Beautiful reissue of this unique classic collection, featuring a newly translated essay not included in previous collections
'Barthes' purpose is to tear away masks and demystify the signs, signals and symbols of the language of mass culture' The TimesIn this magnificent and often surprising collection of essays Barthes explores the myths of mass culture.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2011Ein Mannequin belebt die Lektüre im Zeitkostüm der fünfziger Jahre
Ikonographisch aufgerüstet: Eine reichillustrierte Ausgabe der "Mythen des Alltags" von Roland Barthes führt vor Augen, dass Bilder und Texte auf recht unterschiedliche Weise altern
Nachdem die "Mythen des Alltags" von Roland Barthes nun endlich auch in einer vollständigen deutschen Übersetzung vorliegen (F.A.Z. vom 25. September 2010), kommt aus Paris eine neue und überraschende Version des Textes: eine illustrierte Edition, die sämtliche Beiträge noch einmal abdruckt, sie aber mit Bildmaterial der fünfziger Jahre durchsetzt - mit doppelseitigen Reportagen, Werbeanzeigen, film stills, Porträts von Schauspielern und Politikern.
Man muss sich an Handhabung und Anblick des großformatigen Bandes erst gewöhnen. Die "Mythen" hatten ja gerade durch die Verdichtung und Knappheit bestochen, mit der Barthes hinter scheinbar selbstverständlichen Alltagsphänomenen - der Tour de France, dem Reden über Literatur, den Kochrezepten einer Frauenzeitschrift - die ihnen zugrundeliegenden Muster und Stereotype entziffert hatte. Den pointierten Texten entsprach das handliche Taschenbuchformat. Die bebilderte Ausgabe im Großdruck wirkt nun im Vergleich wie manche Skulpturen Claes Oldenburgs, die einen Teelöffel, ein Eis oder ein Taschenmesser auf ein Vielfaches ihrer natürlichen Größe vergrößern und die Dinge dadurch überdeutlich machen, sie aber auch aus ihrem Umfeld herauslösen und in ihrer plötzlichen Riesenhaftigkeit ein wenig verloren im öffentlichen Raum aussetzen.
Die Herausgeberin Jacqueline Guittard will dem Leser mit der neuen Edition ein "authentisches Dokument" vor Augen stellen, das neben den bekannten Essays nun auch deren ikonographischen Kontext zeigt. Tatsächlich hatte Barthes für sein Buch ein Archiv aus Zeitungsausschnitten angelegt, hatte Kinofilme angeschaut, Wahlplakate studiert und illustrierte Zeitschriften durchgeblättert. Vor allem die Texte, die explizit der Analyse einzelner Bilder gewidmet sind, gewinnen durch die neue Ausgabe. Die Fotografien geben ihnen einen Horizont zurück, der in den fünfziger Jahren noch vertraut war, heutigen Lesern aber nicht mehr vor Augen steht.
Und doch ist das Projekt äußerst fragwürdig. Es betrifft einen Autor, der sich wiederholt zur Unübersetzbarkeit von Schrift und Bild geäußert hat: Ein geschriebener Text sei nicht einfach abbildbar, ein Bild nicht leicht in sprachliche Zeichen zu übertragen. Dem Journal seiner Japanreise, das beide Formen kombiniert, hat Barthes diesen Gedanken als Losung vorangestellt: "Der Text ist kein ,Kommentar' zu den Bildern. Die Bilder sind keine ,Illustrationen' zum Text." In ihrem Nebeneinander sollte ein Zwischenraum aufscheinen, der jeden Versuch, beide Medien auf eine identische Botschaft hin zu lesen, ins Leere laufen ließen.
Die Herausgeberin der neuen Ausgabe verfolgt nun eine ganz andere Strategie: Die Bilder sollen den Texten zu Hilfe kommen und einen Kontext zum Vorschein bringen, der latent in ihnen enthalten war, aber nicht sichtbar wurde. Auch wenn sie es so nicht sagt, setzt sie dabei voraus, dass den Mythen bislang noch etwas fehlte, das erst durch ihre ikonographische Aufrüstung zum Vorschein kommt. In vielen Fällen allerdings ist diese nachträgliche Bebilderung schlicht überflüssig. Was bringt es, neben Barthes' Analyse der Auftritte des populären Predigers Billy Graham nun auch eine Fotografie des Beschriebenen zu sehen?
Interessanter sind die Fälle, in denen der ikonographische Zusatz die Texte tatsächlich in eine andere Richtung treibt. Hier lässt sich eine bemerkenswerte Erfahrung machen: Texte und Fotografien altern auf unterschiedliche Weise. Manche der Textbeiträge reichen weit über Zeit und Anlass ihrer Niederschrift hinaus. Barthes' Kommentar zur Fetischisierung von Einsteins Gehirn beispielsweise, das man 1955 an allerlei Kabel und Drähte angeschlossen hat, um die Genialität des Physikers im Auf und Ab des Kurvenschreibers direkt einsehbar zu machen, bedarf nur weniger Vertauschungen, um auf den heutigen Glauben an die computergestützten Offenbarungen der Neurowissenschaften übertragbar zu sein. Aber selbst dort, wo die beschriebenen Objekte tatsächlich längst historisch sind, ist es die Methode der Analyse, die Barthes' Texte aktuell macht. Wie gut ließen sich in diesem Stil etwa heutige Kochsendungen im Fernsehen, die politischen Rituale der Wahlberichterstattung, das Weltbild des "Manufactum"-Katalogs oder die Mythologie des "Brunchens" beschreiben.
Die den Texten hinzugefügten Fotos besitzen dieses Potential an Aktualisierbarkeit nicht. Hier gilt die Zeitgebundenheit, die Siegfried Kracauer so treffend als das Wesen dieses Mediums beschrieben hat. Eine Fotografie, so Kracauer, "muss wesentlich dem Zeitpunkt ihrer Entstehung zugeordnet sein". Über diesen historischen Zeitpunkt weist sie nicht hinaus: Im Abstand eines halben Jahrhunderts wird aus der jungen Frau von damals "ein archäologisches Mannequin, das der Veranschaulichung des Zeitkostüms dient".
Diesen Effekt bewirken nun auch die Fotos in den "Mythen". In den Frisuren, im Schnitt der Kleider, in der reichdekorierten Beilagenplatte im Kochteil der Frauenzeitschrift "Elle" hat sich die Signatur der fünfziger Jahre unauslöschlich eingetragen. In dieser Nachbarschaft erscheinen plötzlich auch die Texte archäologisch. Wo sie bisher mit einer Verbindung aus Präzision und bloßer Andeutung gearbeitet hatten, treten die Fotos mit dem Anspruch hinzu, das Gemeinte bis in alle peripheren Details in Sichtbarkeit zu überführen. In dieser falschen Konkretion scheinen die Mythen des Alltags historisch besiegelt und abgeschlossen. Das mag ein Gewinn für ihre Historisierung sein. Es ist aber kein Gewinn für die produktive Lektüre und die Vielschichtigkeit der Texte, deren Zeitkostüm bisher nicht so eng angelegen hatte.
PETER GEIMER
Roland Barthes: "Mythologies".
Édition illustrée, établie par Jacqueline Guittard. Éditions du Seuil, Paris 2010. 252 S., geb., 39,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ikonographisch aufgerüstet: Eine reichillustrierte Ausgabe der "Mythen des Alltags" von Roland Barthes führt vor Augen, dass Bilder und Texte auf recht unterschiedliche Weise altern
Nachdem die "Mythen des Alltags" von Roland Barthes nun endlich auch in einer vollständigen deutschen Übersetzung vorliegen (F.A.Z. vom 25. September 2010), kommt aus Paris eine neue und überraschende Version des Textes: eine illustrierte Edition, die sämtliche Beiträge noch einmal abdruckt, sie aber mit Bildmaterial der fünfziger Jahre durchsetzt - mit doppelseitigen Reportagen, Werbeanzeigen, film stills, Porträts von Schauspielern und Politikern.
Man muss sich an Handhabung und Anblick des großformatigen Bandes erst gewöhnen. Die "Mythen" hatten ja gerade durch die Verdichtung und Knappheit bestochen, mit der Barthes hinter scheinbar selbstverständlichen Alltagsphänomenen - der Tour de France, dem Reden über Literatur, den Kochrezepten einer Frauenzeitschrift - die ihnen zugrundeliegenden Muster und Stereotype entziffert hatte. Den pointierten Texten entsprach das handliche Taschenbuchformat. Die bebilderte Ausgabe im Großdruck wirkt nun im Vergleich wie manche Skulpturen Claes Oldenburgs, die einen Teelöffel, ein Eis oder ein Taschenmesser auf ein Vielfaches ihrer natürlichen Größe vergrößern und die Dinge dadurch überdeutlich machen, sie aber auch aus ihrem Umfeld herauslösen und in ihrer plötzlichen Riesenhaftigkeit ein wenig verloren im öffentlichen Raum aussetzen.
Die Herausgeberin Jacqueline Guittard will dem Leser mit der neuen Edition ein "authentisches Dokument" vor Augen stellen, das neben den bekannten Essays nun auch deren ikonographischen Kontext zeigt. Tatsächlich hatte Barthes für sein Buch ein Archiv aus Zeitungsausschnitten angelegt, hatte Kinofilme angeschaut, Wahlplakate studiert und illustrierte Zeitschriften durchgeblättert. Vor allem die Texte, die explizit der Analyse einzelner Bilder gewidmet sind, gewinnen durch die neue Ausgabe. Die Fotografien geben ihnen einen Horizont zurück, der in den fünfziger Jahren noch vertraut war, heutigen Lesern aber nicht mehr vor Augen steht.
Und doch ist das Projekt äußerst fragwürdig. Es betrifft einen Autor, der sich wiederholt zur Unübersetzbarkeit von Schrift und Bild geäußert hat: Ein geschriebener Text sei nicht einfach abbildbar, ein Bild nicht leicht in sprachliche Zeichen zu übertragen. Dem Journal seiner Japanreise, das beide Formen kombiniert, hat Barthes diesen Gedanken als Losung vorangestellt: "Der Text ist kein ,Kommentar' zu den Bildern. Die Bilder sind keine ,Illustrationen' zum Text." In ihrem Nebeneinander sollte ein Zwischenraum aufscheinen, der jeden Versuch, beide Medien auf eine identische Botschaft hin zu lesen, ins Leere laufen ließen.
Die Herausgeberin der neuen Ausgabe verfolgt nun eine ganz andere Strategie: Die Bilder sollen den Texten zu Hilfe kommen und einen Kontext zum Vorschein bringen, der latent in ihnen enthalten war, aber nicht sichtbar wurde. Auch wenn sie es so nicht sagt, setzt sie dabei voraus, dass den Mythen bislang noch etwas fehlte, das erst durch ihre ikonographische Aufrüstung zum Vorschein kommt. In vielen Fällen allerdings ist diese nachträgliche Bebilderung schlicht überflüssig. Was bringt es, neben Barthes' Analyse der Auftritte des populären Predigers Billy Graham nun auch eine Fotografie des Beschriebenen zu sehen?
Interessanter sind die Fälle, in denen der ikonographische Zusatz die Texte tatsächlich in eine andere Richtung treibt. Hier lässt sich eine bemerkenswerte Erfahrung machen: Texte und Fotografien altern auf unterschiedliche Weise. Manche der Textbeiträge reichen weit über Zeit und Anlass ihrer Niederschrift hinaus. Barthes' Kommentar zur Fetischisierung von Einsteins Gehirn beispielsweise, das man 1955 an allerlei Kabel und Drähte angeschlossen hat, um die Genialität des Physikers im Auf und Ab des Kurvenschreibers direkt einsehbar zu machen, bedarf nur weniger Vertauschungen, um auf den heutigen Glauben an die computergestützten Offenbarungen der Neurowissenschaften übertragbar zu sein. Aber selbst dort, wo die beschriebenen Objekte tatsächlich längst historisch sind, ist es die Methode der Analyse, die Barthes' Texte aktuell macht. Wie gut ließen sich in diesem Stil etwa heutige Kochsendungen im Fernsehen, die politischen Rituale der Wahlberichterstattung, das Weltbild des "Manufactum"-Katalogs oder die Mythologie des "Brunchens" beschreiben.
Die den Texten hinzugefügten Fotos besitzen dieses Potential an Aktualisierbarkeit nicht. Hier gilt die Zeitgebundenheit, die Siegfried Kracauer so treffend als das Wesen dieses Mediums beschrieben hat. Eine Fotografie, so Kracauer, "muss wesentlich dem Zeitpunkt ihrer Entstehung zugeordnet sein". Über diesen historischen Zeitpunkt weist sie nicht hinaus: Im Abstand eines halben Jahrhunderts wird aus der jungen Frau von damals "ein archäologisches Mannequin, das der Veranschaulichung des Zeitkostüms dient".
Diesen Effekt bewirken nun auch die Fotos in den "Mythen". In den Frisuren, im Schnitt der Kleider, in der reichdekorierten Beilagenplatte im Kochteil der Frauenzeitschrift "Elle" hat sich die Signatur der fünfziger Jahre unauslöschlich eingetragen. In dieser Nachbarschaft erscheinen plötzlich auch die Texte archäologisch. Wo sie bisher mit einer Verbindung aus Präzision und bloßer Andeutung gearbeitet hatten, treten die Fotos mit dem Anspruch hinzu, das Gemeinte bis in alle peripheren Details in Sichtbarkeit zu überführen. In dieser falschen Konkretion scheinen die Mythen des Alltags historisch besiegelt und abgeschlossen. Das mag ein Gewinn für ihre Historisierung sein. Es ist aber kein Gewinn für die produktive Lektüre und die Vielschichtigkeit der Texte, deren Zeitkostüm bisher nicht so eng angelegen hatte.
PETER GEIMER
Roland Barthes: "Mythologies".
Édition illustrée, établie par Jacqueline Guittard. Éditions du Seuil, Paris 2010. 252 S., geb., 39,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Barthes is an intellectual star, one of the very small group of maîtres à penser, such as Sartre, Levi-Strauss and Foucault... I readily proclaim that Mythologies is a kind of masterpiece, a fascinating book, the meaning of which sticks in the mind and can lend itself to all sorts of applications Observer