Es gibt Städte, die nach Versprechen klingen, nach Abenteuern und Leidenschaft, die Sehnsüchte und Spannung bündeln wie in einem Brennglas – das ist Shanghai, die Stadt des 21. Jahrhunderts, die Stadt der Zukunft. Paradies der Abenteurer, Prostituierte Asiens, Paris des Ostens – so hatte man Shanghai genannt. Die Stadt war in den Zwanziger- und Dreißigerjahren Synonym für Sex und Sünde, für unermesslichen Reichtum wie für unfassbare Ausbeutung – abstoßend und anziehend zugleich. Zwischen all den »Sing-Song-Girls« und »Salzwasser-Schwestern« oder wie die zahlreichen Dirnen sich sonst noch nannten, soll einst ein verzweifelter Missionar aufgestöhnt haben: »Wenn Gott dieses Shanghai gewähren lässt, schuldet er Sodom und Gomorrha Abbitte.«
Shanghai wurde 1921 aber auch zum Gründungsort der Kommunistischen Partei. Die Truppen des Revolutionärs Mao Zedong eroberten 1948 Shanghai und befreiten die verzweifelte Stadt von den Nationalisten Chiang Kaisheks, die nach den japanischen Bombenangriffen von 1937 und der brutalen Besatzung durch die Soldaten des Tenno eine eigene Schreckensherrschaft errichtet hatten. Die Kommunisten enteigneten Geschäfte und Bars, schlossen die Opiumhöhlen und Freudenhäuser, schickten die Drogenabhängigen und Prostituierten zur Umerziehung aufs Land. »Nach dem Sturm erhebt sich der gebeugte Bambus«,sagt ein chinesisches Sprichwort,und so geschah es in den Jahren nach Maos Tod: Erste Veränderungen wurden sichtbar. Private Fahrradreparaturwerkstätten entstanden, die ersten freien Märkte. Hochzeitsgeschäfte. Fotostudios. Privatfriseure, Privatschlachter. Westliche Luxushotels, die in ihrer Nähe privat geführte Bars mit verheißungsvoll klingenden Namen wie »Manhattan« oder »Fortune« entstehen ließen. Shanghai wurde von der Partei misstrauisch beäugt.
Als Deng Xiaoping dann Anfang 1992 bei seiner Reise in den Süden dem Wirtschaftsstandort Shanghai seinen endgültigen Segen gab, steigerte sich der ökonomische Fortschritt in einen Rausch. Vor allem mit der »Neuen Wirtschaftszone Pudong« auf der anderen Seite des Bunds ging es nun atemberaubend schnell aufwärts. Shanghai gewann ein anderes, ein zweites, Futuristisches Gesicht. Auch wer alle sechs Monate wiederkam, hatte nun Schwierigkeiten, dieses Pudong wiederzuerkennen. Shanghai ist heute eine Stadt wie auf Speed, unsentimental bis zur Selbstverleugnung und süchtig nach Superlativen, Vorreiterin für das angeblich schon angebrochene Chinesisches Jahrhundert. Shanghai ist in den Augen der Welt nicht mehr das verruchte Paris des Ostens – obwohl die Sünde mit schäbigen Massagesalons und Edelbordellen vielfältig zurückgekehrt ist –, sondern das neue Manhattan mit einigen der international interessantesten Museen, Galerien und Jazzclubs. Und die viel zitierte »Baustelle der Welt« mit mehr Kränen als an jedem anderen Ort. Shanghai ist auch Chinas Kopf des Drachen, der für den Rest der Nation vordenken und die Nation in die richtigen Bahnen lenken soll. Shanghai ist eine Stadt der Gegensätze. Shanghai ist ein Mythos, der sich fortschreibt.
Shanghai wurde 1921 aber auch zum Gründungsort der Kommunistischen Partei. Die Truppen des Revolutionärs Mao Zedong eroberten 1948 Shanghai und befreiten die verzweifelte Stadt von den Nationalisten Chiang Kaisheks, die nach den japanischen Bombenangriffen von 1937 und der brutalen Besatzung durch die Soldaten des Tenno eine eigene Schreckensherrschaft errichtet hatten. Die Kommunisten enteigneten Geschäfte und Bars, schlossen die Opiumhöhlen und Freudenhäuser, schickten die Drogenabhängigen und Prostituierten zur Umerziehung aufs Land. »Nach dem Sturm erhebt sich der gebeugte Bambus«,sagt ein chinesisches Sprichwort,und so geschah es in den Jahren nach Maos Tod: Erste Veränderungen wurden sichtbar. Private Fahrradreparaturwerkstätten entstanden, die ersten freien Märkte. Hochzeitsgeschäfte. Fotostudios. Privatfriseure, Privatschlachter. Westliche Luxushotels, die in ihrer Nähe privat geführte Bars mit verheißungsvoll klingenden Namen wie »Manhattan« oder »Fortune« entstehen ließen. Shanghai wurde von der Partei misstrauisch beäugt.
Als Deng Xiaoping dann Anfang 1992 bei seiner Reise in den Süden dem Wirtschaftsstandort Shanghai seinen endgültigen Segen gab, steigerte sich der ökonomische Fortschritt in einen Rausch. Vor allem mit der »Neuen Wirtschaftszone Pudong« auf der anderen Seite des Bunds ging es nun atemberaubend schnell aufwärts. Shanghai gewann ein anderes, ein zweites, Futuristisches Gesicht. Auch wer alle sechs Monate wiederkam, hatte nun Schwierigkeiten, dieses Pudong wiederzuerkennen. Shanghai ist heute eine Stadt wie auf Speed, unsentimental bis zur Selbstverleugnung und süchtig nach Superlativen, Vorreiterin für das angeblich schon angebrochene Chinesisches Jahrhundert. Shanghai ist in den Augen der Welt nicht mehr das verruchte Paris des Ostens – obwohl die Sünde mit schäbigen Massagesalons und Edelbordellen vielfältig zurückgekehrt ist –, sondern das neue Manhattan mit einigen der international interessantesten Museen, Galerien und Jazzclubs. Und die viel zitierte »Baustelle der Welt« mit mehr Kränen als an jedem anderen Ort. Shanghai ist auch Chinas Kopf des Drachen, der für den Rest der Nation vordenken und die Nation in die richtigen Bahnen lenken soll. Shanghai ist eine Stadt der Gegensätze. Shanghai ist ein Mythos, der sich fortschreibt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit "grandiosen Bildstrecken" und "pointierten Analysen" kann dieser "kiloschwere Band" über die zur Zeit am schnellsten wachsende Metropole dieses Globus' Rezensent Freddy Langer begeistern. Es handelt sich bei dieser Publikation Langer zufolge um einen "Rundumschlag" von der Geschichte der Stadt über die "verschiedensten Aspekte der Gegenwart" bis zu den "Visionen der Zukunft". Zu den besonderen Qualitäten des Buches zählt der Rezensent, dass die Autoren immer eine kritische Distanz zu ihrem Stoff bewahren und es ihnen gelingt, über vierhundert Seiten die Spannung zu halten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2005Altstadtviertel im Hochhauspark
Am Platz des Volkes mitten in Schanghai unterhält das örtliche Stadtplanungszentrum ein Museum, zu dessen Höhepunkten ein Modell der Metropole zählt. Ein ganzer Saal ist vollgestellt mit Aberhunderten detailliert ausgearbeiteter Hochhäuser, zwischen denen sich mal Grünanlagen, mal alte Stadtbezirke ein wenig Raum gerettet haben - noch jedenfalls. Alle zwölf Monate muß das Modell mit teils erheblichen Veränderungen der Wirklichkeit angepaßt werden, und man ahnt, wie sich hier schon bald in der noch kleinsten Lücke ein weiterer Wolkenkratzer in die Höhe strecken wird. So schnell wie Shanghai verändert sich derzeit wohl kaum eine zweite Stadt auf dem Globus. Der kiloschwere Band "Mythos Shanghai" kann deshalb nur ein Zwischenbericht sein. Doch gerade der Moment des Umbruchs liefert Karl Johaentges und Erich Follath Stoff für grandiose Bildstrecken und pointierte Analysen einer Zeit, die im Museum noch die kommunistische Geschichte Chinas beschwört, während die Hauptstraßen längst geprägt sind von den Logos inernationaler Unternehmen. Daß die Autoren in ihrem Rundumschlag von der Geschichte über die verschiedensten Aspekte der Gegenwart bis zu den Visionen einer nahen Zukunft kritische Distanz bewahren, ohne in nostalgisch gefärbte Beschreibungen zu verfallen, zeichnet ihr Buch aus. Daß sie dabei den Spannungsbogen über fast vierhundert Seiten halten, grenzt an ein Wunder.
F.L.
"Mythos Shanghai" von Erich Follath (Text) und Karl Johaentges (Fotos). Collection Rolf Heyne, München 2005. 385 Seiten, zahlreiche Fotografien. Gebunden, 58 Euro. ISBN 3-8991-0264-9.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Am Platz des Volkes mitten in Schanghai unterhält das örtliche Stadtplanungszentrum ein Museum, zu dessen Höhepunkten ein Modell der Metropole zählt. Ein ganzer Saal ist vollgestellt mit Aberhunderten detailliert ausgearbeiteter Hochhäuser, zwischen denen sich mal Grünanlagen, mal alte Stadtbezirke ein wenig Raum gerettet haben - noch jedenfalls. Alle zwölf Monate muß das Modell mit teils erheblichen Veränderungen der Wirklichkeit angepaßt werden, und man ahnt, wie sich hier schon bald in der noch kleinsten Lücke ein weiterer Wolkenkratzer in die Höhe strecken wird. So schnell wie Shanghai verändert sich derzeit wohl kaum eine zweite Stadt auf dem Globus. Der kiloschwere Band "Mythos Shanghai" kann deshalb nur ein Zwischenbericht sein. Doch gerade der Moment des Umbruchs liefert Karl Johaentges und Erich Follath Stoff für grandiose Bildstrecken und pointierte Analysen einer Zeit, die im Museum noch die kommunistische Geschichte Chinas beschwört, während die Hauptstraßen längst geprägt sind von den Logos inernationaler Unternehmen. Daß die Autoren in ihrem Rundumschlag von der Geschichte über die verschiedensten Aspekte der Gegenwart bis zu den Visionen einer nahen Zukunft kritische Distanz bewahren, ohne in nostalgisch gefärbte Beschreibungen zu verfallen, zeichnet ihr Buch aus. Daß sie dabei den Spannungsbogen über fast vierhundert Seiten halten, grenzt an ein Wunder.
F.L.
"Mythos Shanghai" von Erich Follath (Text) und Karl Johaentges (Fotos). Collection Rolf Heyne, München 2005. 385 Seiten, zahlreiche Fotografien. Gebunden, 58 Euro. ISBN 3-8991-0264-9.
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