Was ist eine Muttersprache, bei Tag besehen? Oder im Tagelied? In Tradition? In durchwachter Nacht am Kinderbett? Oder wenn sie wechseln geht, wickeln geht, lauter Aufgaben vollführt, die das Gedicht oder das Ich unterbrechen - ist sie dann eine aufgebrochene, stotternde Sprache? Die sich selbst verwechselt und verdoppelt? Und darum nie mit sich allein ist, immer Platz für andere hat? Uljana Wolfs neue Gedichte lauschen auf die Auflösungserscheinungen der Sprache im Murmeln (engl. mutter) einer schimmernden Vielheit. Statt Sprachverlust besingen sie mit Zartheit und Witz die Durchlässigkeit konstruierter Grenzen oder Körper. Sie lassen aus Lallphasen neue Fügungen wachsen, halluzinieren Lautverwandtschaften von mutter zu modder zu motten, von Madrigal zu Madregal, von muttertask zu mutatas. So hinterfragt Wolf auch Muttermythen oder Ursprungssehnsüchte, die im Fixieren auf Grenzen andere(s) ausschließen. Medea taucht an Europas Außengrenzen in Camp Corinth auf. Hölderlins entgrenzendes Seefahrerfragment Colomb wird entlang der Transkription der fließenden Handschrift mit "Flistbustiers" neu eingekleidet. Die Westernheldin Calamity Jane, unechte Mutter, verfranst sich in Erasure-Gedichten mit ihrer fakenden Tochter. Wolfs Task in diesem lang erwarteten neuen Gedichtband: mit verwandelnder Klangkunst Worte finden für unsere lebensweltlichen Gemengelagen.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensent Guido Graf verfolgt im fünften Gedichtband von Uljana Wolf mit Vergnügen, wie die Autorin das Thema Mutterschaft sprachlich und poetisch auslotet. Dass die Sprache in Wolfs Gedichten "ein Eigenleben führt", ist ihm schon aus ihren vorhergehenden Büchern geläufig, aber wie die Dichterin hier mit "ungekannter Durchlässigkeit" unter anderem das intime Verhältnis von Mutter und Tochter sprachlich verarbeitet, kann ihn aufs Neue begeistern. Aus verwandten Wörtern schafft Wolf ganz neue Begriffe und Zusammenhänge, so Graf, aus der "mother mask", einer Erfindung der amerikanischen Dichterin Alice Notley, wird der "mother task", dann "mutata" (was ungefähr "den Verwandelten" bedeutet, weiß Graf) und später die "matrjoschkas". Die Verwandlung von sowohl (Mutter)Körper als auch Beziehung wird von einer sich auflösenden Sprache begleitet, so der Kritiker: "wie heißt die zärtlichkeit, die sich vergisst: / mutatas? muttertask? die ist immerhin unverzippbar." Melancholie und Witz scheinen hier immer wieder durch, freut sich Graf und kann diesen Band über die "kleinen und großen Schmerzen", die die Suche nach Identität als Tochter und Mutter mit sich bringt, nur empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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