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Produktdetails
  • Verlag: Vorwerk 8
  • Neuaufl.
  • Seitenzahl: 244
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 363g
  • ISBN-13: 9783930916511
  • ISBN-10: 3930916517
  • Artikelnr.: 10481824
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2002

Sportskamerad Hölderlin
Alexander Honold über Olympia als modernes Gesamtkunstwerk

Als zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Sydney die eingeborene australische Sportlerin Cathy Freeman die olympische Fackel senkte und um sich herum einen Feuerkreis entzündete, hatte auch Richard Wagner mit Regie geführt: Auf hohen Fels bannte einst sein handlungsschwacher Gott Wotan die Lieblingstochter Brünnhilde, das "kühne, herrliche Kind", und umgab es mit "flammender Glut", was die Walküre leider nicht vor ihrem lüsternen Neffen Siegfried und der Feuersbrunst einer Götterdämmerung bewahrte. Cathy Freeman hingegen trat in den nächsten Tagen in die Arena und gewann sich und ihrem Lande eine Goldmedaille.

Eine Verwandtschaft zwischen Sportshow und der Opernbühne zu konstatieren ist keineswegs frivol. Wagner zum Beispiel hätte ein Stadion mit Hunderttausenden von enthusiastischen Zuschauern samt den Fernsehkameras der ganzen Welt gewiß nicht als unangemessen für die Aufführung seiner Werke betrachtet. Nur existiert die Verbindung von Bayreuth und Olympia tatsächlich auf eine viel greifbarere Weise. Pierre Coubertin nämlich, der Gründervater der modernen Olympischen Spiele, hat ausdrücklich von sich bekannt, erst Wagner habe den "olympischen Horizont" vor seinem geistigen Auge geöffnet; eine Art Gesamtkunstwerk sollten in seiner Vision auch die Wettkämpfe um schnelles Laufen und weites wie hohes Springen werden.

Wie das im einzelnen zu verstehen ist, untersucht eine Studie des Literaturwissenschaftlers Alexander Honold, deren Titel "Nach Olympia" entgrenzt, was sich im Untertitel "Hölderlin und die Erfindung der Antike" auf germanistische Analyse einzuschränken scheint. In Wirklichkeit gibt sein Buch von beidem; es ist ein Stück Hölderlin-Interpretation ebenso wie ein Stück europäischer Kulturgeschichte. Nahtstellen sind da und dort sichtbar, aber das Buch ist dennoch ein ganzes: Hölderlin steht am Beginn, und zu ihm kehrt es immer wieder zurück.

"Der Agon als Mimesis eines Machtkampfes" verbinde, heißt es, "den Sport mit der mimetischen Form des Dramas, insbesondere der Tragödie" - das "Agonale", also der Wettstreit, das Kämpferische, ist in den letzten Jahren ein beliebtes Wort und Thema geworden. Und wirklich haben ja Theater und Sportplatz, Bühne und Arena vieles gemeinsam, nicht nur Zuschauer, sondern eben auch Auseinandersetzung, Konkurrenz, Ringen, Dialog und Dialektik. Honold zieht Linien zu jenen naturwissenschaftlichen Entdeckungen vor 1800, als der Widerstreit von Naturkräften auf ein Grundgesetz der Natur überhaupt leitete, zur Polarität der Elektrizität und einer neuen, auf der Entdeckung des Sauerstoffs beruhenden Verbrennungslehre. Auf ebendiese Zeit nun ist auch die systematische Entwicklung einer Pädagogik des Turnens anzusetzen. Sie geschah freilich nicht als Resultat eines numinosen Zeitgeistes, sondern zunächst aus dem Bedürfnis, den Napoleonischen Armeen tüchtige Soldaten entgegenzusetzen. Athletische Bildungsprogramme jedenfalls wurden entworfen. Der Turnvater Jahn hat manchem Sportverein bis auf den heutigen Tag seinen Namen geliehen; damalige Fitness-Pioniere wie Christian Gotthilf Salzmann und Johann Christoph Friedrich GutsMuths hingegen sind inzwischen weithin der Vergessenheit anheimgefallen.

Bei ihren Ertüchtigungversuchen konnte sich bürgerliche Bildung damals auf die Antike berufen, denn mit der klassischen, also mustergültigen Kunst waren auch die Ideale der Schönheit und des athletischen, gestählten Männerkörpers überliefert worden. Daß Hölderlins elegischer, vom Leben geschlagener und an der Liebe leidender Hyperion nicht nur tatenarm und gedankenvoll blieb, sondern Fechtunterricht nahm ("Aber ich spiele mit dem Schwerdte, bis ich es gewohnt bin . . .") und seine heldischen Hoffnungen zeitweise durchaus agonal in die Praxis umzusetzen versuchte, mag gelegentlich übersehen werden über der bitteren Klage: "O hätt' ich doch nie gehandelt."

Daß Turnertum und Leibesertüchtigung den Körper in den Vordergrund rücken und damit freilich auch Pädophilie und Päderastie fördern können, ist bekannt. Honold entwickelt perspektivenreich, wie das Leitbild des Wettkampfes solchen Tendenzen entgegenwirken sollte. Das hervorzuheben ist um so wichtiger, als aus Äußerungen junger Männer dieser Jahre, Hölderlins zum Beispiel oder auch Kleists, oft allzu voreilig auf deren latente Homosexualität geschlossen worden ist.

Aus dem Bildungserlebnis "Antike" entstand später der Forschungsgegenstand "Altertumswissenschaften" und aus ihm wiederum die Idee Olympischer Spiele, die dann unter den Händen der Politik, speziell der deutschen, umfunktioniert wurde zur Demonstration nationalistischer Hypertrophie. Das kulminierte 1936 in Berlin in jenem Olympiastadion, in dem 1979 eine dramatisierte Fassung von Hölderlins "Hyperion" in der Regie von Klaus Michael Grüber aufgeführt wurde - solch widerspruchsvolle Geschichte ist in diesem Buch gelehrt und lesbar zugleich dargestellt.

GERHARD SCHULZ

Alexander Honold: "Nach Olympia". Hölderlin und die Erfindung der Antike. Verlag Vorwerk 8, Berlin 2002. 246 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"Ungewöhnlich dicht und kenntnisreich" nennt der Rezensent Ralf Müller Alexander Honolds Studie über Hölderlins Bild der Antike, und dasselbe trifft auch auf seine Rezension zu. "Jeder Blick in die Vergangenheit ist zugleich Ausdruck der Gegenwart", schreibt Müller einleitend und liest Honolds Buchtitel "Nach Olympia" sowohl als Wegweiser in die Vergangenheit als auch als Selbstpositionierung im "Danach". Honold erzähle demnach "zwei Geschichten": die von Hölderlin und die vom europäischen Antike-Mythos. Wie die glühende Antikenverehrung zur "existenziellen Selbstbefragung" wird, zeigt Honold in Hölderlins Werk auf, wobei ihm in erster Linie der "Hyperion" als Bezugstext dient. Der "unkonventionelle und phantasievolle Interpret" Honold, wie Müller voll des Lobes schreibt, sieht diese Spannung der gleichzeitigen Rück- und Selbstzuwendung in Hyperions Verhältnis zu seinem Lehrer Adamas, das er als "Emblem einer Allianz von Antike und Moderne" liest, und im dynamischen Bild der Quelle, das er als Metapher der Kulturkonstitution versteht: "Kultur ist auch 'als Effekt von Migration zu begreifen und darzustellen'. Doch das Antike-Bild sei auch aufgrund der wissenschaftlichen Entwicklung problematisch geworden, vor allem im Bereich der Archäologie. Hölderlin habe den tiefgreifenden Paradigmenwechsel in der Betrachtung der Antike miterlebt, in der Methodik die Einfühlung ablöst. Für Honold zeige der "Hyperion" also ein doppeltes Olympia, das zugleich "agonale Urszene und realhistorischer Trümmerhaufen" sei. Später, als die Nazis die olympische Wettkampf-Metaphorik für die soldatische Kriegsbereitschaft verpflichteten, "wurde aus dem olympischen Agon Agonie", schließt der Rezensent pathetisch.

© Perlentaucher Medien GmbH
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