Was bedeutet es, trans zu sein? Die spanische Philosophin Elizabeth Duval über Biologie und Begriffe, Geschlechtsidentität und Gender-Neuplatonismus - und die Zukunft der Linken: ein brillanter Essay, streitbar, aber nicht unversöhnlich.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Marianna Lieder findet bemerkenswert, wie unabhängig Elizabeth Duval in ihrem Buch argumentiert. Um die eigene Identität und Erfahrungswelt der 23-jährigen spanischen Autorin, selbst Transfrau und "intellektuelle Galionsfigur" der Linken, so Lieder, gehe es glücklicherweise kaum. Klar im Vordergrund stehe stattdessen eine theoretische und analytische Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen und Vorurteilen zum Gender-Thema, wobei Duval auch überrascht: So hält sie etwa an der Annahme fest, gibt Lieder erstaunt wieder, dass die binäre Gesellschaftsordnung nicht aus der Welt zu schaffen sei und im Zweifel noch das Ende der Zivilisation überdauern würde. Bezeichnend findet sie außerdem Duvals Auseinandersetzung mit der als transphob verurteilten Kathleen Stock, der die Autorin mit großer "intellektueller Fairness" begegne und zum Teil auch ohne Scheu in manchen Dingen zustimme. Nicht jedes Argument in Duvals Buch findet die Kritikerin völlig nachvollziehbar, hat aber keinen Zweifel daran, dass es sich um einen "Idealfall des nonbinären Denkens" handelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Dieses Buch hat mein Denken verändert.« Wolfram Eilenberger
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2023Das Geschlecht wählt man nicht wie ein Kleid
Streitlustig und versöhnungswillig zugleich: Elizabeth Duval bahnt sich mit Umsicht einen Weg durch die Transgender-Debatten
Das Selbstbestimmungsgesetz der Ampel soll demnächst verabschiedet werden. Dann wird die Änderung des Geschlechtseintrags ohne bisher erforderliche psychologische Begutachtung möglich sein. Wenn - so erklärt es das Bundesfamilienministerium - "die Geschlechtsidentität nicht mit dem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister übereinstimmt", genügt ein Gang zum Standesamt, wo man sich für einen neuen Geschlechtseintrag entscheidet und versichert, dass dieser der eigenen "Geschlechtsidentität am besten entspricht". Zur Wahl stehen "männlich", "weiblich" und "divers". Wer sich durch keine dieser drei Optionen angemessen repräsentiert sieht, kann den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister offen lassen.
Ist dies das gesetzlich verordnete Ende der gewohnten, in der Biologie verankerten Geschlechterzweifaltigkeit, die nach wie vor viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens (sportlicher Wettkampf, Quote, Medizin) strukturiert? Wie sinnvoll ist es, die amtliche Kategorie der Geschlechtszugehörigkeit ausschließlich an die Selbstauskunft der betreffenden Person zu knüpfen? Werden bald Vollbärtige, die sich "Steffi" nennen, in die Frauensauna spazieren?
Derartigen Fragen widmet sich das Buch von Elizabeth Duval, 23 Jahre alt, intellektuelle Galionsfigur der jungen spanischen Linken, auch Autorin zweier Romane und selbst Transfrau, die sich zu diesem Thema bereits im Teenageralter öffentlich äußerte. In "Nach Trans" spielt dieser Umstand allerdings allenfalls eine Nebenrolle. Biographie und inneres Erleben der Autorin scheinen nur in wenigen Sätzen auf. Im Fokus stehen theoretische Analysen, Argumente und die Aufklärung von Missverständnissen, die in der bitterböse ausgetragenen Debatte um die neue Geschlechtergerechtigkeit an der Tagesordnung sind.
Duval geht mit viel Vernunftoptimismus und noch mehr Selbstbewusstsein ans Werk. Duval bestreitet nicht, dass die Position, aus der heraus sie schreibt, von Belang ist. Allerdings bewertet sie es als Fehlentwicklung, dass sich gerade bei Transgender-Themen oft kaum mehr jemand so recht dafür interessiert, was genau gesagt wird, solange die Aussage von der "richtigen" Person stammt.
Auch ansonsten unterläuft Duval zuverlässig die Erwartungen, die man spontan mit dem Titel "Transaktivistin", der ihr gerne verliehen wird, verknüpft. So wurde in Spanien vor gut einem halben Jahr eine dem anstehenden deutschen Selbstbestimmungsgesetz vergleichbare "Ley Trans" verabschiedet. Duval ist zugleich Befürworterin dieser rechtlichen Neuerung und entschiedene Kritikerin. Irreführend ist für sie vor allem der Begriff "Selbstbestimmung". Denn Geschlechtszugehörigkeit ist für Duval nichts, wofür man sich einfach so entscheidet wie für ein bestimmtes Kleidungsstück, das man später einfach wieder ablegt. Andererseits hält sie auch von Naturalisierungen nicht besonders viel. Die Vorstellung einer pränatal feststehenden männlichen oder weiblichen Geschlechtsidentität, die bei Transpersonen vollständig ausgebildet und "gefangen im falschen Körper" das Licht der Welt erblicke, wird von ihr als "Gender-Neuplatonismus" zurückgewiesen.
Dagegen stellt Duval ihr etwas umständlich ausgeführtes Konzept von Geschlechtsidentität als Resultat eines Sozialisationsprozesses. Familiäre gesellschaftliche Prägungen und durchaus auch "schwer zu quantifizierende biologische Dispositionen" entschieden darüber, ob ein Individuum sich als Mann oder Frau oder irgendwo dazwischen verortet. Interessant dabei ist, dass Duval einerseits dazu neigt, auch noch so strickt biologisch gefasste Konzepte von "männlich" und "weiblich" als kulturalistische Konstruktionen anzusehen. Andererseits besteht sie darauf, dass die binäre Geschlechterweltordnung grundsätzlich unzerstörbar sei. In diesem Punkt grenzt sie sich nicht nur von der handelsüblichen Gendertheorie ab, sondern klingt auch noch deutlich konservativer als so manche Zweite-Welle-Feministin. "Mann" und "Frau" sind für Duval die Eckpfeiler einer symbolischen Ordnung, die sich durch neue geschlechtliche Selbst- und Weltverhältnisse zwar herausfordern und verändern, aber niemals abschaffen lässt. An einer Stelle heißt es: "Wir werden eher das Ende der Zivilisation erleben als das Ende der Geschlechter."
Entscheidend an Kontur gewinnen Duvals Gedanken, wenn sie sich mit der Philosophin Kathleen Stock auseinandersetzt. Letztere wurde wegen vermeintlich transphober Äußerungen an der Universität Sussex derart heftig angefeindet, dass sie sich vor zwei Jahren gezwungen sah, ihre Professur aufzugeben. Zu Beginn ihres Buchs zählt auch Duval Stock zum feindlichen Lager der "trans-ausschließenden Reaktion", neben Alice Schwarzer, J. K. Rowling und Abigail Shrier. Der Ton ändert sich jedoch, sobald sie sich in Stocks Buch "Material Girls" vertieft. Hier geht Duval mit bemerkenswerter intellektueller Fairness vor und hat keine Scheu einzugestehen, wenn sie mit Stock einer Meinung ist. Etwa dann, wenn es um die absurde Zunahme alternativer Genderidentitäten im Rahmen queertheoretischer Überlegungen geht. Duval kann genauso wenig wie Stock damit anfangen, wenn sich jemand als "demifluid" oder "pangender" identifiziert. Auch in Stocks Modell der sich biographisch entwickelnden "Identifikation" mit einem Geschlecht findet Duval ihre eigenen Überlegungen wieder.
Gescholten wird allerdings auch. Durchaus berechtigt, wenn Duval Stock vorwirft, sie würde Judith Butlers Gedanken nicht ganz akkurat wiedergeben. Weniger überzeugend dagegen klingt Duvals Kritik, wenn sie reflexhaft Stocks solide begründete Vermutung abschmettert, insbesondere junge Frauen seien anfällig dafür, sich vorschnell als Transgender zu identifizieren und entsprechende Operationen vornehmen zu lassen. Aber das zählt zu den verkraftbaren Mängeln eines sehr bemerkenswerten Buchs. Duval mag am dualen Geschlechtersystem bis zum Untergang der Zivilisation festhalten. Mit ihrer gedanklichen Unabhängigkeit, ihrer prinzipiellen Absage an jede Freund-Feind-Räson ist sie ein Idealfall des nonbinären Denkens. MARIANNA LIEDER
Elizabeth Duval: "Nach Trans". Sex, Gender und die Linke.
Aus dem Spanischen von Luisa Donnerberg. Wagenbach Verlag, Berlin 2023. 224 S., br., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Streitlustig und versöhnungswillig zugleich: Elizabeth Duval bahnt sich mit Umsicht einen Weg durch die Transgender-Debatten
Das Selbstbestimmungsgesetz der Ampel soll demnächst verabschiedet werden. Dann wird die Änderung des Geschlechtseintrags ohne bisher erforderliche psychologische Begutachtung möglich sein. Wenn - so erklärt es das Bundesfamilienministerium - "die Geschlechtsidentität nicht mit dem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister übereinstimmt", genügt ein Gang zum Standesamt, wo man sich für einen neuen Geschlechtseintrag entscheidet und versichert, dass dieser der eigenen "Geschlechtsidentität am besten entspricht". Zur Wahl stehen "männlich", "weiblich" und "divers". Wer sich durch keine dieser drei Optionen angemessen repräsentiert sieht, kann den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister offen lassen.
Ist dies das gesetzlich verordnete Ende der gewohnten, in der Biologie verankerten Geschlechterzweifaltigkeit, die nach wie vor viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens (sportlicher Wettkampf, Quote, Medizin) strukturiert? Wie sinnvoll ist es, die amtliche Kategorie der Geschlechtszugehörigkeit ausschließlich an die Selbstauskunft der betreffenden Person zu knüpfen? Werden bald Vollbärtige, die sich "Steffi" nennen, in die Frauensauna spazieren?
Derartigen Fragen widmet sich das Buch von Elizabeth Duval, 23 Jahre alt, intellektuelle Galionsfigur der jungen spanischen Linken, auch Autorin zweier Romane und selbst Transfrau, die sich zu diesem Thema bereits im Teenageralter öffentlich äußerte. In "Nach Trans" spielt dieser Umstand allerdings allenfalls eine Nebenrolle. Biographie und inneres Erleben der Autorin scheinen nur in wenigen Sätzen auf. Im Fokus stehen theoretische Analysen, Argumente und die Aufklärung von Missverständnissen, die in der bitterböse ausgetragenen Debatte um die neue Geschlechtergerechtigkeit an der Tagesordnung sind.
Duval geht mit viel Vernunftoptimismus und noch mehr Selbstbewusstsein ans Werk. Duval bestreitet nicht, dass die Position, aus der heraus sie schreibt, von Belang ist. Allerdings bewertet sie es als Fehlentwicklung, dass sich gerade bei Transgender-Themen oft kaum mehr jemand so recht dafür interessiert, was genau gesagt wird, solange die Aussage von der "richtigen" Person stammt.
Auch ansonsten unterläuft Duval zuverlässig die Erwartungen, die man spontan mit dem Titel "Transaktivistin", der ihr gerne verliehen wird, verknüpft. So wurde in Spanien vor gut einem halben Jahr eine dem anstehenden deutschen Selbstbestimmungsgesetz vergleichbare "Ley Trans" verabschiedet. Duval ist zugleich Befürworterin dieser rechtlichen Neuerung und entschiedene Kritikerin. Irreführend ist für sie vor allem der Begriff "Selbstbestimmung". Denn Geschlechtszugehörigkeit ist für Duval nichts, wofür man sich einfach so entscheidet wie für ein bestimmtes Kleidungsstück, das man später einfach wieder ablegt. Andererseits hält sie auch von Naturalisierungen nicht besonders viel. Die Vorstellung einer pränatal feststehenden männlichen oder weiblichen Geschlechtsidentität, die bei Transpersonen vollständig ausgebildet und "gefangen im falschen Körper" das Licht der Welt erblicke, wird von ihr als "Gender-Neuplatonismus" zurückgewiesen.
Dagegen stellt Duval ihr etwas umständlich ausgeführtes Konzept von Geschlechtsidentität als Resultat eines Sozialisationsprozesses. Familiäre gesellschaftliche Prägungen und durchaus auch "schwer zu quantifizierende biologische Dispositionen" entschieden darüber, ob ein Individuum sich als Mann oder Frau oder irgendwo dazwischen verortet. Interessant dabei ist, dass Duval einerseits dazu neigt, auch noch so strickt biologisch gefasste Konzepte von "männlich" und "weiblich" als kulturalistische Konstruktionen anzusehen. Andererseits besteht sie darauf, dass die binäre Geschlechterweltordnung grundsätzlich unzerstörbar sei. In diesem Punkt grenzt sie sich nicht nur von der handelsüblichen Gendertheorie ab, sondern klingt auch noch deutlich konservativer als so manche Zweite-Welle-Feministin. "Mann" und "Frau" sind für Duval die Eckpfeiler einer symbolischen Ordnung, die sich durch neue geschlechtliche Selbst- und Weltverhältnisse zwar herausfordern und verändern, aber niemals abschaffen lässt. An einer Stelle heißt es: "Wir werden eher das Ende der Zivilisation erleben als das Ende der Geschlechter."
Entscheidend an Kontur gewinnen Duvals Gedanken, wenn sie sich mit der Philosophin Kathleen Stock auseinandersetzt. Letztere wurde wegen vermeintlich transphober Äußerungen an der Universität Sussex derart heftig angefeindet, dass sie sich vor zwei Jahren gezwungen sah, ihre Professur aufzugeben. Zu Beginn ihres Buchs zählt auch Duval Stock zum feindlichen Lager der "trans-ausschließenden Reaktion", neben Alice Schwarzer, J. K. Rowling und Abigail Shrier. Der Ton ändert sich jedoch, sobald sie sich in Stocks Buch "Material Girls" vertieft. Hier geht Duval mit bemerkenswerter intellektueller Fairness vor und hat keine Scheu einzugestehen, wenn sie mit Stock einer Meinung ist. Etwa dann, wenn es um die absurde Zunahme alternativer Genderidentitäten im Rahmen queertheoretischer Überlegungen geht. Duval kann genauso wenig wie Stock damit anfangen, wenn sich jemand als "demifluid" oder "pangender" identifiziert. Auch in Stocks Modell der sich biographisch entwickelnden "Identifikation" mit einem Geschlecht findet Duval ihre eigenen Überlegungen wieder.
Gescholten wird allerdings auch. Durchaus berechtigt, wenn Duval Stock vorwirft, sie würde Judith Butlers Gedanken nicht ganz akkurat wiedergeben. Weniger überzeugend dagegen klingt Duvals Kritik, wenn sie reflexhaft Stocks solide begründete Vermutung abschmettert, insbesondere junge Frauen seien anfällig dafür, sich vorschnell als Transgender zu identifizieren und entsprechende Operationen vornehmen zu lassen. Aber das zählt zu den verkraftbaren Mängeln eines sehr bemerkenswerten Buchs. Duval mag am dualen Geschlechtersystem bis zum Untergang der Zivilisation festhalten. Mit ihrer gedanklichen Unabhängigkeit, ihrer prinzipiellen Absage an jede Freund-Feind-Räson ist sie ein Idealfall des nonbinären Denkens. MARIANNA LIEDER
Elizabeth Duval: "Nach Trans". Sex, Gender und die Linke.
Aus dem Spanischen von Luisa Donnerberg. Wagenbach Verlag, Berlin 2023. 224 S., br., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main