Die Atombombe und der Kalte Krieg, aber auch die Währungsreform und das Wunder von Bern kennzeichnen eine Epoche, in der die Vergangenheit unaussprechbar schien und die Zukunft bedrohlich. Das Gefühl, in einer Zeit ohne Ein- und Ausgang, ohne Richtung und ohne Schutz zu leben, beschreibt Hans Ulrich Gumbrecht in seinem neuen Buch als zentral für die Stimmung nach 1945: Er nennt es Latenz. In diesem Panorama der Nachkriegszeit begegnen wir nicht nur Beckett, Heidegger oder Camus, sondern auch einem Kind, das 1948 in einer zerbombten deutschen Stadt zur Welt kommt. Gumbrecht experimentiert mit einer Form der Darstellung, die persönliche Erinnerungen in Spannung zur Weltgeschichte setzt. So entdeckt er, warum jene Epoche unser Leben bis heute prägt. »Nach 1945« ist eine Genealogie der Gegenwart, die mit historischer Tiefenschärfe erklärt, wie wir wurden, was wir sind. Damit löst der Autor einmal mehr den Anspruch ein, zu den weltweit bedeutendsten Intellektuellen unserer Zeit zu gehören.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Tatsächlich, irgendwas geht seinen Gang, stellt Thomas Macho, des Autors Hausheiligen Beckett zitierend und unheimlich berührt von diesem Erinnerungsbuch Hans Ulrich Gumbrechts, fest. Mehr und nicht weniger lässt sich offenbar sagen nach der Lektüre, die den Rezensenten mit Kindheitserinnerungen des Autors bekannt macht, mit einem uneingelösten Latenz-Begriff, mit Wechselwirkungen aller Art, von Büchern, Filmen, Erfahrungen und Ereignissen, die eine Art Simultan-Wirkung erzeugen, ein Zeitgefühl. Dass der Autor dabei nicht dozierend vorgeht, sondern erzählend, macht das Buch für Macho zu einem berührenden Ereignis.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Mit seinem energischen Ableiten großer geschichtsphilosophischer Thesen aus Kunst und Literatur bleibt [Gumbrecht] der immer mehr versinkenden Nachkriegszeit unmittelbar verbunden.«
Stephan Schalk, Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.10.2012
Stephan Schalk, Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.10.2012