Keine Phantasie reicht an die schaurige Wahrheit heran, wie und warum am 15. April 1912 das Eiswasser des nächtlichen Atlantiks über der Titanic zusammenschlug, dem siebenstöckigen schwimmenden Palasthotel mit 762 Zimmern. 1490 Menschen wurde das größte Schiff der Welt zum Sarg, darunter 52 Kindern und vier Milliardären.
Exakt nach den Protokollen der Überlebenden, ohne Ausschmückungen, frei von Legenden erzählt der Autor das dreistündige Drama im atemberaubenden Minutentakt. Als die größte Blamage, die die Technik je erlitten hat, ist die Titanic bis heute aktuell; ihr Wrack, 1985 aufgefunden, bleibt auf dem Meeresgrund als eine Art Mausoleum für den hemmungslosen Fortschrittsglauben, der zusammen mit ihr unterging.
Exakt nach den Protokollen der Überlebenden, ohne Ausschmückungen, frei von Legenden erzählt der Autor das dreistündige Drama im atemberaubenden Minutentakt. Als die größte Blamage, die die Technik je erlitten hat, ist die Titanic bis heute aktuell; ihr Wrack, 1985 aufgefunden, bleibt auf dem Meeresgrund als eine Art Mausoleum für den hemmungslosen Fortschrittsglauben, der zusammen mit ihr unterging.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2012Hundert Jahre Untergang
Einen Dampfer von den Ausmaßen der RMS Titanic hatte die Passagierschifffahrt bis 1912 noch nicht gesehen. Ein neues Handbuch liefert Fakten und Dokumente zu dem vor 100 Jahren gesunkenen Luxusschiff.
Von Peter Thomas
Melodramatisch überhöhte Kinofilme, rasante Abenteuerromane und messerscharfe journalistische Reportagebücher haben sich an dieser epochalen Katastrophe der Schifffahrtshistorie schon abgearbeitet: Seitdem der Luxusdampfer RMS Titanic 1912 auf seiner ersten Atlantiküberquerung mit einem Eisberg kollidierte, unterging und mehr als 1500 Menschen um ihr Leben kamen, ist diese Geschichte immer wieder neu erzählt worden.
Was aber waren die technischen Hintergründe der Planung und der Konstruktion? Dieses schiffbaugeschichtlichen Kontexts des Unglücks in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1912, als die Titanic zwei Stunden und 20 Minuten nach der Kollision auseinanderbrach und sank, haben sich die britischen Autoren David F. Hutchings und Richard de Kerbrech angenommen. Aus ihrem Buch "Titanic. Konstruktion und Technik einer Legende" (Bielefeld: Delius Klasing 2012. 160 Seiten mit 200 Abbildungen, 29,90 Euro) stammen die Bilder auf dieser Seite.
Der Band lässt über weite Strecken zeitgenössische Fotografien vom Bau der Titanic und ihrer Schwesterschiffe sprechen: Es sind zumeist nüchterne Sachaufnahmen, die jedoch stets den Stolz auf eine technische Meisterleistung spüren lassen - überwältigend der mehr als 50000 PS starke Antrieb aus zwei Dampfmaschinen und einer Turbine, gigantisch die drei Schiffsschrauben. Der Mensch rückt in diesen Inszenierungen oft in die zweite Reihe, wird zum winzig anmutenden Statisten, der die Größe des entstehenden Schiffes unterstreicht.
Tatsächlich war die RMS (Royal Mail Steamer) Titanic zum Zeitpunkt ihrer Indienststellung das größte, modernste und wohl auch luxuriöseste Passagierschiff der Welt - nicht aber das schnellste. Denn um höchstes Tempo ging es der Reederei White Star Line nicht, als sie die nahezu baugleichen Dampfer Olympic, Titanic und Gigantic bei der Werft Harland & Wolff in Belfast in Auftrag gab. Stattdessen sollten Komfort und Sicherheit obenan stehen.
Auf ein Szenario wie den Zusammenstoß mit dem gewaltigen Eisberg war der aus 300 Spanten bestehende und mit 2.000 mindestens 25 Millimeter starken Stahlplatten beplankte Rumpf jedoch nicht vorbereitet. Der Eisberg perforierte die Titanic an Steuerbord mehrfach, sodass die sechs vorderen, durch Querschotts voneinander abgetrennten Segmente des Schiffes Wasser aufnahmen. Wahrscheinlich wurden die Auswirkungen der Kollision durch die nicht vorgesehene Belastung der Nieten (insgesamt hatte man drei Millionen davon für den Bau verwendet) auf Zug weiter verschlimmert.
Der Rest ist eine Geschichte des Versagens eines komplexen technischen Systems: Weil die Querschotts mittschiffs nur vier Decks hoch ausgeführt waren, konnte Wasser von den leckgeschlagenen vorderen Segmenten in den Rest des Schiffs eindringen, was den Dampfer endgültig sinken ließ. Dabei erwies es sich als verheerend, dass die Titanic mit zu wenigen Rettungsbooten für die Evakuierung aller Passagiere und Besatzungsmitglieder ausgerüstet worden war.
Diese Rettungsboote selbst seien hervorragend gebaut gewesen, sagt der Schiffbauingenieur Klaus Neumann, der das Buch aus dem Englischen übersetzt hat. Den Mangel an diesen Rettungsmitteln jedoch nennt er einen von mehreren Konstruktionsfehlern der Titanic. Darüber hinaus gab es wegen des Vertrauens in die als so gut wie unsinkbar geltende Konstruktion des Schiffs keine geregelten und erprobten Abläufe, um den Liner zu evakuieren. Deshalb wurden die meisten der Rettungsboote nach dem Unglück nicht voll besetzt.
Vorhandene technische Systeme, deren Potential nicht ausgeschöpft wurde - das ist ein Leitmotiv, das sich durch die Tragödie der Titanic zu ziehen scheint: Das über Schiffsfunk gesendete Notsignal beispielsweise wurde von dem nahen Schiff Californian nicht empfangen, weil es 1912 noch nicht vorgeschrieben war, den Funk rund um die Uhr besetzt zu halten.
So löste der Untergang der Titanic aber auch eine Reihe von Verbesserungen der Sicherheit in der internationalen Seefahrt aus. Das betraf unter anderem baulichen Veränderungen, aber auch die der Zahl der Menschen an Bord angemessene Ausstattung mit Rettungsmitteln sowie eine 24 Stunden am Tag besetzte Funkstation. Betroffen von den Änderungen war bereits der Bau der als drittes Schiff der Olympic-Klasse geplanten, Gigantic. Die Arbeiten am Schwesterschiff der Titanic wurden nach dem Untergang unterbrochen und der Entwurf des Liners wurde konstruktiv verändert. Erst 1914 stellte die White Star Line das Schiff dann als Britannic in Dienst.
Aufklärung: Die 50 populärsten Titanic-Irrtümer. Von Benedikt Grimmler. Bucher-Verlag 2011. 144 Seiten mit 80 Abbildungen, 17,95 Euro.
Für Kinder: Die Geschichte der Titanic. Von Eric Kentley, illustriert von Steve Noon. Dorling Kindersley 2009. 32 Seiten mit Illustrationen, 14,95 Euro.
Wissenschaft: Titanic. Mit Physik in den Untergang. Von Metin Tolan. Piper Verlag 2011. 208 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 17,99 Euro.
Zeitgeschichte: Titanic. Das Schiff, der Untergang, die Legenden. Von Linda Maria Koldau. C.H.Beck Verlag 2012. 303 Seiten, 19,95 Euro.
Dokumente: Titanic. Vier Tage bis zur Unsterblichkeit. Von Eigel Wiese. Koehlers Verlag 2012. 184 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 24,95 Euro.
Reportage: Mythos Titanic. Das Protokoll der Katastrophe. Von Wolf Schneider. Rowohlt Taschenbuch 2012. 192 Seiten, 8,99 Euro
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Einen Dampfer von den Ausmaßen der RMS Titanic hatte die Passagierschifffahrt bis 1912 noch nicht gesehen. Ein neues Handbuch liefert Fakten und Dokumente zu dem vor 100 Jahren gesunkenen Luxusschiff.
Von Peter Thomas
Melodramatisch überhöhte Kinofilme, rasante Abenteuerromane und messerscharfe journalistische Reportagebücher haben sich an dieser epochalen Katastrophe der Schifffahrtshistorie schon abgearbeitet: Seitdem der Luxusdampfer RMS Titanic 1912 auf seiner ersten Atlantiküberquerung mit einem Eisberg kollidierte, unterging und mehr als 1500 Menschen um ihr Leben kamen, ist diese Geschichte immer wieder neu erzählt worden.
Was aber waren die technischen Hintergründe der Planung und der Konstruktion? Dieses schiffbaugeschichtlichen Kontexts des Unglücks in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1912, als die Titanic zwei Stunden und 20 Minuten nach der Kollision auseinanderbrach und sank, haben sich die britischen Autoren David F. Hutchings und Richard de Kerbrech angenommen. Aus ihrem Buch "Titanic. Konstruktion und Technik einer Legende" (Bielefeld: Delius Klasing 2012. 160 Seiten mit 200 Abbildungen, 29,90 Euro) stammen die Bilder auf dieser Seite.
Der Band lässt über weite Strecken zeitgenössische Fotografien vom Bau der Titanic und ihrer Schwesterschiffe sprechen: Es sind zumeist nüchterne Sachaufnahmen, die jedoch stets den Stolz auf eine technische Meisterleistung spüren lassen - überwältigend der mehr als 50000 PS starke Antrieb aus zwei Dampfmaschinen und einer Turbine, gigantisch die drei Schiffsschrauben. Der Mensch rückt in diesen Inszenierungen oft in die zweite Reihe, wird zum winzig anmutenden Statisten, der die Größe des entstehenden Schiffes unterstreicht.
Tatsächlich war die RMS (Royal Mail Steamer) Titanic zum Zeitpunkt ihrer Indienststellung das größte, modernste und wohl auch luxuriöseste Passagierschiff der Welt - nicht aber das schnellste. Denn um höchstes Tempo ging es der Reederei White Star Line nicht, als sie die nahezu baugleichen Dampfer Olympic, Titanic und Gigantic bei der Werft Harland & Wolff in Belfast in Auftrag gab. Stattdessen sollten Komfort und Sicherheit obenan stehen.
Auf ein Szenario wie den Zusammenstoß mit dem gewaltigen Eisberg war der aus 300 Spanten bestehende und mit 2.000 mindestens 25 Millimeter starken Stahlplatten beplankte Rumpf jedoch nicht vorbereitet. Der Eisberg perforierte die Titanic an Steuerbord mehrfach, sodass die sechs vorderen, durch Querschotts voneinander abgetrennten Segmente des Schiffes Wasser aufnahmen. Wahrscheinlich wurden die Auswirkungen der Kollision durch die nicht vorgesehene Belastung der Nieten (insgesamt hatte man drei Millionen davon für den Bau verwendet) auf Zug weiter verschlimmert.
Der Rest ist eine Geschichte des Versagens eines komplexen technischen Systems: Weil die Querschotts mittschiffs nur vier Decks hoch ausgeführt waren, konnte Wasser von den leckgeschlagenen vorderen Segmenten in den Rest des Schiffs eindringen, was den Dampfer endgültig sinken ließ. Dabei erwies es sich als verheerend, dass die Titanic mit zu wenigen Rettungsbooten für die Evakuierung aller Passagiere und Besatzungsmitglieder ausgerüstet worden war.
Diese Rettungsboote selbst seien hervorragend gebaut gewesen, sagt der Schiffbauingenieur Klaus Neumann, der das Buch aus dem Englischen übersetzt hat. Den Mangel an diesen Rettungsmitteln jedoch nennt er einen von mehreren Konstruktionsfehlern der Titanic. Darüber hinaus gab es wegen des Vertrauens in die als so gut wie unsinkbar geltende Konstruktion des Schiffs keine geregelten und erprobten Abläufe, um den Liner zu evakuieren. Deshalb wurden die meisten der Rettungsboote nach dem Unglück nicht voll besetzt.
Vorhandene technische Systeme, deren Potential nicht ausgeschöpft wurde - das ist ein Leitmotiv, das sich durch die Tragödie der Titanic zu ziehen scheint: Das über Schiffsfunk gesendete Notsignal beispielsweise wurde von dem nahen Schiff Californian nicht empfangen, weil es 1912 noch nicht vorgeschrieben war, den Funk rund um die Uhr besetzt zu halten.
So löste der Untergang der Titanic aber auch eine Reihe von Verbesserungen der Sicherheit in der internationalen Seefahrt aus. Das betraf unter anderem baulichen Veränderungen, aber auch die der Zahl der Menschen an Bord angemessene Ausstattung mit Rettungsmitteln sowie eine 24 Stunden am Tag besetzte Funkstation. Betroffen von den Änderungen war bereits der Bau der als drittes Schiff der Olympic-Klasse geplanten, Gigantic. Die Arbeiten am Schwesterschiff der Titanic wurden nach dem Untergang unterbrochen und der Entwurf des Liners wurde konstruktiv verändert. Erst 1914 stellte die White Star Line das Schiff dann als Britannic in Dienst.
Aufklärung: Die 50 populärsten Titanic-Irrtümer. Von Benedikt Grimmler. Bucher-Verlag 2011. 144 Seiten mit 80 Abbildungen, 17,95 Euro.
Für Kinder: Die Geschichte der Titanic. Von Eric Kentley, illustriert von Steve Noon. Dorling Kindersley 2009. 32 Seiten mit Illustrationen, 14,95 Euro.
Wissenschaft: Titanic. Mit Physik in den Untergang. Von Metin Tolan. Piper Verlag 2011. 208 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 17,99 Euro.
Zeitgeschichte: Titanic. Das Schiff, der Untergang, die Legenden. Von Linda Maria Koldau. C.H.Beck Verlag 2012. 303 Seiten, 19,95 Euro.
Dokumente: Titanic. Vier Tage bis zur Unsterblichkeit. Von Eigel Wiese. Koehlers Verlag 2012. 184 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 24,95 Euro.
Reportage: Mythos Titanic. Das Protokoll der Katastrophe. Von Wolf Schneider. Rowohlt Taschenbuch 2012. 192 Seiten, 8,99 Euro
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