Den Religionen steht nach dem Tod Gottes eine bemerkenswerte Zukunft bevor, prognostiziert Don Cupitt, Theologe und Leiter einer vielbeachteten Sendung der BBC über Fragen des Glaubens und der Religionen. Allerdings müssten besonders die Weltreligionen ihre Ansprüche bewusst und in großem Umfang einschränken, wollten sie ihre soziale Funktion im Kampf mit den säkularisierten Gesellschaften nicht verlieren.
Die Welt unter der Perspektive der Religionen zu betrachten heißt, eine unsichtbare, aber verständliche Welt anzunehmen, die der Wörter und Symbole. Nachdem die Macht der Mythen und Symbole gebrochen ist, gilt es besonders für die Weltreligionen, labile Gesellschaften in ihren Krisen zu stützen und zu stabilisieren. Die Globalisierung, die Rückkehr der Ethik und die schuldhaften historischen Verstrickungen der Religionen erzwingen ihre Selbstbeschränkung.
Einer poetischen Theologie, die Cupitt entwirft, entspringt eine neue Weltreligion, die nicht mehr mit dem Kreuz oder mi tFeuer und Schwert missioniert, sondern sich der von Grund auf veränderten Welt und ihren zwischenmenschlichen Herausforderungen stellt und verantwortlich, d. h. sozial und human handelt.
Die Welt unter der Perspektive der Religionen zu betrachten heißt, eine unsichtbare, aber verständliche Welt anzunehmen, die der Wörter und Symbole. Nachdem die Macht der Mythen und Symbole gebrochen ist, gilt es besonders für die Weltreligionen, labile Gesellschaften in ihren Krisen zu stützen und zu stabilisieren. Die Globalisierung, die Rückkehr der Ethik und die schuldhaften historischen Verstrickungen der Religionen erzwingen ihre Selbstbeschränkung.
Einer poetischen Theologie, die Cupitt entwirft, entspringt eine neue Weltreligion, die nicht mehr mit dem Kreuz oder mi tFeuer und Schwert missioniert, sondern sich der von Grund auf veränderten Welt und ihren zwischenmenschlichen Herausforderungen stellt und verantwortlich, d. h. sozial und human handelt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2002Der ausgedachte Gott
Man nehme, was man braucht: Don Cupitts neue Weltreligion
Der "Tod Gottes" oder "das Ende der Religion" sind seit Nietzsche, seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts immer wieder beschworen worden, nicht zuletzt von "religiösen Intellektuellen" (im Sinne Max Webers) selbst. Den verschiedenen letzten Todesstößen, die Gott versetzt worden sind, wird nun - zur Jahrtausendwende - von Don Cupitt in "After God" ein allerletzter hinzugefügt.
Daß es mit Gott und dem Gottesbewußtsein irreversibel vorbei ist, ist für den Autor, ehedem Priester der Church of England, einerseits eine höchst persönliche Erfahrung, eine "am eigenen Leibe" vollzogene. Die fünfziger Jahre waren ihm eine (letzte) Zeit der frommen Gläubigkeit und des täglich-intensiven Gebetsverkehrs mit Gott; schon die sechziger Jahre haben das - im Sinne von etwas nun nicht mehr Möglichem - "hinweggefegt". Andererseits sind es Postmoderne und Globalisierung, die aller herkömmlichen Religiosität die Atemluft entziehen. Und Cupitt wird nicht müde, die Diskontinuität dieses epochalen "nicht mehr" und "nicht mehr möglich" mit allen rhetorischen Mitteln zu "dramatisieren", und er meint damit weit mehr als ein "nicht mehr möglich" (bloß) für Intellektuelle. "Es ist der vielleicht schonungsloseste und plötzlichste kulturelle Bruch in der ganzen Menschheitsgeschichte." Die global-kulturelle Befindlichkeit läßt es nicht mehr zu, "eine kleine Gruppe von Sinninhalten" - innerhalb des weltweiten kommunikativen Marktes und Ideenflusses - dergestalt zu isolieren und zu privilegieren, daß man sie ausstattet mit dem Anspruch der Absolutheit oder der unbedingten und fundamentalen Gewißheit und sie darin "unverändert zu bewahren" sucht.
Was solche "Unmöglichkeit" genauer besagt, bleibt bei Cupitt eher unbestimmt. Die Postmoderne - das ist der Weltmarkt der Möglichkeiten, die Auflösung alles für substantiell Genommenen und die zunehmend aus der Nähe schon sich aufdrängende Erfahrung, daß zu den eigenen Plausibilitäten und Legitimitäten fremde sich hinzugesellen, die immer neu zeigen, daß alles auch anders möglich und denkbar ist. In dieser neuen weltweiten Welt der Kontingenz ist, folgt man Cupitts Diagnose, eines allerdings unmöglich: daß die herkömmliche Religion überlebt, und Cupitt spricht ihr die Überlebenschancen gleich in vier Richtungen ab. Die Religion überlebt nicht in der Gestalt "sakralisierter" (unpersönlicher) Werte, wie sie ein sozialmoralischer Konservativismus in der öffentlichen Debatte unantastbar halten will. Die herkömmliche Religion kann ferner nicht überleben in privatisiert-"verhäuslichter" Gestalt und desgleichen nicht in der höchst persönlichen Glaubenssphäre "der individuellen Subjektivität": "Noch vor einer Generation galt Individualität als eine schwierige Aufgabe und als Ursache tiefer ontologischer Besorgnis. Doch jetzt müssen wir lernen, ein glückliches und sorgloses Nichts zu sein, wie der Zufall es will."
Auch "das Individuum" - in seiner Singularität und Unmittelbarkeit zu Gott - ist "entzaubert" und Opfer der postmodernen Kontingenz. Schließlich Religion als "Gegenkultur"; hier allerdings reichert sich die Diagnose mit normativ-moralischen Untertönen an. In "fundamentalistischer" Gestalt soll oder darf die Religion nicht überleben; es ist dies eine "ethnisch-nationale" Gestalt des Religiösen, die zwischen "uns" und "anderen" einen fundamentalen Unterschied macht, wie er dem Geist der Postmoderne unbedingt zuwider ist. Diese "Gegenkultur"-Version der Zukunft der Religion ist für den Autor eine "Gefahr". Und so gerät dann die unerbittliche Diagnose zur Predigt, die ihren Hörern ans Herz legt, "daß wir die Postmodernität annehmen sollten", denn sie schützt zuverlässig vor der "gefährlichen" Versuchung des Fundamentalismus.
Rettung aus dem Netzwerk.
Da die Religion am Ende ist, kann man nun - im Rückblick - über die Religionsgeschichte als ganze sprechen. Don Cupitt kommt in einer ersten Gedankenreihe ("Das Kommen der Götter") vor allem auf die Anfänge zu sprechen, auf den Weg von archaischen Seelen- und Geistervorstellungen hin zu den machtstarken Gottheiten des Neolithikums, die thronende "Herren" sind und einer kosmischen Ordnung vorstehen, die staatsanalog konzipiert ist. Diese ganz skizzenhaft bleibenden, im einzelnen aber durchaus wertvollen Überlegungen führen auf den "philosophischen Theismus" des Christentums, auf die Ehe also, die der christliche Glaube mit der griechischen Metaphysik eingegangen ist und die Nietzsche vom Christentum als "Platonismus fürs Volk" hat sprechen lassen.
Entgegen dem, was hierzulande teilweise ziemlich unbefangen als religiöser Code von "Immanenz und Transzendenz" verhandelt wird, wird bei Cupitt eindrucksvoll deutlich, wie sehr mit der philosophischen Aufrüstung des Codes alle positiven (und "perfekten") Bestimmungen ("ewig", "wirklich", "gut") nur noch auf der transzendenten Seite anfallen und für die menschliche Selbstbeschreibung auf der Immanenzseite bloß noch Defizitäres bleibt. Im übrigen verficht Cupitt eine linguistische Theorie "der Religion"; wie bei Émile Durkheim "die Gesellschaft" die Wahrheit der Religion war, so ist es hier nun "die Sprache". Die übernatürliche Welt der Religion repräsentiert in mystischer Form die "Welt der Sprache". Leider ist diese linguistische Theorie in Cupitts Buch mehr versprochen und angedeutet als eingelöst oder gar ausgearbeitet. Und schon gar nicht ist sie über punktuelle Anläufe hinaus eingearbeitet in seine Skizze von der Religionenentwicklung und ihren "Stufen". Die zweite Gedankenreihe verhandelt dann schon die finale Geschichte vom "Tod der Götter"; die Diversifizierung der Hochreligionen, die ganz anderen Religionsgeschichten in Orient und Okzident finden mithin kaum mehr Erwähnung. Den Anfang vom Ende der alten Religion identifiziert der Autor in Mystik und negativer Theologie, und er nennt alles "religiösen Fortschritt", was die "dogmatische Metaphysik" und die schroffen Dualitäten von Transzendenz und Immanenz, von ewig und endlich, von spirituell und sinnlich zu erschüttern hilft. Hume, Kant, Nietzsche und andere sind die Helden dieser Fortschrittsgeschichte, und vollends kommt diese Geschichte in der Postmoderne ans Ziel.
Wenn man nun aber meint, damit sei alles gut zu Ende gebracht, so täuscht man sich. Denn Cupitt, der bekennende Postmodernist, hat noch ein weiteres, und man möchte vom Ende des Buches her sagen: ein eigentliches Anliegen. Dieses tritt in der dritten Gedankenreihe ("Religion nach den Göttern") ganz in den Vordergrund. Mit dem heutigen und nahezu vollständigen "Zusammenbruch des Offenbarungsglaubens" stellt sich die Frage: Wie soll man mit dem religiösen Erbe, das da auf uns gekommen ist, verfahren? Und hier tritt nun bei Cupitt ein ganz und gar "konservatorisches" Motiv und Interesse zutage. Ja, von "Rettung" ist die Rede, etwa so: "Wir können Gott nicht retten, weil Gott schon seit langem tot ist. Wir haben gesehen, daß die metaphysischen Annahmen, auf deren Grundlagen der klassische theistische Glaube möglich war, für immer verschwunden sind, und was jetzt als Glaube an Gott durchgeht, ist eine stark reduzierte Version dessen, was er einst gewesen ist. Die Form der Individualität und die Weltsicht, die zum Glauben an Gott gehören, lassen sich aber zurückgewinnen. Was im Netzwerk ,Sea of Faith' (einem losen Zusammenschluß radikaler religiöser Revisionisten in Großbritannien und Neuseeland) nichtrealistischer Glaube an Gott' genannt wird, ist ein Versuch, nach dem Tod Gottes zumindest einiges von einer Gottessicht auf uns und unser Leben zu retten. In ähnlicher Weise behaupte ich, daß wir auch etwas von der buddhistischen Sicht und etwas von einer authentisch religiösen Ethik zurückgewinnen können." Don Cupitt selbst ist Mitglied in dem Netzwerk "Sea of Faith", über das er hier schreibt.
Heil auf kleinster Flamme.
Ich will nun jene Kostbarkeiten aus der weltreligiösen Tradition ("gute historische Überlieferungen"), die Cupitt - erklärtermaßen eklektizistisch - in sein religiöses Rettungsprogramm aufnimmt, nicht im einzelnen aufzählen, sondern nur danach fragen, wie die konservatorischen Bemühungen näher begründet sind. Die Begründungen, die Cupitt für die Fortsetzung der Religion (auf kleinster Flamme) unter den postmodernen Bedingungen gibt, sind denkbar bescheiden und vom Enthusiasmus etwa der Pfingstbewegung oder von den Heilsversprechen und der Erlösungshoffnung der alten Art denkbar weit entfernt. Sie lauten unter anderem.: "brauchen wir", hat "Vorteile", die wir nicht ausschlagen sollten, ist von "therapeutischem Wert", ist individualitätsdienlich, fördert "unser persönliches Wachstum". Das sind nicht gerade zwingende oder starke Gründe, und eine "religiöse Bewegung" oder ein neuer Glaube sind damit wohl schwerlich in Gang zu setzen. Es geht um eine Art Intellektuellenreligiosität von gewollt "minimalistischem" Zuschnitt, mit der sich dann aber doch die nachdrückliche Vorstellung einer (expressiv oder ästhetisch eingefärbten) möglichen "Weltreligion" verbindet.
Am Ende des Buches kommt bei Cupitt, was das Rettungswerk und die "Zukunft der Religion" (so der korrekte Untertitel des Buches) angeht, eine Tonlage von Ungeduld auf. Als Soziologe möchte man in der Zukunftsfrage angesichts der Vielfalt und Diversität neuer Religionen, Sekten und religiöser Bewegungen weltweit zum Abwarten und Beobachten raten. Auch Cupitt registriert die in Bewegung befindliche Vielfalt der religiösen Landschaft weltweit ("Laßt hundert Blumen blühen!"). Bemerkenswerterweise aber mißbilligt er sie, nennt sie "Anarchie" und assoziiert damit gleichermaßen Unordnung, Traditionsverlust und Unfriedlichkeit. Statt dessen empfiehlt er "auf kurze Sicht" ein Verbleiben in der angestammt eigenen religiösen Tradition. Auf lange Sicht aber und vor allem sieht er Anlaß, "unverzüglich mit der Entwicklung eines neuen Weltglaubens zu beginnen". Denn nur ein solcher ist in seinen Augen der postmodernen Welt- und Kulturlage langfristig adäquat.
Philosophische Vorarbeiten dafür hat der Autor bereits geleistet. Es hat aber einen Zug von sympathischer Weltfremdheit, glauben zu können, man könne sich die der Weltgesellschaft adäquate eine Religion intellektuell "ausdenken" und man könne dies zugleich als Maßnahme der Konservierung verfallsbedrohter "guter" religiöser Tradition tun. Und andererseits hat man vollends den Eindruck, daß Cupitt das Opfer seiner eigenen "verfallsdramatisierten" Beschreibung der weltreligiösen Lage ist, wenn man beim Schlußsatz seines Buches angelangt ist. Der lautet so: "Wenn nicht schnell etwas Neues auf den Weg gebracht wird, fürchte ich, daß der Prozeß der Postmodernisierung dann schon so weit fortgeschritten und so zerstörerisch geworden sein wird, daß es zu spät ist." Derselbe Prozeß, der eben noch "religiöser Fortschritt" hieß, ist am Ende nur noch beschleunigte Destruktion.
HARTMANN TYRELL.
Don Cupitt: "Nach Gott". Die Zukunft der Religionen. Aus dem Englischen von Hans-Joachim Maass. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2001. 175 S., geb., 16,09 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Man nehme, was man braucht: Don Cupitts neue Weltreligion
Der "Tod Gottes" oder "das Ende der Religion" sind seit Nietzsche, seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts immer wieder beschworen worden, nicht zuletzt von "religiösen Intellektuellen" (im Sinne Max Webers) selbst. Den verschiedenen letzten Todesstößen, die Gott versetzt worden sind, wird nun - zur Jahrtausendwende - von Don Cupitt in "After God" ein allerletzter hinzugefügt.
Daß es mit Gott und dem Gottesbewußtsein irreversibel vorbei ist, ist für den Autor, ehedem Priester der Church of England, einerseits eine höchst persönliche Erfahrung, eine "am eigenen Leibe" vollzogene. Die fünfziger Jahre waren ihm eine (letzte) Zeit der frommen Gläubigkeit und des täglich-intensiven Gebetsverkehrs mit Gott; schon die sechziger Jahre haben das - im Sinne von etwas nun nicht mehr Möglichem - "hinweggefegt". Andererseits sind es Postmoderne und Globalisierung, die aller herkömmlichen Religiosität die Atemluft entziehen. Und Cupitt wird nicht müde, die Diskontinuität dieses epochalen "nicht mehr" und "nicht mehr möglich" mit allen rhetorischen Mitteln zu "dramatisieren", und er meint damit weit mehr als ein "nicht mehr möglich" (bloß) für Intellektuelle. "Es ist der vielleicht schonungsloseste und plötzlichste kulturelle Bruch in der ganzen Menschheitsgeschichte." Die global-kulturelle Befindlichkeit läßt es nicht mehr zu, "eine kleine Gruppe von Sinninhalten" - innerhalb des weltweiten kommunikativen Marktes und Ideenflusses - dergestalt zu isolieren und zu privilegieren, daß man sie ausstattet mit dem Anspruch der Absolutheit oder der unbedingten und fundamentalen Gewißheit und sie darin "unverändert zu bewahren" sucht.
Was solche "Unmöglichkeit" genauer besagt, bleibt bei Cupitt eher unbestimmt. Die Postmoderne - das ist der Weltmarkt der Möglichkeiten, die Auflösung alles für substantiell Genommenen und die zunehmend aus der Nähe schon sich aufdrängende Erfahrung, daß zu den eigenen Plausibilitäten und Legitimitäten fremde sich hinzugesellen, die immer neu zeigen, daß alles auch anders möglich und denkbar ist. In dieser neuen weltweiten Welt der Kontingenz ist, folgt man Cupitts Diagnose, eines allerdings unmöglich: daß die herkömmliche Religion überlebt, und Cupitt spricht ihr die Überlebenschancen gleich in vier Richtungen ab. Die Religion überlebt nicht in der Gestalt "sakralisierter" (unpersönlicher) Werte, wie sie ein sozialmoralischer Konservativismus in der öffentlichen Debatte unantastbar halten will. Die herkömmliche Religion kann ferner nicht überleben in privatisiert-"verhäuslichter" Gestalt und desgleichen nicht in der höchst persönlichen Glaubenssphäre "der individuellen Subjektivität": "Noch vor einer Generation galt Individualität als eine schwierige Aufgabe und als Ursache tiefer ontologischer Besorgnis. Doch jetzt müssen wir lernen, ein glückliches und sorgloses Nichts zu sein, wie der Zufall es will."
Auch "das Individuum" - in seiner Singularität und Unmittelbarkeit zu Gott - ist "entzaubert" und Opfer der postmodernen Kontingenz. Schließlich Religion als "Gegenkultur"; hier allerdings reichert sich die Diagnose mit normativ-moralischen Untertönen an. In "fundamentalistischer" Gestalt soll oder darf die Religion nicht überleben; es ist dies eine "ethnisch-nationale" Gestalt des Religiösen, die zwischen "uns" und "anderen" einen fundamentalen Unterschied macht, wie er dem Geist der Postmoderne unbedingt zuwider ist. Diese "Gegenkultur"-Version der Zukunft der Religion ist für den Autor eine "Gefahr". Und so gerät dann die unerbittliche Diagnose zur Predigt, die ihren Hörern ans Herz legt, "daß wir die Postmodernität annehmen sollten", denn sie schützt zuverlässig vor der "gefährlichen" Versuchung des Fundamentalismus.
Rettung aus dem Netzwerk.
Da die Religion am Ende ist, kann man nun - im Rückblick - über die Religionsgeschichte als ganze sprechen. Don Cupitt kommt in einer ersten Gedankenreihe ("Das Kommen der Götter") vor allem auf die Anfänge zu sprechen, auf den Weg von archaischen Seelen- und Geistervorstellungen hin zu den machtstarken Gottheiten des Neolithikums, die thronende "Herren" sind und einer kosmischen Ordnung vorstehen, die staatsanalog konzipiert ist. Diese ganz skizzenhaft bleibenden, im einzelnen aber durchaus wertvollen Überlegungen führen auf den "philosophischen Theismus" des Christentums, auf die Ehe also, die der christliche Glaube mit der griechischen Metaphysik eingegangen ist und die Nietzsche vom Christentum als "Platonismus fürs Volk" hat sprechen lassen.
Entgegen dem, was hierzulande teilweise ziemlich unbefangen als religiöser Code von "Immanenz und Transzendenz" verhandelt wird, wird bei Cupitt eindrucksvoll deutlich, wie sehr mit der philosophischen Aufrüstung des Codes alle positiven (und "perfekten") Bestimmungen ("ewig", "wirklich", "gut") nur noch auf der transzendenten Seite anfallen und für die menschliche Selbstbeschreibung auf der Immanenzseite bloß noch Defizitäres bleibt. Im übrigen verficht Cupitt eine linguistische Theorie "der Religion"; wie bei Émile Durkheim "die Gesellschaft" die Wahrheit der Religion war, so ist es hier nun "die Sprache". Die übernatürliche Welt der Religion repräsentiert in mystischer Form die "Welt der Sprache". Leider ist diese linguistische Theorie in Cupitts Buch mehr versprochen und angedeutet als eingelöst oder gar ausgearbeitet. Und schon gar nicht ist sie über punktuelle Anläufe hinaus eingearbeitet in seine Skizze von der Religionenentwicklung und ihren "Stufen". Die zweite Gedankenreihe verhandelt dann schon die finale Geschichte vom "Tod der Götter"; die Diversifizierung der Hochreligionen, die ganz anderen Religionsgeschichten in Orient und Okzident finden mithin kaum mehr Erwähnung. Den Anfang vom Ende der alten Religion identifiziert der Autor in Mystik und negativer Theologie, und er nennt alles "religiösen Fortschritt", was die "dogmatische Metaphysik" und die schroffen Dualitäten von Transzendenz und Immanenz, von ewig und endlich, von spirituell und sinnlich zu erschüttern hilft. Hume, Kant, Nietzsche und andere sind die Helden dieser Fortschrittsgeschichte, und vollends kommt diese Geschichte in der Postmoderne ans Ziel.
Wenn man nun aber meint, damit sei alles gut zu Ende gebracht, so täuscht man sich. Denn Cupitt, der bekennende Postmodernist, hat noch ein weiteres, und man möchte vom Ende des Buches her sagen: ein eigentliches Anliegen. Dieses tritt in der dritten Gedankenreihe ("Religion nach den Göttern") ganz in den Vordergrund. Mit dem heutigen und nahezu vollständigen "Zusammenbruch des Offenbarungsglaubens" stellt sich die Frage: Wie soll man mit dem religiösen Erbe, das da auf uns gekommen ist, verfahren? Und hier tritt nun bei Cupitt ein ganz und gar "konservatorisches" Motiv und Interesse zutage. Ja, von "Rettung" ist die Rede, etwa so: "Wir können Gott nicht retten, weil Gott schon seit langem tot ist. Wir haben gesehen, daß die metaphysischen Annahmen, auf deren Grundlagen der klassische theistische Glaube möglich war, für immer verschwunden sind, und was jetzt als Glaube an Gott durchgeht, ist eine stark reduzierte Version dessen, was er einst gewesen ist. Die Form der Individualität und die Weltsicht, die zum Glauben an Gott gehören, lassen sich aber zurückgewinnen. Was im Netzwerk ,Sea of Faith' (einem losen Zusammenschluß radikaler religiöser Revisionisten in Großbritannien und Neuseeland) nichtrealistischer Glaube an Gott' genannt wird, ist ein Versuch, nach dem Tod Gottes zumindest einiges von einer Gottessicht auf uns und unser Leben zu retten. In ähnlicher Weise behaupte ich, daß wir auch etwas von der buddhistischen Sicht und etwas von einer authentisch religiösen Ethik zurückgewinnen können." Don Cupitt selbst ist Mitglied in dem Netzwerk "Sea of Faith", über das er hier schreibt.
Heil auf kleinster Flamme.
Ich will nun jene Kostbarkeiten aus der weltreligiösen Tradition ("gute historische Überlieferungen"), die Cupitt - erklärtermaßen eklektizistisch - in sein religiöses Rettungsprogramm aufnimmt, nicht im einzelnen aufzählen, sondern nur danach fragen, wie die konservatorischen Bemühungen näher begründet sind. Die Begründungen, die Cupitt für die Fortsetzung der Religion (auf kleinster Flamme) unter den postmodernen Bedingungen gibt, sind denkbar bescheiden und vom Enthusiasmus etwa der Pfingstbewegung oder von den Heilsversprechen und der Erlösungshoffnung der alten Art denkbar weit entfernt. Sie lauten unter anderem.: "brauchen wir", hat "Vorteile", die wir nicht ausschlagen sollten, ist von "therapeutischem Wert", ist individualitätsdienlich, fördert "unser persönliches Wachstum". Das sind nicht gerade zwingende oder starke Gründe, und eine "religiöse Bewegung" oder ein neuer Glaube sind damit wohl schwerlich in Gang zu setzen. Es geht um eine Art Intellektuellenreligiosität von gewollt "minimalistischem" Zuschnitt, mit der sich dann aber doch die nachdrückliche Vorstellung einer (expressiv oder ästhetisch eingefärbten) möglichen "Weltreligion" verbindet.
Am Ende des Buches kommt bei Cupitt, was das Rettungswerk und die "Zukunft der Religion" (so der korrekte Untertitel des Buches) angeht, eine Tonlage von Ungeduld auf. Als Soziologe möchte man in der Zukunftsfrage angesichts der Vielfalt und Diversität neuer Religionen, Sekten und religiöser Bewegungen weltweit zum Abwarten und Beobachten raten. Auch Cupitt registriert die in Bewegung befindliche Vielfalt der religiösen Landschaft weltweit ("Laßt hundert Blumen blühen!"). Bemerkenswerterweise aber mißbilligt er sie, nennt sie "Anarchie" und assoziiert damit gleichermaßen Unordnung, Traditionsverlust und Unfriedlichkeit. Statt dessen empfiehlt er "auf kurze Sicht" ein Verbleiben in der angestammt eigenen religiösen Tradition. Auf lange Sicht aber und vor allem sieht er Anlaß, "unverzüglich mit der Entwicklung eines neuen Weltglaubens zu beginnen". Denn nur ein solcher ist in seinen Augen der postmodernen Welt- und Kulturlage langfristig adäquat.
Philosophische Vorarbeiten dafür hat der Autor bereits geleistet. Es hat aber einen Zug von sympathischer Weltfremdheit, glauben zu können, man könne sich die der Weltgesellschaft adäquate eine Religion intellektuell "ausdenken" und man könne dies zugleich als Maßnahme der Konservierung verfallsbedrohter "guter" religiöser Tradition tun. Und andererseits hat man vollends den Eindruck, daß Cupitt das Opfer seiner eigenen "verfallsdramatisierten" Beschreibung der weltreligiösen Lage ist, wenn man beim Schlußsatz seines Buches angelangt ist. Der lautet so: "Wenn nicht schnell etwas Neues auf den Weg gebracht wird, fürchte ich, daß der Prozeß der Postmodernisierung dann schon so weit fortgeschritten und so zerstörerisch geworden sein wird, daß es zu spät ist." Derselbe Prozeß, der eben noch "religiöser Fortschritt" hieß, ist am Ende nur noch beschleunigte Destruktion.
HARTMANN TYRELL.
Don Cupitt: "Nach Gott". Die Zukunft der Religionen. Aus dem Englischen von Hans-Joachim Maass. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2001. 175 S., geb., 16,09 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main