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Wie kein anderes Bauwerk des 'Dritten Reiches' war die Reichsautobahn von Anfang an als Mythos konzipiert. Sie sollte im nationalsozialistischen Sinne die Einheit von technischem Fortschritt, sozialer Harmonie und Versöhnung mit der Natur verkörpern, Symbol einer grandiosen und zugleich heilen Zukunft sein. Ihr Bau wurde daher systematisch begleitet von Spielfilmen und Romanen, Gemälden und Gedichten, Plakaten und Briefmarken. Bis heute hält sich die propagandistische Behauptung, der Autobahnbau sei eine Idee der Nazis gewesen und habe entscheidend zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit…mehr

Produktbeschreibung
Wie kein anderes Bauwerk des 'Dritten Reiches' war die Reichsautobahn von Anfang an als Mythos konzipiert. Sie sollte im nationalsozialistischen Sinne die Einheit von technischem Fortschritt, sozialer Harmonie und Versöhnung mit der Natur verkörpern, Symbol einer grandiosen und zugleich heilen Zukunft sein. Ihr Bau wurde daher systematisch begleitet von Spielfilmen und Romanen, Gemälden und Gedichten, Plakaten und Briefmarken. Bis heute hält sich die propagandistische Behauptung, der Autobahnbau sei eine Idee der Nazis gewesen und habe entscheidend zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit beigetragen, was sich bei Betrachtung der Vorgeschichte aus den zwanziger Jahren und den Beschäftigungszahlen der dreißiger Jahre als klare Verfälschung der Realitäten erweist.
Erhard Schütz und Eckhard Gruber zeigen an Hand von Materialien aus Archiven und Privatsammlungen die genauen Mechanismen der Inszenierung und widerlegen manch nachhaltig wirkende Legende. Sie gehen zugleich auf die Veränderungen im Freizeitverhalten und in der Mobilität der Deutschen ein und machen deutlich, welche Auswirkungen die damalige Entwicklung auf die moderne Gesellschaft hatte - bis hin zum heutigen Verschwinden der Autobahn unter dem Verkehr.
Autorenporträt
Erhard Schütz studierte von 1967 bis 1972 Germanistik, Wissenschaft von der Politik und Philosophie in Gießen und Würzburg. Heute ist er Professor am Institut für Deutsche Literatur an der Humboldt Universität Berlin. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, Literatur- und Mediengeschichte, Berlin in der Literatur, Motivgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.1997

Mythos im Heimatstil
Eine Dokumentation über Hitlers Autobahnen

Erhard Schütz, Eckhard Gruber: Mythos Reichsautobahn. Bau und Inszenierung der "Straßen des Führers" 1933-1941. Ch. Links Verlag, Berlin 1996. 179 Seiten, 100 Abbildungen, 68,- Mark.

Auf der "Reichsautobahn" von Leipzig nach Berlin bot sich dem sowjetrussischen Kriegskorrespondenten Konstantin Simonow am 29. April 1945 ein grauenhafter Anblick: Kurz vor dem "Berliner Ring" hatten einige Divisionen der Wehrmacht versucht, auf einer breiten Waldschneise, die quer zur Autobahn von Ost nach West verlief, der Einkesselung durch Marschall Konjews Sowjet-Armeen zu entkommen. Sie hatten an der Oderfront gegen die russische Übermacht gekämpft und wollten nun auf Waldwegen nach Westen durchbrechen, um sich an der Elbe in amerikanische Kriegsgefangenschaft zu begeben. Aber die Russen hatten ihren Ausbruchsversuch schon erwartet. Batterien von Stalinorgeln standen bereit, um sie beim Überschreiten der Autobahn zu vernichten. Als die erschöpften deutschen Truppen im Morgengrauen in der Waldschneise auftauchten, empfing sie ein Feuerorkan. Konstantin Somonow, der wenige Stunden danach mit dem Auto an dieser Stelle vorbeikam, schrieb später:

"Soweit das Auge reichte, türmten sich zerschossene Panzer, Panzerspähwagen, Kettenfahrzeuge, Pkws, Lastwagen und Sanitätsautos. Sie waren buchstäblich übereinander geschoben, lagen umgestürzt, verdreht und verkeilt inmitten zerfetzter Kiefern. In diesem Chaos von zerborstetem Eisen und Stahl, Holz, Waffen, Tornistern, Koffern und Papieren waren überall, verbrannt und geschwärzt, entsetzlich zugerichtete menschliche Körper verstreut. Die breite Asphaltfläche der Autobahn war auf etliche hundert Meter mit Granattrichtern übersät, die wie ein riesiger Hautausschlag aussahen. Im Zickzack-Kurs fuhren sowjetische Nachschub-Kolonnen weiter nach Berlin . . ."

Eine Woche zuvor, in der Nacht vom 20. auf den 21. April, hatte auf dieser Autobahn in Richtung Süden der hektische Exodus der NS-Prominenz aus Berlin stattgefunden. Mit einem Lastwagen-Konvoi voller Kunstschätze aus seinem mittlerweile gesprengten Landsitz Karinhall verließ Hermann Göring die Reichshauptstadt und begab sich zu seiner Villa am Obersalzberg. Ein paar Tage später eroberte die Rote Armee die große "Autobahn-Spinne" bei Potsdam und das "Brandenburger Dreieck" am Berliner Ring. Hier hatte im Sommer 1936, gleich nach Beendigung der Olympischen Spiele, die pompöse Einweihungsfeier eines Autobahnabschnitts stattgefunden. Das gesamte Internationale Olympische Komitee war auf der Ehrentribüne versammelt und zeigte sich, ebenso wie Diplomaten und Korrespondenten aus aller Welt, von den "Straßen des Führers" sichtlich beeindruckt.

Das Buch, das jetzt die Geschichte von Hitlers Autobahnen erzählt, ist vorzüglich. Man staunt, wie es den beiden jungen Autoren gelungen ist, aus dem eher banal anmutenden Thema ein verblüffend vielsagendes Porträt des "deutschen Menschen" jener Zeit zu entwickeln. Alle peinlichen Klischees der NS-Pseudoromantik werden präsentiert, und die leitenden Männer des Autobahnbaus entpuppen sich als alte "Wandervögel", die darüber wachten, daß "Raststätten", Tankstellen und sogar Autobahn-Meistereien nur im bieder-rustikalen Heimatstil errichtet wurden. Dutzende von NS-Poeten schwärmten von den ästhetischen Beglückungen, die man als "Auto-Wanderer" dem Führer zu verdanken habe.

Wie Fotos aus jener Zeit zeigen, herrschte auf Hitlers Autobahnen nur wenig Verkehr. Auf ihnen tummelten sich vor allem die dem Regime suspekten "oberen Zehntausend", die sich den Luxus eines eigenen Privatautos leisten konnten. Die breite Masse der "Volksgenossen" war sozusagen bloß Zaungast an der Autobahn, denn der "KdF-Wagen" - wie der Volkswagen eigentlich heißen sollte - blieb ja Zukunftsmusik. Merkwürdigerweise wurde Hitlers riesiges Straßennetz für militärische Zwecke kaum benutzt. Truppentransporte fanden weiterhin fast immer mit der Eisenbahn statt. Die Fachleute der Wehrmacht befürchteten ständig, daß die französische Armee plötzlich auf den Autobahnen ins Reich eindringen könnte. Nicht zu Unrecht war man in Sorge, daß die hellen Fahrbahnen der feindlichen Luftaufklärung als ideales Orientierungsmittel dienen würden. Sie erhielten deshalb sehr bald eine schwarze Tarnfarbe. Während der Kriegsjahre wurde der Verkehr auf den Autobahnen immer spärlicher, denn Privatfahrten waren kaum noch erlaubt. Ab August 1943 durften deshalb auch Radfahrer die "Straßen des Führers" benutzen. Kurz vor Kriegsende befahl Hitler, beim Herannahen des Feindes alle lebenswichtigen Einrichtungen zu zerstören. Dazu gehörten auch die Autobahnbrücken, die erst wenige Jahre zuvor unter ungeheurem Kostenaufwand errichtet worden waren. Viele dieser Brückenbauwerke aus Naturstein wurden noch im letzten Augenblick von der Wehrmacht oder der SS gesprengt.

Der Berliner Christoph Links Verlag legt mit diesem Buch bereits die zweite ungewöhnlich gelungene Bild-Dokumentation vor. Im vergangenen Jahr erschien dort ein Band über die Verschandelung des Obersalzberges durch Martin Bormanns monströse Parteibauten. Jetzt ist, wiederum von zwei Autoren, der fatale, noch immer wirksame Autobahn-Mythos sorgfältig untersucht worden. Auch dieser Band enthält eine Fülle von seltenen zeitgenössischen Illustrationen. HENNING SCHLÜTER

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"Das Buch, das die Geschichte von Hitlers Autobahnen erzählt, ist vorzüglich. Man staunt, wie es den beiden Autoren gelungen ist, aus dem eher banal anmutenden Thema ein verblüffend vielsagendes Porträt des"deutschen Menschen"jener Zeit zu entwickeln." (Henning Schlüter, FAZ, 06.01.97) "Darmstädter werden dieses Buch im übrigen mit besonderem Interessse lesen, denn ihre Stadt war ein zentraler Punkt der ersten unter den Nazis realisierten Strecke von Frankfurt bis Heidelberg". (Darmstädter Echo, 12.12.1996) 2Dies ist der neueste Band der verdienstvollen Reihe"Geschichte in Bild und Text", mit der der Verlag von Christoph Links die Stein gewordene Geschichte ans Licht zu holen sucht. (...) Die Autoren dokumentieren die mediale Inszenierung dieses Mythos, der es in Wirklichkeit ist, eindrucksvoll, unterstützt durch ebenso reichhaltiges wie aufschlußreiches Bildmaterial. (...) Den Zitelmännern aller Couleurs sei diese Erkenntnis ins Stammbuch geschrieben, aber auch sonst sei dieses Buch jedem an deutscher Zeitgeschichte Interessierten nachdrücklich empfohlen." (Süddeutsche Zeitung, 10.1.1997)