Was war vor dem literarischen Debüt? Wie sahen die ersten Schreibversuche aus? Wie fing alles an? Diese Fragen stellten Elisabeth Albertsen und Karl Corino deutschen Schriftstellern. Wer nichts in der Schublade hatte, durfte sich erinnern. So ist aus der Fülle des Materials ein Buch entstanden, das Seltenheitswert besitzt. Es gibt Auskunft über die Schwierigkeiten beim Schreiben, läßt den Menschen hinter den Wörtern erkennen und gibt einen Einblick in die deutsche Literatur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2008Frühreif
"Alles Fertige, Vollkommene wird angestaunt, alles Werdende unterschätzt." Dieses Nietzsche-Zitat geht einer Anthologie der ersten und oft mit Recht unveröffentlichten Schreibversuche bekannter deutscher Schriftsteller voran. Auf Nietzsches Spuren bewegt sich das Projekt auch noch dort, wo es seine Unterhaltungsabsicht und ein "Quentchen philologischer Unbekümmertheit" eingesteht. Unterhaltsam sind die Comics des fünfjährigen Ulrich Holbein, die mit unverstellter Lust an der Zerstörung Schiffsunglücke und Verkehrsunfälle feiern, durchaus. Bei vielen, deren erste literarische Gehversuche in die Pubertät fielen, zerstören sich die Texte selbst, indem sie, alterstypisch irr an Selbstreflexion und verzweiflungsschwanger, um das eigene Schreiben kreisen. Ein anderer destruktiver Impuls, namentlich das Interesse für Fememorde, die nach zwanzig Seiten sämtliche Helden dahingerafft haben, verhinderte den Erfolg des vom dreizehnjährigen Günter Grass verfassten, verschollenen "Kaschuben-Epos". Stattdessen lesen wir in "Nach zwanzig Seiten waren alle Helden tot" eine selbstironische Jugenderinnerung des Nobelpreisträgers. Das ist der interessantere Teil der Kompilation: die Kommentare der gereiften Autoren, die sich mal verschämt, mal widerstrebend, mal gewissenhaft um eine historisch-kritische Einordnung ihrer opera prima bemühen. Natürlich sind die Texte Zeugnisse literarischer Frühreife, wie die noch gereimte Lyrik der fünfzehnjährigen Friederike Mayröcker. Der Prosatext "Das Gerät" des vierundzwanzigjährigen Martin Walser hat bereits den an Kafka erinnernden Ton seiner frühen Kurzgeschichten aus "Ein Flugzeug über dem Haus". Andere Beiträge kommen von Sten Nadolny, Ernst Jandl, Sarah Kirsch, Adolf Muschg, Peter Härtling und Bodo Kirchhoff. ("Nach zwanzig Seiten waren alle Helden tot". Erste Schreibversuche deutscher Schriftsteller. Hrsg. von Karl Corino, Elisabeth Albertsen. Autorenhaus Verlag, Berlin 2007. 414 S., illustriert, br., 16,80 [Euro].) brey
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Alles Fertige, Vollkommene wird angestaunt, alles Werdende unterschätzt." Dieses Nietzsche-Zitat geht einer Anthologie der ersten und oft mit Recht unveröffentlichten Schreibversuche bekannter deutscher Schriftsteller voran. Auf Nietzsches Spuren bewegt sich das Projekt auch noch dort, wo es seine Unterhaltungsabsicht und ein "Quentchen philologischer Unbekümmertheit" eingesteht. Unterhaltsam sind die Comics des fünfjährigen Ulrich Holbein, die mit unverstellter Lust an der Zerstörung Schiffsunglücke und Verkehrsunfälle feiern, durchaus. Bei vielen, deren erste literarische Gehversuche in die Pubertät fielen, zerstören sich die Texte selbst, indem sie, alterstypisch irr an Selbstreflexion und verzweiflungsschwanger, um das eigene Schreiben kreisen. Ein anderer destruktiver Impuls, namentlich das Interesse für Fememorde, die nach zwanzig Seiten sämtliche Helden dahingerafft haben, verhinderte den Erfolg des vom dreizehnjährigen Günter Grass verfassten, verschollenen "Kaschuben-Epos". Stattdessen lesen wir in "Nach zwanzig Seiten waren alle Helden tot" eine selbstironische Jugenderinnerung des Nobelpreisträgers. Das ist der interessantere Teil der Kompilation: die Kommentare der gereiften Autoren, die sich mal verschämt, mal widerstrebend, mal gewissenhaft um eine historisch-kritische Einordnung ihrer opera prima bemühen. Natürlich sind die Texte Zeugnisse literarischer Frühreife, wie die noch gereimte Lyrik der fünfzehnjährigen Friederike Mayröcker. Der Prosatext "Das Gerät" des vierundzwanzigjährigen Martin Walser hat bereits den an Kafka erinnernden Ton seiner frühen Kurzgeschichten aus "Ein Flugzeug über dem Haus". Andere Beiträge kommen von Sten Nadolny, Ernst Jandl, Sarah Kirsch, Adolf Muschg, Peter Härtling und Bodo Kirchhoff. ("Nach zwanzig Seiten waren alle Helden tot". Erste Schreibversuche deutscher Schriftsteller. Hrsg. von Karl Corino, Elisabeth Albertsen. Autorenhaus Verlag, Berlin 2007. 414 S., illustriert, br., 16,80 [Euro].) brey
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