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Mussolini war der erste Faschist, doch hat man ihn lange als Hitlers harmlosen Bruder wahrgenommen. Hans Woller zeichnet nun ein völlig neues Bild, das viele überraschen wird: wegen Mussolinis Rassismus, seines Antisemitismus und der Schreckensbilanz seines Regimes, die den Atem stocken lässt. Der italienische Alleinherrscher hat Geschichte geschrieben und Bilder hinterlassen, die im Gedächtnis hängen geblieben sind. Man kennt ihn - bullig, im Dialog mit seinem Volk, gebieterisch. Man sieht ihn vor sich - kahlköpfig, mit bloßer Brust am Strand, strotzend vor Energie und Willenskraft. Dann das…mehr

Produktbeschreibung
Mussolini war der erste Faschist, doch hat man ihn lange als Hitlers harmlosen Bruder wahrgenommen. Hans Woller zeichnet nun ein völlig neues Bild, das viele überraschen wird: wegen Mussolinis Rassismus, seines Antisemitismus und der Schreckensbilanz seines Regimes, die den Atem stocken lässt. Der italienische Alleinherrscher hat Geschichte geschrieben und Bilder hinterlassen, die im Gedächtnis hängen geblieben sind. Man kennt ihn - bullig, im Dialog mit seinem Volk, gebieterisch. Man sieht ihn vor sich - kahlköpfig, mit bloßer Brust am Strand, strotzend vor Energie und Willenskraft. Dann das Ende in Mailand 1945: der geschändete Leichnam, an einer Tankstelle aufgehängt, verhöhnt und verspottet, vom antifaschistischen Furor zusammen mit seiner toten Geliebten aus der Geschichte gejagt. Ungeschönt und anschaulich erzählt Hans Woller das Leben Mussolinis, der die totalitäre Massendiktatur erfand und zu Hitlers wichtigstem Verbündeten wurde.
Autorenporträt
Hans Woller, geboren 1952 in Aldersbach/Niederbayern, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und Chefredakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1985-1988 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Rom.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Thomas Speckmann lernt Mussolini in Hans Wollers Biografie keineswegs als soften Hitler kennen, sondern als brutalen faschistischen Kriegsführer, Rassisten und Antisemiten. Anhand von Mussolinis Afrikafeldzug, seiner Verbundenheit mit Nazi-Deutschland und anderer zentraler Facetten von Mussolinis Herrschaft, erläutert Speckmann, schafft der Autor ein pointiertes Porträt für das bessere Verständnis von Zeit und Person. Wertvoll scheint ihm der Band auch zum Verständnis des Begriffs Faschismus.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2016

Gegen den Glauben hat der Verstand keine Chance
Neues zum "Duce": Benito Mussolini war schon in jungen Jahren gewaltbereit und wohl auch antisemitisch

Der Familienvater sei der eigentliche Held des 20. Jahrhunderts, meinte einmal der 1914 gefallene Charles Péguy: "Das war, bevor er der größte Verbrecher des 20. Jahrhunderts wurde", bemerkte Hannah Arendt dazu. Zu ihrer Beobachtung inspirierten die Philosophin die meist solid verheirateten NS-Massenmörder in Uniform. Aber auch Benito Mussolini fällt in diese Kategorie. Der Duce hatte fünf Kinder und war ein aggressiver Sozialaufsteiger. Bezeichnenderweise kam er erst zur Besinnung, als sein Lieblingssohn fiel. Aber auch das nur kurzfristig.

Mussolini war in seiner unprogrammatischen Beweglichkeit und seiner Improvisationsbegabung auf dem Weg nach oben sehr italienisch. Wolfgang Schieder widmete ihm eine knappe, aber insgesamt bündige Biographie. Der Kölner Historiker vermisste in Mussolinis Vita Planung und Programme. Eine - pardon - etwas deutsche Feststellung. Umso wichtiger jedoch, wie Schieder die Gewaltbereitschaft des jungen Mussolini betont.

Zur Illustration und zur Einbettung in den Kontext der italienischen Gesellschaft vor und nach dem Ersten Weltkrieg wäre ein Hinweis auf die Futuristen und deren führenden Kopf Filippo Marinetti hilfreich gewesen. Nicht alle Leserinnen und Leser kennen die italienische Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Hans Woller erwähnt die Futuristen in seiner ebenfalls - und hoffentlich zufällig - im Münchener Beck-Verlag publizierten Mussolini-Biographie, erklärt sie aber nicht. Die Futuristen waren eine radikal moderne Bewegung und eine - in ihrer Radikalität bis hin zu futuristischer Kulinarik (mit einem eigenen Kochbuch: "La cucina futurista") - absolute Gegenbewegung zum extrem konservativen, überlange im Historismus fixierten Bürgertum, das selbst den Jugendstil (im Italienischen "Liberty" genannt) erst außerordentlich spät rezipierte.

Die Futuristen beteten alles an, was das Bürgertum nicht schätzte: Motoren, Dynamik, Aktionismus, Lärm und Gewalt. Gleichzeitig waren sie alles andere als ein esoterischer Zirkel abseitiger Spinner. Dies hätte sich schon mit ihrer Neigung zum Radau nicht vertragen. Fortunato Deperos futuristische Werbekampagne für den Apéritif-Produzenten Campari signalisiert vielmehr ein ausgeprägtes Gespür für den Zeitgeist. Gewalt war womöglich nicht legitim, aber schick. "Wir Faschisten haben keine vorgefasste Doktrin, unsere Doktrin ist die Tat." Dies war bereits der ganze Mussolini. Er hatte genügend Nietzsche gelesen, um sich mit solchen Aussagen auf sicherem Boden zu fühlen. Beide Biographen lassen allenfalls indirekt durchblicken, dass Mussolini ein harter Arbeiter war und blieb. Er sanierte quasi im Alleingang den "Avanti" (Vorwärts), das verschlafene Parteiblatt der Sozialisten, und schrieb ihn im Zweifelsfall auch noch selbst voll. Mit 36 Bänden und acht Zusatzbänden übertreffen seine nach dem Krieg veröffentlichen "Opera Omnia" womöglich noch die "Correspondance de Napoléon".

Allerdings brachte der kriegsverwundete Bersaglieri-Korporal denkbar wenig Interesse für die Details der Kriegführung auf. Was ihn aber - anders als den doch etwas schlaueren General Franco - nicht daran hinderte, gerne Krieg zu führen. Der Historiker Ernst Nolte meinte einmal, dass dies teleologisch im Faschismus angelegt gewesen sei. Aber wieso konnten sich dann Francisco Franco, einmal in Madrid installiert, und António de Oliveira Salazar in Portugal ohne Krieg behaupten? Mussolini scheiterte am Krieg, weil die Nation überfordert, aber auch wehrtechnisch nicht vorbereitet war. Das bürgerliche Italien hatte vor dem Ersten Weltkrieg mehr Geld ins Militär gesteckt als das faschistische Italien unter Mussolini. Der Duce war eben auch ein sparsamer Hausvater. Hinzu kam, dass die Weltwirtschaftskrise Italien nicht aussparte.

Die Stabilisierungsmanöver waren aber durchaus erfolgreich - bis hin zur Rettung der vom Konkurs bedrohten Banken oder etwa des Automobilherstellers Alfa Romeo in der 1933 gegründeten, staatlichen Auffanggesellschaft IRI (Istituto per la Ricostruzione Industriale/Anstalt für industriellen Wiederaufbau). Dass Mussolini mit der Führung des IRI Alberto Beneduce betraute, lag nicht an dessen Namen, sondern an dessen finanztechnischem Können. Mussolini war durchaus dafür bekannt, dass er seine Mitarbeiter verschliss. Der Industrielle Alberto Pirelli entzog sich beharrlich dem Werben des Duce, das Finanzministerium zu übernehmen. Pirelli hatte bereits 1919 der italienischen Friedensdelegation in Paris angehört und vertrat - wie Beneduce - Italien häufig bei internationalen Finanzverhandlungen. Aber Minister unter Mussolini wollte er lieber nicht sein - unter expliziter Anspielung auf dessen hohen Menschenverbrauch. Was Mussolini unkompliziert akzeptierte.

Der 1883 in der Emilia-Romagna geborene Sprössling eines Dorfschmieds und einer Lehrerin (die wiederum Tochter eines Veterinärs) war jung, als er 1922 Ministerpräsident wurde. Ähnlich wie 1933 die Nationalsozialisten in Berlin. Mit dem neuen Gewaltkult kam eine neue Generation (und ein Jugendkult mit der Giovinezza-Hymne als ultimativer Blüte: Giovinezza, primavera di bellezza - Jugend, Frühling der Schönheit . . . ) Zu Fall brachte ihn letztlich auch sein zur Heilsgewissheit verdichteter Glaube an die Gewalt.

Mussolini war zu gut informiert, um die Limiten Italiens ignorieren zu können. Aber gegen den Glauben hatte der Verstand keine Chance. Männer wiederholen bekanntlich immer den Trick, mit dem sie groß geworden sind. Damit lieferte er sich - und Italien - aber dem NS-Deutschland aus und büßte seine Handlungsfreiheit ein. Ein Fehler, der ihm innenpolitisch nie unterlaufen war.

Wolfgang Schieder schält schön heraus, wie sehr Mussolini bei aller Anbetung der Tat auch ein Zauderer sein konnte. Besonders in seinen depressiven Phasen seit dem Tod seines Sohnes in der Aeronautica. Unübersehbar war weiter die intellektuelle Regression des Duce. Er fand über den Kriegen in Afrika zu einem Rassismus, in dem bald auch der Antisemitismus seinen festen Platz hatte. Hans Woller notiert bereits Spuren beim jungen Vorkriegs-Mussolini. Aber was war davon bei dem Vielschreiber zum Nennwert zu nehmen? Dass dieser Antisemitismus italienisch gemildert blieb - man lieferte aus, aber ermordete nicht selbst -, wird sicher niemand entlastend anführen wollen.

Schieders Mussolini ist klar strukturiert und erfreulich kompakt. Die Neigung zu semantischen Überbestimmungen wie "Diktaturregime", Diktaturherrschaft", "Widerstandstätigkeit" oder Neologismen wie "Charismatisierung" wird ein erfahrener Lektor vor einer allfälligen Neuauflage sicher korrigieren. Wollers Mussolini geht sehr viel mehr ins Detail, lässt die Leserinnen und Leser aber schon mal allein. Etwa, wenn der Autor die Parlamentarier als "Onorevoli" (Ehrenwerte) bezeichnet, ohne zu ergänzen, dass Onorevole der in Italien übliche Titel für einen Abgeordneten ist. Insgesamt ergibt sich eine gewisse Inkongruenz. Mit seinen vielen Konjekturen und Mutmaßungen wirkt Wollers Buch streckenweise wie eine historische Serie in einer Illustrierten. Angesichts der Leidenschaft für viele und nicht immer glücklich gewählte Adjektive sei daran erinnert, dass Georges Clemenceau einmal einem Volontär einschärfte: "Junger Mann, bevor Sie ein Adjektiv verwenden, kommen Sie hoch zu mir in den dritten Stock und fragen um Erlaubnis."

IGNAZ MILLER

Wolfgang Schieder: Benito Mussolini. C. H. Beck Verlag, München 2014. 128 S., 8,95 [Euro].

Hans Woller: Mussolini. Der erste Faschist. Eine Biografie, C. H. Beck Verlag, München 2016. 397 S., 26,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.04.2016

Mythomane
Mussolini
Hans Woller entzaubert den italienischen Diktator
und kritisiert die Inszenierung des Politischen
VON CLEMENS KLÜNEMANN
Eher nebenbei erwähnt Hans Woller in seiner jüngst erschienenen Mussolini-Biografie die Parallele zwischen der Radikalität des populären Nationalisten Giuseppe Garibaldi („Rom oder der Tod“) und dem unbedingten Eroberungswillen des „ersten Faschisten“ Benito Mussolini. Aber unterschwellig zieht sich der Hinweis auf diese Parallele wie ein roter Faden durch dieses Buch, das weit mehr ist als eine Biografie des „Duce“ und Erfinders der totalitären Massendiktatur: nämlich eine luzide Analyse der zentralen ideologischen Innovation, die der Faschismus nun einmal war – oder sollte man nicht besser sagen: ist? Denn was den Faschismus ausmacht – dieses Gemisch aus Allmachts- und Gewaltfantasien, nationaler Selbstüberschätzung, universalem Heilsversprechen und identitärem Rassismus, gepaart mit einer permanenten Inszenierung von Politik als Trommelfeuer auf immer neue Gegner – ist wohl nicht auf die im Frühjahr 1945 zu Ende gehende Epoche beschränkt.
   Woller beschreibt Mussolini als Person, in der sich all diese Merkmale des Faschismus fokussieren. Mal gab sich der Duce autoritär-konservativ, mal als radikaler Revolutionär, der keinen Stein auf dem anderen und keinen Menschen so lassen wollte, wie er war. Mal gehörte er zu den zögerlich Abwartenden, mal zu den radikalen Umwälzern, aber immer war er ein Taktiker, der Gefahren früher als andere witterte und sich der Gegner, die ihm gefährlich werden konnten, auf brutale Art entledigte – und dies betraf vor allem die, mit denen er die sozialistischen Wurzeln seines Welt- und Menschenbildes einst geteilt hatte.
  Vor allem aber war Mussolini ein Mythomane: Sich selbst stilisierte er, im Wissen um die Macht der Bilder und darin seiner Zeit voraus, als virile und omnipotente Persönlichkeit, und in der gleichzeitig drohenden und lockenden Diktion seiner Reden machte er aus Banalitäten weltgeschichtliche Ereignisse. Ein solches Ereignis war der zum Gründungsmythos der „Bewegung“ erhobene Marsch auf Rom im Oktober 1922, mit dem Garibaldis 20. September 1870 wiederauferstehen sollte: Tatsächlich jedoch reiste Mussolini im Nachtzug aus Mailand an, während der Tross seiner Schwarzhemden im Regen der römischen Campagna unschlüssig ausharrte.
  Hans Wollers biografische Studie erlaubt nicht nur hier einen nüchternen Blick hinter die Kulissen der faschistischen Liturgie, deren Auftakt nicht erst der sagenumwobene Marsch auf Rom war. Zu Recht weist der Autor darauf hin, dass die Ridikülisierung des Diktators die Zwillingsschwester seiner Dämonisierung ist und ebenso wie Empörung oder Empathie jegliche vertiefte Erkenntnis über diesen unheimlich-banalen Gewaltherrscher verhindert. Aus deutscher Perspektive ist das mit „Addis Abeba, 5. Mai 1936. Der Imperialist“ überschriebene Kapitel besonders erhellend, weil es Mussolini, noch vor jedem Schulterschluss mit Hitler, als grausamen Kolonialherrn in Ostafrika zeigt, der quasi im Schatten zentraleuropäischer Spannungen seinen eigenen schmutzigen Krieg führt und seine Weltmachtträume zu verwirklichen sucht; dass er damit eine unselige Tradition der liberalen Monarchie fortführte, macht den Rassismus gegenüber den Afrikanern und seine Befehle zum Giftgaseinsatz nicht weniger schlimm.
  Indem Woller jedes einzelne der Kapitel mit einem Ort, einem Schlüsseldatum und einer Charakterisierung betitelt, zeichnet er eine biografische Parabel, die im Juli 1883 im Geburtsort Predappio ihren Ausgang nimmt und sich über Trient, Reggio Emilia, Rom, München und Berlin nach Menaggio am Comer See erstreckt, wo der eineinhalb Jahre zuvor entmachtete Mussolini am 25. April 1945 in die Hände kommunistischer Partisanen geriet. Zu dieser Parabel gehören verschiedene Rollen: zunächst die des Chefredakteurs der sozialistischen Parteizeitung, aber sehr bald schon die des Rassisten, des Antisemiten (der Mussolini, wie Woller ausführlich zeigt, keinesfalls nur „auf Druck von außen“ war), des Imperialisten und des taktierenden Verbündeten. Seine Hauptrolle war jedoch seit dem Ersten Weltkrieg und bis zum schauerlichen Ende am Comer See die des totalitären Faschisten: Zu ihr gehört maßlose Gewaltbereitschaft ebenso wie totaler Herrschaftswille über die Massen im Sinne der von seinen linken Lehrmeistern übernommenen „svolta totalitaria“.
  Konsequent unterzieht Hans Woller die „Choreographie des faschistischen Politikspektakels“ einer klaren Analyse, ohne in die Falle einer Verharmlosung des bisweilen operettenhaften Auftretens Mussolinis und seines von Sex and Crime geprägten Privatlebens zu tappen. Unmissverständlich macht der Autor deutlich, dass Mussolini eben nicht einfach der autoritär-biedere Patriot war, als der er in Renzo De Felices wirkmächtigem Standardwerk erscheint, und ebenso vermeidet der Autor den aus deutscher Sicht naheliegenden, aber nicht minder falschen Kurzschluss, in Mussolini lediglich den Vorläufer Hitlers zu sehen. Mussolinis Verhältnis zu dem deutschen Diktator erweist sich durch Wollers Schilderung als äußerst zwiespältig und von gegenseitigem Misstrauen und kühler Taktik geprägt – quasi nebenbei widerlegt der Autor die zählebigen Mythen von Männerfreundschaft, Waffenbrüderschaft und schließlichem Verrat und entdämonisiert gewisse Untertöne der deutsch-italienischen Beziehungen nach 1945.
  „Reaktion oder Moderne?“ fragte Brunello Mantelli in seiner vor fast 20 Jahren erschienenen „Kurzen Geschichte des italienischen Faschismus“ und beantwortete diese Gretchenfrage zum Phänomen einer völlig neuen politischen Konstellation mit dem eher ausweichenden Hinweis darauf, dass es Mussolini um „eine Modernität ohne Modernisierung“ gegangen sei. Hans Wollers Antwort in seinem überaus lesenswerten Buch ist klarer: Hier erscheint die gefährliche Mischung aus Wut auf die bürgerliche Gesellschaft, Herrenmenschentum und revolutionärem Sendungsbewusstsein als eine Facette der Moderne selbst, zu der Marx‘ Historischer Materialismus ebenso gehört wie die Rassentheorien von Gobineau, die Elitentheorie Paretos, George Sorels Reflexionen über die Gewalt, der revolutionäre Zerstörungswille des Pariser Terreur von 1793 – und nicht zuletzt Garibaldis selbstzerstörerische Maxime, entweder das politische Ziel zu erreichen oder den Tod zu verdienen.
  „Predappio“ heißt das erste und auch das letzte Kapitel der biografischen Parabel – das Städtchen, wo Mussolinis Leben begann und wohin seine sterblichen Überreste zwölf Jahre nach seinem Tod zurückkehrten, sei heute ein „gefährlicher Erinnerungsort“, merkt Hans Woller im Schlusskapitel an und fügt lakonisch und unter Anspielung auf den Kult der in Italien „nostalgici“ genannten Verehrer des Duce hinzu: „Mussolini lebt“; nichtsdestoweniger sei die Gefahr einer Renaissance des Faschismus heute gering, bekräftigt der Autor. Gerade wenn man diesen Optimismus nicht vorbehaltlos teilt, wünscht man Hans Wollers Buch möglichst viele Leser, denn wie kaum ein anderes entzaubert es einen Diktator, der vor nicht einmal einem Menschenalter die Massen begeisterte und dem nicht nur in Italien nicht wenige der Intellektuellen huldigten.
Clemens Klünemann ist Dozent am Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und lehrt unter anderem über die Geschichte Westeuropas im 19. und 20. Jahrhundert.
Predappio ist für den Autor
ein „gefährlicher
Erinnerungsort“
  
  
  
  
Hans Woller:
Mussolini. Der erste Faschist – eine Biografie, Verlag C. H. Beck, München 2016, 397 Seiten 26,95 Euro.
Selbststilisierung: Benito Mussolini 1935 in Rom.
Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo
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"Einer der besten Kenner des italienischen Faschismus unter den deutschen Historikern."
Rainer Volk, SWR2, 11. Februar 2016