Der Begriff "Mythomimesis" soll einen spezifischen Umgang mit Mythos und Mythologie in der frühen Nachkriegsliteratur Westdeutschlands bezeichnen: Mythische Strukturen werden vorgeblich der Geschichte und besonders dem Geschehen der NS-Zeit und des Zweiten Weltkriegs abgelesen - als deren 'eigentliche' Tiefenstruktur. Die Geschichte erscheint so als von Göttern, Dämonen, numinosen Mächten gelenkt, deren Wirken nur vom berufenen 'Dichter' (in der überkommenenen Tradition des poeta vates) geschaut werden könne, während der bloße Schriftsteller an der Oberfläche etwa der gesellschaftlichen Realität bleibe. Mythomimetische Diskurse werden konstituiert von programmatischen Essays, die meist in den in großer Zahl reüssierenden literarischen Zeitschriften erscheinen. Hier werden Deutungsansprüche formuliert, die wenig mit ästhetischen Fragen zu tun haben, aber umso mehr mit erkenntnistheoretischen. Daß die Romane und Erzählungen, die solche mythischen Geschichtsauffassungen transportieren (unter ihnen Hermann Kasacks "Die Stadt hinter dem Strom", Elisabeth Langgässers "Märkische Argonautenfahrt" und Hans Erich Nossacks "Nekyia"), auch tatsächlich in diesem Sinne gelesen wurden, dafür sollten große Teile der literarischen Kritik Sorge tragen. Auf diese Weise wirkten wechselseitige Aufrufungen zwischen verschiedenen Textsorten mit an der (Re-)Etablierung von Autoren im literarischen Feld der Nachkriegszeit - in der Rolle von 'Dichtern', die eine mythomimetische Weltdeutung verkünden.