Als Kind flieht Anne Liebert kurz vor dem Mauerfall in den Westen. Später, zurück in Berlin, schlägt sie sich als Altenpflegerin durch, allein mit ihrer Tochter Marie. Der Rentner Karl Fritzsche, dem nicht viel geblieben ist von seinem alten Leben, wartet pflegebedürftig auf das Ende. Als Anne, die ihn betreut, Fritzsche zwingt, auf Marie aufzupassen, entwickelt sich überraschend eine stille, große Freundschaft zwischen dem Mädchen und dem alten Mann. Hans, Hanna und Matthias verbindet jahrelang eine Melange aus Freundschaft, Liebe und Rivalität. Die deutsch-deutsche Geschichte treibt sie auseinander, doch Verrat und Rache führen sie wieder zusammen.Tief taucht der Leser in die Leben von sechs Menschen ein und begleitet sie von 1989 bis 2006.
Ein bewegender Episodenroman voller wunderbarer, tragikomischer Geschichten über unser Leben heute und die Sehnsucht nach einem anderen.
Ein bewegender Episodenroman voller wunderbarer, tragikomischer Geschichten über unser Leben heute und die Sehnsucht nach einem anderen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.2014Der Dämon ist bei der Stasi
Madeleine Prahs erzählt vom Untergang der DDR
Was wäre die deutsche Literatur der letzten Jahre ohne die Wende! Ein solch prächtiger historischer Paravent ist ja schon die halbe Romanmiete. Auch Madeleine Prahs bedient sich seiner im Roman "Nachbarn". Sechs Menschen, sämtlich aus der DDR stammend, begleitet sie in Kapiteln mit den Jahreszahlen 1989/1990, 1994, 2001 und 2006: Hans und Matthias liebten in der DDR dieselbe Frau, und weil der Kunsthistoriker Hans von einer Westreise nicht zurückkehrte in die Ost-Berliner Wohnung, ersetzte ihn sein Freund Matthias an der Seite von Hanna. Als die Mauer fällt, reist Hanna Hans nach, bemerkt die eingetretene Entfremdung und bleibt fortan beiden Männern fern und im Westen. Im Mittelpunkt der zweiten Dreiergruppe steht Anna, die vor 1989 aus der DDR flieht und ohne Vater aufwächst. Ihre emotionale Verwahrlosung gibt sie an Marie weiter, ihre Tochter, die mit fünf Jahren erstmals Vertrauen fasst zu einem Menschen: zu Fritzsche, einem von Anna gepflegten Frührentner in Ost-Berlin, der nach dem Ende der DDR arbeitslos und Alkoholiker wurde. Zwischen ihnen und Hans, Hanna sowie Matthias gibt es keinen Kontakt.
Erzählt Prahs, Jahrgang 1980, von zwei Trios, um wie im sozialistischen Realismus oder seinem Nachfolger, dem gehobenen Fernsehfilm, die gesellschaftliche Totalität im Osten abzubilden? Ihre kurzen Szenen beginnen stets situativ, in stets alltägliche Verrichtungen einer Figur werden stets Erinnerungen und stets nicht sehr weit reichende Gedanken eingebettet: "Nachbarn" ist eine Intarsienarbeit. So erinnert sich Matthias, an Freund Hans eine "dunkle Seite" bemerkt zu haben, die im Laufe einer Buchseite fast selbsttätig zu einem "wahnhaften" Kontrolldrang und dann einem "Dämon" heranwächst. Und siehe da, der Dämon war IM! Empörung löst das nicht aus, doch die Berichte werden zu Waffen im Kampf um Hanna. Stasi-Akten als schwerfällige Mantel- und-Degen-Wiedergänger - Fritzsche ist zu beneiden, er ist längst tot und verabschiedet.
JÖRG PLATH.
Madeleine Prahs: "Nachbarn". Roman.
Deutscher Taschenbuch Verlag. München 2014. 348 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Madeleine Prahs erzählt vom Untergang der DDR
Was wäre die deutsche Literatur der letzten Jahre ohne die Wende! Ein solch prächtiger historischer Paravent ist ja schon die halbe Romanmiete. Auch Madeleine Prahs bedient sich seiner im Roman "Nachbarn". Sechs Menschen, sämtlich aus der DDR stammend, begleitet sie in Kapiteln mit den Jahreszahlen 1989/1990, 1994, 2001 und 2006: Hans und Matthias liebten in der DDR dieselbe Frau, und weil der Kunsthistoriker Hans von einer Westreise nicht zurückkehrte in die Ost-Berliner Wohnung, ersetzte ihn sein Freund Matthias an der Seite von Hanna. Als die Mauer fällt, reist Hanna Hans nach, bemerkt die eingetretene Entfremdung und bleibt fortan beiden Männern fern und im Westen. Im Mittelpunkt der zweiten Dreiergruppe steht Anna, die vor 1989 aus der DDR flieht und ohne Vater aufwächst. Ihre emotionale Verwahrlosung gibt sie an Marie weiter, ihre Tochter, die mit fünf Jahren erstmals Vertrauen fasst zu einem Menschen: zu Fritzsche, einem von Anna gepflegten Frührentner in Ost-Berlin, der nach dem Ende der DDR arbeitslos und Alkoholiker wurde. Zwischen ihnen und Hans, Hanna sowie Matthias gibt es keinen Kontakt.
Erzählt Prahs, Jahrgang 1980, von zwei Trios, um wie im sozialistischen Realismus oder seinem Nachfolger, dem gehobenen Fernsehfilm, die gesellschaftliche Totalität im Osten abzubilden? Ihre kurzen Szenen beginnen stets situativ, in stets alltägliche Verrichtungen einer Figur werden stets Erinnerungen und stets nicht sehr weit reichende Gedanken eingebettet: "Nachbarn" ist eine Intarsienarbeit. So erinnert sich Matthias, an Freund Hans eine "dunkle Seite" bemerkt zu haben, die im Laufe einer Buchseite fast selbsttätig zu einem "wahnhaften" Kontrolldrang und dann einem "Dämon" heranwächst. Und siehe da, der Dämon war IM! Empörung löst das nicht aus, doch die Berichte werden zu Waffen im Kampf um Hanna. Stasi-Akten als schwerfällige Mantel- und-Degen-Wiedergänger - Fritzsche ist zu beneiden, er ist längst tot und verabschiedet.
JÖRG PLATH.
Madeleine Prahs: "Nachbarn". Roman.
Deutscher Taschenbuch Verlag. München 2014. 348 S., geb., 19,90 [Euro].
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"Madeleine Prahs, 34, erzählt in ihrem Debüt 'Nachbarn' mit viel Feingefühl die oft tragikomischen Geschichten von sechs Menschen, die vom Mauerfall überrascht werden und ihr Leben neu ordnen müssen."
Maxi Oktober 2014
Maxi Oktober 2014