Die große Geschichte Israels
Der renommierte Journalist Ari Shavit sieht Israel in einer halt- und ausweglosen Lage: als jüdisch-westlicher Staat in einer arabisch-islamischen (Um-)Welt seit seiner Gründung in der Existenz bedroht, andererseits Okkupationsmacht über ein anderes, das palästinensische Volk. Der Innovationskraft und Lebensfreude seiner Menschen stehen ein bröckelndes Gemeinwesen, zermürbende Konflikte, militärische Scheinerfolge und der Verlust internationalen Ansehens gegenüber. Was als gemeinschaftlicher hoffnungsfroher Aufbruch begann, insbesondere nach den Schrecken des Holocausts, der gemeinsame Bau von Eretz Israel, ist heute allgemeiner Desillusion und Desintegration gewichen. Shavit erzählt, zunächst auf den Spuren seines zionistischen Urgroßvaters, eine sehr persönliche Geschichte Israels während der letzten anderthalb Jahrhunderte, von Erfolgen im steten Überlebenskampf, aber auch von schuldbehafteter Tragik und unübersehbarem Niedergang.
Der renommierte Journalist Ari Shavit sieht Israel in einer halt- und ausweglosen Lage: als jüdisch-westlicher Staat in einer arabisch-islamischen (Um-)Welt seit seiner Gründung in der Existenz bedroht, andererseits Okkupationsmacht über ein anderes, das palästinensische Volk. Der Innovationskraft und Lebensfreude seiner Menschen stehen ein bröckelndes Gemeinwesen, zermürbende Konflikte, militärische Scheinerfolge und der Verlust internationalen Ansehens gegenüber. Was als gemeinschaftlicher hoffnungsfroher Aufbruch begann, insbesondere nach den Schrecken des Holocausts, der gemeinsame Bau von Eretz Israel, ist heute allgemeiner Desillusion und Desintegration gewichen. Shavit erzählt, zunächst auf den Spuren seines zionistischen Urgroßvaters, eine sehr persönliche Geschichte Israels während der letzten anderthalb Jahrhunderte, von Erfolgen im steten Überlebenskampf, aber auch von schuldbehafteter Tragik und unübersehbarem Niedergang.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2014Bedrohte Verheißung
Ari Shavit über Israel
Die Vorhersage weckt wenig Hoffnung. "Für einen Frieden zwischen den beiden Völkern ist wohl mehr nötig als das, wozu Menschen in der Lage sind." Die Palästinenser "werden ihre Forderung nach dem, was sie für gerecht halten, nicht aufgeben. Wir werden unser Leben nicht aufgeben", glaubt Ari Shavit. Um diesen existentiellen Konflikt beizulegen, reiche es nicht aus, dass sich Siedler und Soldaten aus dem besetzten Westjordanland zurückziehen - wie es die Palästinenser und die internationale Gemeinschaft verlangen. Das jüdische Volk sei "nicht vom Mars gekommen". Deshalb müssten die Palästinenser unzweideutig anerkennen, dass auch Juden ein Recht auf einen eigenen Staat im Nahen Osten haben - "sonst gibt es keinen Frieden".
Ähnliches fordern gewöhnlich Ministerpräsident Netanjahu und Politiker der israelischen Rechten. Ari Shavit dagegen wird in Israel der Linken zugerechnet. Er hat sich als Kritiker der Besetzung der Palästinensergebiete einen Namen gemacht, war Vorsitzender der Bürgerrechtsorganisation Acri und ist ein respektierter Kolumnist der Zeitung "Haaretz". Von seinen Rufen nach einer palästinensischen Anerkennung des jüdischen Staats distanzierte sich in einem seltenen Kommentar sogar Haaretz-Verleger Amos Schocken. Linke Israelis kritisieren Shavit, als wäre er ein Verräter. Dabei versucht er, Distanz zu beiden politischen Lagern zu halten: Israel sei die einzige Besatzungsmacht unter den westlichen Staaten. Gleichzeitig sei kein Land im Westen so sehr bedroht. Die Linke übersieht nach seiner Ansicht zu oft diese großen Gefahren und konzentriert sich zu sehr auf das Besatzungsregime. Der Rechten hält er vor, zu sehr auf die Gefährdung fixiert zu sein und die Folgen der Besatzung nicht ernst genug zu nehmen.
Der Autor, 1957 in Israel geboren, streift durch das verheißene Land und die Geschichte des Zionismus. Er sucht die Orte auf, an denen auch seine Vorfahren halfen, Sümpfe trockenzulegen und Orangen zu pflanzen. Er geht auch dorthin, wo sich das "grausame Gesicht" des Zionismus zeigte, zum Beispiel in Lydda. Die arabische Stadt, heute Lod genannt, lag 1948 im Herzen des kurz zuvor ausgerufenen Staates Israel, nicht weit entfernt vom internationalen Flughafen. Im Juli des Jahres marschierten dort jüdische Soldaten ein und verschonten die Zivilbevölkerung nicht. Nach einem vermeintlichen jordanischen Angriff schossen sie blind um sich, feuerten eine Granate in eine überfüllte Moschee. Mehr als 300 Araber kamen um, Zehntausende ergriffen die Flucht. "Der Zionismus hat in der Stadt Lydda ein Massaker verübt", stellt Shavit trocken fest. Er sprach mit Soldaten und Offizieren, die damals dabei gewesen waren. "Sie übernahmen die schmutzige, dreckige Arbeit, die es meinem Volk und mir ermöglichte zu leben", so sein Fazit. Er sieht letztlich nur die Wahl, den Zionismus wegen Lydda abzulehnen oder ihn mit den Grausamkeiten zu akzeptieren, die in der arabischen Stadt geschahen. Ohne die Eroberung Lyddas und die Vertreibung ihrer Einwohner gäbe es kein lebensfähiges Israel, auch wenn frühe Zionisten lange Zeit auf eine friedliche Nachbarschaft hofften. Eine ähnlich offene Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, zu der bis heute viele Israelis nicht bereit sind, hält er auch unter Palästinensern für nötig.
Dass auch Zionisten Massaker angerichtet haben, zeigten schon zuvor israelische Historiker wie Benny Morris und Avi Shlaim auf. Shavits Stärke sind viele Interviews, die er in das Buch einfließen lässt. Sie helfen, die Dilemmata begreifbar zu machen, denen sich die Gründer und Erbauer des jüdischen Staats gegenübersahen: als sie in Dimona an einer eigenen Atombombe zu arbeiten begannen - und wie Politiker und Militärs heute um die richtige Antwort auf die atomare Bedrohung Irans ringen. Es sind aber nicht nur Generale und Siedler, die dem Leser auf seinen Streifzügen begegnen. Wie das neue Israel entsteht, schildert er anrührend am Beispiel einer Plattenbau-Wohnanlage am Rand von Tel Aviv. Ihre Bewohner kämpfen nachts mit den Albträumen des Holocaust und tagsüber mit den Widrigkeiten ihrer bedrohten neuen Heimat. Manchmal gerät seine Wortwahl etwas pathetisch, auch die Auswahl seiner Protagonisten wird dem vielfältigen Land nicht ganz gerecht.
Shavit ist fasziniert von der Vitalität Israels, dessen Zukunft er trotzdem nicht für gesichert hält. Es ist wohl kein Zufall, dass ihm auf der letzten Seite der Ausbruch des Vesuv in den Sinn kommt, unter dessen Lavaströmen die Einwohner von Pompeji versteinerten. Shavit fragt sich, was später von Israel zu finden sein würde, wenn dort heute ein Vulkan ausbrechen würde - und meint: "Ein Volk, das vom Tod kam und vom Tod umgeben war, aber trotzdem ein spektakuläres Lebensschauspiel aufführte. Menschen, die den Tanz des Lebens bis zum bitteren Ende tanzten."
HANS-CHRISTIAN RÖSSLER
Ari Shavit: My Promised Land. The Triumph and Tragedy of Israel. Verlag Spiegel & Grau, New York 2013. 464 S., 15,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ari Shavit über Israel
Die Vorhersage weckt wenig Hoffnung. "Für einen Frieden zwischen den beiden Völkern ist wohl mehr nötig als das, wozu Menschen in der Lage sind." Die Palästinenser "werden ihre Forderung nach dem, was sie für gerecht halten, nicht aufgeben. Wir werden unser Leben nicht aufgeben", glaubt Ari Shavit. Um diesen existentiellen Konflikt beizulegen, reiche es nicht aus, dass sich Siedler und Soldaten aus dem besetzten Westjordanland zurückziehen - wie es die Palästinenser und die internationale Gemeinschaft verlangen. Das jüdische Volk sei "nicht vom Mars gekommen". Deshalb müssten die Palästinenser unzweideutig anerkennen, dass auch Juden ein Recht auf einen eigenen Staat im Nahen Osten haben - "sonst gibt es keinen Frieden".
Ähnliches fordern gewöhnlich Ministerpräsident Netanjahu und Politiker der israelischen Rechten. Ari Shavit dagegen wird in Israel der Linken zugerechnet. Er hat sich als Kritiker der Besetzung der Palästinensergebiete einen Namen gemacht, war Vorsitzender der Bürgerrechtsorganisation Acri und ist ein respektierter Kolumnist der Zeitung "Haaretz". Von seinen Rufen nach einer palästinensischen Anerkennung des jüdischen Staats distanzierte sich in einem seltenen Kommentar sogar Haaretz-Verleger Amos Schocken. Linke Israelis kritisieren Shavit, als wäre er ein Verräter. Dabei versucht er, Distanz zu beiden politischen Lagern zu halten: Israel sei die einzige Besatzungsmacht unter den westlichen Staaten. Gleichzeitig sei kein Land im Westen so sehr bedroht. Die Linke übersieht nach seiner Ansicht zu oft diese großen Gefahren und konzentriert sich zu sehr auf das Besatzungsregime. Der Rechten hält er vor, zu sehr auf die Gefährdung fixiert zu sein und die Folgen der Besatzung nicht ernst genug zu nehmen.
Der Autor, 1957 in Israel geboren, streift durch das verheißene Land und die Geschichte des Zionismus. Er sucht die Orte auf, an denen auch seine Vorfahren halfen, Sümpfe trockenzulegen und Orangen zu pflanzen. Er geht auch dorthin, wo sich das "grausame Gesicht" des Zionismus zeigte, zum Beispiel in Lydda. Die arabische Stadt, heute Lod genannt, lag 1948 im Herzen des kurz zuvor ausgerufenen Staates Israel, nicht weit entfernt vom internationalen Flughafen. Im Juli des Jahres marschierten dort jüdische Soldaten ein und verschonten die Zivilbevölkerung nicht. Nach einem vermeintlichen jordanischen Angriff schossen sie blind um sich, feuerten eine Granate in eine überfüllte Moschee. Mehr als 300 Araber kamen um, Zehntausende ergriffen die Flucht. "Der Zionismus hat in der Stadt Lydda ein Massaker verübt", stellt Shavit trocken fest. Er sprach mit Soldaten und Offizieren, die damals dabei gewesen waren. "Sie übernahmen die schmutzige, dreckige Arbeit, die es meinem Volk und mir ermöglichte zu leben", so sein Fazit. Er sieht letztlich nur die Wahl, den Zionismus wegen Lydda abzulehnen oder ihn mit den Grausamkeiten zu akzeptieren, die in der arabischen Stadt geschahen. Ohne die Eroberung Lyddas und die Vertreibung ihrer Einwohner gäbe es kein lebensfähiges Israel, auch wenn frühe Zionisten lange Zeit auf eine friedliche Nachbarschaft hofften. Eine ähnlich offene Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, zu der bis heute viele Israelis nicht bereit sind, hält er auch unter Palästinensern für nötig.
Dass auch Zionisten Massaker angerichtet haben, zeigten schon zuvor israelische Historiker wie Benny Morris und Avi Shlaim auf. Shavits Stärke sind viele Interviews, die er in das Buch einfließen lässt. Sie helfen, die Dilemmata begreifbar zu machen, denen sich die Gründer und Erbauer des jüdischen Staats gegenübersahen: als sie in Dimona an einer eigenen Atombombe zu arbeiten begannen - und wie Politiker und Militärs heute um die richtige Antwort auf die atomare Bedrohung Irans ringen. Es sind aber nicht nur Generale und Siedler, die dem Leser auf seinen Streifzügen begegnen. Wie das neue Israel entsteht, schildert er anrührend am Beispiel einer Plattenbau-Wohnanlage am Rand von Tel Aviv. Ihre Bewohner kämpfen nachts mit den Albträumen des Holocaust und tagsüber mit den Widrigkeiten ihrer bedrohten neuen Heimat. Manchmal gerät seine Wortwahl etwas pathetisch, auch die Auswahl seiner Protagonisten wird dem vielfältigen Land nicht ganz gerecht.
Shavit ist fasziniert von der Vitalität Israels, dessen Zukunft er trotzdem nicht für gesichert hält. Es ist wohl kein Zufall, dass ihm auf der letzten Seite der Ausbruch des Vesuv in den Sinn kommt, unter dessen Lavaströmen die Einwohner von Pompeji versteinerten. Shavit fragt sich, was später von Israel zu finden sein würde, wenn dort heute ein Vulkan ausbrechen würde - und meint: "Ein Volk, das vom Tod kam und vom Tod umgeben war, aber trotzdem ein spektakuläres Lebensschauspiel aufführte. Menschen, die den Tanz des Lebens bis zum bitteren Ende tanzten."
HANS-CHRISTIAN RÖSSLER
Ari Shavit: My Promised Land. The Triumph and Tragedy of Israel. Verlag Spiegel & Grau, New York 2013. 464 S., 15,95 [Euro].
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