Im Zeitalter der Globalisierung diktieren die Industrieländer einer Mehrheit von Entwicklungsländern die Wirtschaftspolitik - mit negativen Resultaten. Besonders gravierend ist die erzwungene Deregulierung der grenzüberschreitenden Kapitalflüsse, welche seit 1990 eine dichte Folge von Finanzkrisen produziert. Dass die globale Bilanz nicht allzu schlecht ausfällt, ist Ländern wie Indien, China oder Südkorea zu verdanken - gerade weil sie sich dem wirtschaftspolitischen Diktat Washingtons nicht unterwerfen.Niggli warnt in seinem Essay vor der Illusion, man könne die wirtschaftliche Globalisierung durch soziale und ökologische Leitplanken zivilisieren. Demokratie und Selbstbestimmung sind mit voller ökonomischer Integration aller Länder nicht vereinbar. Der Autor fordert ein neues weltwirtschaftliches Regulationsregime, das den einzelnen Ländern mehr Spielraum für eigenständige Entwicklungsstrategien gibt und sie von der Zwangsjacke liberalisierter Finanzmärkte befreit. Ein solcher Kurswechsel bedingt aber, dass die Bevölkerung der Industrieländer dem neuen 'liberalen' Imperialismus entgegentritt, den die USA für den Kampf gegen den 'Terrorismus' konzipieren.Ausgehend von Nigglis Analyse hat die Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke 16 politische Zielsetzungen erarbeitet. Sie zeigen konkrete, realistische Alternativen zur heute dominierenden Politik auf und sind ein nützlicher Leitfaden für alle, die sich für eine gerechtere Welt engagieren.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.05.2005Schön aggressiv
Eine Streitschrift der Schweizer Hilfswerke
Wenn wir uns die sechs Milliarden Menschen als Mitglieder ein und derselben Gesellschaft vorstellen, dann leben wir in einer krassen Klassengesellschaft”, sagt der Afrika-Kenner Peter Niggli in seiner Streitschrift. Ein gutes Tausendstel der Menschheit - 7,7 Millionen - sind Dollarmillionäre. Knapp ein Prozent dieses Tausendstels, 70 000, verfügen über ein Vermögen von mehr als 30 Millionen Dollar. Dem Wort Klassengesellschaft sind die Zähne gezogen seit 1989. Das Wort löst bei den großen Profiteuren dieser Welt keine Angst mehr aus.
Die Schweizer Bundesrätin Micheline Calmy-Rey ließ sich sogar zu einem munteren Vorwort in dem schön aggressiven Buch herab. Geschrieben im Auftrag der großen sechs Hilfswerke der Schweiz - bekämpft es auch die imperiale Struktur der US-Politik und die Militarisierung der Weltpolitik. Man müsse die internationalen Beziehungen verrechtlichen, die multilateralen Institute verstärken. Und man müsse einen Macht- und Geldausgleich zugunsten der Habenichtse bewirken. „Europa könnte dabei eine wesentliche Rolle spielen.”
Trotz aller Schärfe: Das Büchlein richtet sich auffällig wenig gegen die Schweiz, die ja in Davos den jährlichen Triumph des neoliberalen Global-Kapitalismus erlebt. Und dass etwa der viel gelobte neue Brasilien-Präsident Lula da Silva als allererstes zur Davos-Konferenz kam, wird in dem Traktat von Niggli auch nicht erwähnt. Aber er weist auf die Ohrfeige hin, die der Internationale Währungsfonds 2003 von dem thailändischen Premier Thakson Shinawatra erhielt. Er versprach nach der Rückzahlung des Zwölf-Milliarden-Dollar-Kredits, das Land nie mehr als „Beute” dem ausländischen Kapital in die Hände fallen zu lassen.
Rupert Neudeck
Peter Niggli
Nach der Globalisierung. Entwicklungspolitik im 21. Jahrhundert
Rotpunktverlag, Zürich 2004.
135 Seiten, 11,50 Euro.
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Eine Streitschrift der Schweizer Hilfswerke
Wenn wir uns die sechs Milliarden Menschen als Mitglieder ein und derselben Gesellschaft vorstellen, dann leben wir in einer krassen Klassengesellschaft”, sagt der Afrika-Kenner Peter Niggli in seiner Streitschrift. Ein gutes Tausendstel der Menschheit - 7,7 Millionen - sind Dollarmillionäre. Knapp ein Prozent dieses Tausendstels, 70 000, verfügen über ein Vermögen von mehr als 30 Millionen Dollar. Dem Wort Klassengesellschaft sind die Zähne gezogen seit 1989. Das Wort löst bei den großen Profiteuren dieser Welt keine Angst mehr aus.
Die Schweizer Bundesrätin Micheline Calmy-Rey ließ sich sogar zu einem munteren Vorwort in dem schön aggressiven Buch herab. Geschrieben im Auftrag der großen sechs Hilfswerke der Schweiz - bekämpft es auch die imperiale Struktur der US-Politik und die Militarisierung der Weltpolitik. Man müsse die internationalen Beziehungen verrechtlichen, die multilateralen Institute verstärken. Und man müsse einen Macht- und Geldausgleich zugunsten der Habenichtse bewirken. „Europa könnte dabei eine wesentliche Rolle spielen.”
Trotz aller Schärfe: Das Büchlein richtet sich auffällig wenig gegen die Schweiz, die ja in Davos den jährlichen Triumph des neoliberalen Global-Kapitalismus erlebt. Und dass etwa der viel gelobte neue Brasilien-Präsident Lula da Silva als allererstes zur Davos-Konferenz kam, wird in dem Traktat von Niggli auch nicht erwähnt. Aber er weist auf die Ohrfeige hin, die der Internationale Währungsfonds 2003 von dem thailändischen Premier Thakson Shinawatra erhielt. Er versprach nach der Rückzahlung des Zwölf-Milliarden-Dollar-Kredits, das Land nie mehr als „Beute” dem ausländischen Kapital in die Hände fallen zu lassen.
Rupert Neudeck
Peter Niggli
Nach der Globalisierung. Entwicklungspolitik im 21. Jahrhundert
Rotpunktverlag, Zürich 2004.
135 Seiten, 11,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Als "kenntnisreich und gut verständlich" lobt Rezensent Christoph Fleischmann diesen Essay über die globalisierte Weltwirtschaft aus der Perspektive der Drittwelt-Länder, den der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Entwicklungshilfswerke, Peter Niggli, vorgelegt hat. Deutlich werde, dass die Integration der Entwicklungsländer in den Weltmarkt durch Währungsfond und Weltbank nicht uneigennützig erfolge, sondern auch den großen westlichen Konzernen diene, die sich neue Märkte erobern. Fleischmann wertet Nigglis Sicht als "ernüchternd, aber plausibel". Er hebt hervor, dass Niggli nur einen Weg aus der Misere sieht, die De-Globalisierung. Besonders den Entwicklungsländern müsse es demnach ermöglicht werden, referiert Fleischmann, "einen wirtschaftspolitischen Weg zu gehen, der nicht von der vollen integration in den Weltmarkt bestimmt sei." Kapitalverkehrskontrollen, Protektionismus für heimische Industrien und gezielte Subventionen dürften durch WTO-Regeln nicht unmöglich gemacht werden. Fleischmann weist darauf hin, dass Nigglis Essay die Weltsicht formuliert, aus der heraus die Schweizer Hilfswerke ihre Leitlinien gewonnen haben. Etwas bedauerlich findet er hier, dass Niggli die Leitlinien nicht in seinen Essay einbezieht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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