Mussolini hat Geschichte geschrieben und Bilder hinterlassen, die im Gedächtnis hängen geblieben sind. Man kennt ihn - bullig, im Dialog mit seinem Volk, gebieterisch. Man sieht ihn vor sich - kahlköpfig, mit bloßer Brust am Strand, strotzende Energie und Willenskraft. Dann das Ende in Mailand 1945: der geschändete Leichnam, an einer Tankstelle aufgehängt, verhöhnt und verspottet, vom antifaschistischen Furor zusammen mit seiner toten Geliebten aus der Geschichte gejagt. Ungeschönt und anschaulich erzählt Hans Woller das Leben Mussolinis, der die totalitäre Massendiktatur erfand und zu Hitlers wichtigstem Verbündeten wurde.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.04.2016Mythomane
Mussolini
Hans Woller entzaubert den italienischen Diktator
und kritisiert die Inszenierung des Politischen
VON CLEMENS KLÜNEMANN
Eher nebenbei erwähnt Hans Woller in seiner jüngst erschienenen Mussolini-Biografie die Parallele zwischen der Radikalität des populären Nationalisten Giuseppe Garibaldi („Rom oder der Tod“) und dem unbedingten Eroberungswillen des „ersten Faschisten“ Benito Mussolini. Aber unterschwellig zieht sich der Hinweis auf diese Parallele wie ein roter Faden durch dieses Buch, das weit mehr ist als eine Biografie des „Duce“ und Erfinders der totalitären Massendiktatur: nämlich eine luzide Analyse der zentralen ideologischen Innovation, die der Faschismus nun einmal war – oder sollte man nicht besser sagen: ist? Denn was den Faschismus ausmacht – dieses Gemisch aus Allmachts- und Gewaltfantasien, nationaler Selbstüberschätzung, universalem Heilsversprechen und identitärem Rassismus, gepaart mit einer permanenten Inszenierung von Politik als Trommelfeuer auf immer neue Gegner – ist wohl nicht auf die im Frühjahr 1945 zu Ende gehende Epoche beschränkt.
Woller beschreibt Mussolini als Person, in der sich all diese Merkmale des Faschismus fokussieren. Mal gab sich der Duce autoritär-konservativ, mal als radikaler Revolutionär, der keinen Stein auf dem anderen und keinen Menschen so lassen wollte, wie er war. Mal gehörte er zu den zögerlich Abwartenden, mal zu den radikalen Umwälzern, aber immer war er ein Taktiker, der Gefahren früher als andere witterte und sich der Gegner, die ihm gefährlich werden konnten, auf brutale Art entledigte – und dies betraf vor allem die, mit denen er die sozialistischen Wurzeln seines Welt- und Menschenbildes einst geteilt hatte.
Vor allem aber war Mussolini ein Mythomane: Sich selbst stilisierte er, im Wissen um die Macht der Bilder und darin seiner Zeit voraus, als virile und omnipotente Persönlichkeit, und in der gleichzeitig drohenden und lockenden Diktion seiner Reden machte er aus Banalitäten weltgeschichtliche Ereignisse. Ein solches Ereignis war der zum Gründungsmythos der „Bewegung“ erhobene Marsch auf Rom im Oktober 1922, mit dem Garibaldis 20. September 1870 wiederauferstehen sollte: Tatsächlich jedoch reiste Mussolini im Nachtzug aus Mailand an, während der Tross seiner Schwarzhemden im Regen der römischen Campagna unschlüssig ausharrte.
Hans Wollers biografische Studie erlaubt nicht nur hier einen nüchternen Blick hinter die Kulissen der faschistischen Liturgie, deren Auftakt nicht erst der sagenumwobene Marsch auf Rom war. Zu Recht weist der Autor darauf hin, dass die Ridikülisierung des Diktators die Zwillingsschwester seiner Dämonisierung ist und ebenso wie Empörung oder Empathie jegliche vertiefte Erkenntnis über diesen unheimlich-banalen Gewaltherrscher verhindert. Aus deutscher Perspektive ist das mit „Addis Abeba, 5. Mai 1936. Der Imperialist“ überschriebene Kapitel besonders erhellend, weil es Mussolini, noch vor jedem Schulterschluss mit Hitler, als grausamen Kolonialherrn in Ostafrika zeigt, der quasi im Schatten zentraleuropäischer Spannungen seinen eigenen schmutzigen Krieg führt und seine Weltmachtträume zu verwirklichen sucht; dass er damit eine unselige Tradition der liberalen Monarchie fortführte, macht den Rassismus gegenüber den Afrikanern und seine Befehle zum Giftgaseinsatz nicht weniger schlimm.
Indem Woller jedes einzelne der Kapitel mit einem Ort, einem Schlüsseldatum und einer Charakterisierung betitelt, zeichnet er eine biografische Parabel, die im Juli 1883 im Geburtsort Predappio ihren Ausgang nimmt und sich über Trient, Reggio Emilia, Rom, München und Berlin nach Menaggio am Comer See erstreckt, wo der eineinhalb Jahre zuvor entmachtete Mussolini am 25. April 1945 in die Hände kommunistischer Partisanen geriet. Zu dieser Parabel gehören verschiedene Rollen: zunächst die des Chefredakteurs der sozialistischen Parteizeitung, aber sehr bald schon die des Rassisten, des Antisemiten (der Mussolini, wie Woller ausführlich zeigt, keinesfalls nur „auf Druck von außen“ war), des Imperialisten und des taktierenden Verbündeten. Seine Hauptrolle war jedoch seit dem Ersten Weltkrieg und bis zum schauerlichen Ende am Comer See die des totalitären Faschisten: Zu ihr gehört maßlose Gewaltbereitschaft ebenso wie totaler Herrschaftswille über die Massen im Sinne der von seinen linken Lehrmeistern übernommenen „svolta totalitaria“.
Konsequent unterzieht Hans Woller die „Choreographie des faschistischen Politikspektakels“ einer klaren Analyse, ohne in die Falle einer Verharmlosung des bisweilen operettenhaften Auftretens Mussolinis und seines von Sex and Crime geprägten Privatlebens zu tappen. Unmissverständlich macht der Autor deutlich, dass Mussolini eben nicht einfach der autoritär-biedere Patriot war, als der er in Renzo De Felices wirkmächtigem Standardwerk erscheint, und ebenso vermeidet der Autor den aus deutscher Sicht naheliegenden, aber nicht minder falschen Kurzschluss, in Mussolini lediglich den Vorläufer Hitlers zu sehen. Mussolinis Verhältnis zu dem deutschen Diktator erweist sich durch Wollers Schilderung als äußerst zwiespältig und von gegenseitigem Misstrauen und kühler Taktik geprägt – quasi nebenbei widerlegt der Autor die zählebigen Mythen von Männerfreundschaft, Waffenbrüderschaft und schließlichem Verrat und entdämonisiert gewisse Untertöne der deutsch-italienischen Beziehungen nach 1945.
„Reaktion oder Moderne?“ fragte Brunello Mantelli in seiner vor fast 20 Jahren erschienenen „Kurzen Geschichte des italienischen Faschismus“ und beantwortete diese Gretchenfrage zum Phänomen einer völlig neuen politischen Konstellation mit dem eher ausweichenden Hinweis darauf, dass es Mussolini um „eine Modernität ohne Modernisierung“ gegangen sei. Hans Wollers Antwort in seinem überaus lesenswerten Buch ist klarer: Hier erscheint die gefährliche Mischung aus Wut auf die bürgerliche Gesellschaft, Herrenmenschentum und revolutionärem Sendungsbewusstsein als eine Facette der Moderne selbst, zu der Marx‘ Historischer Materialismus ebenso gehört wie die Rassentheorien von Gobineau, die Elitentheorie Paretos, George Sorels Reflexionen über die Gewalt, der revolutionäre Zerstörungswille des Pariser Terreur von 1793 – und nicht zuletzt Garibaldis selbstzerstörerische Maxime, entweder das politische Ziel zu erreichen oder den Tod zu verdienen.
„Predappio“ heißt das erste und auch das letzte Kapitel der biografischen Parabel – das Städtchen, wo Mussolinis Leben begann und wohin seine sterblichen Überreste zwölf Jahre nach seinem Tod zurückkehrten, sei heute ein „gefährlicher Erinnerungsort“, merkt Hans Woller im Schlusskapitel an und fügt lakonisch und unter Anspielung auf den Kult der in Italien „nostalgici“ genannten Verehrer des Duce hinzu: „Mussolini lebt“; nichtsdestoweniger sei die Gefahr einer Renaissance des Faschismus heute gering, bekräftigt der Autor. Gerade wenn man diesen Optimismus nicht vorbehaltlos teilt, wünscht man Hans Wollers Buch möglichst viele Leser, denn wie kaum ein anderes entzaubert es einen Diktator, der vor nicht einmal einem Menschenalter die Massen begeisterte und dem nicht nur in Italien nicht wenige der Intellektuellen huldigten.
Clemens Klünemann ist Dozent am Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und lehrt unter anderem über die Geschichte Westeuropas im 19. und 20. Jahrhundert.
Predappio ist für den Autor
ein „gefährlicher
Erinnerungsort“
Hans Woller:
Mussolini. Der erste Faschist – eine Biografie, Verlag C. H. Beck, München 2016, 397 Seiten 26,95 Euro.
Selbststilisierung: Benito Mussolini 1935 in Rom.
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Mussolini
Hans Woller entzaubert den italienischen Diktator
und kritisiert die Inszenierung des Politischen
VON CLEMENS KLÜNEMANN
Eher nebenbei erwähnt Hans Woller in seiner jüngst erschienenen Mussolini-Biografie die Parallele zwischen der Radikalität des populären Nationalisten Giuseppe Garibaldi („Rom oder der Tod“) und dem unbedingten Eroberungswillen des „ersten Faschisten“ Benito Mussolini. Aber unterschwellig zieht sich der Hinweis auf diese Parallele wie ein roter Faden durch dieses Buch, das weit mehr ist als eine Biografie des „Duce“ und Erfinders der totalitären Massendiktatur: nämlich eine luzide Analyse der zentralen ideologischen Innovation, die der Faschismus nun einmal war – oder sollte man nicht besser sagen: ist? Denn was den Faschismus ausmacht – dieses Gemisch aus Allmachts- und Gewaltfantasien, nationaler Selbstüberschätzung, universalem Heilsversprechen und identitärem Rassismus, gepaart mit einer permanenten Inszenierung von Politik als Trommelfeuer auf immer neue Gegner – ist wohl nicht auf die im Frühjahr 1945 zu Ende gehende Epoche beschränkt.
Woller beschreibt Mussolini als Person, in der sich all diese Merkmale des Faschismus fokussieren. Mal gab sich der Duce autoritär-konservativ, mal als radikaler Revolutionär, der keinen Stein auf dem anderen und keinen Menschen so lassen wollte, wie er war. Mal gehörte er zu den zögerlich Abwartenden, mal zu den radikalen Umwälzern, aber immer war er ein Taktiker, der Gefahren früher als andere witterte und sich der Gegner, die ihm gefährlich werden konnten, auf brutale Art entledigte – und dies betraf vor allem die, mit denen er die sozialistischen Wurzeln seines Welt- und Menschenbildes einst geteilt hatte.
Vor allem aber war Mussolini ein Mythomane: Sich selbst stilisierte er, im Wissen um die Macht der Bilder und darin seiner Zeit voraus, als virile und omnipotente Persönlichkeit, und in der gleichzeitig drohenden und lockenden Diktion seiner Reden machte er aus Banalitäten weltgeschichtliche Ereignisse. Ein solches Ereignis war der zum Gründungsmythos der „Bewegung“ erhobene Marsch auf Rom im Oktober 1922, mit dem Garibaldis 20. September 1870 wiederauferstehen sollte: Tatsächlich jedoch reiste Mussolini im Nachtzug aus Mailand an, während der Tross seiner Schwarzhemden im Regen der römischen Campagna unschlüssig ausharrte.
Hans Wollers biografische Studie erlaubt nicht nur hier einen nüchternen Blick hinter die Kulissen der faschistischen Liturgie, deren Auftakt nicht erst der sagenumwobene Marsch auf Rom war. Zu Recht weist der Autor darauf hin, dass die Ridikülisierung des Diktators die Zwillingsschwester seiner Dämonisierung ist und ebenso wie Empörung oder Empathie jegliche vertiefte Erkenntnis über diesen unheimlich-banalen Gewaltherrscher verhindert. Aus deutscher Perspektive ist das mit „Addis Abeba, 5. Mai 1936. Der Imperialist“ überschriebene Kapitel besonders erhellend, weil es Mussolini, noch vor jedem Schulterschluss mit Hitler, als grausamen Kolonialherrn in Ostafrika zeigt, der quasi im Schatten zentraleuropäischer Spannungen seinen eigenen schmutzigen Krieg führt und seine Weltmachtträume zu verwirklichen sucht; dass er damit eine unselige Tradition der liberalen Monarchie fortführte, macht den Rassismus gegenüber den Afrikanern und seine Befehle zum Giftgaseinsatz nicht weniger schlimm.
Indem Woller jedes einzelne der Kapitel mit einem Ort, einem Schlüsseldatum und einer Charakterisierung betitelt, zeichnet er eine biografische Parabel, die im Juli 1883 im Geburtsort Predappio ihren Ausgang nimmt und sich über Trient, Reggio Emilia, Rom, München und Berlin nach Menaggio am Comer See erstreckt, wo der eineinhalb Jahre zuvor entmachtete Mussolini am 25. April 1945 in die Hände kommunistischer Partisanen geriet. Zu dieser Parabel gehören verschiedene Rollen: zunächst die des Chefredakteurs der sozialistischen Parteizeitung, aber sehr bald schon die des Rassisten, des Antisemiten (der Mussolini, wie Woller ausführlich zeigt, keinesfalls nur „auf Druck von außen“ war), des Imperialisten und des taktierenden Verbündeten. Seine Hauptrolle war jedoch seit dem Ersten Weltkrieg und bis zum schauerlichen Ende am Comer See die des totalitären Faschisten: Zu ihr gehört maßlose Gewaltbereitschaft ebenso wie totaler Herrschaftswille über die Massen im Sinne der von seinen linken Lehrmeistern übernommenen „svolta totalitaria“.
Konsequent unterzieht Hans Woller die „Choreographie des faschistischen Politikspektakels“ einer klaren Analyse, ohne in die Falle einer Verharmlosung des bisweilen operettenhaften Auftretens Mussolinis und seines von Sex and Crime geprägten Privatlebens zu tappen. Unmissverständlich macht der Autor deutlich, dass Mussolini eben nicht einfach der autoritär-biedere Patriot war, als der er in Renzo De Felices wirkmächtigem Standardwerk erscheint, und ebenso vermeidet der Autor den aus deutscher Sicht naheliegenden, aber nicht minder falschen Kurzschluss, in Mussolini lediglich den Vorläufer Hitlers zu sehen. Mussolinis Verhältnis zu dem deutschen Diktator erweist sich durch Wollers Schilderung als äußerst zwiespältig und von gegenseitigem Misstrauen und kühler Taktik geprägt – quasi nebenbei widerlegt der Autor die zählebigen Mythen von Männerfreundschaft, Waffenbrüderschaft und schließlichem Verrat und entdämonisiert gewisse Untertöne der deutsch-italienischen Beziehungen nach 1945.
„Reaktion oder Moderne?“ fragte Brunello Mantelli in seiner vor fast 20 Jahren erschienenen „Kurzen Geschichte des italienischen Faschismus“ und beantwortete diese Gretchenfrage zum Phänomen einer völlig neuen politischen Konstellation mit dem eher ausweichenden Hinweis darauf, dass es Mussolini um „eine Modernität ohne Modernisierung“ gegangen sei. Hans Wollers Antwort in seinem überaus lesenswerten Buch ist klarer: Hier erscheint die gefährliche Mischung aus Wut auf die bürgerliche Gesellschaft, Herrenmenschentum und revolutionärem Sendungsbewusstsein als eine Facette der Moderne selbst, zu der Marx‘ Historischer Materialismus ebenso gehört wie die Rassentheorien von Gobineau, die Elitentheorie Paretos, George Sorels Reflexionen über die Gewalt, der revolutionäre Zerstörungswille des Pariser Terreur von 1793 – und nicht zuletzt Garibaldis selbstzerstörerische Maxime, entweder das politische Ziel zu erreichen oder den Tod zu verdienen.
„Predappio“ heißt das erste und auch das letzte Kapitel der biografischen Parabel – das Städtchen, wo Mussolinis Leben begann und wohin seine sterblichen Überreste zwölf Jahre nach seinem Tod zurückkehrten, sei heute ein „gefährlicher Erinnerungsort“, merkt Hans Woller im Schlusskapitel an und fügt lakonisch und unter Anspielung auf den Kult der in Italien „nostalgici“ genannten Verehrer des Duce hinzu: „Mussolini lebt“; nichtsdestoweniger sei die Gefahr einer Renaissance des Faschismus heute gering, bekräftigt der Autor. Gerade wenn man diesen Optimismus nicht vorbehaltlos teilt, wünscht man Hans Wollers Buch möglichst viele Leser, denn wie kaum ein anderes entzaubert es einen Diktator, der vor nicht einmal einem Menschenalter die Massen begeisterte und dem nicht nur in Italien nicht wenige der Intellektuellen huldigten.
Clemens Klünemann ist Dozent am Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und lehrt unter anderem über die Geschichte Westeuropas im 19. und 20. Jahrhundert.
Predappio ist für den Autor
ein „gefährlicher
Erinnerungsort“
Hans Woller:
Mussolini. Der erste Faschist – eine Biografie, Verlag C. H. Beck, München 2016, 397 Seiten 26,95 Euro.
Selbststilisierung: Benito Mussolini 1935 in Rom.
Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo
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"Inhaltlich wie sprachlich hervorragend"
Friedrich Weissensteiner, Wiener Zeitung, 17. September 2016
Friedrich Weissensteiner, Wiener Zeitung, 17. September 2016