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Nach 27jähriger Abwesenheit sucht Bruno Legrand seine Mutter auf. Kurz nach dem Abitur ist er der Baden-Badener Bildungsbürgerlichkeit entflohen und hat den Kontakt zur Familie abgebrochen. Drei Tage verbringt er nun mit der Mutter, meist im Gespräch über das Schicksal von drei Generationen der Legrands: Familiäre Allerweltstragödien sind eng verflochten mit deutschen Zeitläufen und deutscher Kultur; um Kriege geht es, um jüdisches Geld und um Schweizer Bankkonten.

Produktbeschreibung
Nach 27jähriger Abwesenheit sucht Bruno Legrand seine Mutter auf. Kurz nach dem Abitur ist er der Baden-Badener Bildungsbürgerlichkeit entflohen und hat den Kontakt zur Familie abgebrochen. Drei Tage verbringt er nun mit der Mutter, meist im Gespräch über das Schicksal von drei Generationen der Legrands: Familiäre Allerweltstragödien sind eng verflochten mit deutschen Zeitläufen und deutscher Kultur; um Kriege geht es, um jüdisches Geld und um Schweizer Bankkonten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.1999

Der Glattmann hat Knicke
Ein Besuch daheim: Jürgen Lodemann begeht "Muttermord"

Es ist eine geläufige, beinah konventionelle Geschichte, die Jürgen Lodemann in seinem neuen Buch erzählt: Ein Mann kehrt zurück in das Haus seiner Eltern, das er siebenundzwanzig Jahre zuvor im Streit verlassen hat. Der verhaßte Vater lebt längst nicht mehr. Auch der ältere Bruder ist gestorben. Die Mutter wohnt nun allein dort. Ihr achtzigster Geburtstag naht, und er, das schwarze Schaf der Familie, ist, neben dem Pfarrer, ihr einziger Besucher. Mit einem Blumenstrauß steht er eines Abends vor der Tür. Zwei Tage lang sprechen sie aneinander vorbei. Vorsichtige Komplimente und wehmütige Erinnerungen werden ausgetauscht, vor allem Vorwürfe, die sich nur mühsam hinter Artigkeiten verbergen.

Nur ein Detail an dieser Geschichte ist nicht konventionell. Der Gast kommt als Mörder. Bruno Legrand berichtet davon, wie er seine Mutter getötet hat. Nicht aus Rachsucht oder im Streit - der Grund ist denkbar unpersönlich: Er braucht ihr Haus, eine Villa in Baden-Baden, für seine Geschäfte. Daß er es tun wird, ist dem Leser von Anfang an klar. Er liest ein Geständnis oder eher einen Rechenschaftsbericht, denn von Reue kann darin keine Rede sein. Doch gerade mit der Vorwegnahme dieser monströsen Tat schafft der Verfasser Spannung. Man fragt sich, wie der feingewebte Gesprächsroman jemals zu einem solchen Abschluß kommen kann.

Bruno liebt seine Mutter oder behauptet das jedenfalls. Er meint lediglich, daß sie schuldig ist. Seine Anklage ist die Summe dessen, was viele Deutsche seiner Generation ihren Eltern vorzuhalten hatten. Die Legrands waren, wie der Name vermuten läßt, eine großbürgerliche Familie, deren ostentative Vornehmheit indes der Prüfung nicht standhielt. Zwar spottete der Vater heimlich über die ungeschlachten Nazis, aber das hinderte ihn nicht daran, sich mit ihrer Hilfe zu bereichern. Die Villa in Baden-Baden hatte bis 1938 einer jüdischen Familie gehört, von deren Verbleib man im Haus nicht sprach. Als Bruno die Zeugnisse dieser Machenschaften entdeckte, kam es zum Bruch.

"Bruno, der Blender" - diesen Ausspruch seines Vaters hat er sich zur Devise gemacht. "Glattmann", so nennt ihn jetzt seine Chefin und Geliebte. Der Leser, der mehr an seinen Gedanken als an seinen Handlungen teilhat, nimmt es anders wahr. Er spürt Brunos Feindseligkeit, ob er nun über Kunst, Politik oder sein Leben spricht, sein Bedürfnis, zu widersprechen und zu kränken. Das stolze Opfer einer verpfuschten Erziehung - stolz, weil er aus dieser Deformation nicht nur das Recht, sondern auch die Kraft zieht, es seinen vermeintlichen Peinigern heimzuzahlen.

Was immer Bruno Legrand ist, das ist er in Reaktion auf seine Eltern und besonders seine Mutter, die jede seiner Empfindungen beherrscht. Sie, die Musikerin, hatte er brüskieren wollen mit krummen Geschäften, die ihr schon an seinem Vater mißfielen. Ihrer aufgesetzten Philanthropie hält er seinen Zynismus entgegen, ihrem Beharren auf der Etikette seine Grobheit. Er schildert diese zwei Tage im Juli 1990 als einen Kampf, den er beinahe verloren hätte. Denn die alte Dame läßt sich nicht blenden. Sie ist so gerissen wie früher und schlägt ihn mit seinen eigenen Waffen. So sieht es Bruno, dem man in diesen Dingen freilich kaum trauen kann. Für seine Mutter war es vielleicht bis zuletzt nur eine qualvolle, aber klärende Aussprache.

"Muttermord" ist ein intensiver und psychologisch ambitionierter Roman, der nicht nur durch seinen drastischen Ausgang über die gewohnten Mutter-Sohn-Konflikte hinausgeht. Daß der Autor zugleich deutsche Geschichte exemplarisch darstellen will, kostet seine Figuren viel von ihrer Lebendigkeit. Doch auch so gelingen ihm oft einfühlsame Beschreibungen, besonders vom "ewigen Prinzeßchen" Elfriede Legrand. Ihre tastende Höflichkeit skizziert er so treffsicher wie ihren allmählich verlotternden Haushalt. Gefaßt sein sollte man allerdings auf einige Verschrobenheiten des Lodemannschen Stils, allen voran seine Liebe zur Opern- und Sagenwelt und seine Hommagen an ein Ruhrgebiet, das noch immer so aussieht, wie er es 1956 verlassen hat.

Ein ernsteres Handicap erwächst aus dem Umstand, daß Bruno ein Dummkopf ist, wenn auch ein sehr gebildeter. Sein Furor kann den Leser weder intellektuell noch rhetorisch mitreißen. "Daddy wollte Swing, wollte rasend Rasantes zur Erlösung von den Endlösungsverhältnissen, die nun mal so waren, so roh, ungeheuer Reaktionsschnelles brauchte der, eine wonderwoman mit Affenzackpeng ex und hopp man's best friend." So redet der, dreihundert Seiten lang, und das ist anstrengend. Wenn in diesem Buch ein Kampf ausgetragen wird, dann endet er mit Triumph der Keule über das Florett. MICHAEL ALLMAIER.

Jürgen Lodemann: "Muttermord". Roman. Steidl Verlag, Göttingen 1998. 312 S., geb., 38,- DM.

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