Wirtschaft und den Wissenschaften und nicht zuletzt von den Militärführungen aufgenommen und in praktische Politik verwandelt wurde – trotz vieler Widerstände und Vorbehalte, die auch in beiden Gesellschaften bestanden, aber nie solche Ausmaße erreichten, wie Goeschel gestützt auf eine mehr als dürftige Quellenlage suggeriert. Nicht zuletzt hatte die „Achse“ einen ebenso beträchtlichen wie letalen Erfolg, wie die verheerende Verbrechensbilanz der beiden Regime beweist.
Dieser radikale Endzweck der faschistischen Allianz bleibt in Goeschels Studie genau so blass wie sein Beitrag zu dem zweiten Großproblem, das er sich en passant auch noch vornimmt. Wir, betont er, können „nicht einmal im Ansatz begreifen (…), was der Faschismus war, wenn wir nicht die politische Beziehung der beiden wichtigsten faschistischen Staatsmänner in ihrem größeren Kontext untersuchen“. Große Worte, die seinen methodischen Zugriff legitimieren sollen und natürlich Appetit machen. Wer wüsste nach fast einem Jahrhundert ebenso intensiver wie kontroverser Debatten nicht gerne mehr darüber, was der Faschismus wirklich war und wie er zu definieren ist? Wo lagen seine Wurzeln? Welche gesellschaftlichen Schichten trugen ihn? Was bewirkte seine permanente Radikalisierung, die schließlich in Völkermord und Vernichtungskrieg gipfelte? Fragen über Fragen also, denen Goeschel sich letztlich nicht ernsthaft stellt. Am Ende bleibt es bei kühnen Ankündigungen – und bei einem knurrenden Magen.
Hans Woller ist Historiker und Autor von Biografien über Benito Mussolini (München 2016) und Gerd Müller (München 2019).
Ganz nebenbei versucht der
Autor auch zu erkunden,
was der Faschismus wirklich war
Christian Goeschel:
Mussolini und Hitler. Die Inszenierung einer faschistischen Allianz. Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Suhrkamp, Berlin 2019. 476 Seiten, 28 Euro.
Zwei Faschisten in Florenz: Mussolini (links) und Hitler lassen sich 1940 bejubeln.
Foto: AFP
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»Anschaulich und deteilreich schildert Goeschel diese Entwicklung einer falschen Freundschaft ...« Clemens Klünemann Neue Zürcher Zeitung 20200323