Über Manipulation von Erinnerung und die Suche nach der Wahrheit - ein fesselnder Techno-Thriller von Tobias Elsäßer, dem Autor von "Play"
Wer bist du, wenn du deiner Erinnerung nicht trauen kannst? Die 16-jährige Espe zieht mit ihren Adoptiveltern und den drei Geschwistern von der Großstadt aufs Land. Doch die Familie findet hier weder Ruhe noch Idylle. Aus heiterem Himmel werden die Eltern verhaftet. Für die vier Jugendlichen beginnt ein Albtraum: Man bringt sie an einen geheimen Ort, wo Polizei und Psycholog:innen sie befragen. Keiner will ihnen sagen, was ihren Eltern vorgeworfen wird. Und warum fühlen sich ihre Erinnerungen plötzlich so unecht an? Auf eigene Faust beginnt Espe, Nachforschungen anzustellen, und kommt einem Geheimnis auf die Spur, das alles infrage stellt, was sie bisher über ihre Eltern und sich selbst zu wissen geglaubt hat. Ein tiefgründiger Psychothriller und eine intensive Familiengeschichte.
Wer bist du, wenn du deiner Erinnerung nicht trauen kannst? Die 16-jährige Espe zieht mit ihren Adoptiveltern und den drei Geschwistern von der Großstadt aufs Land. Doch die Familie findet hier weder Ruhe noch Idylle. Aus heiterem Himmel werden die Eltern verhaftet. Für die vier Jugendlichen beginnt ein Albtraum: Man bringt sie an einen geheimen Ort, wo Polizei und Psycholog:innen sie befragen. Keiner will ihnen sagen, was ihren Eltern vorgeworfen wird. Und warum fühlen sich ihre Erinnerungen plötzlich so unecht an? Auf eigene Faust beginnt Espe, Nachforschungen anzustellen, und kommt einem Geheimnis auf die Spur, das alles infrage stellt, was sie bisher über ihre Eltern und sich selbst zu wissen geglaubt hat. Ein tiefgründiger Psychothriller und eine intensive Familiengeschichte.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein lesenswertes Jugendbuch zum Thema Identität, vor allem in Verbindung mit Adoption, legt Tobias Elsäßer hier laut Rezensentin Rosalyn Kleutgens vor. Außerdem geht es um unzuverlässige Erinnerungen, und zwar die der sechzehnjährigen Espe, die ein Adoptivkind ist. Die Hauptfigur wird, fährt die Handlungsrekonstruktion fort, aufgrund psychischer Probleme hospitalisiert, die Handlung entfaltet sich in Rückblenden, die mit Espes Leben vor der Adoption, aber auch mit anderen Mitgliedern ihrer Familie zu tun haben. Neben Identitätsfragen behandelt das Buch Kleutgens zufolge eine Reihe weiterer aktueller Themen, wie etwa Spiritualität, und zeichnet gleichzeitig ein authentisches Bild jugendlichen Gefühlslebens. Dass neben Espes auch die Perspektiven ihrer Geschwister in dem Buch aufgegriffen werden, trägt ebenfalls zum Reiz des Buches bei, so die insgesamt angetane Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2024Das zweite Leben
Tobias Elsäßer sucht nach Systemsprengern
Was macht es mit einem Menschen, wenn er seinen Erinnerungen nicht trauen kann? Eine beängstigende Frage und zugleich ein interessantes Gedankenspiel. Aus dieser Überlegung entstand der neue Jugendroman von Tobias Elsäßer: "Mute - Wer bist du ohne Erinnerung?"
Die sechzehnjährige Espe zieht mit ihren Adoptiveltern und ihren Adoptivgeschwistern nach St. Engbert in den Schwarzwald. Auf den letzten Kilometern hat die Familie einen Autounfall, während des Unglücks sieht Espe Bilder vor ihrem inneren Auge vorbeiziehen, die sie nicht zuordnen kann und empfindet Gefühle, die nicht ihre sind. Als wenige Monate später Vater und Mutter mitten in der Nacht von der Polizei abgeführt werden, fängt Espe an, alles zu hinterfragen. Zudem hat sie keine eigene Erinnerung an ihr "zweites Leben", das vor ihrer Adoption, so wie auch ihre Schwester Yuma und ihr kleiner Bruder Farid. Sina, die jüngste Tochter von Erik und Sibel Simwe ist als Einzige deren leibliches Kind.
Der Aufbau des Buches verspricht Spannung. Das Geschehen wird aus der Retrospektive von Espe wiedergegeben. Diese bricht im Februar 2024 zusammen, weshalb sie in die Psychiatrie eingeliefert wird. Auf Anweisung der Ärzte fängt sie dort an, alles Vergangene aufzuschreiben. So wechseln sich Tagebucheinträge aus der Gegenwart und Passagen, die die vorherige Tragödie schildern, ab. Zusätzlich sind die Kapitel unterbrochen durch Abschnitte einer Reportage mit dem Titel: "Ein Dorf sucht die Wahrheit", verfasst von der Journalistin Caroline Marquart im Zuge der Gerichtsverhandlung zu diesem Fall. Dabei werden Bezugspersonen der Familie Simwe interviewt und um Stellungnahme gebeten, etwa zu der Vergangenheit von Erik und Sibel, die Ärzte und Wissenschaftler sind und früher viel zum Thema Epigenetik geforscht haben. Momentan steht Erik mit seinem Projekt "Soulmate" kurz vor dem Durchbruch - eine Software, "um den Alltag besser zu bewältigen" und "unser Gehirn aufnahmefähig zu halten und Kapazitäten freizuschalten".
Der Jugendschriftsteller und Musiker Elsäßer, geboren 1973 in Stuttgart, nannte in einem Interview Jugendliche "kritischer als Erwachsene", weil sie noch nicht Teil des "Systems" seien. Diese Überzeugung zeigt sich auch in seinem neuen Roman. Durch die jugendliche Perspektive gelingt es ihm, wichtige Themen unkonventionell zu beleuchten. Vor allem das Thema Identität, bezogen auf den Bereich der Adoption, wird sehr authentisch durch die Erzählerin Espe behandelt: "Für Minuten lebe ich in diesem Dazwischen, war eine seelenlose Gestalt, eine Zeichnung auf dem Papier, die man ohne Aufgabe, ohne Geschichte zurückgelassen hat."
Aber auch andere aktuell diskutierte Themen wie die psychische Erkrankung in jungen Jahren oder die Sehnsucht nach Spiritualität spiegeln sich im Roman, der dafür geschickt die jeweils unterschiedlich veranlagten Hauptfiguren einsetzt. Espe, die als unnahbar, nett und zuvorkommend erscheint und auf ihre Geschwister einen geradezu "mütterlichen Blick" richtet, hat es dabei mit der rebellischen Yuma zu tun, außerdem mit Farid, dem Bootsflüchtling, dessen Traum es ist, professioneller Balletttänzer zu werden, und schließlich mit Sina, dem "Nesthäkchen", das sich für das Tierwohl und die Umwelt einsetzt.
Indem diese Figuren in ihrer Individualität glaubwürdig bleiben, beweist Elsäßer nicht nur seine Vertrautheit mit der Zielgruppe seiner Bücher. Vor allem eröffnet er seinen Lesern einen Blick in die komplexe Situation derjenigen, die sich durch eine Adoption mit der Frage nach ihrer Herkunft auseinandersetzen müssen. ROSALYN KLEUTGENS
Tobias Elsäßer: "Mute - Wer bist du ohne Erinnerungen?" Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2024. 299 S., geb.,17,- Euro. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tobias Elsäßer sucht nach Systemsprengern
Was macht es mit einem Menschen, wenn er seinen Erinnerungen nicht trauen kann? Eine beängstigende Frage und zugleich ein interessantes Gedankenspiel. Aus dieser Überlegung entstand der neue Jugendroman von Tobias Elsäßer: "Mute - Wer bist du ohne Erinnerung?"
Die sechzehnjährige Espe zieht mit ihren Adoptiveltern und ihren Adoptivgeschwistern nach St. Engbert in den Schwarzwald. Auf den letzten Kilometern hat die Familie einen Autounfall, während des Unglücks sieht Espe Bilder vor ihrem inneren Auge vorbeiziehen, die sie nicht zuordnen kann und empfindet Gefühle, die nicht ihre sind. Als wenige Monate später Vater und Mutter mitten in der Nacht von der Polizei abgeführt werden, fängt Espe an, alles zu hinterfragen. Zudem hat sie keine eigene Erinnerung an ihr "zweites Leben", das vor ihrer Adoption, so wie auch ihre Schwester Yuma und ihr kleiner Bruder Farid. Sina, die jüngste Tochter von Erik und Sibel Simwe ist als Einzige deren leibliches Kind.
Der Aufbau des Buches verspricht Spannung. Das Geschehen wird aus der Retrospektive von Espe wiedergegeben. Diese bricht im Februar 2024 zusammen, weshalb sie in die Psychiatrie eingeliefert wird. Auf Anweisung der Ärzte fängt sie dort an, alles Vergangene aufzuschreiben. So wechseln sich Tagebucheinträge aus der Gegenwart und Passagen, die die vorherige Tragödie schildern, ab. Zusätzlich sind die Kapitel unterbrochen durch Abschnitte einer Reportage mit dem Titel: "Ein Dorf sucht die Wahrheit", verfasst von der Journalistin Caroline Marquart im Zuge der Gerichtsverhandlung zu diesem Fall. Dabei werden Bezugspersonen der Familie Simwe interviewt und um Stellungnahme gebeten, etwa zu der Vergangenheit von Erik und Sibel, die Ärzte und Wissenschaftler sind und früher viel zum Thema Epigenetik geforscht haben. Momentan steht Erik mit seinem Projekt "Soulmate" kurz vor dem Durchbruch - eine Software, "um den Alltag besser zu bewältigen" und "unser Gehirn aufnahmefähig zu halten und Kapazitäten freizuschalten".
Der Jugendschriftsteller und Musiker Elsäßer, geboren 1973 in Stuttgart, nannte in einem Interview Jugendliche "kritischer als Erwachsene", weil sie noch nicht Teil des "Systems" seien. Diese Überzeugung zeigt sich auch in seinem neuen Roman. Durch die jugendliche Perspektive gelingt es ihm, wichtige Themen unkonventionell zu beleuchten. Vor allem das Thema Identität, bezogen auf den Bereich der Adoption, wird sehr authentisch durch die Erzählerin Espe behandelt: "Für Minuten lebe ich in diesem Dazwischen, war eine seelenlose Gestalt, eine Zeichnung auf dem Papier, die man ohne Aufgabe, ohne Geschichte zurückgelassen hat."
Aber auch andere aktuell diskutierte Themen wie die psychische Erkrankung in jungen Jahren oder die Sehnsucht nach Spiritualität spiegeln sich im Roman, der dafür geschickt die jeweils unterschiedlich veranlagten Hauptfiguren einsetzt. Espe, die als unnahbar, nett und zuvorkommend erscheint und auf ihre Geschwister einen geradezu "mütterlichen Blick" richtet, hat es dabei mit der rebellischen Yuma zu tun, außerdem mit Farid, dem Bootsflüchtling, dessen Traum es ist, professioneller Balletttänzer zu werden, und schließlich mit Sina, dem "Nesthäkchen", das sich für das Tierwohl und die Umwelt einsetzt.
Indem diese Figuren in ihrer Individualität glaubwürdig bleiben, beweist Elsäßer nicht nur seine Vertrautheit mit der Zielgruppe seiner Bücher. Vor allem eröffnet er seinen Lesern einen Blick in die komplexe Situation derjenigen, die sich durch eine Adoption mit der Frage nach ihrer Herkunft auseinandersetzen müssen. ROSALYN KLEUTGENS
Tobias Elsäßer: "Mute - Wer bist du ohne Erinnerungen?" Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2024. 299 S., geb.,17,- Euro. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Eine berührende und spannende Lektüre, nicht nur für Freundinnen und Freunde des Thriller-Genres." Karin Haller, ORF1, 23.06.2024
"Ein Crime höchster Qualität. ... Ein außergewöhnlich inhaltsreiches Buch, das beim Lesen viel Konzentration beansprucht. Sechs Protagonist:innen, viele Zeit- und Ortssprünge, die Journalistin und intensive Abhandlungen über Wissenschaft, Kunst und Spiritualität - das ist herausfordernd, lohnt sich aber mit jedem Kapitel." Andrea Schnepf, Buchkultur. Das internationale Buchmagazin, Juni 2024
"Der Aufbau des Buches verspricht Spannung. ... Der Jugendschriftsteller und Musiker Elsäßer nannte in einem Interview Jugendliche 'kritischer als Erwachsene', weil sie noch nicht Teil des 'Systems' seien. Diese Überzeugung zeigt sich auch in seinem neuen Roman. Durch die jugendliche Perspektive gelingt es ihm, wichtige Themen unkonventionell zu beleuchten. Vor allem das Thema Identität, bezogen auf den Bereich der Adoption, wird sehr authentisch behandelt. ... Aber auch andere aktuell diskutierte Themen wie die psychische Erkrankung in jungen Jahren oder die Sehnsucht nach Spiritualität spiegeln sich im Roman, der dafür geschickt die jeweils unterschiedlich veranlagten Hauptfiguren einsetzt. ... Indem diese Figuren in ihrer Individualität glaubwürdig bleiben, beweist Elsäßer nicht nur seine Vertrautheit mit der Zielgruppe seiner Bücher. Vor allem eröffnet er seinen Lesern einen Blick in die komplexe Situation derjenigen, die sich durch eine Adoption mit der Frage nach ihrer Herkunft auseinandersetzen müssen." Rosalyn Kleutgens, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.05.2024
"Das Buch kann als eine Art Science Fiction bezeichnet werden, aber es ist gleichermaßen die berührende Geschichte einer (vermeintlichen) Vorzeigefamilie, die im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht brutal auseinandergerissen wird. Zudem hinterfragt das Buch die Bedeutung und Verlässlichkeit einschneidender Erinnerungen und zeigt die möglichen Folgen auf, die bei einer Verdrängung oder einer kompletten Auslöschung der eigenen Vorgeschichte auftreten können. ... Eine hochspannende Lektüre ist auf jeden Fall garantiert für Leserinnen und Leser ab etwa 14 Jahren." Gerd Klingeberg, AJuM. Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW, 20.03.2024
"Ein Crime höchster Qualität. ... Ein außergewöhnlich inhaltsreiches Buch, das beim Lesen viel Konzentration beansprucht. Sechs Protagonist:innen, viele Zeit- und Ortssprünge, die Journalistin und intensive Abhandlungen über Wissenschaft, Kunst und Spiritualität - das ist herausfordernd, lohnt sich aber mit jedem Kapitel." Andrea Schnepf, Buchkultur. Das internationale Buchmagazin, Juni 2024
"Der Aufbau des Buches verspricht Spannung. ... Der Jugendschriftsteller und Musiker Elsäßer nannte in einem Interview Jugendliche 'kritischer als Erwachsene', weil sie noch nicht Teil des 'Systems' seien. Diese Überzeugung zeigt sich auch in seinem neuen Roman. Durch die jugendliche Perspektive gelingt es ihm, wichtige Themen unkonventionell zu beleuchten. Vor allem das Thema Identität, bezogen auf den Bereich der Adoption, wird sehr authentisch behandelt. ... Aber auch andere aktuell diskutierte Themen wie die psychische Erkrankung in jungen Jahren oder die Sehnsucht nach Spiritualität spiegeln sich im Roman, der dafür geschickt die jeweils unterschiedlich veranlagten Hauptfiguren einsetzt. ... Indem diese Figuren in ihrer Individualität glaubwürdig bleiben, beweist Elsäßer nicht nur seine Vertrautheit mit der Zielgruppe seiner Bücher. Vor allem eröffnet er seinen Lesern einen Blick in die komplexe Situation derjenigen, die sich durch eine Adoption mit der Frage nach ihrer Herkunft auseinandersetzen müssen." Rosalyn Kleutgens, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.05.2024
"Das Buch kann als eine Art Science Fiction bezeichnet werden, aber es ist gleichermaßen die berührende Geschichte einer (vermeintlichen) Vorzeigefamilie, die im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht brutal auseinandergerissen wird. Zudem hinterfragt das Buch die Bedeutung und Verlässlichkeit einschneidender Erinnerungen und zeigt die möglichen Folgen auf, die bei einer Verdrängung oder einer kompletten Auslöschung der eigenen Vorgeschichte auftreten können. ... Eine hochspannende Lektüre ist auf jeden Fall garantiert für Leserinnen und Leser ab etwa 14 Jahren." Gerd Klingeberg, AJuM. Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW, 20.03.2024