Das Bild, das Deutsche und Polen voneinander haben, wird maßgeblich davon bestimmt, welches Bild deutsche und polnische Medien vom jeweiligen Nachbarland zeichnen. Ausgehend von dieser These gehen die Autoren der Frage nach, wie Deutschland bzw. Polen in den Printmedien des jeweiligen Nachbarlandes dargestellt werden. Sie untersuchen hierfür deutsche und polnische Presseartikel aus den Jahren 2000 bis 2019. Dabei nutzen die Verfasser den Ansatz der Frame-Analyse, um aufzuzeigen, welche Deutungsrahmen (Frames) aufgerufen werden, wenn es in der Presse um Deutschland, Polen und die deutsch-polnischen Beziehungen geht. Vor allem drei Erkenntnisse sind hier zentral. Erstens greifen mediale Darstellungen notwendigerweise immer auf Frames zurück. Zweitens werden sowohl Deutschland als auch Polen in höchst unterschiedlichen Frames dargestellt, abhängig vom thematischen Kontext und dem Zeitpunkt der Veröffentlichung. Drittens wird deutlich, dass jeder Frame einer inneren Struktur folgt, die kommunikative Anschlussmöglichkeiten vorzeichnet. Unterschiedliche Deutungsrahmen sind somit nicht beliebig kombinierbar oder austauschbar. Für die politische Kommunikation ergibt sich hieraus die Notwendigkeit, sich der (selbst) genutzten Frames bewusst zu werden und den Rahmen, der sich hieraus für mögliche Anschlusskommunikationen ergibt, stets mitzudenken.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2023Das ganze Bild hat Lücken
Ein Buch untersucht, wie Deutschland und Polen übereinander berichten - bleibt aber ungenau
Ein kommunikationswissenschaftliches Studium bringt Hausarbeiten mit sich. Nicht selten muss man eigens erhobene Daten auswerten und besprechen. Zum Beispiel, indem man erfasst, wie Menschen sich nach Anschauen eines Horrorfilms fühlen. Oder - so sind die Autoren von "Nachbarschaft im Rahmen: Wie Deutsche und Polen einander medial betrachten" vorgegangen - indem man sich auf der inhaltlichen Ebene bewegt und etwa Zeitungsartikel untersucht: Wie schreiben Medien, hier polnische und deutsche, über ein bestimmtes Thema, in diesem Fall über das jeweils andere Land?
Die Frage mag gut klingen; will man sie wissenschaftlich angehen, wird es aber kompliziert. Denn, und das ist die schmerzhafte Erfahrung die viele Kommunikationsstudenten machen, weil gedankliche Abstriche immer schwer fallen: Je breiter die Forschungsfrage gestellt ist, desto unmöglicher ist es sie zu beantworten. Wissenschaftlicher werden Erkenntnisse, bezieht man die zuvor gestellte Frage auf nur einen oder zwei Aspekte. Etwa: Wie wird Angela Merkel im Jahr der Flüchtlingsbewegung 2015 in polnischen und deutschen Medien dargestellt?
Die aus der Politikwissenschaft stammenden Autoren des Buchs wollten von diesem Credo allerdings nichts wissen. Sie haben mehr als 60.000 Artikel aus den vergangenen Jahren mit Blick auf eine Frage untersucht, die sich gar nicht so leicht definieren lässt. In den ersten Kapiteln tauchen viele verschiedene auf: "Wie stellt die Presse in Polen und Deutschland das Nachbarland und seine Bewohner dar?", "Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Rahmen, Metaphern und Topoi in beiden Ländern lassen sich erkennen?" Und ein paar Sätze später: "Was sagen uns die unterschiedlichen Rahmen, Metaphern und Topoi über den Stand der deutsch-polnischen Kommunikation und das gegenseitige Bild?"
Mit Topoi meinen die Autoren argumentative Urteile, die Texte transportierten. Zur Beantwortung ihrer Überblicksfragen wenden die Autoren das kommunikationstheoretische Konzept des Framings an, die Annahme, dass in jedem Text Deutungsmuster zum Vorschein treten, welche die Wahrnehmung eines Lesers, etwa vom Land Polen, beeinflussen. Dass diese Deutungsmuster auf verschiedenen Ebenen auftreten können (etwa auf der Ebene eines Medienhauses, das eine bestimmte politische Linie fährt, und auf der Ebene eines individuellen Journalisten, der den Text schreibt), ignorieren sie. Genauso unwichtig ist ihnen die Begründung, warum sie Artikel sprunghaft aus den Jahren 2000, 2006, 2009, 2014, 2016 und 2019 auswählen. Auch die Auswahl der insgesamt neun deutschen und polnischen Leitmedien, deren Texte analysiert werden, erschließt sich nicht: "Die Welt" wird etwa zu Beginn erwähnt, taucht später aber nicht mehr in der Auswahl auf.
Und so erfahren Leser viel über die deutsch-polnische Berichterstattung in den vergangenen zwanzig Jahren, aber müssen gerade deshalb Lücken hinnehmen. Unter die Lupe genommen werden mitunter die Wirtschaftsbeziehungen, die polnische Arbeitsmigration nach Deutschland, das Verhältnis zu den USA, die Klima- und Energiepolitik. Allerdings häufig nur vice versa und nicht vergleichend: Also nur die deutsche Klimapolitik in der polnischen Presse und die polnische Klimapolitik in der deutschen. Aufschlussreich ist das Kapitel über die Beziehungen zu Russland, das viele warnende polnische Artikel aus dem Jahr 2014 rund um die Annexion der Krim zitiert: Die Diskussion über die deutsche Abhängigkeit von Russland, die in Deutschland nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine im vergangenen Jahr aufkam, wirkt wie aus den polnischen Berichten von damals kopiert.
An anderer Stelle stellen sich leserseitig viele Fragen. Die Zitate, mit denen die Autoren bestimmte identifizierte Deutungsmuster belegen, weisen nur die Quelle aus, nicht, ob sie Meinungsartikeln oder Berichten entnommen wurden. Und teils sind sie gewagt: Sagt ein polnischer Artikel, der explizit deutsche Medien zitiert, wirklich etwas über die polnische Berichterstattung über die deutschen Klimapolitik aus oder nicht eher etwas über die deutsche Berichterstattung und wie sie in Polen wahrgenommen wird? Sagen Zitate polnischer Politikern in deutschen Artikeln zu Polen wirklich etwas über die deutsche Berichterstattung über Polen aus oder nicht eher etwas darüber, wie polnische Politiker ihr Land sehen? Man kann es so oder so sehen - aber das Buch gliedert detailliert nach Unterkapiteln, deren thematische Schärfe sich dann nicht in ihren Inhalten wiederfindet.
Am stärksten ist dieses Buch dort, wo es sich entweder auf einzelne Akteure bezieht oder übergeordnete Schlussfolgerungen zieht. Sätze wie "Während Deutschland für Polen in vielerlei Hinsicht als Bezugspunkt dient, sei es als Vorbild oder als abschreckendes Beispiel, spielt umgekehrt Polen für Deutschland diese Rolle nicht", lohnen sich zu verschriftlichen. Eine grobe Antwort auf grobe Fragen: Das Buch bietet das - wäre es eine Hausarbeit, würde die Note trotzdem nur mittelmäßig ausfallen. KIM MAURUS
J. Arendarska/ A. Lada- Konefal/ B. Sendhardt: Nachbarschaft im Rahmen. Wie Deutsche und Polen einander medial betrachten.
Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2022. 363 S., 36,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Buch untersucht, wie Deutschland und Polen übereinander berichten - bleibt aber ungenau
Ein kommunikationswissenschaftliches Studium bringt Hausarbeiten mit sich. Nicht selten muss man eigens erhobene Daten auswerten und besprechen. Zum Beispiel, indem man erfasst, wie Menschen sich nach Anschauen eines Horrorfilms fühlen. Oder - so sind die Autoren von "Nachbarschaft im Rahmen: Wie Deutsche und Polen einander medial betrachten" vorgegangen - indem man sich auf der inhaltlichen Ebene bewegt und etwa Zeitungsartikel untersucht: Wie schreiben Medien, hier polnische und deutsche, über ein bestimmtes Thema, in diesem Fall über das jeweils andere Land?
Die Frage mag gut klingen; will man sie wissenschaftlich angehen, wird es aber kompliziert. Denn, und das ist die schmerzhafte Erfahrung die viele Kommunikationsstudenten machen, weil gedankliche Abstriche immer schwer fallen: Je breiter die Forschungsfrage gestellt ist, desto unmöglicher ist es sie zu beantworten. Wissenschaftlicher werden Erkenntnisse, bezieht man die zuvor gestellte Frage auf nur einen oder zwei Aspekte. Etwa: Wie wird Angela Merkel im Jahr der Flüchtlingsbewegung 2015 in polnischen und deutschen Medien dargestellt?
Die aus der Politikwissenschaft stammenden Autoren des Buchs wollten von diesem Credo allerdings nichts wissen. Sie haben mehr als 60.000 Artikel aus den vergangenen Jahren mit Blick auf eine Frage untersucht, die sich gar nicht so leicht definieren lässt. In den ersten Kapiteln tauchen viele verschiedene auf: "Wie stellt die Presse in Polen und Deutschland das Nachbarland und seine Bewohner dar?", "Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Rahmen, Metaphern und Topoi in beiden Ländern lassen sich erkennen?" Und ein paar Sätze später: "Was sagen uns die unterschiedlichen Rahmen, Metaphern und Topoi über den Stand der deutsch-polnischen Kommunikation und das gegenseitige Bild?"
Mit Topoi meinen die Autoren argumentative Urteile, die Texte transportierten. Zur Beantwortung ihrer Überblicksfragen wenden die Autoren das kommunikationstheoretische Konzept des Framings an, die Annahme, dass in jedem Text Deutungsmuster zum Vorschein treten, welche die Wahrnehmung eines Lesers, etwa vom Land Polen, beeinflussen. Dass diese Deutungsmuster auf verschiedenen Ebenen auftreten können (etwa auf der Ebene eines Medienhauses, das eine bestimmte politische Linie fährt, und auf der Ebene eines individuellen Journalisten, der den Text schreibt), ignorieren sie. Genauso unwichtig ist ihnen die Begründung, warum sie Artikel sprunghaft aus den Jahren 2000, 2006, 2009, 2014, 2016 und 2019 auswählen. Auch die Auswahl der insgesamt neun deutschen und polnischen Leitmedien, deren Texte analysiert werden, erschließt sich nicht: "Die Welt" wird etwa zu Beginn erwähnt, taucht später aber nicht mehr in der Auswahl auf.
Und so erfahren Leser viel über die deutsch-polnische Berichterstattung in den vergangenen zwanzig Jahren, aber müssen gerade deshalb Lücken hinnehmen. Unter die Lupe genommen werden mitunter die Wirtschaftsbeziehungen, die polnische Arbeitsmigration nach Deutschland, das Verhältnis zu den USA, die Klima- und Energiepolitik. Allerdings häufig nur vice versa und nicht vergleichend: Also nur die deutsche Klimapolitik in der polnischen Presse und die polnische Klimapolitik in der deutschen. Aufschlussreich ist das Kapitel über die Beziehungen zu Russland, das viele warnende polnische Artikel aus dem Jahr 2014 rund um die Annexion der Krim zitiert: Die Diskussion über die deutsche Abhängigkeit von Russland, die in Deutschland nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine im vergangenen Jahr aufkam, wirkt wie aus den polnischen Berichten von damals kopiert.
An anderer Stelle stellen sich leserseitig viele Fragen. Die Zitate, mit denen die Autoren bestimmte identifizierte Deutungsmuster belegen, weisen nur die Quelle aus, nicht, ob sie Meinungsartikeln oder Berichten entnommen wurden. Und teils sind sie gewagt: Sagt ein polnischer Artikel, der explizit deutsche Medien zitiert, wirklich etwas über die polnische Berichterstattung über die deutschen Klimapolitik aus oder nicht eher etwas über die deutsche Berichterstattung und wie sie in Polen wahrgenommen wird? Sagen Zitate polnischer Politikern in deutschen Artikeln zu Polen wirklich etwas über die deutsche Berichterstattung über Polen aus oder nicht eher etwas darüber, wie polnische Politiker ihr Land sehen? Man kann es so oder so sehen - aber das Buch gliedert detailliert nach Unterkapiteln, deren thematische Schärfe sich dann nicht in ihren Inhalten wiederfindet.
Am stärksten ist dieses Buch dort, wo es sich entweder auf einzelne Akteure bezieht oder übergeordnete Schlussfolgerungen zieht. Sätze wie "Während Deutschland für Polen in vielerlei Hinsicht als Bezugspunkt dient, sei es als Vorbild oder als abschreckendes Beispiel, spielt umgekehrt Polen für Deutschland diese Rolle nicht", lohnen sich zu verschriftlichen. Eine grobe Antwort auf grobe Fragen: Das Buch bietet das - wäre es eine Hausarbeit, würde die Note trotzdem nur mittelmäßig ausfallen. KIM MAURUS
J. Arendarska/ A. Lada- Konefal/ B. Sendhardt: Nachbarschaft im Rahmen. Wie Deutsche und Polen einander medial betrachten.
Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2022. 363 S., 36,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kim Maurus gibt dem von J. Arendarska, A. Łada-Konefał und B. Sendhardt besorgten Band nur die Note "mittelmäßig". Wie Polen und Deutschland übereinander berichten können ihm die Autoren nur höchst unwissenschaftlich vermitteln. So vermisst Maurus eine kritische Anwendung des kommunikationstheoretischen Konzepts des Framings im Band, und aus welchen Gründen Artikel ganz unterschiedlicher Jahrgänge ausgewählt und als Belege herangezogen werden, verraten ihm die Autoren auch nicht. Der Leser erfährt viel über die deutsch-polnische Berichterstattung der letzten 20 Jahre, so Maurus, muss aber mit allerhand Lücken und offenen Fragen leben. Gut gefallen hat Maurus der Band da, wo er sich auf bestimmte Akteure fokussiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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