Eine verfallene Villa, ein traumatisiertes Dorf und vertuschte Experimente. Menschen, die sich vor dem Tag verstecken, und eine einsame Kapelle, in der Gläubige ein Mädchen ohne Gedächtnis anbeten. Lange hat sie sich verborgen, doch nun kehrt eine skrupellose Sekte zurück, um ihre blutigen Pläne in die Tat umzusetzen. Ausgerechnet der vermeintlich harmlose Pensionär Richard Korff gerät dabei ins Fadenkreuz, und bald verfängt sich auch der Rest seiner Familie im tödlichen Spiel einer Mutter, die keine Gnade kennt.
André Mumots raffiniertes Romandebüt über Abgründe in der deutschen Provinz. Ein so unerschrockenes wie elegantes Spiel mit den Genres.
André Mumots raffiniertes Romandebüt über Abgründe in der deutschen Provinz. Ein so unerschrockenes wie elegantes Spiel mit den Genres.
HÖRBÜCHER
Provinz im
Zerrspiegel
David Nathan liest „Muttertag“
von André Mumot
Der sechzehnjährige Philip hat eine Bruckner-Phase, „donnerndes Orchester bei stechendem Sonnenschein“, als seine Mutter wieder einmal neu beginnt und für einen anderen Job fortgeht aus Kronstedt, wo die beiden im Haus eines Großonkels wohnen. Philip hat vier Umzüge in zehn Jahren hinter sich und fürchtet schon neue Lebensabschnittspartner, die sich erschreckend wohlwollend zu ihm herabbeugen.
Er will nicht länger bloßes Anhängsel sein, das Eigene, eine Art Selbständigkeit stehen auf der Tagesordnung. Für ihn ist das Eigene mit Vorstellungen von Normalität, durchschnittlichem Dasein verbunden. Aber daraus wird vorerst nichts. Zu den Familienwirren kommen Gewalttaten, die Aktivitäten einer Sekte und ihrer Verfolger. Und dann sind da noch jahrzehntealte Geheimnisse. Bald weiß Philip, dass er dem Augenschein nicht trauen kann, dass der Großonkel weit mehr ist als bloß ein harmloser Pensionär.
„Muttertag“ ist der Debütroman des Übersetzers und Journalisten André Mumot. Er nimmt sich Zeit, Schauplätze zu beschreiben, Figuren einzuführen, verschiedene Handlungsstränge zu entwickeln, deren Zusammenhang rätselhaft bleibt. Dieser Erzähler hat Vergnügen daran, Horror- und Thrillermotive herbeizuzitieren und sie in der deutschen Provinz mit dem Familienroman zusammenzuführen zu einem Panorama der Bitternisse, der kleinen und großen Machtkämpfe.
David Nathan spricht diesen Roman mit der großen Ruhe, die es braucht, wenn eine Welt im Zusammenbruch vorgeführt und dann als Universum aus gelösten Rätseln wieder aufgebaut wird. Zugleich verlebendigt er diese Ruhe durch Nuancen seiner Stimme, passt Tonhöhe und Geschwindigkeit den Charakteren und Stimmungen an.
Der Roman beginnt mit einer Szene des Ausgeliefertseins. Ein Mädchen soll fort-, soll hinaufgebracht werden. Man weiß nicht wohin, nicht wozu. „Und wenn sie sich wehrt? Sie bleiben stehen, werfen einander unschlüssige Blicke zu, flüstern kurz miteinander. Sie schauen sich um im Raum und dann zögerlich zu ihr hinüber. Wird sie diesmal tun, was man ihr sagt. Sie muss ...“ Die Ohnmacht des Mädchens spiegelt sich in der Ungewissheit der mit Messern bewaffneten Männer, wie viel Gewalt sie anwenden müssen. Nach diesem Prinzip des Zerrspiegels ist „Muttertag“ konstruiert: Man muss lange hineinschauen, einen Ausweg zu finden.
JBY
André Mumot: Muttertag. Gelesen von David Nathan. Lübbe Audio, Köln 2016. 6 CDs, 389 Minuten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Provinz im
Zerrspiegel
David Nathan liest „Muttertag“
von André Mumot
Der sechzehnjährige Philip hat eine Bruckner-Phase, „donnerndes Orchester bei stechendem Sonnenschein“, als seine Mutter wieder einmal neu beginnt und für einen anderen Job fortgeht aus Kronstedt, wo die beiden im Haus eines Großonkels wohnen. Philip hat vier Umzüge in zehn Jahren hinter sich und fürchtet schon neue Lebensabschnittspartner, die sich erschreckend wohlwollend zu ihm herabbeugen.
Er will nicht länger bloßes Anhängsel sein, das Eigene, eine Art Selbständigkeit stehen auf der Tagesordnung. Für ihn ist das Eigene mit Vorstellungen von Normalität, durchschnittlichem Dasein verbunden. Aber daraus wird vorerst nichts. Zu den Familienwirren kommen Gewalttaten, die Aktivitäten einer Sekte und ihrer Verfolger. Und dann sind da noch jahrzehntealte Geheimnisse. Bald weiß Philip, dass er dem Augenschein nicht trauen kann, dass der Großonkel weit mehr ist als bloß ein harmloser Pensionär.
„Muttertag“ ist der Debütroman des Übersetzers und Journalisten André Mumot. Er nimmt sich Zeit, Schauplätze zu beschreiben, Figuren einzuführen, verschiedene Handlungsstränge zu entwickeln, deren Zusammenhang rätselhaft bleibt. Dieser Erzähler hat Vergnügen daran, Horror- und Thrillermotive herbeizuzitieren und sie in der deutschen Provinz mit dem Familienroman zusammenzuführen zu einem Panorama der Bitternisse, der kleinen und großen Machtkämpfe.
David Nathan spricht diesen Roman mit der großen Ruhe, die es braucht, wenn eine Welt im Zusammenbruch vorgeführt und dann als Universum aus gelösten Rätseln wieder aufgebaut wird. Zugleich verlebendigt er diese Ruhe durch Nuancen seiner Stimme, passt Tonhöhe und Geschwindigkeit den Charakteren und Stimmungen an.
Der Roman beginnt mit einer Szene des Ausgeliefertseins. Ein Mädchen soll fort-, soll hinaufgebracht werden. Man weiß nicht wohin, nicht wozu. „Und wenn sie sich wehrt? Sie bleiben stehen, werfen einander unschlüssige Blicke zu, flüstern kurz miteinander. Sie schauen sich um im Raum und dann zögerlich zu ihr hinüber. Wird sie diesmal tun, was man ihr sagt. Sie muss ...“ Die Ohnmacht des Mädchens spiegelt sich in der Ungewissheit der mit Messern bewaffneten Männer, wie viel Gewalt sie anwenden müssen. Nach diesem Prinzip des Zerrspiegels ist „Muttertag“ konstruiert: Man muss lange hineinschauen, einen Ausweg zu finden.
JBY
André Mumot: Muttertag. Gelesen von David Nathan. Lübbe Audio, Köln 2016. 6 CDs, 389 Minuten, 20 Euro.
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