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Als Theodor W. Adorno 1949 aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zurückkehrte, nahm er nicht nur seine Lehr- und Forschungstätigkeit an der Frankfurter Universität sowie am Institut für Sozialforschung wieder auf, sondern machte sich alsbald als öffentlicher Intellektueller einen Namen. Adornos beachtlicher Einfluss auf die Debatten der Nachkriegszeit verdankte sich auch seinen außeruniversitären Vorträgen, in denen er pointiert zu den verschiedensten gesellschaftlichen Entwicklungen Stellung nahm.
Der Band versammelt 20 dieser Vorträge, die er zwischen 1949 und 1968 gehalten hat.
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Produktbeschreibung
Als Theodor W. Adorno 1949 aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zurückkehrte, nahm er nicht nur seine Lehr- und Forschungstätigkeit an der Frankfurter Universität sowie am Institut für Sozialforschung wieder auf, sondern machte sich alsbald als öffentlicher Intellektueller einen Namen. Adornos beachtlicher Einfluss auf die Debatten der Nachkriegszeit verdankte sich auch seinen außeruniversitären Vorträgen, in denen er pointiert zu den verschiedensten gesellschaftlichen Entwicklungen Stellung nahm.

Der Band versammelt 20 dieser Vorträge, die er zwischen 1949 und 1968 gehalten hat. Das Spektrum der Themen ist breit: Es geht um das Suchtpotential von Prousts Prosa und um die Kompositionstechnik von Richard Strauss, um Fragen des Städtebaus und der Pädagogik, um Aberglauben und Antisemitismus, um die autoritäre Persönlichkeit und den neuen Rechtsradikalismus. Ihren besonderen Reiz gewinnen die Vorträge aus ihrer freien Form: Sie wollen keine Traktate sein, sondernverstehen sich als Improvisationen, die zum eigenen Verstandesgebrauch anregen sollen. Oder wie Adorno selber sagt: »Ich überlasse Ihnen das zum Weiterdenken.«
Autorenporträt
Theodor W. Adorno wurde am 11. September 1903 in Frankfurt am Main geboren und starb am 06. August 1969 während eines Ferienaufenthalts in Visp/Wallis an den Folgen eines Herzinfarkts. Von 1921 bis 1923 studierte er in Frankfurt Philosophie, Soziologie, Psychologie und Musikwissenschaft und promovierte 1924 über Die Transzendenz des Dinglichen und Noematischen in Husserls Phänomenologie. Bereits während seiner Schulzeit schloss er Freundschaft mit Siegfried Kracauer und während seines Studiums mit Max Horkheimer und Walter Benjamin. Mit ihnen zählt Adorno zu den wichtigsten Vertretern der 'Frankfurter Schule', die aus dem Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt hervorging. Sämtliche Werke Adornos sind im Suhrkamp Verlag erschienen. Michael Schwarz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Walter Benjamin Archivs und des Theodor W. Adorno Archivs.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019

Ohne Angst vor dem Vorwurf des Elitären

Wie man ein Publikum einst fordern konnte: Rekonstruierte Vorträge Theodor W. Adornos aus den Jahren 1949 bis 1968.

Von Wolfgang Matz

Als Theodor Wiesengrund-Adorno 1934 Deutschland und 1938 Europa verließ, war er ein soeben habilitierter Privatdozent und Musikkritiker, bekannt gerade einmal in den engeren Zirkeln der "Neuen Musik". Als er 1949 über das lang ersehnte Paris nach Frankfurt am Main zurückkehrte, war auch dieser bescheidene Ruhm vergessen. Umso staunenswerter, mit welchem Erfolg sich der Remigrant als weithin hörbare intellektuelle Stimme durchsetzte - und mit welchem Tempo. Am 27. Oktober 1949 feiert Adorno im Hôtel Lutetia die Wiederbegegnung mit dem alten Europa, "allein mit Belon Austern (nicht so gut wie Marennes) und kalter Rebhuhnpastete", am 3. November ist er in Frankfurt, am 9. Dezember hält er beim Städtebaulichen Kolloquium der Technischen Hochschule Darmstadt seinen ersten öffentlichen Vortrag.

Das Thema, "Städtebau und Gesellschaftsordnung", ist das Thema der Stunde. Der in Amerika gebliebenen Mutter hatte er gleich von seinem ersten Eindruck berichtet: "Trotz allem ist es Frankfurt und das Gefühl der Heimat stärker als alles andere. Ein Wunder, daß trotz allem die dreiviertel zerstörte Stadt den Eindruck des fast Normalen macht." Die Ruinenlandschaft der deutschen Städte - "ein wüster Traum" - verlangte sofort nach einer Besinnung, wie hier neu anzufangen war. Liest man heute des Philosophen vehementen Widerspruch sowohl gegen historisierende Rekonstruktion als auch gegen eine rein technokratische, pragmatische Anpassung an die "modernen Verkehrsverhältnisse", dann ist nicht nur die Frankfurter Wirklichkeit ganz offensichtlich andere und wenig erfreuliche Wege gegangen - eine Feststellung, die naturgemäß für mehr als einen kritischen Einwurf Adornos gilt.

Über fast zwei Jahrzehnte entfaltete der neu installierte Akademiker nun eine sehr intensive öffentliche Tätigkeit außerhalb der Universität, und der jetzt vorliegende Band der "Vorträge 1949 - 1968" zeigt davon eine bislang eher unterbelichtete Facette. Adornos Hauptgeschäft bestand in der Lehre und in seinen großen Büchern; viele seiner Essays hat er auch vor Publikum "aufgeführt" (wie es der Komponist Dieter Schnebel so schön charakterisierte) oder im Radio gelesen; die Vorträge des neuen Bandes aber zählen zu einem ganz anderen Genre: In der Regel ohne Manuskript, nur mit einigen vorab notierten Stichpunkten, spricht Adorno hier frei, und die Texte beruhen auf sorgfältig rekonstruierten Tonbandaufnahmen oder Abschriften. Sein bekannter Duktus ist selbstverständlich erkennbar, und nicht immer entgeht er der Gefahr, ein bestimmtes Denkmuster routiniert auf verschiedene Gegenstände anzuwenden. Ein Ton des Improvisierten, zuweilen des Experimentierenden verleiht den Überlegungen in ihren originellsten Momenten jedoch tatsächlich den äußerst reizvollen Charakter einer allmählichen Verfertigung von Gedanken beim Reden.

Von der Vielfalt in Adornos Vortragstätigkeit auch nur einen raschen Überblick zu geben ist kaum möglich, und die Sammlung bietet denn auch nur eine Auswahl: Was 1949 mit "Städtebau und Gesellschaftsordnung" beginnt, endet 1968 fast ebenso symbolisch mit der "Einführung zur Aufführung des Pierrot lunaire" - ist die Musik Schönbergs doch ebenfalls einer von Adornos Lebensmittelpunkten. Dazwischen liegen Themen wie: "Die menschliche Gesellschaft heute" (1957), "Musikalische Bildung heute" (1962), "Ist Aberglaube harmlos?" (1962), "Richard Strauss - Fragen der kompositorischen Technik" (1964), bis hin zu "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus" aus dem Jahre 1967.

Dass gerade dieser Vortrag heute, fünfzig Jahre später, zu erstaunlichem Bestsellerruhm gekommen ist, verdankt sich natürlich einerseits seiner traurigen Aktualität, andererseits aber einer Gemeinsamkeit fast aller hier gedruckten Texte: Auch wo Adorno sich ausdrücklich auf ganz gegenwärtige Anstöße des Tages bezieht, sind seine Argumente niemals vollkommen zeitgebunden; "Städtebau und Gesellschaftsordnung" handelt eben nicht nur vom Auferstehen aus Ruinen, sondern sogar mehr noch von sehr grundsätzlichen Fragen lebenswerter Städte, die sich heute ganz genauso stellen; bei den regelmäßig behandelten Themen der Bildungspolitik ist das - leider! - nicht viel anders.

An dieser Stelle kann nicht verheimlicht werden, dass den Rezensenten doch immer häufiger die Wehmut beschlich: Welches Reflexionsniveau erlaubte sich ein Intellektueller ohne Angst vor dem Vorwurf des Elitären! Sendezeiten ohne Ende! Was war alles noch möglich in Radioprogrammen, Hochschulwochen, Volkshochschulen, Studentenverbänden und sogar Verlagsveranstaltungen! Eine besonders schöne Trouvaille ist deshalb auch der Frankfurter Verleger-Abend im November 1953: Adorno präsentiert Suhrkamps große Proust-Ausgabe, mit der die vollständige "Recherche du temps perdu" überhaupt zum ersten Mal nach Deutschland kam.

Aus heutiger Sicht ist der Vortrag Überforderung pur: ausführlich wie eine Vorlesung, fern von allen Reklamesprüchen, von allen Proust-Klischees, und sogar ein Evergreen wie die stets wirkungsvolle Madeleine-Episode wird extra nicht erzählt. Am Anfang dagegen steht Adornos Erstaunen, dass sein Engagement für Proust überhaupt noch nötig ist: Das extrem späte Erscheinen eines Jahrhundertromans und seine zwei Jahrzehnte zuvor gescheiterte erste Übersetzung werden als Teil der gewaltsam unterbrochenen Rezeptionsgeschichte der Moderne interpretiert, natürlich vor dem Hintergrund der eigenen Emigrationsjahre und der Verfolgung aller "entarteten" Kunst.

So enthält der Proust-Vortrag über sein literarisches Interesse hinaus auch so etwas wie eine autobiographische Seite, und nicht nur er. Der literarischen, musikalischen, ästhetischen Moderne nach zwölf Jahren des Verbots wieder zu einer Gegenwart im neuen Deutschland zu verhelfen, das steht als Impuls hinter jedem Vortrag über künstlerische Dinge, und auch die Verbindung zu den zuweilen sehr viel handfesteren Texten aus Bildungspolitik, Forschung und Lehre liegt überall auf der Hand.

Die zwei Jahrzehnte der Vorträge sind tatsächlich genau jene zwei Jahrzehnte, in denen die junge Bundesrepublik nach der Friedhofsruhe des totalitären Staates eine öffentliche intellektuelle Diskussionskultur erst erlernen musste, und sie enden mit dem emblematischen Jahr der großen akademischen Freiheit - und zugleich eines neuen beschränkten Dogmatismus. Wie hoch allerdings in den vielgeschmähten "Adenauer-Jahren" das intellektuelle Niveau dieser Öffentlichkeit sein konnte, das lehrt dieser ausgezeichnete Band noch ganz nebenbei. Wie hieß doch gleich Adornos schönste Conclusio: "Ich überlasse Ihnen das zum Weiterdenken." Wir danken.

Theodor W. Adorno: "Vorträge 1949-1968".

Hrsg. von Michael Schwarz.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 786 S., geb., 58,- [Euro].

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»Die beiden ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik werden gemeinhin als grau und eng beschrieben. Doch welch intellektuelles Leben es gab, das machen die Vorträge Adornos deutlich, die er unermüdlich hielt. Dabei ist es nur eine Auswahl, die Michael Schwarz hier versammelt hat, aber von höchstem Anspruch - und zugleich, anders als Adornos Schreibstil, einfach, klar und verständlich.« Bernhard Schulz Der Tagesspiegel 20191208