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"Mutter mochte Himmler nie" ist kein weiteres Buch über die Nazi-Prominenz und ihre Nachfahren. Es ist auch keine große Geste der Abrechnung mit den Vätern. Susanne Klockmann erzählt die Geschichte einer SS-Familie aus dem Blick der 1933 geborenen Tochter: Ingeburg Schäfers Eltern empfanden den Nationalsozialismus als den Höhepunkt ihres Lebens. Nach 1945 war für die Eltern war eine Welt zusammengebrochen, der Vater mußte sich zunächst verstecken. Irgendwann wußten die Kinder um seine Geschichte. Sie spürten, daß es besser war, an diesen Dingen nicht zu rühren. Fast ein halbes Jahrhundert…mehr

Produktbeschreibung
"Mutter mochte Himmler nie" ist kein weiteres Buch über die Nazi-Prominenz und ihre Nachfahren. Es ist auch keine große Geste der Abrechnung mit den Vätern. Susanne Klockmann erzählt die Geschichte einer SS-Familie aus dem Blick der 1933 geborenen Tochter: Ingeburg Schäfers Eltern empfanden den Nationalsozialismus als den Höhepunkt ihres Lebens. Nach 1945 war für die Eltern war eine Welt zusammengebrochen, der Vater mußte sich zunächst verstecken. Irgendwann wußten die Kinder um seine Geschichte. Sie spürten, daß es besser war, an diesen Dingen nicht zu rühren. Fast ein halbes Jahrhundert später fanden Ingeburg Schäfer und ihre Schwester durch Zufall Briefe, Akten, und Gedichte, in denen zu lesen war, was die Eltern gedacht und worüber sie sich mit der Familie ausgetauscht hatten. In den Text, der aus der Perspektive der Tochter erzählt ist, sind diese authentischen Dokumente eingewoben. So entsteht eine private Innenansicht des Nationalsozialismus; das Familienleben ist bis ins kleinste hinein durchdrungen von den politischen Ereignissen. Hier stellt sich eine Frau mit viel Mut der Geschichte ihrer Familie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.1999

Wildgänse rauschten durch die Nacht
Familiengeschichte einer Nachgeborenen

Ingeburg Schäfer, Susanne Klockmann: Mutter mochte Himmler nie. Die Geschichte einer SS-Familie. Rowohlt Verlag, Reinbek, 1999. 222 Seiten, Abbildungen, 36,- Mark.

"Die Geschichte einer SS-Familie", so heißt im Untertitel das Buch von Ingeburg Schäfer und Susanne Klockmann; ein Gemeinschaftswerk, wofür Ingeburg Schäfer eigene Erinnerungen und Erinnerungen ihres Vaters beigetragen hat; Susanne Klockmann übernahm das Zusammenstellen und Aufschreiben. Eine "SS-Familie"? Freilich: den SS-Mann Johannes Jäger hat es gegeben. Dessen Gattin: eine "SS-Ehefrau"? Das Kind Ingeburg und die Geschwister: "SS-Kinder"? Die Idee von der Familie Jäger als einer "SS-Familie" erscheint absurd.

Der Leser gewinnt allerdings einen umfassenden Eindruck vom Familienleben der Jägers. Es ist mit seinen kleinen und großen Alltagssorgen so normal wie jedes andere auch. Mutter Jäger rackert sich für Ehemann und Kinder ab und reibt sich auf. Sie stellt sich sogar ein wenig dumm, damit Vater Jäger sich überlegen fühlt. Sie lügt für die ganze Familie, wenn Vater Jäger das für die eigene Sicherheit braucht.

Vater Jäger hat in seinen schriftlichen Aufzeichnungen, die er seinen Kindern als "Hilfsmittel für die Meisterung ihres Lebens in die Hand zu geben" sich angelegen sein ließ, Interessantes aus seiner Dienstzeit zu berichten. Als Chef der Danziger Polizei organisiert er ein "Sportfest", damit SS-Männer, als harmlose Sportler verkleidet, unbemerkt über die polnische Grenze kommen können. In Danzig stehen die "Sportler" dann Gewehr bei Fuß. So, mit Jägers tatkräftiger Unterstützung, nimmt der Zweite Weltkrieg seinen Lauf. Jäger ist nicht wenig stolz darauf, daß er dank seines organisatorischen Geschicks vor Führer, Volk und Vaterland glänzen darf.

Blechtrommel

Blechtrommel-Leser wissen, daß im Kampf um Danzig die polnische Post eine besondere Rolle spielt. "Die hatten Flammenwerfer eingesetzt", schreibt Günter Grass in seinem Buch. - "Aber die hatten wir nicht", schreibt Jäger in seinen Erinnerungen. Als Insider weiß Jäger es besser: "Ein Tankwagen mit Benzin wurde herangeführt, und die Feuerlöschpolizei mußte sich als Brandstifter betätigen. Unter dem Schutz eines Straßen-Panzerwagens . . . wurde eine Schlauchleitung an das Gebäude herangeführt und Benzin in den Keller gespritzt. Ein danach geworfener Termitbrandsatz hüllte das Gebäude in eine haushohe Stichflamme und riesige Rauchschwaden." So und nicht anders wurde die polnische Post gestürmt.

Mit Jägers Glaubwürdigkeit beim Thema "Reichskristallnacht" in Danzig ist es allerdings nicht weit her. "Die sogenannte Kristallnacht fand in Danzig keinen Widerhall", erinnert er sich. Als oberster Polizeioffizier hätte er es besser wissen müssen; denn die "Reichskristallnacht" dauerte in Danzig vom 10. bis 15. November 1938.

Jäger wußte viel über die Verbrechen im Namen Deutschlands. Er war Zeuge einer Exekution durch deutsche Soldaten der SS-Reiterbrigade "Fegelein"; er hörte noch, wie einer der unschuldigen armen Todeskandidaten, kurz bevor die Schüsse fielen, laut rief: "Herr Offizier, lassen Sie noch ein Wort reden mit sich." Der Offizier ließ nicht mehr mit sich reden.

Als Jäger, inzwischen zum SS-Brigadeführer (Generalmajor) befördert, im Herbst 1939 in Lodz Polizeipräsident wird, ordnet er den Umzug der Juden ins Ghetto persönlich an. "Jeder Widerstand oder Fluchtversuch hat sofortigen Waffengebrauch zur Folge." Jäger erinnert sich später so: "Zu dieser Zeit war von einer völligen Vernichtung der Juden nirgends die Rede."

Was Jäger nicht erinnert, welche Lücken in seinem Gedächtnis stecken, das werden die Tochter Ingeburg und die Leser nicht mehr erfahren. Der Stil seiner Erinnerungsrede läßt aber den Schluß zu, daß er nicht alles sagt, was er weiß, ja, daß er lügt, um Unangenehmes fernzuhalten oder in einem Licht zu schildern, dessen Glanz auch auf ihn fällt. Er möchte ganz und gar derjenige gewesen sein, der sein Leben einer richtigen Sache weihte. Dabei war er als überzeugter Nationalsozialist nicht nur Jasager; er machte den Mund auf und kritisierte vorgesetzte Parteigenossen. Weil er mit so einem aneinandergeriet, bekam er 1943 ein Polizei- und SS-Gerichtsverfahren an den Hals und wurde als SS-Angehöriger zur Wehrmacht versetzt, wo er Feldwebeldienst tun mußte. Seine Frau kommentiert das in einem Brief an ihren Vater, Pastor Krieger in Eschfeld, so: "Endlich ist das schon erwartete Ereignis eingetreten, Hannes ist bei den Soldaten." Wohlgemerkt: Sie unterscheidet zwischen "Soldaten" und "SS-Angehörigen".

Zu den Soldaten wollte Jäger schon immer. Die SS war eigentlich nicht sein Berufsziel gewesen. "Wehrhaftigkeit", "Wehrertüchtigung", "Gehorsam und Pflichterfüllung" waren Stichworte, die Jägers Erziehung von Jugend an begleiteten. Das Trauma "Versailles" saß tief. Der Traum von "nordischer Rasse", von "Ordensburg" und "Saga" sollte das Trauma überwinden. Der junge Mann Jäger ließ sich von den Nationalsozialisten ergreifen wie viele andere. Jugendbewegt sang er mit. Wildgänse rauschten durch die Nacht. Auch seine spätere Frau wuchs mit solchen Stichworten, Träumen und Gesängen auf. Da hatten sich also zwei gefunden.

Jäger hatte die Offiziersausbildung in der Reichswehr auf Verlangen seines Vaters abbrechen müssen; deswegen konnte er später in der Wehrmacht nicht Offizier werden. Die SS nahm ihn jedoch auf, weil solche Formsachen da nicht zählten. Die SS hatte ihre eigene Ausbildungsstätte in Dachau, wo Jäger sehr gut abschnitt. Daß es für die Wehrmacht nicht gereicht hatte, muß ihn schwer gekränkt haben.

Anständig bleiben

Hatte diese persönliche Niederlage ihn traumatisiert, wie "Versailles" Deutschland traumatisiert hatte? Traum und Trauma waren die Triebkräfte, die Jägers Ehrgeiz und Pflichtgefühl beflügelten, die seinen Gehorsam blind machten und einen opferbereiten Eifer züchteten, der sich sogar "kritisch" äußerte; denn "anständig bleiben" war oberstes Gebot gerade für einen SS-Mann.

Bis zum Kriegsende tat Jäger "anständig" seinen Dienst in der Wehrmacht; er trug sein Schicksal, das ihn vom SS-General zum Oberfeldwebel der Wehrmacht degradiert hatte. In den Feldpostbriefen an Frau und Kinder hielt er die Fahne des Führers hoch. Weihnachtsabend 1944 schrieb er: "Um uns zu freuen, brauchen wir keine Geschichten aus dem Land der Juden . . . Bei uns gibt es viel schönere Kinder als dort, und einen so großen Führer wie Adolf Hitler schenkt Gott nur dem deutschen Volke."

Als Jäger in amerikanische Kriegsgefangenschaft gerät, schummelt er sich mit Tricks und Lügen durch. Nicht ohne augenzwinkernden Stolz berichtet er davon in seinen Erinnerungen. Er wird nach Hause entlassen. Von seiner Heimkehr darf keiner wissen. Er heißt nun "Onkel Werner" und soll der eigene Bruder sein, der in den letzten Tagen noch fiel. Mit Lügengeschichten, an denen die ganze Familie spinnt, wird das Familienoberhaupt sicher aufbewahrt im Schoße der Lieben. Dabei hatte Vater Jäger die Kinder von frühester Jugend auf gelehrt: "Laß nie die Lüge deinen Mund entweihen / Von alters her im deutschen Volke war / Der höchste Ruhm, getreu und wahr zu sein!"

Das hatte Jäger sich immer gewünscht: Seine Erinnerungen sollten Lebenshilfe für die Kinder sein - sie wurden es. Freilich nicht so, wie er es gerne gehabt hätte. Tochter Ingeburg faßte einen tapferen Entschluß: Sie gab ihre eigenen Erinnerungen zu Protokoll und rückte zurecht, was so nicht stehenbleiben darf. Damit erfüllte sie das Vermächtnis des Vaters auf eine Weise, aus der auch die Liebe der Tochter zum Vater spricht.

JOCHEN MISSFELDT

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