Sie ist klug, elegant und charmant. Eine Kämpferin mit Leidenschaft und Stil. Ein Vorbild für Frauen seit fünf Jahrzehnten. Hillary Clinton verehrt sie genauso wie die Schauspielerin Emma Watson. Lange vor Facebook-Chefin Sheryl Sandberg hat Gloria Steinem Frauen den Glauben an sich selbst gegeben. Sie hat provoziert, Mut gemacht und alte Rollenbilder über den Haufen geworfen. Auch heute noch, mit über achtzig Jahren, ist Gloria Steinem ein Star, der Frauen jeder Generation begeistert. In MY LIFE ON THE ROAD erzählt Steinem von einem rastlosen Leben, ausgefüllt mit Reisen und unvergesslichen Begegnungen. Schon als Kind, als Tochter eines durch die Lande tingelnden Antiquitätenhändlers aus Toledo, Ohio, war ihr eines klar geworden: Man braucht nicht unbedingt einen geografischen Anker im Leben, dafür aber ein klares Ziel vor Augen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2016Feminismus ist nicht genug
Ihre Erinnerungen beweisen: Gloria Steinem wollte immer die Revolution
Vielleicht erledigt sich die Frage nach der Gleichberechtigung von allein, wenn man sowieso gleich die ganze Welt rettet; für Gloria Steinem war Feministin sein jedenfalls nie genug, und sie gab sich nicht zufrieden mit kleinen Lösungsansätzen. Sie hat es vielleicht nicht geschafft, die Gleichberechtigung zu einem globalen Konsens zu führen, aber eine Wegbereiterin und Ikone ist sie allemal; ein Stückchen einer flammenden Rede, die sie 1971 gehalten hat, hört man am Anfang von Jennifer Lopez’ Video zu „Ain’t your Mama“. „Es geht nicht bloß um eine Reform. Es ist eigentlich eine Revolution.“ Von der Popkultur ist der Weg zum Konsens gar nicht mehr so weit.
Gloria Steinem ist inzwischen 82 Jahre alt, geboren 1934. Wenn sie nun ihre Erinnerungen aufschreibt, dann ist das schon deswegen eine spannende Sache, weil sie damit die Frage beantwortet, wie die überhaupt zustande gekommen ist: Kleine Mädchen wurden zwischen den Kriegen ja nicht gerade zum Aufrührertum erzogen, zumindest nicht mit Absicht. Das mit der Anpassung ging im Fall von Gloria Steinem aber von Anfang an schief, und Grund Nummer eins findet sich gleich im ersten Kapitel – richtig zur Schule gegangen ist sie erst mal nicht, der Vater war so eine Art fahrender Händler, so dass ihre Kindheitserinnerungen ein bisschen so klingen, als sei sie in dem Film „Paper Moon“ aufgewachsen.
Der Vater stand mit der Sesshaftigkeit auf Kriegsfuß, so ist auch seine Tochter eine Nomadin geworden, und später hat sie als Reporterin einen Beruf daraus gemacht. Die Mutter war Reporterin gewesen, bevor sie ihre Töchter bekam und depressiv wurde, die Oma war eine Suffragette gewesen, wie eigentlich hätte aus Gloria Steinem jemand anders werden sollen? Und ob es wohl Zufall ist, dass alle großen Feministinnen ohne Brüder aufgewachsen sind – also zumindest als ganz kleines Kind ohne männliche Konkurrenz?
Gloria Steinem jedenfalls hält sich, innerlich, für das Ebenbild ihres Vaters – dass sich Frauen in ihre Mütter verwandeln, ist eben auch nur ein überholtes Klischee –, schon weil sie, bis sie über fünfzig war, so lebte, wie er es getan hat: Immer im Dialog mit anderen und vorwiegend aus dem Koffer.
Vagabundieren ist der rote Faden in den Geschichten, die sie erzählt, was sehr schön ist, denn meistens kreisen Autobiografien ja ausschließlich um den Autor. Sie ist um die Welt gereist, und das formt, behauptet Gloria Steinem, den Geist – sie würde es jedem empfehlen. Für sie war der Einstieg eine Indienreise, noch in den Fünfzigern, als Reporterin schrieb sie dann Prominentenporträts, aber mit dem Beginn der Bürgerrechtsbewegung wechselte sie das Fach. Manchmal kommt sie einem in diesem Buch vor wie ein sehr gescheiter Forrest Gump, immer da, wo etwas geschieht. Sie war dabei, als John F. Kennedy sich aus dem Weißen Haus aufmachte zu seiner Reise nach Dallas, sie berichtete über den Marsch auf Washington, und so kam es, dass die junge Journalistin dabei war, als Martin Luther King, als Reaktion auf einen Zuruf von Mahalia Jackson, er solle von seinem Traum erzählen, seine wohl wichtigste Rede hielt – „I have a dream“.
Steinem hat Feuer gefangen, und aus dem Protestieren kam sie dann nicht mehr heraus. Man merkt den Beschreibungen ihrer ersten Erfahrungen an, dass sie damals noch keine Frauenrechtlerin war, dass die Begegnungen mit schwarzen Frauen bei den Protesten in Washington, die Diskussionen in indischen Eisenbahnwagen, in die Männer nicht hineindurften, auch für sie selbst ein bisschen Spurensuche sind: Wo fing das an? Von außen betrachtet war es jedenfalls 1969 dann schon klar, als Steinem für das New York Magazine einen Artikel schrieb, der „After Black Power, Women’s Liberation“ schrieb. Sie war fortan eine der wichtigsten Stimmen der Frauenbewegung, immer noch wenig anpassungsfähig, sie wurde irgendwie keinem Klischee gerecht. Pin-up für die Intelligentsia wurde sie genannt. Quatsch: Gloria Steinem war anti-akademisch und, ja: cool.
Eine wie sie, mit ihrer Mischung aus Feminismus, Kampf um soziale Gerechtigkeit und unschlagbarer antirassistischer Logik („Wir Weißen hätten dagegen klagen müssen, dass wir gezwungen wurden, in weißen Ghettos zu leben. Wenn Menschen getrennt werden, gibt es am Ende nur Verlierer.“) wird in Amerika und anderswo jedenfalls immer noch gebraucht; vielleicht mehr denn je, in einer Ära, die mehr auf Donald Trump setzt als auf „I have a dream“. Eigentlich, hat sie damals in dieser berühmten Rede von 1971 gesagt, geht es eben immer nur um – Humanismus.
SUSAN VAHABZADEH
Gloria Steinem: My Life on the Road. Aus dem Englischen von Eva Bonné. Btb, München 2016, 384 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 13,99 Euro.
Die Weißen hätten klagen
müssen, als man sie zwang,
in weißen Ghettos zu leben
Die Vagabundin – Gloria Steinem in den Siebzigern.
Foto: HEM / AP
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ihre Erinnerungen beweisen: Gloria Steinem wollte immer die Revolution
Vielleicht erledigt sich die Frage nach der Gleichberechtigung von allein, wenn man sowieso gleich die ganze Welt rettet; für Gloria Steinem war Feministin sein jedenfalls nie genug, und sie gab sich nicht zufrieden mit kleinen Lösungsansätzen. Sie hat es vielleicht nicht geschafft, die Gleichberechtigung zu einem globalen Konsens zu führen, aber eine Wegbereiterin und Ikone ist sie allemal; ein Stückchen einer flammenden Rede, die sie 1971 gehalten hat, hört man am Anfang von Jennifer Lopez’ Video zu „Ain’t your Mama“. „Es geht nicht bloß um eine Reform. Es ist eigentlich eine Revolution.“ Von der Popkultur ist der Weg zum Konsens gar nicht mehr so weit.
Gloria Steinem ist inzwischen 82 Jahre alt, geboren 1934. Wenn sie nun ihre Erinnerungen aufschreibt, dann ist das schon deswegen eine spannende Sache, weil sie damit die Frage beantwortet, wie die überhaupt zustande gekommen ist: Kleine Mädchen wurden zwischen den Kriegen ja nicht gerade zum Aufrührertum erzogen, zumindest nicht mit Absicht. Das mit der Anpassung ging im Fall von Gloria Steinem aber von Anfang an schief, und Grund Nummer eins findet sich gleich im ersten Kapitel – richtig zur Schule gegangen ist sie erst mal nicht, der Vater war so eine Art fahrender Händler, so dass ihre Kindheitserinnerungen ein bisschen so klingen, als sei sie in dem Film „Paper Moon“ aufgewachsen.
Der Vater stand mit der Sesshaftigkeit auf Kriegsfuß, so ist auch seine Tochter eine Nomadin geworden, und später hat sie als Reporterin einen Beruf daraus gemacht. Die Mutter war Reporterin gewesen, bevor sie ihre Töchter bekam und depressiv wurde, die Oma war eine Suffragette gewesen, wie eigentlich hätte aus Gloria Steinem jemand anders werden sollen? Und ob es wohl Zufall ist, dass alle großen Feministinnen ohne Brüder aufgewachsen sind – also zumindest als ganz kleines Kind ohne männliche Konkurrenz?
Gloria Steinem jedenfalls hält sich, innerlich, für das Ebenbild ihres Vaters – dass sich Frauen in ihre Mütter verwandeln, ist eben auch nur ein überholtes Klischee –, schon weil sie, bis sie über fünfzig war, so lebte, wie er es getan hat: Immer im Dialog mit anderen und vorwiegend aus dem Koffer.
Vagabundieren ist der rote Faden in den Geschichten, die sie erzählt, was sehr schön ist, denn meistens kreisen Autobiografien ja ausschließlich um den Autor. Sie ist um die Welt gereist, und das formt, behauptet Gloria Steinem, den Geist – sie würde es jedem empfehlen. Für sie war der Einstieg eine Indienreise, noch in den Fünfzigern, als Reporterin schrieb sie dann Prominentenporträts, aber mit dem Beginn der Bürgerrechtsbewegung wechselte sie das Fach. Manchmal kommt sie einem in diesem Buch vor wie ein sehr gescheiter Forrest Gump, immer da, wo etwas geschieht. Sie war dabei, als John F. Kennedy sich aus dem Weißen Haus aufmachte zu seiner Reise nach Dallas, sie berichtete über den Marsch auf Washington, und so kam es, dass die junge Journalistin dabei war, als Martin Luther King, als Reaktion auf einen Zuruf von Mahalia Jackson, er solle von seinem Traum erzählen, seine wohl wichtigste Rede hielt – „I have a dream“.
Steinem hat Feuer gefangen, und aus dem Protestieren kam sie dann nicht mehr heraus. Man merkt den Beschreibungen ihrer ersten Erfahrungen an, dass sie damals noch keine Frauenrechtlerin war, dass die Begegnungen mit schwarzen Frauen bei den Protesten in Washington, die Diskussionen in indischen Eisenbahnwagen, in die Männer nicht hineindurften, auch für sie selbst ein bisschen Spurensuche sind: Wo fing das an? Von außen betrachtet war es jedenfalls 1969 dann schon klar, als Steinem für das New York Magazine einen Artikel schrieb, der „After Black Power, Women’s Liberation“ schrieb. Sie war fortan eine der wichtigsten Stimmen der Frauenbewegung, immer noch wenig anpassungsfähig, sie wurde irgendwie keinem Klischee gerecht. Pin-up für die Intelligentsia wurde sie genannt. Quatsch: Gloria Steinem war anti-akademisch und, ja: cool.
Eine wie sie, mit ihrer Mischung aus Feminismus, Kampf um soziale Gerechtigkeit und unschlagbarer antirassistischer Logik („Wir Weißen hätten dagegen klagen müssen, dass wir gezwungen wurden, in weißen Ghettos zu leben. Wenn Menschen getrennt werden, gibt es am Ende nur Verlierer.“) wird in Amerika und anderswo jedenfalls immer noch gebraucht; vielleicht mehr denn je, in einer Ära, die mehr auf Donald Trump setzt als auf „I have a dream“. Eigentlich, hat sie damals in dieser berühmten Rede von 1971 gesagt, geht es eben immer nur um – Humanismus.
SUSAN VAHABZADEH
Gloria Steinem: My Life on the Road. Aus dem Englischen von Eva Bonné. Btb, München 2016, 384 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 13,99 Euro.
Die Weißen hätten klagen
müssen, als man sie zwang,
in weißen Ghettos zu leben
Die Vagabundin – Gloria Steinem in den Siebzigern.
Foto: HEM / AP
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wie ein "gescheiter Forrest Gump" erscheint Rezensentin Susan Vahabzadeh die inzwischen 82jährige Autorin Gloria Steinem in ihren Lebenserinnerungen. Ob bei John F. Kennedys Dallas-Reise oder Martin Luther Kings berühmtester Rede - stets war die Reporterin dabei, informiert die Kritikerin. Vor allem aber erfährt die Rezensentin in diesem spannenden Buch, wie die in den Kriegsjahren aufgewachsene Autorin zu einer der "coolsten" Frauenrechtlerinnen wurde, der es nie nur um Feminismus, sondern um soziale Gerechtigkeit im Allgemeinen ging. Eine eindringliche Spurensuche, die nicht nur mit Klischees aufräumt, sondern gerade deshalb sehr lesenswert ist, weil Steinem nie nur um sich selbst kreist, lobt die Kritikerin.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2016Was Frauen wirklich wollen
Und was immer wieder erkämpft werden muss: Gloria Steinem erteilt Lektionen in angewandtem Feminismus
Gloria Steinem ist für die amerikanische und die internationale Frauenbewegung von den sechziger Jahren an bis vor gar nicht langer Zeit die zentrale Figur. Als Journalistin und Gründerin der ersten amerikanischen feministischen Zeitschrift, "Ms.", im Jahr 1971, bleibt sie eine Ausnahmeerscheinung, ikonisch, klug, unabhängig. Inzwischen ist sie älter als achtzig. Wie sah das Leben aus, das sie zu dieser Person gemacht hat? Was bedeutet es für einen Menschen, nahezu ununterbrochen unterwegs zu sein, und zwar in einer Sache, mit einem Anliegen, mit Plänen, Vorhaben, Vorstellungen davon, wie es besser laufen könnte, besser für die Frauen, besser für Angehörige von Minderheiten?
Davon handelt dieses Buch. Wer glaubt, da es von Aktionen aus Zeiten vor der Ubiquität sozialer Medien berichtet, sei es heute unbrauchbar, irrt. Im Gegenteil, möchte man sagen. Könnte es nicht sein, wir brauchen wieder Aktivistinnen wie Steinem, die durchs Land fahren - die Vereinigten Staaten und Indien in ihrem Fall - und in Gesprächskreisen zu klären versuchen, warum es nicht besser läuft? Wo die Probleme liegen, und wie sie zu lösen wären? In der Politik vor allem, in der Gesetzgebung, der Rechtsprechung, der Organisation von Gesellschaft überhaupt? Und warum immer noch gilt, was Steinems Mutter ihr beibrachte: "Demokratie, das muss man täglich machen, wie Zähneputzen."
Gloria Steinems Erinnerungen lassen vieles von dem aus, was Memoiren oft geschwätzig macht: Liebesgeschichten nahezu völlig - erst ganz zum Schluss taucht, ohne seinen Namen zu nennen, einmal ein Begleiter auf, der viel Geld hat und mit dem sie ein offenbar tödlich langweiliges Thanksgiving-Wochenende in Palm Springs verbringt -, und innere Befindlichkeiten, so sie nicht vom politischen Geschäft intitialisiert wurden.
Über ihre Eltern und ihre Kindheit erfahren wir einiges zur Erklärung ihrer Liebe zum Unterwegssein, aber selbst von den Frauen, mit denen sie später durch die Lande reiste, allen voran Florynce Kennedy, erzählt Gloria Steinem nur im Zusammenhang ihrer Vortragsreisen. Dafür bekommen wir eine große Menge mehr oder weniger interessanter Anekdoten zu lesen, etwa die von George W. Bushs Stippvisite im Irak mit einem Plastiktruthahn im Gepäck für ein Truppenfoto an Thanksgiving.
Weil Privates fehlt, entsteht der Eindruck einer Reisenden, deren Leben tatsächlich mit ihren politischen Aktionen identisch ist. Ob das akkurat ist, braucht den Leser nicht zu interessieren. Gloria Steinem hat dieses Buch in den vergangenen zwanzig Jahren geschrieben, und ihre Erfahrungen und Erkenntnisse als Wahlkampfhelferin etwa, als Rednerin an Universitäten oder vor Protestierenden vor den Toren von Kliniken, die auch Abtreibungen vornehmen, sind um ein Vielfaches interessanter, als es jedweder Klatsch und Tratsch aus diesen auch in dieser Hinsicht sicher fruchtbaren Zeiten sein könnten.
Welches Erlebnis teilt Ihr Leben in eine Zeit davor und danach? Auf diese Frage antwortet Steinem: "Die Nationale Frauenkonferenz 1977 in Houston." Und fügt hinzu: "Möglicherweise hat sie den ersten Preis für das wichtigste, von niemandem zur Kenntnis genommene Event auf Erden verdient." Warum die Übersetzerin Eva Bonné nicht von dem Wort "Ereignis" Gebrauch macht, bleibt unerfindlich, spielt aber für Steinems Argument keine Rolle. Es handelte sich bei dieser dreitägigen Konferenz, die auf eine Initiative der Kongressabgeordneten Bella Abzug zurückging, um eine Mammutveranstaltung, die in sechsundfünfzig Konferenzen zwei Jahre lang im ganzen Land vorbereitet worden war, für die Delegierte gewählt und Koalitionen geschlossen wurden, um sodann demokratisch die Antwort auf die entscheidende Frage zu ermitteln: Was wollen die Frauen? Und zwar: alle Frauen. Die schwarzen und die Angehörigen der Ureinwohner, die jungen wie die alten, die unterschiedlich religiösen wie die nicht gläubigen, die gebildeten wie jene, die kaum lesen und schreiben können. Man bekommt ein Gefühl für lebendige Debatte, für die Notwendigkeit des Zuhörens, und für den Stolz und das Glück, wenn es gelungen ist, Verständigung herzustellen. Die Frauen wollen vor allem eines: Verfügungsgewalt über ihre Körper. Sexuelle Selbstbestimmung. Gleiche Chancen, denselben Lohn wie Männer, die dasselbe tun. All das, was in den Siebzigern erkämpft wurde und sich heute immer noch nicht von selbst versteht.
Gloria Steinem liebt Wahlkämpfe. Das ist angesichts der Monate, die gerade hinter uns liegen, eine erstaunliche Aussage. Sie liebt Wahlkämpfe vor allem, wenn sie etwas für Hillary Clinton tun kann, und ihre Beobachtungen aus vielen Jahren mögen erklären helfen, was am Wahltag vor einigen Wochen geschehen ist. Denn mit Hillary Clinton hat nicht nur die Kandidatin der Demokratischen Partei die Wahl um die amerikanische Präsidentschaft verloren, sondern auch die Frau, die zur Wahl stand. Dass der Wahlkampf auch ein sexistischer Kampf gegen die Möglichkeit der ersten amerikanischen Präsidentin war, wurde nicht erst mit dem Auftauchen des Grapscher-Mitschnitts des letztendlichen Wahlsiegers Donald Trump unübersehbar.
Hillary Clinton hatte immer Feinde. Auch unter Frauen. Gloria Steinem, die Hillary Clinton schon in ihrem ersten Senatswahlkampf 1999 unterstützt hatte, kann sich die Feindseligkeit, die Hillary Clinton entgegengebracht wurde, nicht ohne weiteres erklären. Wer sind diese "Hillary Haters", die inhaltlich in vielem derselben Meinung sind, sie aber persönlich ablehnen, und wo liegt der Kern ihres Hasses? Damals, im Jahr 2008, erfuhr Steinem in "Wohnzimmern von Dallas bis Chicago", "dass die meisten Hillary Haters Frauen wie Hillary selbst waren: weiß, gebildet, mit einflussreichen Männern liiert. Das traf natürlich nicht auf alle zu, aber auf überraschend viele."
Wahrscheinlich ist das immer noch so. Und obwohl Gloria Steinem, als sie dieses Buch abschloss, von Donald Trump noch nicht wissen konnte, lässt sich ohne weiteres in ihren Schilderungen der Anwürfe, Vorwürfe, der Verächtlichmachung der Kandidatin damals das sexistische Muster erkennen, gegen das Hillary Clinton sich auch diesmal nicht erfolgreich wehren konnte.
Auch Steinem kann nicht verstehen, warum eine Frau nach acht Jahren als First Lady, in denen sie beschimpft und bekämpft und gedemütigt wurde, wieder nach Washington ziehen wollte, um als Senatorin ihre Rückkehr ins Weiße Haus vorzubereiten. Aber ihre Hochachtung vor der Kompetenz, dem Wissen, dem Fleiss und der Empathiefähigkeit dieser Frau, die sich bis zum Ende gegen empörend sexistische Zuschreibungen zur Wehr setzen musste, bleibt uneingeschränkt. Es gibt immer noch, so schrieb sie bereits vor der letzten Wahl, keine "richtige" Art, wie eine Frau in einem hohen politischen Amt zu sein hat.
Gloria Steinem hat selbst kein Amt bekleidet. Das hat ihr das Reisen ermöglicht, die Begegnung mit Männern und vor allem mit Frauen, von denen sie lernen konnte, was im Argen liegt: "Den klarsten Blick hat man immer von ganz unten."
VERENA LUEKEN
Gloria Steinem: "My Life on the Road".
Aus dem Englischen von Eva Bonnée. btb Verlag, München 2016. 380 S., br., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und was immer wieder erkämpft werden muss: Gloria Steinem erteilt Lektionen in angewandtem Feminismus
Gloria Steinem ist für die amerikanische und die internationale Frauenbewegung von den sechziger Jahren an bis vor gar nicht langer Zeit die zentrale Figur. Als Journalistin und Gründerin der ersten amerikanischen feministischen Zeitschrift, "Ms.", im Jahr 1971, bleibt sie eine Ausnahmeerscheinung, ikonisch, klug, unabhängig. Inzwischen ist sie älter als achtzig. Wie sah das Leben aus, das sie zu dieser Person gemacht hat? Was bedeutet es für einen Menschen, nahezu ununterbrochen unterwegs zu sein, und zwar in einer Sache, mit einem Anliegen, mit Plänen, Vorhaben, Vorstellungen davon, wie es besser laufen könnte, besser für die Frauen, besser für Angehörige von Minderheiten?
Davon handelt dieses Buch. Wer glaubt, da es von Aktionen aus Zeiten vor der Ubiquität sozialer Medien berichtet, sei es heute unbrauchbar, irrt. Im Gegenteil, möchte man sagen. Könnte es nicht sein, wir brauchen wieder Aktivistinnen wie Steinem, die durchs Land fahren - die Vereinigten Staaten und Indien in ihrem Fall - und in Gesprächskreisen zu klären versuchen, warum es nicht besser läuft? Wo die Probleme liegen, und wie sie zu lösen wären? In der Politik vor allem, in der Gesetzgebung, der Rechtsprechung, der Organisation von Gesellschaft überhaupt? Und warum immer noch gilt, was Steinems Mutter ihr beibrachte: "Demokratie, das muss man täglich machen, wie Zähneputzen."
Gloria Steinems Erinnerungen lassen vieles von dem aus, was Memoiren oft geschwätzig macht: Liebesgeschichten nahezu völlig - erst ganz zum Schluss taucht, ohne seinen Namen zu nennen, einmal ein Begleiter auf, der viel Geld hat und mit dem sie ein offenbar tödlich langweiliges Thanksgiving-Wochenende in Palm Springs verbringt -, und innere Befindlichkeiten, so sie nicht vom politischen Geschäft intitialisiert wurden.
Über ihre Eltern und ihre Kindheit erfahren wir einiges zur Erklärung ihrer Liebe zum Unterwegssein, aber selbst von den Frauen, mit denen sie später durch die Lande reiste, allen voran Florynce Kennedy, erzählt Gloria Steinem nur im Zusammenhang ihrer Vortragsreisen. Dafür bekommen wir eine große Menge mehr oder weniger interessanter Anekdoten zu lesen, etwa die von George W. Bushs Stippvisite im Irak mit einem Plastiktruthahn im Gepäck für ein Truppenfoto an Thanksgiving.
Weil Privates fehlt, entsteht der Eindruck einer Reisenden, deren Leben tatsächlich mit ihren politischen Aktionen identisch ist. Ob das akkurat ist, braucht den Leser nicht zu interessieren. Gloria Steinem hat dieses Buch in den vergangenen zwanzig Jahren geschrieben, und ihre Erfahrungen und Erkenntnisse als Wahlkampfhelferin etwa, als Rednerin an Universitäten oder vor Protestierenden vor den Toren von Kliniken, die auch Abtreibungen vornehmen, sind um ein Vielfaches interessanter, als es jedweder Klatsch und Tratsch aus diesen auch in dieser Hinsicht sicher fruchtbaren Zeiten sein könnten.
Welches Erlebnis teilt Ihr Leben in eine Zeit davor und danach? Auf diese Frage antwortet Steinem: "Die Nationale Frauenkonferenz 1977 in Houston." Und fügt hinzu: "Möglicherweise hat sie den ersten Preis für das wichtigste, von niemandem zur Kenntnis genommene Event auf Erden verdient." Warum die Übersetzerin Eva Bonné nicht von dem Wort "Ereignis" Gebrauch macht, bleibt unerfindlich, spielt aber für Steinems Argument keine Rolle. Es handelte sich bei dieser dreitägigen Konferenz, die auf eine Initiative der Kongressabgeordneten Bella Abzug zurückging, um eine Mammutveranstaltung, die in sechsundfünfzig Konferenzen zwei Jahre lang im ganzen Land vorbereitet worden war, für die Delegierte gewählt und Koalitionen geschlossen wurden, um sodann demokratisch die Antwort auf die entscheidende Frage zu ermitteln: Was wollen die Frauen? Und zwar: alle Frauen. Die schwarzen und die Angehörigen der Ureinwohner, die jungen wie die alten, die unterschiedlich religiösen wie die nicht gläubigen, die gebildeten wie jene, die kaum lesen und schreiben können. Man bekommt ein Gefühl für lebendige Debatte, für die Notwendigkeit des Zuhörens, und für den Stolz und das Glück, wenn es gelungen ist, Verständigung herzustellen. Die Frauen wollen vor allem eines: Verfügungsgewalt über ihre Körper. Sexuelle Selbstbestimmung. Gleiche Chancen, denselben Lohn wie Männer, die dasselbe tun. All das, was in den Siebzigern erkämpft wurde und sich heute immer noch nicht von selbst versteht.
Gloria Steinem liebt Wahlkämpfe. Das ist angesichts der Monate, die gerade hinter uns liegen, eine erstaunliche Aussage. Sie liebt Wahlkämpfe vor allem, wenn sie etwas für Hillary Clinton tun kann, und ihre Beobachtungen aus vielen Jahren mögen erklären helfen, was am Wahltag vor einigen Wochen geschehen ist. Denn mit Hillary Clinton hat nicht nur die Kandidatin der Demokratischen Partei die Wahl um die amerikanische Präsidentschaft verloren, sondern auch die Frau, die zur Wahl stand. Dass der Wahlkampf auch ein sexistischer Kampf gegen die Möglichkeit der ersten amerikanischen Präsidentin war, wurde nicht erst mit dem Auftauchen des Grapscher-Mitschnitts des letztendlichen Wahlsiegers Donald Trump unübersehbar.
Hillary Clinton hatte immer Feinde. Auch unter Frauen. Gloria Steinem, die Hillary Clinton schon in ihrem ersten Senatswahlkampf 1999 unterstützt hatte, kann sich die Feindseligkeit, die Hillary Clinton entgegengebracht wurde, nicht ohne weiteres erklären. Wer sind diese "Hillary Haters", die inhaltlich in vielem derselben Meinung sind, sie aber persönlich ablehnen, und wo liegt der Kern ihres Hasses? Damals, im Jahr 2008, erfuhr Steinem in "Wohnzimmern von Dallas bis Chicago", "dass die meisten Hillary Haters Frauen wie Hillary selbst waren: weiß, gebildet, mit einflussreichen Männern liiert. Das traf natürlich nicht auf alle zu, aber auf überraschend viele."
Wahrscheinlich ist das immer noch so. Und obwohl Gloria Steinem, als sie dieses Buch abschloss, von Donald Trump noch nicht wissen konnte, lässt sich ohne weiteres in ihren Schilderungen der Anwürfe, Vorwürfe, der Verächtlichmachung der Kandidatin damals das sexistische Muster erkennen, gegen das Hillary Clinton sich auch diesmal nicht erfolgreich wehren konnte.
Auch Steinem kann nicht verstehen, warum eine Frau nach acht Jahren als First Lady, in denen sie beschimpft und bekämpft und gedemütigt wurde, wieder nach Washington ziehen wollte, um als Senatorin ihre Rückkehr ins Weiße Haus vorzubereiten. Aber ihre Hochachtung vor der Kompetenz, dem Wissen, dem Fleiss und der Empathiefähigkeit dieser Frau, die sich bis zum Ende gegen empörend sexistische Zuschreibungen zur Wehr setzen musste, bleibt uneingeschränkt. Es gibt immer noch, so schrieb sie bereits vor der letzten Wahl, keine "richtige" Art, wie eine Frau in einem hohen politischen Amt zu sein hat.
Gloria Steinem hat selbst kein Amt bekleidet. Das hat ihr das Reisen ermöglicht, die Begegnung mit Männern und vor allem mit Frauen, von denen sie lernen konnte, was im Argen liegt: "Den klarsten Blick hat man immer von ganz unten."
VERENA LUEKEN
Gloria Steinem: "My Life on the Road".
Aus dem Englischen von Eva Bonnée. btb Verlag, München 2016. 380 S., br., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main