Die brillante Sophie Blind steht vor den Trümmern ihrer Ehe und beschließt, sich von Ezra, ihrem Ehemann, scheiden zu lassen. Ein fast skandalöser Schritt, und auch ihr Mann verspricht ihr, sie werde an der Scheidung zugrunde gehen, ist ihm die Ehe 1960 doch eine heilige Institution. In dieser schmerzhaften Situation erkennt Sophie, dass sich ein Riss durch ihr Leben zieht, den weder die unglückliche Ehe noch deren Ende zu heilen imstande sind. Sie beginnt sich zu erinnern: an die Kindheit in Budapest in den 1930er-Jahren, an den Vater, einen praktizierenden Psychoanalytiker, der die Affären ihrer Mutter als Symptom abhakt und der kleinen Sophie schon im Kindesalter erklärt, sie würde am Elektrakomplex leiden. 1939 emigriert die jüdische Familie in die USA, doch auch nach drei Jahrzehnten fühlt sich Sophie, als sei sie nie vom Schiff gestiegen. Einer steilen akademischen Karriere folgte die Ehe mit dem Intellektuellen Ezra, für den sie erst dann die »beste Frau der Welt« ist, wenn er sie endlich zum Schweigen gebracht hat. Haltlose Gewalt und Erniedrigung konterkarieren das nach außen perfekte Leben. Je tiefer sie ihre Vergangenheit reflektiert, desto unwirklicher erscheint ihr die Gegenwart.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wüst geht es zu in diesem Roman von Susan Taubes, freut sich Rezensent Jochen Schimmang: Dass ein amerikanischer Kritiker einst der Autorin attestierte, nicht zwischen Kunst und Leben zu unterschieden, kann Schimmang zwar bestätigen, aber warum es jener Kritiker als Manko verstand, ist ihm unbegreiflich. Er folgt mitgerissen Taubes Lebensspuren, die er in diesem Roman erkennt: Die gescheiterten Intellektuellen-Ehe (mit dem Religionswissenschaftler Jacob Taubes), der häufige Wechsel zwischen Amerika und Europa, die Erinnerung an Flucht und Exil, das Schicksal der europäischen Juden und der Untergang des alten Europas. Dass er dem Gang der Erzählung nicht immer folgen kann, nimmt er in Kauf. Die Szenerie wechselt so oft wie die Perspektive, die Erzählerin erweist sich als recht unzuverlässig. Schimmang findet das passend: So war es, das 20. Jahrhundert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2022Erschreckend komisch
Mit einem einzigen Roman hat sich Susan Taubes in die Literaturgeschichte der USA eingeschrieben: "Nach Amerika und zurück im Sarg".
Vor Kurzem wurde gemeldet, dass verschiedene britische Universitäten im Rahmen der neuen Fürsorglichkeit ihre Studenten vor der Lektüre unter anderem von Charlotte Brontë und Jane Austen gewarnt haben, da man bei Brontë Szenen von Gewalt, auch sexueller Art, begegnen könne oder, bei Jane Austen, auf Klassismus, Sexismus, Antiziganismus, Alkoholkonsum, Betrug, Depression und Rassismus treffe (F.A.Z. vom 11. Januar). Vor Susan Taubes' Roman "Nach Amerika und zurück", in den USA 1969 unter dem Titel "Divorcing" erschienen, muss an diesen Universitäten vermutlich deshalb nicht gewarnt werden, weil dieses Buch gar keine Chance hätte, in irgendeinem Seminar gelesen zu werden.
Denn da geht's wüst zu. Dabei hielt der Großkritiker Hugh Kenner in der "New York Times Book Review" bei Erscheinen des Romans dessen Autorin noch für eine typische "lady novelist", die die Differenz zwischen Kunst und Leben nicht begriff, wie angeblich viele ihrer Geschlechtsgenossinnen. Dennoch ist die Tatsache, dass Susan Taubes wenige Tage später durch einen Gang in den Atlantik Suizid beging, kaum unmittelbar auf Kenners vernichtendes Urteil zurückzuführen, so wenig wie auf die 1961 erfolgte Scheidung von Jacob Taubes, dem Religionswissenschaftler, der seit 1966 als Ordinarius an der FU Berlin firmierte.
Handelt das Buch von dieser Ehe? Ein Schlüsselroman, eine schlecht verkappte Abrechnung? Nein, schon allein deshalb nicht, weil man vom klar erkennbaren autobiographischen Hintergrund des Buches nicht das Geringste wissen muss, um den Lebensspuren und -schleifen von Sophie und Ezra Blind gebannt zu folgen. Denn es geht letztendlich nicht um deren Ehe, sondern um das schreckliche zwanzigste Jahrhundert, in dem eine amerikanische Intellektuellenehe zwischen der Tochter eines ungarisch-jüdischen Psychoanalytikers und dem Sohn eines Oberrabbiners nur eine winzige Facette darstellt. Es geht um das Schicksal des europäischen Judentums und den Untergang des alten Europas, um das Exil und das Reisen als Lebensform. Gleich zu Anfang des Romans weiß Sophie nicht genau, in welchem Zimmer sie aufwacht, ob in Budapest, der Normandie oder vielleicht doch in New York: "Das Zimmer hat sich wieder verändert, aber daran ist sie gewöhnt. An unvertraute Zimmer ist Sophie Blind gewöhnt. Sie ist ihr ganzes Leben lang gereist."
Im Übrigen ist sie tot. Ihr Geliebter, der am Bettrand sitzt, sagt es ihr, und (die Erzählerin?) Sophie Blind wechselt in die Ich-Form und bestätigt: "Ich starb an einem Dienstagnachmittag, von einem Auto überfahren, als ich gerade die Avenue George V überquerte." Gemessen an der Shoah, die das Jahrhundert prägte und den Hintergrund dieses Romans bildet (wie sie auch zu den Forschungsfeldern der Wissenschaftlerin Susan Taubes gehörte), ist das ein recht urbaner, nachgerade zivilisierter Tod.
Allerdings ist Sophie, die behauptet, jetzt nach ihrem Tod nur noch an der Wahrheit interessiert zu sein, keine sehr zuverlässige Erzählerin. Das beginnt damit, dass sie das Pferd von hinten aufzäumt und erst am Ende in ihrer ungarischen Kindheit ankommt. Auch diese Rückbewegung erfolgt jedoch nicht geradlinig. Der Roman springt permanent zwischen den Zeiten wie zwischen den Orten, so wie Sophie sich zwischen ihrem Ehemann und ihren Liebhabern bewegt. Es ist halt keine "gut erzählte Autobiographie", sondern ein ständiger nervöser Szenenwechsel, den zerrissenen Verhältnissen angemessen, von denen hier berichtet wird.
Alle ihre Bekannten wissen, dass Sophie Blind ein Buch schreibt, aber keiner weiß, was für eines. Vielleicht ist es das Buch, das wir gerade lesen, vielleicht entsteht es erst, während wir es lesen. Wir wissen nicht einmal, ob es Sophie Blind ist, die hier erzählt - und wann erzählt wird. Dem ständigen Szenenwechsel entsprechen der Wechsel und auch die gegenseitige Durchdringung der Ebenen. Amerikanische Wirklichkeit der Fünfzigerjahre und surrealistische Anklänge, der Konflikt zwischen Konvention und dem Kampf um eine weibliche Identität (genau genommen um unzählige davon), Obszönität und Zartgefühl, eigene und Fremderinnerungen an die verzweigte Familiengeschichte, Träume und verschiedene Übergangsstadien ins Wache, das mehrfach beschworene Trauma der Ausreise aus Budapest 1939 zusammen mit dem Vater, die erinnernde Rückkehr in die Budapester Kindheit, der ständige Wechsel der erwachsenen Sophie Blind zwischen Amerika und Europa ergeben am Ende einen überraschenderweise sehr dichten und gelungenen Text, der zwar einen wachen und aufmerksamen Leser fordert, ihn aber auch reichlich belohnt.
Denn das Ganze darf man sich nicht als düsteres Klagelied vorstellen. Im Gegenteil ist Taubes' Roman über weite Strecken überaus komisch, auch dies den Verhältnissen angemessen, von denen er berichtet. Sophies Beerdigung etwa könnte auch eine Szene in einer screwball comedy sein, und die Schilderung ihres Ehemanns dabei aus Sophies Sicht ist ein Glanzstück: "Er liebt öffentliche Anlässe - Hochzeiten, Beerdigungen, Beschneidungen, Antrittsreden, politische Versammlungen - ganz egal, Hauptsache, es ist ein Anlass. Armer Ezra, es gab für ihn nie genügend Anlässe. Einmal machte er mir das traurige Geständnis, dass er Papst geworden wäre, wenn er nicht als Jude zur Welt gekommen wäre."
Selbstverständlich gibt es in diesem Buch die Ebene der Trauer und der Melancholie, und im Hintergrund, bei allen hektischen Reisen der Protagonistin, steht das Bewusstsein der Fremdheit und des immerwährenden Exils als Schicksal. Sophie Blind kann weder ankommen noch zurückkehren. Sie habe das Schiff, auf dem sie 1939 in den New Yorker Hafen eingelaufen sei, in Wahrheit nie verlassen, heißt es an einer Stelle. Eine wirkliche Ankunft in Amerika gab es nicht, vielleicht auch nicht für die Autorin selbst. Dafür aber hat sich Susan Taubes mit ihrem einzigen Roman in die amerikanische Literatur eingeschrieben.
Dem Verlag Matthes & Seitz sei für die Neuausgabe der erstklassigen Übersetzung von Nadine Miller gedankt, die 1995 schon einmal unter dem schmerzenden Titel "Scheiden tut weh" erschienen war. Postum wenigstens ist der Autorin nun ihr eigener Wunschtitel zugestanden worden, der die eigentlichen Gewichtungen innerhalb des Romans viel präziser wiedergibt. JOCHEN SCHIMMANG
Susan Taubes: "Nach Amerika und zurück
im Sarg". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Nadine Miller. Vorwort von Sigrid Weigel, Essay von Leslie Jamison. Matthes & Seitz, Berlin 2021. 372 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit einem einzigen Roman hat sich Susan Taubes in die Literaturgeschichte der USA eingeschrieben: "Nach Amerika und zurück im Sarg".
Vor Kurzem wurde gemeldet, dass verschiedene britische Universitäten im Rahmen der neuen Fürsorglichkeit ihre Studenten vor der Lektüre unter anderem von Charlotte Brontë und Jane Austen gewarnt haben, da man bei Brontë Szenen von Gewalt, auch sexueller Art, begegnen könne oder, bei Jane Austen, auf Klassismus, Sexismus, Antiziganismus, Alkoholkonsum, Betrug, Depression und Rassismus treffe (F.A.Z. vom 11. Januar). Vor Susan Taubes' Roman "Nach Amerika und zurück", in den USA 1969 unter dem Titel "Divorcing" erschienen, muss an diesen Universitäten vermutlich deshalb nicht gewarnt werden, weil dieses Buch gar keine Chance hätte, in irgendeinem Seminar gelesen zu werden.
Denn da geht's wüst zu. Dabei hielt der Großkritiker Hugh Kenner in der "New York Times Book Review" bei Erscheinen des Romans dessen Autorin noch für eine typische "lady novelist", die die Differenz zwischen Kunst und Leben nicht begriff, wie angeblich viele ihrer Geschlechtsgenossinnen. Dennoch ist die Tatsache, dass Susan Taubes wenige Tage später durch einen Gang in den Atlantik Suizid beging, kaum unmittelbar auf Kenners vernichtendes Urteil zurückzuführen, so wenig wie auf die 1961 erfolgte Scheidung von Jacob Taubes, dem Religionswissenschaftler, der seit 1966 als Ordinarius an der FU Berlin firmierte.
Handelt das Buch von dieser Ehe? Ein Schlüsselroman, eine schlecht verkappte Abrechnung? Nein, schon allein deshalb nicht, weil man vom klar erkennbaren autobiographischen Hintergrund des Buches nicht das Geringste wissen muss, um den Lebensspuren und -schleifen von Sophie und Ezra Blind gebannt zu folgen. Denn es geht letztendlich nicht um deren Ehe, sondern um das schreckliche zwanzigste Jahrhundert, in dem eine amerikanische Intellektuellenehe zwischen der Tochter eines ungarisch-jüdischen Psychoanalytikers und dem Sohn eines Oberrabbiners nur eine winzige Facette darstellt. Es geht um das Schicksal des europäischen Judentums und den Untergang des alten Europas, um das Exil und das Reisen als Lebensform. Gleich zu Anfang des Romans weiß Sophie nicht genau, in welchem Zimmer sie aufwacht, ob in Budapest, der Normandie oder vielleicht doch in New York: "Das Zimmer hat sich wieder verändert, aber daran ist sie gewöhnt. An unvertraute Zimmer ist Sophie Blind gewöhnt. Sie ist ihr ganzes Leben lang gereist."
Im Übrigen ist sie tot. Ihr Geliebter, der am Bettrand sitzt, sagt es ihr, und (die Erzählerin?) Sophie Blind wechselt in die Ich-Form und bestätigt: "Ich starb an einem Dienstagnachmittag, von einem Auto überfahren, als ich gerade die Avenue George V überquerte." Gemessen an der Shoah, die das Jahrhundert prägte und den Hintergrund dieses Romans bildet (wie sie auch zu den Forschungsfeldern der Wissenschaftlerin Susan Taubes gehörte), ist das ein recht urbaner, nachgerade zivilisierter Tod.
Allerdings ist Sophie, die behauptet, jetzt nach ihrem Tod nur noch an der Wahrheit interessiert zu sein, keine sehr zuverlässige Erzählerin. Das beginnt damit, dass sie das Pferd von hinten aufzäumt und erst am Ende in ihrer ungarischen Kindheit ankommt. Auch diese Rückbewegung erfolgt jedoch nicht geradlinig. Der Roman springt permanent zwischen den Zeiten wie zwischen den Orten, so wie Sophie sich zwischen ihrem Ehemann und ihren Liebhabern bewegt. Es ist halt keine "gut erzählte Autobiographie", sondern ein ständiger nervöser Szenenwechsel, den zerrissenen Verhältnissen angemessen, von denen hier berichtet wird.
Alle ihre Bekannten wissen, dass Sophie Blind ein Buch schreibt, aber keiner weiß, was für eines. Vielleicht ist es das Buch, das wir gerade lesen, vielleicht entsteht es erst, während wir es lesen. Wir wissen nicht einmal, ob es Sophie Blind ist, die hier erzählt - und wann erzählt wird. Dem ständigen Szenenwechsel entsprechen der Wechsel und auch die gegenseitige Durchdringung der Ebenen. Amerikanische Wirklichkeit der Fünfzigerjahre und surrealistische Anklänge, der Konflikt zwischen Konvention und dem Kampf um eine weibliche Identität (genau genommen um unzählige davon), Obszönität und Zartgefühl, eigene und Fremderinnerungen an die verzweigte Familiengeschichte, Träume und verschiedene Übergangsstadien ins Wache, das mehrfach beschworene Trauma der Ausreise aus Budapest 1939 zusammen mit dem Vater, die erinnernde Rückkehr in die Budapester Kindheit, der ständige Wechsel der erwachsenen Sophie Blind zwischen Amerika und Europa ergeben am Ende einen überraschenderweise sehr dichten und gelungenen Text, der zwar einen wachen und aufmerksamen Leser fordert, ihn aber auch reichlich belohnt.
Denn das Ganze darf man sich nicht als düsteres Klagelied vorstellen. Im Gegenteil ist Taubes' Roman über weite Strecken überaus komisch, auch dies den Verhältnissen angemessen, von denen er berichtet. Sophies Beerdigung etwa könnte auch eine Szene in einer screwball comedy sein, und die Schilderung ihres Ehemanns dabei aus Sophies Sicht ist ein Glanzstück: "Er liebt öffentliche Anlässe - Hochzeiten, Beerdigungen, Beschneidungen, Antrittsreden, politische Versammlungen - ganz egal, Hauptsache, es ist ein Anlass. Armer Ezra, es gab für ihn nie genügend Anlässe. Einmal machte er mir das traurige Geständnis, dass er Papst geworden wäre, wenn er nicht als Jude zur Welt gekommen wäre."
Selbstverständlich gibt es in diesem Buch die Ebene der Trauer und der Melancholie, und im Hintergrund, bei allen hektischen Reisen der Protagonistin, steht das Bewusstsein der Fremdheit und des immerwährenden Exils als Schicksal. Sophie Blind kann weder ankommen noch zurückkehren. Sie habe das Schiff, auf dem sie 1939 in den New Yorker Hafen eingelaufen sei, in Wahrheit nie verlassen, heißt es an einer Stelle. Eine wirkliche Ankunft in Amerika gab es nicht, vielleicht auch nicht für die Autorin selbst. Dafür aber hat sich Susan Taubes mit ihrem einzigen Roman in die amerikanische Literatur eingeschrieben.
Dem Verlag Matthes & Seitz sei für die Neuausgabe der erstklassigen Übersetzung von Nadine Miller gedankt, die 1995 schon einmal unter dem schmerzenden Titel "Scheiden tut weh" erschienen war. Postum wenigstens ist der Autorin nun ihr eigener Wunschtitel zugestanden worden, der die eigentlichen Gewichtungen innerhalb des Romans viel präziser wiedergibt. JOCHEN SCHIMMANG
Susan Taubes: "Nach Amerika und zurück
im Sarg". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Nadine Miller. Vorwort von Sigrid Weigel, Essay von Leslie Jamison. Matthes & Seitz, Berlin 2021. 372 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main