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Dreitausend Touristen pilgern jedes Jahr auf den Obersalzberg bei Berchtesgaden zu den Resten von Hitlers Wohnsitz. Er war im April 1944 von der britischen Luftwaffe zerstört worden. Der Journalist Ulrich Chaussy und der Fotograf Christoph Püschner wollten die Entstehungsgeschichte der prominenten Nazi-Siedlung rekonstruieren. Auf der Suche nach den urspünglichen Bewohnern des Bergdorfes, erfuhrend sie, daß jene seinerzeit gewaltsam verdrängt worden waren, um Planung und Bau der Anlage zu verwirklichen. Dreihunderttausend Touristen pilgern nach wie vor jedes Jahr auf den Obersalzberg bei…mehr

Produktbeschreibung
Dreitausend Touristen pilgern jedes Jahr auf den Obersalzberg bei Berchtesgaden zu den Resten von Hitlers Wohnsitz. Er war im April 1944 von der britischen Luftwaffe zerstört worden. Der Journalist Ulrich Chaussy und der Fotograf Christoph Püschner wollten die Entstehungsgeschichte der prominenten Nazi-Siedlung rekonstruieren. Auf der Suche nach den urspünglichen Bewohnern des Bergdorfes, erfuhrend sie, daß jene seinerzeit gewaltsam verdrängt worden waren, um Planung und Bau der Anlage zu verwirklichen.
Dreihunderttausend Touristen pilgern nach wie vor jedes Jahr auf den Obersalzberg bei Berchtesgaden zu den Resten von Hitlers Wohnsitz, der am 25. April 1945 von der britischen Luftwaffe zerstört wurde. Der Autor Ulrich Chaussy und der Fotograf Christoph Püschner sind auf die Suche nach den ursprünglichen Bewohnern des Bergdorfes gegangen und haben die Entstehungsgeschichte dieser prominenten Nazi-Siedlung rekonstruiert. Sie sprachen mit den letzten Überlebenden und erfuhren, wie die gewaltsame Verdrängung der Bauern erfolgte, mit welchen Mitteln in der Umgebung alle Kritiker eingeschüchtert wurden. Sie dokumentieren, was in Hitlers zweitem Regierungssitz geplant wurde, während draußen die Wallfahrer jubelten: vom Judenboykott über den Anschluß Österreichs bis zu den großen Feldzügen des Zweiten Weltkrieges. 1999 wurde bei Berchtesgaden die "Dokumentation Obersalzberg" eröffnet und Ulrich Chaussy auf Grund seiner Recherchen für "Nachbar Hitler" vom Münchner Institut für Zeitgeschi
cht e eingeladen, an der Gestaltung dieses Museums mitzuwirken. Der Verlag hat das zum Anlaß genommen, das Buch in aktuell herauszugeben. Hinzugekommen ist ein Kapitel über das uralte Bauernhaus "Schneewinkellehen" in Schönau am Königssee, das im Nationalsozialismus ebenfalls den umfänglichen, von Martin Bormann verwalteten Immobilien der "Verwaltung Obersalzberg" einverleibt worden war. Ulrich Chaussy schildert darin die bizarre Geschichte der Bewohner und des Hauses, in dem nacheinander der Komponist Max Reger, der jüdische Kunstgeschichtsprofessor Rudolf Berliner, Sigmund Freud und schließlich der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, lebten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.1995

Ein Ort der Verlegenheit
Hitler, Bormann und der Touristenrummel am Obersalzberg

Ulrich Chaussy: Nachbar Hitler. Führerkult und Heimatzerstörung am Obersalzberg. Mit aktuellen Fotos von Christoph Püschner. Ch. Links Verlag, Berlin 1995. 219 Seiten, 68,- Mark.

Etwa dreihunderttausend Touristen pilgern alljährlich zum Obersalzberg. Sie spähen im dichten Unterholz nach Überresten von Hitlers "Berghof", nehmen teil an einer Führung durch die riesigen unterirdischen Bunkeranlagen und fahren schließlich mit dem messingverkleideten Fahrstuhl aus Hitlers Zeiten zum Kehlsteinhaus hinauf. Es ist das einzige noch intakte Relikt seiner besessenen Bauwut und wurde unter ungeheuren Kosten hoch oben auf einer Bergkuppe errichtet. Als am 25. April 1945 dreihundert britische Lancaster-Bomber die Prominentensiedlung am Obersalzberg in Schutt und Asche legten, blieb das Kehlsteinhaus unversehrt. Seitdem ist es ein Ort der Verlegenheit, eine umstrittene Touristenattraktion. Bereits 1952 ließ die Bayerische Staatsregierung die Ruinen von Hitlers und Görings Häusern sprengen und hoffte, damit einen Wallfahrtsort für Unbelehrbare zu verhindern. Voller Schrecken gedachte man der Abertausende, die während des Dritten Reiches tagaus, tagein am Zaun des Berghofes ihrem Messias huldigten. Damals spielten sich dort unbeschreibliche Szenen ab: Frauen, die stundenlang darauf gewartet hatten, einen Blick auf ihren Führer zu erhaschen, brachen in hysterische Weinkrämpfe aus, wenn er ihnen schließlich die Hand drückte, und schworen, sich nie wieder die Hände waschen zu wollen. Andere sammelten buchstäblich die Kieselsteine ein, über die er gerade geschritten war.

Nach dem Krieg wollte man diese fatalen Reminiszenzen durch Verschweigen und Ignorieren in Vergessenheit geraten lassen. Der einheimischen Bevölkerung, die von Hitlers Adlatus Bormann vertrieben worden war, wurde kategorisch untersagt, sich auf dem berüchtigten, nun von Gestrüpp überwucherten Terrain wieder anzusiedeln. Einstmals befand sich hier ein idyllisches Gebirgsdorf, das sich kurz vor der Jahrhundertwende in eine veritable Sommerfrische verwandelte. Ein paar Logiergäste kamen auf die Idee, sich hier ein Ferienhaus zu bauen. Den Anfang machte der Erfinder des Kühlschranks, Carl Linde. Er ließ sich vom kaiserlichen Baurat Schwechten eine imposante Villa errichten. Ihm folgte ein berühmter jüdischer Pharmakologe aus Berlin-Grunewald, Dr. Arthur Eichengrün, dem die Welt das Aspirin verdankt. Sein efeuumranktes Bauernhaus war das Schmuckstück des ganzen Orts. Bald darauf wurde gleich daneben eine hübsche Ferienpension, "Zum Türken", eröffnet, die unter Künstlern als Geheimtip galt: Thomas Mann mit Tochter Erika und Wilhelm Furtwängler wohnten hier. Im Frühjahr 1923 tauchten am Obersalzberg zwei Logiergäste aus München auf, die es aus mancherlei Gründen vorzogen, inkognito zu bleiben. Es waren der von der Polizei gesuchte antisemitische Schriftsteller Dietrich Eckardt und sein Freund Adolf Hitler alias "Herr Wolf". Er benutzte dieses Pseudonym nicht nur zur Tarnung, sondern auch als Mittel der Selbststilisierung. Der rauh und aggressiv klingende Deckname sollte ihm die Aura kämpferischer Einsamkeit geben, ein viriles Stigma; er wurde deshalb von der Münchner Damenwelt auch gern benutzt. In den endlosen nächtlichen Monologen, mit denen der Führer später seine Tischgäste in der "Wolfsschanze" langweilte, erzählte er häufig, wie er damals am Obersalzberg das Feriendomizil eines Kommerzienrats aus Buxtehude, das "Haus Wachenfeld", entdeckt habe und "gleich ganz weg vor Begeisterung" gewesen sei. Als er es schließlich 1927 kaufte, ahnte niemand, welche verheerenden Folgen das für die Nachbarn haben würde: Zehn Jahre später waren sie alle enteignet oder vertrieben. Um Platz für die klobigen Bauten des NS-Regimes zu schaffen, ließ Martin Bormann, den Hitler zum obersten Bauherrn am Obersalzberg ernannt hatte, fünfzig alte Bauernhäuser und Ferienvillen kurzerhand abreißen.

Die Geschichte dieser barbarischen Aktion wird jetzt eindringlich in einem vorzüglich illustrierten Buch erzählt. Der beispiellose Vandalismus Bormanns verwandelte die beschauliche Berglandschaft in eine dröhnende Großbaustelle, auf der bis Kriegsende riesige Arbeiterheere immer neue Gebäude und Asphaltstraßen errichten mußten. Nirgends wurde vom NS-Regime eine so ausschweifende Verschwendung betrieben wie in diesem streng abgeschirmten "Führerschutzgebiet". Ein vierzehn Kilometer langer Schutzzaun umgab die Ferienkolonie für Hitler und seine Paladine. Ab 1943 wurden dann gigantische Bunkeranlagen in den Fels gesprengt. Mitten im Krieg waren streng rationierte Baumaterialien in Hülle und Fülle vorhanden, und Geld spielte für Bormann keine Rolle. Am Ende hatte man sage und schreibe 2775 Meter Stollengänge und 79 Bunkerräume in den Obersalzberg getrieben. Hitler hat diese Bunkeranlage nie benutzt.

Das vorliegende Buch wurde ursprünglich als Rundfunksendung konzipiert. Das hat zur Folge, daß es über weite Strecken die sogenannte "Oral History" präsentiert - mündliche Augenzeugenberichte betagter Einwohner, die im bayerischen Dialekt und oft in stockendem Stakkato über die Invasion der bauwütigen Nazis berichten. Diese Methode, Geschichte "von unten", möglichst aus der Sicht der Opfer, zu erzählen, macht die Schilderung mitunter zähflüssig und ein wenig betulich. Gleichwohl enthält die sorgfältig dokumentierte Arbeit eine imponierende Fülle neuentdeckter Details. Viele unbekannte Fotos runden diese gespenstische Geschichte einer bedenkenlosen Umweltzerstörung ab.

HENNING SCHLÜTER

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