Um Fragen nach der Rolle und Wirkung von Mythen in der phantastischen Literatur zu beantworten, untersucht die vorliegende Arbeit H.P. Lovecrafts fiktive Cthulhu-Mythologie, die im Gegensatz zu antiken oder primitiven Mythen säkularisierter Natur ist. Es lässt sich zeigen, welche emotionalen und strukturgebenden Funktionen Mythen für den Literaturproduzenten und Rezipienten erfüllen. Darüberhinaus wird nachgewiesen, dass Lovecrafts Erzählungen eine innovatorische Sonderform der Phantastik zwischen Schauerroman und Science Fiction darstellen. In der Cthulhu-Welt tritt an die Stelle einer mythischen Kosmogonie das Konstrukt der Evolution übermenschlicher, jedoch konzeptuell natürlicher Wesen. Diese Entmythisierung des Mythischen gewinnt jedoch erneut mythische Dimensionen, da sie im irrationalen Kontext des Phantastisch-Unheimlichen stattfindet. In der Reversion von der Historie zum ontologischen Mythos, in dem das rational-kausale Evolutionskonzept durch ein animistisches ersetzt wird, liegt der eigentlich mythenschaffende Prozess begründet.