Renommierte Politiker und Größen der Wirtschaft äußern ihre Ansichten zum Reformstau in Deutschland und rufen zu zweckmäßigen Lösungen auf.
Prominente Mitglieder des Konvents für Deutschland wie Roland Berger, Hartmut Mehdorn, Manfred Pohl und Wolfgang Clement nehmen in wegweisenden Interviews und Aufsätzen Stellung zu der Frage, wie Deutschland durch sinnvolle Reformen nach vorn gebracht werden kann. Ihr über Jahre gesammeltes Wissen bringen die Konventmitglieder in ihre ehrenamtliche politische Arbeit für Deutschlands Zukunft ein. Auf dieser Grundlage unterbreiten sie überlegte, erfahrene und mutige Vorschläge.
Prominente Mitglieder des Konvents für Deutschland wie Roland Berger, Hartmut Mehdorn, Manfred Pohl und Wolfgang Clement nehmen in wegweisenden Interviews und Aufsätzen Stellung zu der Frage, wie Deutschland durch sinnvolle Reformen nach vorn gebracht werden kann. Ihr über Jahre gesammeltes Wissen bringen die Konventmitglieder in ihre ehrenamtliche politische Arbeit für Deutschlands Zukunft ein. Auf dieser Grundlage unterbreiten sie überlegte, erfahrene und mutige Vorschläge.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.04.2008Immer wieder sonntags
Schimpfen über das eigene Land: Der "Konvent für Deutschland" tagt, nur Christiansen fehlt
Am Montagmorgen wird jeder zum Reformer. Der Bus verspätet und lahm, die Leute alle dumpf, nichts geht voran, niemand ruft zurück, und draußen immer noch so kalt. Die Bahn, die Telekom, das Einwohnermeldeamt, die kommen einem da gerade recht, für die hat man dann Reformtipps, und zwar nicht zu knapp. Oder im Feierabendstau: Tausende Reformer murmeln hinter ihren Lenkrädern die Reformen für das ganze Land vor sich hinr, gegen die Krise der nationalen Fahrschulkultur, Krise der Autobauer, Krise der Autolenker, also der anderen, und keiner will es hören. Das ist dem deutschen Reformer eigen: schlechte Laune, die sich dadurch permanent verstärkt, dass auf diese schlecht gelaunten Vorschläge wieder mal keiner hören wird.
Es ist kein ganz neues Phänomen. Den Ton der deutschen Reformer lernten Menschen meiner Generation in der Nachbarschaft kennen, da ging es um Ballspielreform, insbesondere vor Garagen, Lautstärkereform in der Mittagsruhe oder Radreform, wenn der Eismann die Straße entlanggefahren war und alle, so schnell die Kreppsohlen trugen, zu ihren Müttern rannten, um sich zu Hause 50 Pfennig für drei Bällchen abzuholen, und die Bonanzaräder auf dem Gehweg liegen blieben.
Die Aufgaben der Reformer haben sich seitdem nur ausgeweitet, es ist ja immer etwas, speziell in einem Land wie Deutschland, in dem sich Ambition und Skrupel paaren und man es ab und zu einfach braucht, dass einer kommt und schimpft über den ganzen Sauhaufen. Es ist eine von alters her ersehnte Wiederkehr: Barbarossa, Rübezahl, Helmut Schmidt oder nun Roman Herzog, sie sollen zurückkommen, einen Blick auf unsere Zustände werfen - und dann sollen sie schimpfen. Das muss irgendwie mal sein.
Nun haben Roman Herzog und sein "Konvent für Deutschland", dem unter anderen Hans-Olaf Henkel, Jutta Limbach, Roland Berger, Wolfgang Clement und Wolfgang Reitzle angehören, ein dickes Buch vorgelegt, in dem sich die Konventmitglieder von prominenten Journalisten interviewen lassen, darunter auch Holger Steltzner und Günther Nonnenmacher, Herausgeber dieser Zeitung. Es ist eine Werbung für den Journalismus: Die Konventleute kommen vom Hölzchen aufs Stöckchen, wollen bald den Föderalismus reformieren, bald eine "Weltregierung" installiert sehen, während die Frager wie der arme Schäferhund bei Shaun, dem Schaf, versuchen, den Wahnsinn im Zaum zu halten.
Es ist in diesem Buch immer Sonntagabend nach dem "Tatort" in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts, eine ewige Christiansenrunde, als habe es nie die Agenda 2010 gegeben: Sozialleistungen zu hoch, Steuern zu hoch, zu viele Gesetze und natürlich - ui, ui, ui - die Globalisierung. Die scheint eine rein deutsche und ziemlich grimmige Sache zu sein, keines der Konventmitglieder kommt aus dem Ausland, keines erzählt von der Welt und warum es auch gut sein könnte, dass sie zusammenwächst. Stattdessen "kommt" die Globalisierung, wie man früher damit drohte, dass die Russen "kommen". Den Empfehlungen des Konvents fehlt jede Anmut: Statt dafür zu werben, dass sich die deutsche Wirtschaft auch mal einen iPod, einen Prius oder Google, Yahoo oder eBay einfallen lässt, werden die ermüdenden Debatten der Prä-Agendajahre einfach wiederholt.
Das soziale Netz ist da immer zu dicht, die Unternehmer werden gegängelt, in den Schulen lernt man nichts, und schuld sind immer die Achtundsechziger. Ist es altmodisch, wenn man es als Leser und Zuhörer peinlich findet, dass Menschen, die selbst materiell sehr gut abgesichert sind, den weniger oder gar nicht abgesicherten sagen, sie sollen mal nicht so besorgt sein und die Lebensrisiken locker nehmen?
Das muss ein Publikum, in dem sich viele Leute fragen, wo das Geld eigentlich bleibt, und das genau weiß, dass die Lasten im Land ungleich verteilt sind, frustrieren. Saint-Exupéry wird auf den Kopf gestellt: Damit die Leute ein Schiff bauen, wird ihnen nicht Lust auf das weite Meer gemacht, es wird vielmehr der Akkord erhöht, der Lohn gekürzt, sonst bauen es die Usbeken, die sind kein so faules Pack - und an Bord darf auch nicht jeder. Dabei ist so ein unparteiischer Konvent in einer bewundernswerten Lage, keiner erwartet etwas, alles kann gedacht werden. Warum die Empfehlungen oder Anmerkungen dann aber wieder so engherzig, so wenig inspirierend und durch und durch uncharmant ausfallen, ist schon seltsam. Warum können Herzog, Clement und Co. nicht etwas zwischen einer "Föderalismusreform Zwei" und der "Weltregierung" fordern, also etwa weniger Bundesländer oder ein nationales Innovationsprogramm, wie es die Chinesen bereits in den achtziger Jahren unter Deng aufgelegt haben?
Im Buch finden sich aber nur solche Ideen, die in Handelskammerversammlungen und bei Rotariern beklatscht werden. Das untere Drittel der Bevölkerung ist abermals bloß Objekt von Politik und Adressat von Tipps - Pünktlichkeit empfiehlt Jutta Limbach -, wird aber nicht gefragt, es wird überhaupt kein Projekt benannt, für das sich die Bürger zu mobilisieren hätten, die Dynamik der Wirtschaft ist auch für den Konvent das alleinige Kriterium für den Erfolg der Republik. Wir stehen aber längst vor einer ganz anderen Situation, dass nämlich wirtschaftlicher Erfolg nicht mehr mit mehr Beschäftigung einhergeht, dass, anders gesagt, das Abkoppeln von Menschen aus der Arbeitswelt und der Gesellschaft voranschreitet, selbst wenn die Wirtschaft wächst. Hierzu aber hat der Konvent keine Vorschläge.
Parteien, Berufspolitiker und Bürokraten bekommen hier originellerweise ihr Fett weg - aber ist die Kombination aus charismatischem Leader, parlamentarischer, medialer und administrativer Willfährigkeit, die wir, mit je graduellen Abstufungen, bei Berlusconi, Sarkozy und Putin beobachten können, wirklich der etwas drögen, sicher umständlichen, aber insgesamt durchaus funktionierenden großen Koalition vorzuziehen?
Linde-Manager Wolfgang Reitzle sagt zwar in seinem Interview, gerade die weichen Qualitäten Deutschlands, die Sicherheit, die guten Straßen und die öffentlich geförderte Kultur seien wahre Pluspunkte, und er freue sich, schon aus der Luft aufs wohlgeordnete Land zu sehen, doch von solchen positiven, ermutigenden Beschreibungen finden sich in dem Buch zu wenige.
Denn es stimmt: Gäste aus den Vereinigten Staaten, Brasilien oder Indien staunen nicht über die Glastürme der Geschäftsviertel, die gibt es überall, sondern über ein kommunales Freibad, in dem sich Reiche und Arme, Urdeutsche und Migranten miteinander vergnügen, ohne dass bewaffnete Sicherheitsleute zu sehen wären. Die Besonderheit der deutschen Biederkeit, die zum großen Teil auf unmodernen Dingen wie dem öffentlichen Dienst, dem TÜV und der kommunalen Abgabenordnung basiert, wird hier nicht gelobt, sondern eher abschätzig angeführt.
Dafür darf Weltexperte Hans-Olaf Henkel klarmachen, dass die Türkei zwar in die EU gehört, für "den Islam" sehe er im Zeitalter der Globalisierung aber "keine Lösung". Eine echte Casino-Bemerkung alten Stils, eine Milliarde Muslime werden sie mit Interesse hören und den Flug zum Mond buchen. Ihr Pech, dass sie nicht Hans-Olaf Henkel sind.
Der Konvent liebt die schnelle Assoziation mehr als das innovative riskante Denken oder auch nur die Neugier. Nein, Bürokratie ist immer ineffizient, Deutsche sind gründlich, Leistung lohnt sich nicht, früher waren die Schulen besser, die Achtundsechziger sind Schluffis, aber paradoxerweise an der Macht, die Medien verwirren mit Halbwissen, und mit dem Patriotismus ist es auch nicht weit her.
Es ist eine opake und ewig gültige Rede, die mit der Vielfalt und den neuartigen Problemen des Landes nichts zu tun hat; dazu ist die Besetzung des Konvents zu homogen. Zwar sollten alle Parteien vertreten sein, unterdessen ist aber aus dem Grünen-Vertreter Oswald Metzger ein Unionsmann geworden, und die Sozialdemokratie hadert doch schwer mit ihrem Clement. Die Sache sollte sich öffnen: Wenn schon nicht Charlotte Roche, Daniel Kehlmann oder Hape Kerkeling - wenigstens ein Karl Lagerfeld, ein Wolf Singer oder Günther Jauch sollten da mitreden.
Das Land ist viel weiter und zum Glück auch spannender als diese Reflexion darüber. Jugendliche, die auf eBay mit den von chinesischen Gamern errungenen Punkten für "World of Warcraft" handeln, die auf Youtube ihre Brickfilme vergleichen und aufwendige Kurzfilme in ihre Blogs stellen, werden Belehrungen, dass sie ja pünktlich und sauber beim Meister erscheinen müssen, sonst wird es nichts mit der Lebenszeitstelle bei Daimler, nur noch als kultige Schrulle zu schätzen wissen.
NILS MINKMAR
Roman Herzog et al.: "Mut zum Handeln. Wie Deutschland wieder reformfähig wird". Campus-Verlag, 624 Seiten, 39,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schimpfen über das eigene Land: Der "Konvent für Deutschland" tagt, nur Christiansen fehlt
Am Montagmorgen wird jeder zum Reformer. Der Bus verspätet und lahm, die Leute alle dumpf, nichts geht voran, niemand ruft zurück, und draußen immer noch so kalt. Die Bahn, die Telekom, das Einwohnermeldeamt, die kommen einem da gerade recht, für die hat man dann Reformtipps, und zwar nicht zu knapp. Oder im Feierabendstau: Tausende Reformer murmeln hinter ihren Lenkrädern die Reformen für das ganze Land vor sich hinr, gegen die Krise der nationalen Fahrschulkultur, Krise der Autobauer, Krise der Autolenker, also der anderen, und keiner will es hören. Das ist dem deutschen Reformer eigen: schlechte Laune, die sich dadurch permanent verstärkt, dass auf diese schlecht gelaunten Vorschläge wieder mal keiner hören wird.
Es ist kein ganz neues Phänomen. Den Ton der deutschen Reformer lernten Menschen meiner Generation in der Nachbarschaft kennen, da ging es um Ballspielreform, insbesondere vor Garagen, Lautstärkereform in der Mittagsruhe oder Radreform, wenn der Eismann die Straße entlanggefahren war und alle, so schnell die Kreppsohlen trugen, zu ihren Müttern rannten, um sich zu Hause 50 Pfennig für drei Bällchen abzuholen, und die Bonanzaräder auf dem Gehweg liegen blieben.
Die Aufgaben der Reformer haben sich seitdem nur ausgeweitet, es ist ja immer etwas, speziell in einem Land wie Deutschland, in dem sich Ambition und Skrupel paaren und man es ab und zu einfach braucht, dass einer kommt und schimpft über den ganzen Sauhaufen. Es ist eine von alters her ersehnte Wiederkehr: Barbarossa, Rübezahl, Helmut Schmidt oder nun Roman Herzog, sie sollen zurückkommen, einen Blick auf unsere Zustände werfen - und dann sollen sie schimpfen. Das muss irgendwie mal sein.
Nun haben Roman Herzog und sein "Konvent für Deutschland", dem unter anderen Hans-Olaf Henkel, Jutta Limbach, Roland Berger, Wolfgang Clement und Wolfgang Reitzle angehören, ein dickes Buch vorgelegt, in dem sich die Konventmitglieder von prominenten Journalisten interviewen lassen, darunter auch Holger Steltzner und Günther Nonnenmacher, Herausgeber dieser Zeitung. Es ist eine Werbung für den Journalismus: Die Konventleute kommen vom Hölzchen aufs Stöckchen, wollen bald den Föderalismus reformieren, bald eine "Weltregierung" installiert sehen, während die Frager wie der arme Schäferhund bei Shaun, dem Schaf, versuchen, den Wahnsinn im Zaum zu halten.
Es ist in diesem Buch immer Sonntagabend nach dem "Tatort" in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts, eine ewige Christiansenrunde, als habe es nie die Agenda 2010 gegeben: Sozialleistungen zu hoch, Steuern zu hoch, zu viele Gesetze und natürlich - ui, ui, ui - die Globalisierung. Die scheint eine rein deutsche und ziemlich grimmige Sache zu sein, keines der Konventmitglieder kommt aus dem Ausland, keines erzählt von der Welt und warum es auch gut sein könnte, dass sie zusammenwächst. Stattdessen "kommt" die Globalisierung, wie man früher damit drohte, dass die Russen "kommen". Den Empfehlungen des Konvents fehlt jede Anmut: Statt dafür zu werben, dass sich die deutsche Wirtschaft auch mal einen iPod, einen Prius oder Google, Yahoo oder eBay einfallen lässt, werden die ermüdenden Debatten der Prä-Agendajahre einfach wiederholt.
Das soziale Netz ist da immer zu dicht, die Unternehmer werden gegängelt, in den Schulen lernt man nichts, und schuld sind immer die Achtundsechziger. Ist es altmodisch, wenn man es als Leser und Zuhörer peinlich findet, dass Menschen, die selbst materiell sehr gut abgesichert sind, den weniger oder gar nicht abgesicherten sagen, sie sollen mal nicht so besorgt sein und die Lebensrisiken locker nehmen?
Das muss ein Publikum, in dem sich viele Leute fragen, wo das Geld eigentlich bleibt, und das genau weiß, dass die Lasten im Land ungleich verteilt sind, frustrieren. Saint-Exupéry wird auf den Kopf gestellt: Damit die Leute ein Schiff bauen, wird ihnen nicht Lust auf das weite Meer gemacht, es wird vielmehr der Akkord erhöht, der Lohn gekürzt, sonst bauen es die Usbeken, die sind kein so faules Pack - und an Bord darf auch nicht jeder. Dabei ist so ein unparteiischer Konvent in einer bewundernswerten Lage, keiner erwartet etwas, alles kann gedacht werden. Warum die Empfehlungen oder Anmerkungen dann aber wieder so engherzig, so wenig inspirierend und durch und durch uncharmant ausfallen, ist schon seltsam. Warum können Herzog, Clement und Co. nicht etwas zwischen einer "Föderalismusreform Zwei" und der "Weltregierung" fordern, also etwa weniger Bundesländer oder ein nationales Innovationsprogramm, wie es die Chinesen bereits in den achtziger Jahren unter Deng aufgelegt haben?
Im Buch finden sich aber nur solche Ideen, die in Handelskammerversammlungen und bei Rotariern beklatscht werden. Das untere Drittel der Bevölkerung ist abermals bloß Objekt von Politik und Adressat von Tipps - Pünktlichkeit empfiehlt Jutta Limbach -, wird aber nicht gefragt, es wird überhaupt kein Projekt benannt, für das sich die Bürger zu mobilisieren hätten, die Dynamik der Wirtschaft ist auch für den Konvent das alleinige Kriterium für den Erfolg der Republik. Wir stehen aber längst vor einer ganz anderen Situation, dass nämlich wirtschaftlicher Erfolg nicht mehr mit mehr Beschäftigung einhergeht, dass, anders gesagt, das Abkoppeln von Menschen aus der Arbeitswelt und der Gesellschaft voranschreitet, selbst wenn die Wirtschaft wächst. Hierzu aber hat der Konvent keine Vorschläge.
Parteien, Berufspolitiker und Bürokraten bekommen hier originellerweise ihr Fett weg - aber ist die Kombination aus charismatischem Leader, parlamentarischer, medialer und administrativer Willfährigkeit, die wir, mit je graduellen Abstufungen, bei Berlusconi, Sarkozy und Putin beobachten können, wirklich der etwas drögen, sicher umständlichen, aber insgesamt durchaus funktionierenden großen Koalition vorzuziehen?
Linde-Manager Wolfgang Reitzle sagt zwar in seinem Interview, gerade die weichen Qualitäten Deutschlands, die Sicherheit, die guten Straßen und die öffentlich geförderte Kultur seien wahre Pluspunkte, und er freue sich, schon aus der Luft aufs wohlgeordnete Land zu sehen, doch von solchen positiven, ermutigenden Beschreibungen finden sich in dem Buch zu wenige.
Denn es stimmt: Gäste aus den Vereinigten Staaten, Brasilien oder Indien staunen nicht über die Glastürme der Geschäftsviertel, die gibt es überall, sondern über ein kommunales Freibad, in dem sich Reiche und Arme, Urdeutsche und Migranten miteinander vergnügen, ohne dass bewaffnete Sicherheitsleute zu sehen wären. Die Besonderheit der deutschen Biederkeit, die zum großen Teil auf unmodernen Dingen wie dem öffentlichen Dienst, dem TÜV und der kommunalen Abgabenordnung basiert, wird hier nicht gelobt, sondern eher abschätzig angeführt.
Dafür darf Weltexperte Hans-Olaf Henkel klarmachen, dass die Türkei zwar in die EU gehört, für "den Islam" sehe er im Zeitalter der Globalisierung aber "keine Lösung". Eine echte Casino-Bemerkung alten Stils, eine Milliarde Muslime werden sie mit Interesse hören und den Flug zum Mond buchen. Ihr Pech, dass sie nicht Hans-Olaf Henkel sind.
Der Konvent liebt die schnelle Assoziation mehr als das innovative riskante Denken oder auch nur die Neugier. Nein, Bürokratie ist immer ineffizient, Deutsche sind gründlich, Leistung lohnt sich nicht, früher waren die Schulen besser, die Achtundsechziger sind Schluffis, aber paradoxerweise an der Macht, die Medien verwirren mit Halbwissen, und mit dem Patriotismus ist es auch nicht weit her.
Es ist eine opake und ewig gültige Rede, die mit der Vielfalt und den neuartigen Problemen des Landes nichts zu tun hat; dazu ist die Besetzung des Konvents zu homogen. Zwar sollten alle Parteien vertreten sein, unterdessen ist aber aus dem Grünen-Vertreter Oswald Metzger ein Unionsmann geworden, und die Sozialdemokratie hadert doch schwer mit ihrem Clement. Die Sache sollte sich öffnen: Wenn schon nicht Charlotte Roche, Daniel Kehlmann oder Hape Kerkeling - wenigstens ein Karl Lagerfeld, ein Wolf Singer oder Günther Jauch sollten da mitreden.
Das Land ist viel weiter und zum Glück auch spannender als diese Reflexion darüber. Jugendliche, die auf eBay mit den von chinesischen Gamern errungenen Punkten für "World of Warcraft" handeln, die auf Youtube ihre Brickfilme vergleichen und aufwendige Kurzfilme in ihre Blogs stellen, werden Belehrungen, dass sie ja pünktlich und sauber beim Meister erscheinen müssen, sonst wird es nichts mit der Lebenszeitstelle bei Daimler, nur noch als kultige Schrulle zu schätzen wissen.
NILS MINKMAR
Roman Herzog et al.: "Mut zum Handeln. Wie Deutschland wieder reformfähig wird". Campus-Verlag, 624 Seiten, 39,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.05.2008Weckruf auf 624 Seiten
Der „Konvent für Deutschland” legt ein Buch vor, das mehr Mut zu Reformen fordert
Berlin – Jürgen Großmann, der mächtig wirkende Vorstandsvorsitzende des Energiekonzerns RWE, bemüht den Schriftsteller Franz Kafka, um sein Anliegen zu erläutern. Ein Buch, sagt er, sei „die Axt für das gefrorene Meer in uns”. Und deshalb hat er sich an einem Buchprojekt beteiligt, das er in halbstündiger, gut vorbereiteter Rede erläutert. „Wir Stromer wissen”, sagt er selbstbewusst, „wovon wir reden”. Entsprechend einschüchternd klingt sein Fazit: „Wir brauchen in Deutschland eine Revolution.”
So weit will der Verein „Konvent für Deutschland”, dem Alt-Bundespräsident Roman Herzog vorsitzt, dann doch nicht gehen. „Wir gehen den Weg der stillen Einflussnahme”, formuliert Herzog das Anliegen des Konvents , der das vom Campus-Verlag vorgelegte Buch „Mut zum Handeln” (Untertitel: „Wie Deutschland wieder reformfähig wird”) als ein „Arsenal von Ideen, Vorschlägen, Vermutungen und Arbeitshypothesen” verstanden wissen will. Und da ist auf insgesamt 624 Seiten einiges zusammengekommen.
Elf Jahre nach seiner Ruck-Rede beklagt Herzog noch immer den mangelnden Reformwillen im Land. Deshalb hat er in- und ausländische Journalisten gebeten, mit Wirtschaftsführern und Politikern über mögliche und notwendige Reformen in Deutschland zu reden, darunter Vorstandschefs wie Jürgen Großmann, Wilhelm Bender und Wolfgang Reitzle, Banker wie Josef Ackermann, Wirtschafts-Lobbyisten wie Hans-Olaf Henkel und Roland Berger oder auch Sozialdemokraten wie Wolfgang Clement und Klaus von Dohnanyi, die zwar reformwillig, aber inzwischen ohne politisches Amt sind. Sie alle und viele andere mehr bilden den „Konvent für Deutschland”, der die Zukunft Deutschlands in einer globalisierten Wirtschaft meistern und dabei drei Grundsätze nicht verletzen will: die Gesetze der Sozialen Marktwirtschaft, die Grundregeln der Demokratie und die Achtung der Menschenrechte.
Der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel fordert auf dem Podium eine „Reform der Reformfähigkeit”, was so viel heißen soll wie: Am besten wäre es, wenn in Deutschland nur noch alle fünf Jahre gewählt würde. Am besten sollte man auch alle Wahlen, egal ob auf Landes- oder Bundesebene, auf den gleichen Wahltermin legen. Das schaffe der Politik den nötigen Spielraum zum Handeln.
Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement bezeichnete das Buch als „eine Art Weckruf”, um Deutschland aus der Reformstarre zu befreien. Erst wenn Deutschland wieder auf Reformfähigkeit eingestellt sei, werde die Tugend Mut wiederbelebt. Der Sozialdemokrat, der kürzlich einem Parteiausschluss nur knapp entging, beklagt eine „Gesetzesflut im Übermaß” und fordert, die Eigeninitiative der Bürger zu fördern. Außerdem bekennt er sich in seinem Buch-Beitrag als Anhänger des Mehrheitswahlrechts, weil er glaubt, dass Dreier-Koalitionen, wie sie sich jetzt in den Ländern bilden, die Regierungsfähigkeit nicht erhöhen werden. „Große Parteien”, so Clements Prognose,„werden immer dürftiger als reicher.”
Alt-Bundespräsident Herzog sagt schließlich auf die Frage, wie denn das Volk für die Konvent-Ideen begeistert werden könne: „Das Volk folgt. Das sagt ja schon der Name”, um sich gleich daraufzu korrigieren: „Das Volk folgt natürlich nicht.” Vielleicht hilft die Lektüre des Buches zu mehr Einsicht. SZ
Mehr Reformen: Roman Herzog (links) und Wolfgang Clement glauben, dass Deutschland besser dastehen könnte im globalisierten Wettbewerb. action press
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Der „Konvent für Deutschland” legt ein Buch vor, das mehr Mut zu Reformen fordert
Berlin – Jürgen Großmann, der mächtig wirkende Vorstandsvorsitzende des Energiekonzerns RWE, bemüht den Schriftsteller Franz Kafka, um sein Anliegen zu erläutern. Ein Buch, sagt er, sei „die Axt für das gefrorene Meer in uns”. Und deshalb hat er sich an einem Buchprojekt beteiligt, das er in halbstündiger, gut vorbereiteter Rede erläutert. „Wir Stromer wissen”, sagt er selbstbewusst, „wovon wir reden”. Entsprechend einschüchternd klingt sein Fazit: „Wir brauchen in Deutschland eine Revolution.”
So weit will der Verein „Konvent für Deutschland”, dem Alt-Bundespräsident Roman Herzog vorsitzt, dann doch nicht gehen. „Wir gehen den Weg der stillen Einflussnahme”, formuliert Herzog das Anliegen des Konvents , der das vom Campus-Verlag vorgelegte Buch „Mut zum Handeln” (Untertitel: „Wie Deutschland wieder reformfähig wird”) als ein „Arsenal von Ideen, Vorschlägen, Vermutungen und Arbeitshypothesen” verstanden wissen will. Und da ist auf insgesamt 624 Seiten einiges zusammengekommen.
Elf Jahre nach seiner Ruck-Rede beklagt Herzog noch immer den mangelnden Reformwillen im Land. Deshalb hat er in- und ausländische Journalisten gebeten, mit Wirtschaftsführern und Politikern über mögliche und notwendige Reformen in Deutschland zu reden, darunter Vorstandschefs wie Jürgen Großmann, Wilhelm Bender und Wolfgang Reitzle, Banker wie Josef Ackermann, Wirtschafts-Lobbyisten wie Hans-Olaf Henkel und Roland Berger oder auch Sozialdemokraten wie Wolfgang Clement und Klaus von Dohnanyi, die zwar reformwillig, aber inzwischen ohne politisches Amt sind. Sie alle und viele andere mehr bilden den „Konvent für Deutschland”, der die Zukunft Deutschlands in einer globalisierten Wirtschaft meistern und dabei drei Grundsätze nicht verletzen will: die Gesetze der Sozialen Marktwirtschaft, die Grundregeln der Demokratie und die Achtung der Menschenrechte.
Der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel fordert auf dem Podium eine „Reform der Reformfähigkeit”, was so viel heißen soll wie: Am besten wäre es, wenn in Deutschland nur noch alle fünf Jahre gewählt würde. Am besten sollte man auch alle Wahlen, egal ob auf Landes- oder Bundesebene, auf den gleichen Wahltermin legen. Das schaffe der Politik den nötigen Spielraum zum Handeln.
Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement bezeichnete das Buch als „eine Art Weckruf”, um Deutschland aus der Reformstarre zu befreien. Erst wenn Deutschland wieder auf Reformfähigkeit eingestellt sei, werde die Tugend Mut wiederbelebt. Der Sozialdemokrat, der kürzlich einem Parteiausschluss nur knapp entging, beklagt eine „Gesetzesflut im Übermaß” und fordert, die Eigeninitiative der Bürger zu fördern. Außerdem bekennt er sich in seinem Buch-Beitrag als Anhänger des Mehrheitswahlrechts, weil er glaubt, dass Dreier-Koalitionen, wie sie sich jetzt in den Ländern bilden, die Regierungsfähigkeit nicht erhöhen werden. „Große Parteien”, so Clements Prognose,„werden immer dürftiger als reicher.”
Alt-Bundespräsident Herzog sagt schließlich auf die Frage, wie denn das Volk für die Konvent-Ideen begeistert werden könne: „Das Volk folgt. Das sagt ja schon der Name”, um sich gleich daraufzu korrigieren: „Das Volk folgt natürlich nicht.” Vielleicht hilft die Lektüre des Buches zu mehr Einsicht. SZ
Mehr Reformen: Roman Herzog (links) und Wolfgang Clement glauben, dass Deutschland besser dastehen könnte im globalisierten Wettbewerb. action press
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Ralph Bollmann ist fassungslos. Was bilden sich Roman Herzog und Wolfgang Clement eigentlich ein, scheint er sich zu fragen. Bei der Vorstellung des Interviewbandes verkündeten sie frohgemut, noch nicht alles von dem gelesen zu haben, was sie da gerade vorstellten. Bollmann findet dieses demonstrative Desinteresse einerseits unverschämt, kann es andererseits aber auch fast schon wieder nachvollziehen. Denn der sechshundert Seiten starke Band sei von einer "kaum fassbaren Trostlosigkeit". Zur Reform rufen nämlich fast nur Männer auf, Politiker und Wirtschaftsführer allesamt, ein Engländer, ein Amerikaner, sonst nur Deutsche ohne Migrationshintergrund. Wo bleibt das neue Deutschland, fragt sich Bollmann und erklärt Herzog, Clement und Konsorten zum Teil des Problems. Ihre Reformrhetorik sei nur noch eine leere Hülle und gehe an den Realitäten im Land schon lange vorbei.
© Perlentaucher Medien GmbH
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