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Für A. Dirk Moses stellt der Völkermord einen doppelten Gewaltakt dar: Einerseits vollzieht er den massenhaften Mord an Menschen und traumatisiert ganze Bevölkerungen für Generationen. Andererseits bringt ein derart grausames Verbrechen eine neue Kategorie des Bösen hervor, das ein Nachleben entwickelt. Als »das Verbrechen aller Verbrechen« stellt der Genozid unweigerlich eine normative und moralische Hierarchie der Gewalt auf. Er wird zum Maßstab für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der es erlaubt, Gewaltgeschichten kategorisch zu unterscheiden. Dagegen entwickelt Moses eine Theorie, die…mehr

Produktbeschreibung
Für A. Dirk Moses stellt der Völkermord einen doppelten Gewaltakt dar: Einerseits vollzieht er den massenhaften Mord an Menschen und traumatisiert ganze Bevölkerungen für Generationen. Andererseits bringt ein derart grausames Verbrechen eine neue Kategorie des Bösen hervor, das ein Nachleben entwickelt. Als »das Verbrechen aller Verbrechen« stellt der Genozid unweigerlich eine normative und moralische Hierarchie der Gewalt auf. Er wird zum Maßstab für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der es erlaubt, Gewaltgeschichten kategorisch zu unterscheiden. Dagegen entwickelt Moses eine Theorie, die differenzierter und inklusiver ist. Statt unterschiedliche Gewalterfahrungen und Traumata gegeneinander auszuspielen, schlägt er eine Perspektive vor, die Verbindungen befördert und die Solidarität unter den Opfern stärkt.
Moses' origineller Ansatz ist dabei gerade für die deutsche Erinnerungskultur von einzigartiger Bedeutung. Als einer der führenden Forscher zur Geschichte des Völkermords, setzt sich Moses seit Jahrzehnten intensiv mit dem Holocaust und dem deutschen Gedenken auseinander. Moses leistet einen Beitrag, um die unerlässliche Erinnerungskultur zu erneuern und dadurch lebendig zu halten.
Autorenporträt
A. Dirk Moses, 1967 in Brisbane, Australien geboren, ist Historiker und Politologe, mit Schwerpunkt auf der Geschichte des Völkermords und Erinnerungskultur. Er ist zurzeit Anne and Bernard Spitzer Professor für Politikwissenschaft am City College of New York. Moses ist Autor zahlreicher akademischer Schriften wie The Problems of Genocide und schreibt regelmäßig für Tageszeitungen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension

Der Historiker Stephan Malinowski ist bekannt geworden durch seine Studien über die Hohenzollern und den Nationalsozialismus, aber er hatte sich zuvor als Historiker schon mit postkolonialen Infragestellungen befasst, lange bevor diese Debatte in der breiten Öffentlichkeit angekommen war. Sein Aufsatz "Der Holocaust als 'kolonialer Genozid'? Europäische Kolonialgewalt und nationalsozialistischer Vernichtungskrieg" in Geschichte und Gesellschaft 2007, verfasst zusammen mit Robert Gerwarth, gehört zu den wichtigsten Texten in der Debatte. In der FAS kommt Malinowski auf die Dirk-Moses-Debatte zurück. Anlass ist ein bei Matthes & Seitz erschienenes Bändchen, in dem Moses seine Thesen nochmal resümiert. Malinowski versucht, Moses Begriff der "dauerhaften Sicherung" auf die Spur zu kommen, den dieser aus der Aussage eines Nazimörders bei den Nürnberger Prozessen destilliert hatte. Der Mörder hatte gesagt, man habe Kinder umgebracht, um sich vor der Rache der Nachfahren zu schützen. Solche "dauerhafte Sicherung" sei nun das Kennzeichen aller Völkermorde vom Holocaust bis zum "Krieg gegen den Terror", den Moses ernstlich einzureihen scheint. Malinowski reagiert einigermaßen fassungslos auf diese Konstruktion Moses': Die Behauptung, die Täter hätten sich vor allem in einer Art Gefahrenabwehr gesehen, "müsste noch gegen den Forschungsstand durchgesetzt werden", merkt Malinowski spitz an. Der vergleichenden Genozid-Forschung annonciert er eine große Zukunft - eine "Mischung aus politischer Polemik, Whataboutism und Begriffszerstörung" werde allerdings nicht zur Erkenntnis beitragen.

© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2023

Die Logik der Täter

Wie der Historiker A. Dirk Moses mit der Nebeneinanderstellung geschichtlicher Großverbrechen die postkoloniale Verdünnung und Umwertung der Holocausterinnerung betreibt

Von Stephan Malinowski

Mit dem Begriff "Arschbombe" wird in Sommerbädern eine Sprungtechnik bezeichnet, der es zwar an Eleganz mangelt, die jedoch im Becken erheblichen Wellengang und einige Aufmerksamkeit zu erzeugen vermag. Im Mai 2021 wählte der australische Historiker A. Dirk Moses ebendiese Technik beim Sprung ins Becken der deutschen Geschichts- und Erinnerungspolitik. Sein provokanter, scharf polemischer Text mit dem Titel "Der Katechismus der Deutschen" wendet sich gegen die in Deutschland angeblich kultische Beschäftigung mit dem Holocaust, die angebliche Abwertung anderer, vor allem kolonialer Großverbrechen und die angeblich reflexartige Unterstützung des Staates Israel.

Der Text, eines der schrillsten Zeugnisse einer international an Kraft gewinnenden Sichtweise vor allem unter jüngeren Wissenschaftlern und Aktivisten, hat erhebliche Wellen erzeugt, die in diversen Konferenzen und Sammelbänden auslaufen und als "Historikerstreit 2.0" bezeichnet wurden. Moses, Professor am City College of New York, beherrscht im Übrigen auch alle anspruchsvollen Startsprünge zum Eintritt in akademische Wettkampfbecken - er gehört seit zwanzig Jahren zu den produktivsten und einflussreichsten Intellektuellen auf dem Feld der postkolonial inspirierten komparativen Genozidforschung.

Jetzt erscheint für den deutschen Markt ein kurzes Bändchen mit dem Titel "Nach dem Genozid" (Matthes & Seitz, 159 Seiten, 15 Euro), das den Titelzusatz "Grundlage für eine neue Erinnerungskultur" hat und sich als Versuch verstehen lässt, die Kernthesen seines umfangreichen, öffentlich aber nur wenig eingeschlagenen Hauptwerks von 2021 - "The Problems of Genocide" - in Deutschland weiter zu popularisieren. Beiden Texten ist gemein, den 1948 für die UN-Völkermordkonvention zurechtgeschnittenen Genozid-Begriff als ein von jüdischen Intellektuellen entwickeltes Konzept zu deuten, das sich eignete, um NS-Verbrechen zu verfolgen und den Holocaust als "einzigartig" zu stilisieren, ohne die gleichzeitig fortlaufenden kolonialen und postkolonialen Großverbrechen liberaler und illiberaler Staaten benennen und verfolgen zu müssen.

Da Historiker keine rückwärtsgewandten Staatsanwälte sind und die jeweils gemeinten Täter und Opfer von ihnen weder verfolgt noch geschützt werden können, mag es gute Gründe geben, den Genozid-Begriff auf dem Feld der Geschichtswissenschaft für kontraproduktiv zu halten. Historische Analysen sollen Rekonstruktion, Deutung und Erklärung bieten, nicht messen, ob sich spezifische Mordgeschehen in nachgereichte juristische Kategorien pressen lassen. Dass die Begriffskampagne hier von einem Historiker geführt wird, der seit mehr als zehn Jahren als Herausgeber des renommierten "Journal of Genocide Research" fungiert, mag verwirren. Erheblich mehr jedoch verwirrt der Vorschlag, stattdessen die formelhafte Selbstdeutung nationalsozialistischer Täter in den Rang historischer Erklärungen zu erheben. Moses nennt diese katechetische Formel "dauerhafte Sicherung" in der deutschen, "permanent security" in der englischen Fassung.

So sollen etwa die Vernichtung der Azteken, die Bombardierung Dresdens und Tokios, der Vernichtungskrieg gegen die Herero, das Wüten französischer Spezialeinheiten im Algerienkrieg, das Massaker von Babyn Jar, die Gaskammern von Auschwitz und der amerikanische War on Terror nach 9/11 mit ein und derselben Kategorie erfasst werden. Neben Verweisen auf rhetorische Häufungen innerhalb der Deckungscodes der Mördersprache (Sicherheitsdienst, Sicherheitspolizei, Reichssicherheitshauptamt) führt Moses als wichtigste Quelle für diese Vorstellung allen Ernstes die Nürnberger Aussagen des SS-Gruppenführers Otto Ohlendorf an. Dem 1951 hingerichteten Befehlshaber der Einsatzgruppe D war es im Nürnberger Kreuzverhör gelungen, seine Ankläger in Debatten über alliierte Bombardierungen und die Kriegslogik der Tötung von Zivilisten zu verwickeln.

Die Ermordung von Frauen und Kleinkindern sei - Himmler hatte in seinen Posener Reden Ähnliches ausgeführt - notwendig gewesen, um spätere Rächer vorsorglich auszuschalten und somit Raum und Herrschaft dauerhaft "zu sichern". Moses glaubt, hier den Schlüssel entdeckt zu haben, mit dem sich weltweit Szenarien extremer Gewalt, darunter der Holocaust, erklären lassen. In verblüffender Vermengung von Quellen- und Analysesprache geht es angeblich darum, "aufzuzeigen, dass das utopische Streben nach absoluter Sicherheit den Kern der Shoah und anderer NS-Genozide bildet".

Mit dem Bezug auf den SS-Gruppenführer Ohlendorf schlägt der Text tatsächlich vor, die nachgereichten Apologien der Mörder in eine global und zeitlos einsatzfähige analytische Kategorie zu verwandeln. Moses versichert irritierten Lesern, der Begriff sei "gegen Ohlendorf und seinesgleichen" gerichtet. Dieses merkwürdig nivellierende "Seinesgleichen" rückt dann noch ganz andere Vorgänge in unmittelbare Nähe der NS-Verbrechen. Wenn Moses für den War on Terror seit 2001 "mindestens" 4,6 Millionen Todesopfer errechnet, ist grob erkennbar, wohin die vergleichende Reise gehen soll. Dieser neue Katechismus, den Moses seit Jahren international predigt, nimmt die antiliberale (hierzu gehören die NS-Verbrechen oder China) und liberale Sicherung (Atombomben, Korea, Vietnam, War on Terror, eine lange Reihe von Kolonialkriegen) gleichermaßen ins Visier.

Moses' frühere Arbeiten ließen sich in die Forschungskonjunktur zur Sicherung postimperialer Großräume, zu Aufstandsbekämpfung und Ausnahmezuständen einordnen, die den War on Terror und seine Doktrinen kritisch begleitet hatte. Und tatsächlich kann man diese Begriffe auf 1957 in Algier wütende Fallschirmspringer, britische Konzentrationslager in Kenia oder auf die kolonialgeschichtlich informierten Aufstandsbekämpfungseinheiten der Briten und Amerikaner in Afghanistan seit 2001 mehr oder minder sinnvoll anwenden. Die Formel "dauerhafte Sicherung" trägt zu einer Erklärung Guantanamos einiges bei - für Sobibor gilt dies jedoch nicht.

Bereits vor Jahren hatte Moses die Deutung des Holocaust als "subaltern genocide", also ein Genozid der Unterworfenen gegen die Herrscher, entworfen. Diese besagt, die Deutschen hätten sich in einer "kolonialen" Unterjochung durch die Juden geglaubt. So wird die Ermordung der europäischen Juden zum imaginierten Teil eines antikolonialen Befreiungskampfs. Breite Pinselstriche und freie Assoziationen dieser Art lassen Formulierungen erblühen, die methodisch und stilistisch an Ernst Noltes perfide Sprachspiele der Achtzigerjahre erinnern - hier erscheint die Schoa als der "radikalste Fall präemptiver Gegenwehr der Weltgeschichte". Für erklärungsstark hält Moses zudem die Figur der "verängstigten Patrioten", die - in ihrem "paranoiden" Selbstverständnis - im Namen der Sicherheit agiert hätten.

Viele dieser Formulierungen muss man mehrfach lesen, bis man glaubt, dass sie dort wirklich gedruckt stehen: "Die Einsatzgruppen verkörperten den Sicherheitsimperativ im Feld." Die Behauptung, Täter hätten sich vor allem in einer Art Gefahrenabwehr gesehen, müsste noch gegen den Forschungsstand durchgesetzt werden. Die Krankenmorde im Rahmen der T4-Aktion, die Ermordung der Sinti und Roma, die Jagd auf jüdische Kleinkinder auf Rhodos, in Amsterdam oder Bordeaux, ihr Transport quer durch Europa an Orte, deren einziger Zweck in der Ermordung der größtmöglichen Zahl einzelner Menschengruppen bestand, die Entkoppelung der Mordprozesse von militärischer und ökonomischer Logik - all das lässt sich damit nicht verbinden.

Der Unsinn reicht aber weit über die Grenzen der NS-Geschichte hinaus. Francisco Pizarros Männer in Peru, die Offiziere der Force Publique im Kongo, die Soldateska Trothas und Lettow-Vorbecks, die mit der Vernichtung der Herero befasst war, Polizeieinheiten, die Greise und Kinder im März 1945 in die letzten Deportationszüge am Gleis 17 in Berlin-Grunewald zwängten - was auch immer Täter in diesen verschiedenen Szenarien antrieb, der Wunsch "verängstigter Patrioten" nach "Sicherung" war es nicht. Auch die Heerscharen deutscher und europäischer Profiteure, die ein Stück Marmor aus der niedergebrannten Synagoge, das Sofa der verhafteten Nachbarn, den Hof gegenüber, oder die Doktorandenstelle des emigrierten Kommilitonen an sich nahmen, handelten, soweit bekannt, nicht als verängstigte Patrioten im Dienste der dauernden Sicherung.

Der kurze Band für deutsche Leser bleibt im Ton moderat und filtert die Beschäftigung mit Israel fast vollständig aus. Dies wird jeden Kenner von Moses' Arbeiten erstaunen, hat sich doch die Wendung gegen den in seiner Sicht kolonialen Charakter Israels immer deutlicher als sein Achsenthema gezeigt. Und so ist der Text mit einem fast zeitgleich veröffentlichten Aufsatz von Moses in Jürgen Zimmerers Band "Erinnerungskämpfe - Neues deutsches Geschichtsbewusstsein" (Reclam, 500 Seiten, 25 Euro, erscheint am 8. September) zu lesen, in dem die antiisraelische Trompete laut aufspielt. Aus den fünf Elementen des "Katechismus der Deutschen" sind nun fünf deutsche "Obsessionen" geworden, die von "Obsessionsmanagern" gesteuert werden. Diese befürchten, dass eine Analyse kolonialer Aspekte des Nationalsozialismus letztlich die "siedlungskolonialistische Einheit weißer Juden und Jüdinnen" freilegen werde, "die gegenüber einheimischen Palästinenser:innen ein Regime der Apartheid eingerichtet haben". Statt obsessiv die Einzigartigkeit des Holocaust zu betonen, sei es an der Zeit, stärker der Nakba zu gedenken (im arabischen Sprachgebrauch die Flucht und Vertreibung von arabischen Palästinensern aus dem früheren britischen Mandatsgebiet).

Wer den Vietnamkrieg, den Zionismus, Israels Siedlungspolitik, Drohnenangriffe im Jemen oder in Afghanistan kritisieren will, muss dafür nicht auf die Schoa zurückgreifen. Allerdings sind die semantischen Spielmöglichkeiten immens, wenn die Schoa als koloniale Tat und Israel als kolonialer Apartheidsstaat gedeutet werden. Deutlich wird, wie "obsessiv" der Autor betreibt, was er seinen Gegnern vorwirft: die instrumentelle Verwendung von Holocaust-Deutungen für einen politischen Zweck. Omer Bartov, internationale Autorität der Holocaust-Forschung, hatte die von Moses erzeugte Aufregung als "Historikerstreit 0.0" bezeichnet, was treffend erscheint, denn historische Forschungsergebnisse werden hier nicht präsentiert. Wie sich der neue Katechismus, den Moses mit immenser Energie verbreitet, durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.

Seine politische Attraktivität, die sich nicht zuletzt einem kämpferisch und antikolonial tönenden Sound verdankt, ist jedoch nicht nur in amerikanischen, britischen und deutschen Seminarräumen unübersehbar. Tatsächlich erschafft Moses durch seine Dekontextualisierung eine analytische Nacht, in der alle Katzen grau sind. Was Völkerrechtler mit derartig aufgeweichten Kategorien anfangen können, wird man der juristischen Fachdiskussion überlassen müssen.

Präzise lässt sich in dieser Begrifflichkeit lediglich ausdrücken, dass zu allen Zeiten viele Menschen an vielen Orten umgebracht wurden und dass "wir" ihrer gedenken sollten - irgendwie überall und "multidirektional". Da Geschichte nicht im Äther, sondern an Orten stattfindet, wird jedoch der Holocaust in der deutschen und israelischen Erinnerungspolitik auch weiterhin wichtiger bleiben als in Uganda oder Nepal. Umgekehrt werden die indische Teilung im Punjab und Roger Casements Putumayo Report in Bogotà intensiver "erinnert" werden als in Baden-Baden.

In einem Briefwechsel von 1965, auf den sich auch Moses beruft, diskutierten Hans Magnus Enzensberger und Hannah Arendt die vermeintlich enge Verwandtschaft von Auschwitz und atomarer Bedrohung. Enzensberger hatte Politik, Verbrechen, Tradition und Auschwitz schwungvoll in eins gepresst. Arendt kommentierte: "Es gibt einen scheinbaren Radikalismus, der nicht so sehr das Kind mit dem Bade ausschüttet, als vielmehr durch Parallelen, bei denen sich irgendein Generalnenner darbietet, vieles Partikulare unter ein Allgemeines subsumiert, wobei das konkret Sich-Ereignende als Fall unter Fällen verharmlost wird."

Diese Beobachtung ist nicht nur für das Bändchen von Moses, sondern insgesamt für eine Debatte bedenkenswert, die sich bemüht, jahrzehntelang getrennt voneinander analysierte Gewaltregime zusammenzudenken. An der Innovationskraft und an den Meriten dieser Diskussion kann kein Zweifel bestehen, und es bedarf keiner Propheten, um vorherzusehen, dass der Versuch, den Holocaust in eine globale Gewaltgeschichte der Moderne einzuordnen, Stoff für Jahrzehnte bietet. Dabei wird es nicht darum gehen, eine "Hierarchie" der Verbrechen zu liefern, sondern darum, verschiedene Motive, Ziele und Verlaufsformen extremer Gewalt sowie verschiedene Handlungsspielräume von Tätern, Kollaborateuren und Opfern zu beschreiben.

Koloniale Gewaltregime und die NS-Herrschaft über Europa weisen tatsächlich eine Reihe frappierender Gemeinsamkeiten auf. Diese möglichst präzise zu erfassen und die Punkte zu definieren, an denen die Vernichtungslogik der Schoa aus den jahrhundertealten Bahnen kolonialer Extremgewalt ausschert, wird auf lange Zeit eine wichtige Forschungsaufgabe bleiben. Die Mischung aus politischer Polemik, Whataboutism und Begriffszerstörung wird nicht zur Lösung beitragen.

Stephan Malinowski lehrt Geschichte in Edinburgh und Düsseldorf. Sein Buch "Die Hohenzollern und die Nazis - Geschichte einer Kollaboration" (Propyläen Verlag, 784 Seiten, 35 Euro) erhielt den Deutschen Sachbuchpreis 2022. Derzeit arbeitet Malinowski an einem Buch zum Verhältnis von Kolonialismus und NS-Herrschaft über Europa.

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