Nicht das schlechteste Motiv, dieses Buch von Roland Barthes zu kaufen, wäre die Verführung durch das Cover, welches mehrfach den legendären Citroën DS zeigt; schließlich geht es auch um Dinge des Alltags. Das Stück »Der neue Citroën« ist eines der berühmtesten des ca. 300 Seiten starken
Taschenbuchs. Allerdings geht es nicht um dieses Gefährt an sich, von dem die Ü50 heute noch schwärmen, sondern…mehrNicht das schlechteste Motiv, dieses Buch von Roland Barthes zu kaufen, wäre die Verführung durch das Cover, welches mehrfach den legendären Citroën DS zeigt; schließlich geht es auch um Dinge des Alltags. Das Stück »Der neue Citroën« ist eines der berühmtesten des ca. 300 Seiten starken Taschenbuchs. Allerdings geht es nicht um dieses Gefährt an sich, von dem die Ü50 heute noch schwärmen, sondern um die »Déesse«, die Göttin, als materielles Zeichen. Barthes versteht sich als Semiotiker, also Zeichenleser, und er betrachtet seine Welt Mitte der 50er Jahre als les- und interpretierbares Universum von Zeichen, um die damit verknüpften kollektiven Vorstellungen als Mythen zu entziffern. Barthes, von Michel Foucault gefördert, erblickt solche alltäglichen Mythen nicht nur im Automobil, sondern im Kinofilm, in der Fotografie, in Reiseführern, in der Waschmittelreklame, im Spektakel des Catchens und im Striptease; und natürlich in der Sprache des Kleinbürgers.
Man muss das Buch nicht von vorn bis hinten durcharbeiten, dazu wären die zwischen 1954-56 entstandenen Texte zu schade. Besser man nimmt sich die Pralinen einzeln vor, wozu sie auch ursprünglich gedacht und gemacht sind und verschlingt nicht die ganze Schachtel. Eine viertelstündige Bahnfahrt oder eine kurze Pause im Café reichen aus, um garantiert klüger, gewitzter und kritischer dem sogenannten gesunden Menschenverstand, dem »Wachhund« des Kleinbürgers, zu begegnen und die konservative Rede von der »Natur der menschlichen Verhältnisse« besser zu durchschauen als nach gewissen TV-Talkshows. Auch wenn nicht alle Essays des Buches zumal für deutsche Leser noch unmittelbar zugänglich sind: einige sind dafür hochaktuell. Etwa der über den Streik und die betroffenen Bürger; auch sollte niemand die Dauerausstellung »The Family of Man« im Schloss Clervaux in Luxemburg besuchen, ohne Barthes' provokante Kritik an dieser von der UNESCO geadelten Feier der conditio humana gelesen zu haben.
Barthes, der breit gebildet und produktiv war, sich auch für das Theater, Musik, Literatur und Malerei interessierte, starb 1980 mit 65 Jahren an den Folgen eines Unfalls. Laut Verlag sind in dieser Ausgabe erstmals alle Texte auf deutsch gesammelt. Und auch wenn Barthes selbst im Vorwort von 1970 seine Mythologies als zu grobkörnig kritisierte, bleibt ihre Lektüre doch bis heute eine vergnügliche intellektuelle Herausforderung.
Die sehr gut lesbare Übersetzung von H. Brühmann wird mit einigen nützlichen Fußnoten für den deutschen Leser ergänzt.