Werner Abelshauser erschließt die Welt eines Mannes, der wie kein zweiter die Praxis des demokratischen Sozialismus verkörpert. Viele der Herausforderungen, die sich Hans Matthöfer stellten, sind noch immer akut, seine Antworten immer noch aktuell. Sein facettenreiches Leben erlaubt es, die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik aus biographischer Perspektive neu zu schreiben. Der 1925 geborene Arbeitersohn war Lehrling, Soldat, Student, Publizist, Diplomat, Leiter der Bildungsabteilung der IG-Metall, Bundestagsabgeordneter, Kämpfer gegen das Franco-Regime, Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Forschungsminister, Finanzminister, Postminister, Schatzmeister der SPD, Chef der Gewerkschaftsholding BGAG, Aufsichtsrat und Wirtschaftsberater, kurz, eine Schlüsselfigur der alten Bundesrepublik. Auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere trennte ihn nur ein Herzschlag vom Kanzleramt. Aus seinen Niederlagen - etwa dem Versuch, die Arbeiterschaft durch betriebsnahe Gewerk-schaftspolitik zu mobilisieren (1965) oder mit einer Ökosteuer (1982) die Scheidung von "rot" und "grün"Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945" abzuwenden - lässt sich ebenso viel lernen wie aus seinen Erfolgen. Die Demokratisierung Spaniens, die Humanisierung der Arbeitswelt, der Kampf gegen die Weltwirtschaftskrise der siebziger Jahre und die Rettung des Gewerkschaftsvermögens stehen beispielhaft dafür.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2009Wunder gibt es nimmer wieder
Eine Biographie von bedrückender Aktualität: Hans Matthöfers Erfahrungen
Der Name Hans Matthöfer ist heute nur noch politisch interessierten Zeitgenossen der Generation 40 plus ein Begriff. Vom Schwarzhändler bis zum Bundesminister, vom Gewerkschaftsfunktionär bis zum Wirtschaftsberater war die facettenreiche Persönlichkeit indessen ein zentraler Entscheidungsträger in der Geschichte der "alten Bundesrepublik". Von sozialistischer und katholischer Herkunft, blieb dem 1926 in Bochum Geborenen der Kriegsdienst an der Ostfront nicht erspart. Als Angehöriger der "skeptischen Generation", die - von Helmut Kohl bis Jürgen Habermas - für die Bundesrepublik so prägend wurde, machte Matthöfer seinen beruflichen Weg über die Gewerkschaften, der ihn 1974 in das erste Kabinett Helmut Schmidts (SPD) führte.
Als Minister für Forschung und Technologie, vor allem ab 1978 als Finanzminister vollzog Matthöfer als einer der engsten Vertrauten des kühlen Kanzlers den Wandel "vom linken Flügelstürmer zum halbrechten Pragmatiker". Wenig vernetzt in der eigenen Partei - Peer Steinbrück war bezeichnenderweise sein persönlicher Referent -, blieben Konflikte nicht aus, und so trat Matthöfer fünf Monate vor dem Ende der sozialliberalen Koalition 1982 den "Rückzug ins Postministerium" an. Nach dem baldigen Abschied auch aus diesem Amt versuchte er sich in den späteren achtziger Jahren an einer Sanierung des maroden Unternehmensverbundes der Gewerkschaften, der vor allem die am Rande des Bankrotts stehende Wohnbaugesellschaft Neue Heimat, die Bank für Gemeinwirtschaft, die Volksfürsorge und die Lebensmittelkette co op umfasste. Am Ende allerdings hieß es: "Aus der Traum" vom gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaftsimperium.
Der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Werner Abelshauser hat mit "Matthöfer" seine erste Biographie vorgelegt. Da dieses Genre stets die Gefahr birgt, "die Rolle individueller Akteure in der Politik zu überschätzen" und "die Wirkung politischen Handelns auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu übertreiben", folgt er einem biographischen Modell, das auf drei Ebenen operiert: einer Strukturebene von äußerem, aber verinnerlichtem institutionellem Rahmen, einer Ebene äußerer Ereignisse und Einflüsse und schließlich der Handlungs- und Entscheidungsebene im Innern einer Person. Fallen die methodisch-theoretischen Erwägungen zuweilen unnötig skrupulös und umständlich aus, so spiegeln sie zugleich den hohen Reflexionsgrad und den immensen Kenntnisreichtum dieses Buches. Dies gilt sowohl hinsichtlich der wirtschafts- und sozialhistorischen Zusammenhänge als auch im Hinblick auf den biographischen Gegenstand, dessen von grundständiger Sympathie getragene Darstellung auf einem großen Fundus von Quellen ruht.
In der Person und der Vita Hans Matthöfers bündeln sich zentrale Prozesse des Wandels und des Übergangs in der Geschichte der Bundesrepublik ebenso wie des demokratischen Sozialismus und der Arbeiterbewegung. Das Ende des Nachkriegsbooms und der Vollbeschäftigung Mitte der siebziger Jahre engte schlagartig die Verteilungsspielräume ein, auf denen die sozialdemokratische Reformpolitik und die Hoffnungen der Ära Brandt gründeten. Zugleich gingen das Zeitalter der klassischen Industriegesellschaft, die Vorherrschaft des fordistischen Produktionsregimes und des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses zu Ende, auf dem der Sozial- und Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit basierte. Seine selbstgeschaffenen Überlastungen wurden zunehmend sichtbar - das "Modell Deutschland" steuerte auf Strukturprobleme zu, die mit den alten Instrumenten nicht mehr zu beheben waren.
Matthöfer, dem Abelshauser "die für Politiker nicht selbstverständliche Fähigkeit" attestiert, "selbst und eigenverantwortlich zu denken", suchte neue Wege. 1982 erwog er in einer Denkschrift, dem sogenannten "Ölpapier", eine Verbindung aus investiven Staatsausgaben und höheren Steuern auf Öl und Benzin, wie sie die rot-grüne Koalition zwei Jahrzehnte mit der "Ökosteuer" umsetzte, die dann freilich sozialstaatlichen, nicht strukturpolitischen Zwecken diente. Zugleich wandte sich Matthöfer nach dem zweiten Ölpreisschock von 1979 vom Keynesianismus ab, dem letzten Schrei der sechziger Jahre. Deficit spending hielt er nurmehr als ultima ratio der Politik zurück und bemühte sich stattdessen um die Verbindung von Beschäftigungspolitik und Ausgabendisziplin - um den Preis sozialpolitischer Einschnitte. Damit scheiterte er an der eigenen Partei, die wiederum Anfang der achtziger Jahre an der Aufgabe scheiterte, innere und äußere Anpassungen an die gewandelten Umstände zu leisten.
Die Regierung Kohl verlagerte in den Folgejahren die Akzente, brachte vor allem die Haushaltskonsolidierung voran, ohne langfristig tragfähige Lösungen für die Strukturprobleme des Landes zu finden. Zeitweise überlagert von den Problemen der Wiedervereinigung, waren sie im beginnenden 21. Jahrhundert unvermindert wieder da: Beschäftigung und Staatsverschuldung, Technologie und Entwicklungshilfe, Weltmarktorientierung und soziale Sicherungssysteme - immer wieder musste Matthöfer "die Erfahrung machen, dass sich politische Auseinandersetzungen rationaler Steuerung weitgehend entziehen". Abelshausers glänzend analytische Biographie ist von geradezu bedrückender Aktualität.
ANDREAS RÖDDER.
Werner Abelshauser: Nach dem Wirtschaftswunder. Der Gewerkschafter, Politiker und Unternehmer Hans Matthöfer. Dietz Verlag, Bonn 2009. 797 S., 58,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Biographie von bedrückender Aktualität: Hans Matthöfers Erfahrungen
Der Name Hans Matthöfer ist heute nur noch politisch interessierten Zeitgenossen der Generation 40 plus ein Begriff. Vom Schwarzhändler bis zum Bundesminister, vom Gewerkschaftsfunktionär bis zum Wirtschaftsberater war die facettenreiche Persönlichkeit indessen ein zentraler Entscheidungsträger in der Geschichte der "alten Bundesrepublik". Von sozialistischer und katholischer Herkunft, blieb dem 1926 in Bochum Geborenen der Kriegsdienst an der Ostfront nicht erspart. Als Angehöriger der "skeptischen Generation", die - von Helmut Kohl bis Jürgen Habermas - für die Bundesrepublik so prägend wurde, machte Matthöfer seinen beruflichen Weg über die Gewerkschaften, der ihn 1974 in das erste Kabinett Helmut Schmidts (SPD) führte.
Als Minister für Forschung und Technologie, vor allem ab 1978 als Finanzminister vollzog Matthöfer als einer der engsten Vertrauten des kühlen Kanzlers den Wandel "vom linken Flügelstürmer zum halbrechten Pragmatiker". Wenig vernetzt in der eigenen Partei - Peer Steinbrück war bezeichnenderweise sein persönlicher Referent -, blieben Konflikte nicht aus, und so trat Matthöfer fünf Monate vor dem Ende der sozialliberalen Koalition 1982 den "Rückzug ins Postministerium" an. Nach dem baldigen Abschied auch aus diesem Amt versuchte er sich in den späteren achtziger Jahren an einer Sanierung des maroden Unternehmensverbundes der Gewerkschaften, der vor allem die am Rande des Bankrotts stehende Wohnbaugesellschaft Neue Heimat, die Bank für Gemeinwirtschaft, die Volksfürsorge und die Lebensmittelkette co op umfasste. Am Ende allerdings hieß es: "Aus der Traum" vom gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaftsimperium.
Der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Werner Abelshauser hat mit "Matthöfer" seine erste Biographie vorgelegt. Da dieses Genre stets die Gefahr birgt, "die Rolle individueller Akteure in der Politik zu überschätzen" und "die Wirkung politischen Handelns auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu übertreiben", folgt er einem biographischen Modell, das auf drei Ebenen operiert: einer Strukturebene von äußerem, aber verinnerlichtem institutionellem Rahmen, einer Ebene äußerer Ereignisse und Einflüsse und schließlich der Handlungs- und Entscheidungsebene im Innern einer Person. Fallen die methodisch-theoretischen Erwägungen zuweilen unnötig skrupulös und umständlich aus, so spiegeln sie zugleich den hohen Reflexionsgrad und den immensen Kenntnisreichtum dieses Buches. Dies gilt sowohl hinsichtlich der wirtschafts- und sozialhistorischen Zusammenhänge als auch im Hinblick auf den biographischen Gegenstand, dessen von grundständiger Sympathie getragene Darstellung auf einem großen Fundus von Quellen ruht.
In der Person und der Vita Hans Matthöfers bündeln sich zentrale Prozesse des Wandels und des Übergangs in der Geschichte der Bundesrepublik ebenso wie des demokratischen Sozialismus und der Arbeiterbewegung. Das Ende des Nachkriegsbooms und der Vollbeschäftigung Mitte der siebziger Jahre engte schlagartig die Verteilungsspielräume ein, auf denen die sozialdemokratische Reformpolitik und die Hoffnungen der Ära Brandt gründeten. Zugleich gingen das Zeitalter der klassischen Industriegesellschaft, die Vorherrschaft des fordistischen Produktionsregimes und des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses zu Ende, auf dem der Sozial- und Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit basierte. Seine selbstgeschaffenen Überlastungen wurden zunehmend sichtbar - das "Modell Deutschland" steuerte auf Strukturprobleme zu, die mit den alten Instrumenten nicht mehr zu beheben waren.
Matthöfer, dem Abelshauser "die für Politiker nicht selbstverständliche Fähigkeit" attestiert, "selbst und eigenverantwortlich zu denken", suchte neue Wege. 1982 erwog er in einer Denkschrift, dem sogenannten "Ölpapier", eine Verbindung aus investiven Staatsausgaben und höheren Steuern auf Öl und Benzin, wie sie die rot-grüne Koalition zwei Jahrzehnte mit der "Ökosteuer" umsetzte, die dann freilich sozialstaatlichen, nicht strukturpolitischen Zwecken diente. Zugleich wandte sich Matthöfer nach dem zweiten Ölpreisschock von 1979 vom Keynesianismus ab, dem letzten Schrei der sechziger Jahre. Deficit spending hielt er nurmehr als ultima ratio der Politik zurück und bemühte sich stattdessen um die Verbindung von Beschäftigungspolitik und Ausgabendisziplin - um den Preis sozialpolitischer Einschnitte. Damit scheiterte er an der eigenen Partei, die wiederum Anfang der achtziger Jahre an der Aufgabe scheiterte, innere und äußere Anpassungen an die gewandelten Umstände zu leisten.
Die Regierung Kohl verlagerte in den Folgejahren die Akzente, brachte vor allem die Haushaltskonsolidierung voran, ohne langfristig tragfähige Lösungen für die Strukturprobleme des Landes zu finden. Zeitweise überlagert von den Problemen der Wiedervereinigung, waren sie im beginnenden 21. Jahrhundert unvermindert wieder da: Beschäftigung und Staatsverschuldung, Technologie und Entwicklungshilfe, Weltmarktorientierung und soziale Sicherungssysteme - immer wieder musste Matthöfer "die Erfahrung machen, dass sich politische Auseinandersetzungen rationaler Steuerung weitgehend entziehen". Abelshausers glänzend analytische Biographie ist von geradezu bedrückender Aktualität.
ANDREAS RÖDDER.
Werner Abelshauser: Nach dem Wirtschaftswunder. Der Gewerkschafter, Politiker und Unternehmer Hans Matthöfer. Dietz Verlag, Bonn 2009. 797 S., 58,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.07.2009Vom Arbeiterkind zum Minister
Mir würde es schon genügen, einmal verständlich dargestellt zu sehen, welche Ziele man verfolgt hat, warum, was gelungen ist, was fehlschlug und „ob ein Politiker eine durchdachte Anschauung hatte, die seinen Handlungen Festigkeit und Konsequenz verlieh”. So hat der ehemalige Bundesminister Hans Matthöfer einmal seine Erwartungen an eine Biographie umrissen. Gemessen daran hat der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser seine Aufgabe mit Bravour gelöst. Anfängliche Zweifel, ob sich über einen politischen Akteur wie Matthöfer, der zwar bedeutend, aber doch kein Konrad Adenauer oder Willy Brandt gewesen ist, ein umfangreiches Buch schreiben lässt, verfliegen schnell. Abelshauser versteht es glänzend, dessen Lebensgeschichte mit dem wirtschaftlichen und politischen Geschehen der Bundesrepublik zu verknüpfen.
Der abwechslungsreiche und krumme Lebenslauf des 1925 in Bochum im katholischen Arbeitermilieu geborenen Matt-höfer machte es dem Biographen leicht: Soldat, Studentenführer, Publizist, Leiter der Bildungsabteilung der Metallgewerkschaft, Bundestagsabgeordneter, Staatssekretär, Forschungs-, Finanz-, Postminister, Schatzmeister der SPD, Chef der Gewerkschaftsholding „Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft AG” (BGAG) – das waren seine wichtigsten Stationen. Matthöfers Bereitschaft, unkonventionelle Wege zu erproben, war dessen Karriere nicht immer zuträglich. Als er etwa den zur Neuen Linken zählenden Soziologen Oskar Negt zum Dozenten an einer IG Metall-Bildungseinrichtung berufen wollte, wurde er von einem Vorstandsmitglied barsch beschieden: „Soziologen brauchen wir in dieser Gewerkschaft nicht.” Von der IG Metall schied er im Unfrieden. Erleichtert wurde ihm der Abschied durch die Chance, 1972 das Amt des parlamentarischen Staatssekretärs im Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit unter Erhard Eppler übernehmen zu dürfen.
Den Höhepunkt der politischen Laufbahn erreichte er zwischen 1974 und 1982, als er, auch dank des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und Bundeskanzler Helmut Schmidt, nacheinander die Positionen des Forschungs- und des Finanzministers errang. Selbstbewusst hoffte er, seine Überlegungen zur „Einbettung der Forschungs- und Technologiepolitik in eine langfristige Strategie der Sicherung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft” auf die Arbeit als Finanzminister übertragen zu können. In seine Amtszeit fielen wichtige Entscheidungen, etwa über die Nutzung der Atomenergie, die Förderung der Solarenergie oder die erfolglosen Bemühungen um den Aufbau einer konkurrenzfähigen elektronischen Datenverarbeitung.
Matthöfer, den die Presse in der Endphase der Ära Schmidt sogar zum „Kronprinzen” des Kanzlers beförderte, zog sich nach dem Aus für die sozialliberale Koalition zunächst zurück, griff aber erfreut zu, als ihm 1985 das Amt des SPD-Schatzmeisters angeboten wurde. Mit 62 Jahren wagte er sogar einen Schritt auf unbekanntes Terrain. Er übernahm 1987 den Vorstandsvorsitz der skandalgeschüttelten BGAG und versuchte sich als Sanierer.
Abelshausers gewichtiges Werk ist eine Fundgrube für jeden, der sich mit der Politik- und Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik beschäftigen möchte. Dies gilt insbesondere für die 80er und 90er Jahre, die von der Forschung erst allmählich analysiert werden. Da der Autor anschaulich schreibt, sind die 680 Seiten eine lohnende Lektüre. Werner Bührer
Werner Abelshauser: Nach dem Wirtschaftswunder. Der Gewerkschafter, Politiker und Unternehmer Hans Matthöfer.
Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2009,
797 Seiten, 58,00 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Mir würde es schon genügen, einmal verständlich dargestellt zu sehen, welche Ziele man verfolgt hat, warum, was gelungen ist, was fehlschlug und „ob ein Politiker eine durchdachte Anschauung hatte, die seinen Handlungen Festigkeit und Konsequenz verlieh”. So hat der ehemalige Bundesminister Hans Matthöfer einmal seine Erwartungen an eine Biographie umrissen. Gemessen daran hat der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser seine Aufgabe mit Bravour gelöst. Anfängliche Zweifel, ob sich über einen politischen Akteur wie Matthöfer, der zwar bedeutend, aber doch kein Konrad Adenauer oder Willy Brandt gewesen ist, ein umfangreiches Buch schreiben lässt, verfliegen schnell. Abelshauser versteht es glänzend, dessen Lebensgeschichte mit dem wirtschaftlichen und politischen Geschehen der Bundesrepublik zu verknüpfen.
Der abwechslungsreiche und krumme Lebenslauf des 1925 in Bochum im katholischen Arbeitermilieu geborenen Matt-höfer machte es dem Biographen leicht: Soldat, Studentenführer, Publizist, Leiter der Bildungsabteilung der Metallgewerkschaft, Bundestagsabgeordneter, Staatssekretär, Forschungs-, Finanz-, Postminister, Schatzmeister der SPD, Chef der Gewerkschaftsholding „Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft AG” (BGAG) – das waren seine wichtigsten Stationen. Matthöfers Bereitschaft, unkonventionelle Wege zu erproben, war dessen Karriere nicht immer zuträglich. Als er etwa den zur Neuen Linken zählenden Soziologen Oskar Negt zum Dozenten an einer IG Metall-Bildungseinrichtung berufen wollte, wurde er von einem Vorstandsmitglied barsch beschieden: „Soziologen brauchen wir in dieser Gewerkschaft nicht.” Von der IG Metall schied er im Unfrieden. Erleichtert wurde ihm der Abschied durch die Chance, 1972 das Amt des parlamentarischen Staatssekretärs im Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit unter Erhard Eppler übernehmen zu dürfen.
Den Höhepunkt der politischen Laufbahn erreichte er zwischen 1974 und 1982, als er, auch dank des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und Bundeskanzler Helmut Schmidt, nacheinander die Positionen des Forschungs- und des Finanzministers errang. Selbstbewusst hoffte er, seine Überlegungen zur „Einbettung der Forschungs- und Technologiepolitik in eine langfristige Strategie der Sicherung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft” auf die Arbeit als Finanzminister übertragen zu können. In seine Amtszeit fielen wichtige Entscheidungen, etwa über die Nutzung der Atomenergie, die Förderung der Solarenergie oder die erfolglosen Bemühungen um den Aufbau einer konkurrenzfähigen elektronischen Datenverarbeitung.
Matthöfer, den die Presse in der Endphase der Ära Schmidt sogar zum „Kronprinzen” des Kanzlers beförderte, zog sich nach dem Aus für die sozialliberale Koalition zunächst zurück, griff aber erfreut zu, als ihm 1985 das Amt des SPD-Schatzmeisters angeboten wurde. Mit 62 Jahren wagte er sogar einen Schritt auf unbekanntes Terrain. Er übernahm 1987 den Vorstandsvorsitz der skandalgeschüttelten BGAG und versuchte sich als Sanierer.
Abelshausers gewichtiges Werk ist eine Fundgrube für jeden, der sich mit der Politik- und Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik beschäftigen möchte. Dies gilt insbesondere für die 80er und 90er Jahre, die von der Forschung erst allmählich analysiert werden. Da der Autor anschaulich schreibt, sind die 680 Seiten eine lohnende Lektüre. Werner Bührer
Werner Abelshauser: Nach dem Wirtschaftswunder. Der Gewerkschafter, Politiker und Unternehmer Hans Matthöfer.
Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2009,
797 Seiten, 58,00 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Voll des Lobs ist Rezensent Andreas Rödder für diese Biografie des Gewerkschafters und Politikers Hans Matthöfer, die Werner Abelshauser vorgelegt hat. Das methodisch überzeugende Werk des Wirtschafts- und Sozialhistoriker zeichnet sich in seinen Augen durch einen "hohen Reflexionsgrad" aus sowie durch profunde Kenntnisse sowohl der Person und des Lebens Matthöfers als auch der wirtschafts- und sozialpolitischen Zusammenhänge. In Matthöfers Biografie werden Rödder die Prozesse des Wandels und des Übergangs der Bundesrepublik wie der Sozialdemokratie und der Arbeiterbewegung sichtbar, weshalb er die Arbeit schließlich auch sehr aktuell findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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