'Nachkommen.' ist ein Roman über die Ordnung der Generationen und wie sie durch Gier und Vernachlässigung außer Kraft gesetzt wird.
Am Morgen verabschiedet sich die zwanzigjährige Nelia Fehn von ihrem toten Großvater, am Abend sitzt sie als jüngste Autorin bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises. In Frankfurt trifft sie ihren leiblichen Vater das erste Mal. Auf der Buchmesse wird sie gefragt, warum sie denn nun einen Roman geschrieben habe.
»Sie hatte nur nicht sagen können, was sie da gemacht hatte. Oder warum. Sie hatte nur einfach geschrieben und jetzt war das ein Roman, und das Leben ging weiter. Sie wußte nicht einmal, ob sie wieder schreiben wollte. Weiter schreiben.«
Marlene Streeruwitz gewährt uns einen Insider-Einblick in das Literaturgetriebe, und es gelingt ihr, aus dem Ende der Literatur Literatur zu machen.
Am Morgen verabschiedet sich die zwanzigjährige Nelia Fehn von ihrem toten Großvater, am Abend sitzt sie als jüngste Autorin bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises. In Frankfurt trifft sie ihren leiblichen Vater das erste Mal. Auf der Buchmesse wird sie gefragt, warum sie denn nun einen Roman geschrieben habe.
»Sie hatte nur nicht sagen können, was sie da gemacht hatte. Oder warum. Sie hatte nur einfach geschrieben und jetzt war das ein Roman, und das Leben ging weiter. Sie wußte nicht einmal, ob sie wieder schreiben wollte. Weiter schreiben.«
Marlene Streeruwitz gewährt uns einen Insider-Einblick in das Literaturgetriebe, und es gelingt ihr, aus dem Ende der Literatur Literatur zu machen.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Wer hinter Marlene Streeruwitz' neuem Roman "Nachkommen" bloß den "satirischen Angriff auf das Kulturgehege" von Seiten einer schlechten Verliererin vermutet, liegt vollkommen falsch, berichtet Franz Haas. In dem Buch schreibt zwar tatsächlich eine junge Autorin einen kritischen Roman, der auf der Shortlist des Buchpreises landet, den sie dann nicht gewinnt, und es wimmelt von Anspielungen auf den realen Literaturbetrieb und seine meist männlichen Funktionäre und die hoffnungslose Klüngelei, aber dahinter verbirgt sich eher "etwas so schön Altmodisches" wie kritischer und feministischer Anspruch als schlichtes Ressentiment, ist sich der Rezensent sicher. Es geht auch um das Missverhältnis zwischen einer schönen, unpolitischen Literatur in einer kaputten Gesellschaft, um die Unverhältnismäßigkeit eitler Erregungen, während sich andernorts Menschen verbrennen, erklärt Haas. Besonders freut den Rezensenten, dass der Roman im Roman tatsächlich erscheinen wird: "Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland" wird er heißen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2014Die Tochter, die keinen Vater haben wollte
In ihrem neuen Roman "Nachkommen." rechnet Marlene Streeruwitz mit dem Literaturbetrieb ab und erfindet sich neu - als Jungautorin
Dies ist ein seltsamer Roman. Nicht bloß, weil er in einer Einsegnungshalle in Wien beginnt, wo ein toter Großvater in seinem offenen Sarg aufgebahrt liegt, dessen Enkelin in ihm, dem Vater ihrer vor fünf Jahren gestorbenen Mutter, den letzten Repräsentanten ihrer Genealogie betrauert. Sondern auch, weil es um das Wissen über die eigene Herkunft, im mehrfachen Sinn, fortan gehen wird. Schon die Mutter der jungen Frau hatte die genealogische Abfolge unterbrochen, indem sie ihr drittes Kind unehelich zur Welt brachte, so dass es nicht den Namen seines leiblichen Vaters trägt, sondern ihren Mädchennamen - Holzinger, Cornelia Holzinger. Weil aber die Mutter sich selbst Dora Fehn nannte - der nom de guerre einer erfolgreichen Schriftstellerin -, steht die Enkelin am Sarg ihres "Opi" unter ihrem selbstgewählten "Mami"-Pseudonym: Nelia Fehn. Das kann nicht gutgehen. Aber es zieht in die Handlung hinein. Und Marlene Streeruwitz, die sprachmächtige Autorin dieses Konstrukts, ist in einem Ausmaß allwissend über Nelia Fehn, Herrin über deren seelische und körperliche Aggregatzustände, dass es einem angst und bange werden kann um die junge Frau.
Das Geschehen über 430 Seiten und zwei Tage hin ist schnell zusammengefasst: "Am Vormittag eine Totenvisite und am Abend eine Preisverleihung", so heißt es nach einigen Seiten; denn Nelia Fehn steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises für ihren Debütroman, dessen Gewinner noch am selben Tag in Frankfurt bekanntgegeben wird, vor Publikum und in Anwesenheit der nominierten Autoren (und Autorinnen!). Damit gerät sie in den Sog des alljährlichen Buchmesse-Zirkus, schon vor der Preisvergabe: "Wenn sie das so überlegte, dann konnte sie sich gar nicht bewegen, wie sie gewollt hätte. Sie musste sich nach dieser Stelle außerhalb von sich richten. Das hieß also, dass diese Stelle außerhalb von ihr sie richtete. Und das war das Ganze ja. Ein Urteil. Und sie hatte nichts zu sagen gehabt. War nie gehört worden."
Nelia Fehn bekommt den Buchpreis nicht, aber sie gerät in die Mühlen des Betriebs: ihr unsolider Kleinverleger und dessen Geldgeber; blöde Anmachen - zwischen den Zeilen ist unüberlesbar, wie attraktiv sie ist; Herumreichereien, ihrer Jugend wegen; ein Fernsehinterview, bei dem sie widerspenstig ist (was sie freilich nur interessanter macht); Herumirren in der als unwirtlich empfundenen Stadt Frankfurt; vergebliche Nahrungssuche, weil sie Veganerin ist (außerdem vermutlich unter einer Essstörung leidet); die Sehnsucht nach ihrem Freund Marios in Griechenland, und endlich: die Wiederbegegnung mit ihrem leiblichen Vater, einer intellektuellen Größe in Frankfurt, die ins Desaster mündet. Münden muss. Die Tochter verweigert die zu späten emotionalen und materiellen Angebote des Manns. Das ist es. Im Großen und Ganzen.
Dieser Überblick ist natürlich nicht fair. Denn Streeruwitz hat keinen Roman über den Betrieb geschrieben, auch wenn sich dessen Personal in einigen Cameo-Auftritten identifizieren lässt (wer Spaß dran hat). Sondern über die schwierigste Suche überhaupt, die nach dem Ursprung, im realen wie im symbolischen Sinn. Nelia Fehn ist verlassen von einer gestorbenen Mutter; über ihr eigenes Buch denkt sie deshalb: "Der Text. Das war wahrscheinlich eine Opfergabe an die Tote. Ein Versuch, sie zu speisen. Sie zufriedenzustellen. Sich ihrer zu entledigen. Sich von ihr zu entfernen." Und sie ist entfremdet von einem Erzeuger, der sie nicht in eine Genealogie gestellt hat. Dass sich Streeruwitz für dieses Dilemma einer Sprache bedient, die sich, scheinbar ungeschützt, über unfertige Sätze, Wiederholungen und Abschweifungen, über Assoziationen, Auslassungen und Verschiebungen äußert, ist Programm. Der Roman "Nachkommen." (auch der Punkt hinter dem Titel meint, dass da noch etwas nachzukommen habe) hätte eine kurze Erzählung sein können über eine Jungautorin, die durchs Dorf Gegenwartsliteratur gejagt wird. Doch Streeruwitz exerziert einmal mehr, dass den Frauen keine intakte Sprache zur Verfügung stehe, weil Sprache immer die Sprache der Herrschenden ist, sprich: eine männliche. Das ist nicht richtig falsch, aber auch nicht so richtig richtig und schon gar nicht abendfüllend.
Mitunter ist die Autorin unglaubwürdig, wenn sie unter die Haut ihrer jungen Altera Ego schlüpft. Das geschieht schon relativ früh, als der unangenehme Verleger mit dem sprechenden Namen Gruhns auf der Preisfeier Nelia mitteilt, dass ihr Vater hier sei. Daraufhin heißt es aus Nelias Gedanken: "Sie würde ihn sowieso nicht erkennen. Und war das nicht wieder lustig. Das war doch lustig. Dieser Mann war nicht einmal beim Begräbnis von der Mami gewesen. Sie hatte keine Vorstellung von ihm. Sie hatte ihn nie gegoogelt. Diese Ehre hatte sie ihm nicht zuteilwerden lassen wollen." Das ist nicht ernsthaft vorstellbar: Eine aufsässige Frau von kaum zwanzig Jahren mit dem Hang zur Radikalität, die überdies ständig mit ihrem iPhone hantiert, soll nicht wissen wollen, wie der Mann aussieht, der (nach Angabe der Mutter) nicht wollte, dass sie jemals auf die Welt kam? Und dieselbe Nelia soll aber ausgerechnet ihrem windigen Verleger vorher den Namen ihres Vaters, des Literaturprofessors Rüdiger Martens, genannt haben?
Das funktioniert nicht. So jedenfalls nicht. Und damit kommt "Nachkommen." überhaupt, bei aller verdichteten Beschreibung feinster Nervenstränge der Protagonistin, in eine Schieflage, die vor allem auf das Konto des argen Klischees geht, in das der Vater gezwängt wird. Er gerät Streeruwitz - schwer zu entscheiden, ob bewusst oder unbewusst - zur Farce des alternden praktizierenden Narzissten, verstrickt in sein gewesenes, von Unoffenheit und Verdrängung geprägtes Leben - und umstellt von diversen Frauen, die alle etwas von ihm wollen (Ja, sind denn Frauen so? Na, dann sind es eben immer die anderen Frauen!). Martens begegnet seiner verlorenen Tochter zunächst werbend, dann eher passiv-aggressiv, während diese aktiv-aggressiv agiert. In einer grotesken Szene will der Professor Nelia nacheilen, um sie zu halten, und bleibt im Zaun vor seinem Haus hängen, aus dem ihm Nelia heraushilft, ehe sie abhaut.
"Nachkommen." als eine Satire zu lesen geht trotzdem fehl, leider. Marlene Streeruwitz macht keine losen Scherze. Wenn etwas ihren Roman retten könnte, dann wäre es diese scharfkantige kompromisslose Ernsthaftigkeit, zumal er auf einem biographischen Hintergrund beruht: Sie selbst war 2011 auf der Shortlist der verkaufsträchtigsten deutschen Literaturauszeichnung mit ihrem Roman "Die Schmerzmacherin". Sie bekam den Preis nicht, wie jetzt ihre töchterliche Nelia Fehn. Dabei hätte die das Preisgeld von 25 000 Euro dringend brauchen können, um ihrem griechischen Freund Marios, der im Kampf gegen die EU-Troika schwer verletzt wurde, die notwendigen Operationen zu bezahlen. Das Buch, mit dem Nelia auf die Shortlist kam, heißt "Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland". Tatsächlich ist dieser Titel im Fischer Verlag - dem Verlag von Nelias Mami und dem von Marlene Streeruwitz - bereits für diesen Herbst angekündigt. Die Autorin heißt Nelia Fehn - alias Marlene Streeruwitz.
ROSE-MARIA GROPP
Marlene Streeruwitz: "Nachkommen.". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2014. 432 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In ihrem neuen Roman "Nachkommen." rechnet Marlene Streeruwitz mit dem Literaturbetrieb ab und erfindet sich neu - als Jungautorin
Dies ist ein seltsamer Roman. Nicht bloß, weil er in einer Einsegnungshalle in Wien beginnt, wo ein toter Großvater in seinem offenen Sarg aufgebahrt liegt, dessen Enkelin in ihm, dem Vater ihrer vor fünf Jahren gestorbenen Mutter, den letzten Repräsentanten ihrer Genealogie betrauert. Sondern auch, weil es um das Wissen über die eigene Herkunft, im mehrfachen Sinn, fortan gehen wird. Schon die Mutter der jungen Frau hatte die genealogische Abfolge unterbrochen, indem sie ihr drittes Kind unehelich zur Welt brachte, so dass es nicht den Namen seines leiblichen Vaters trägt, sondern ihren Mädchennamen - Holzinger, Cornelia Holzinger. Weil aber die Mutter sich selbst Dora Fehn nannte - der nom de guerre einer erfolgreichen Schriftstellerin -, steht die Enkelin am Sarg ihres "Opi" unter ihrem selbstgewählten "Mami"-Pseudonym: Nelia Fehn. Das kann nicht gutgehen. Aber es zieht in die Handlung hinein. Und Marlene Streeruwitz, die sprachmächtige Autorin dieses Konstrukts, ist in einem Ausmaß allwissend über Nelia Fehn, Herrin über deren seelische und körperliche Aggregatzustände, dass es einem angst und bange werden kann um die junge Frau.
Das Geschehen über 430 Seiten und zwei Tage hin ist schnell zusammengefasst: "Am Vormittag eine Totenvisite und am Abend eine Preisverleihung", so heißt es nach einigen Seiten; denn Nelia Fehn steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises für ihren Debütroman, dessen Gewinner noch am selben Tag in Frankfurt bekanntgegeben wird, vor Publikum und in Anwesenheit der nominierten Autoren (und Autorinnen!). Damit gerät sie in den Sog des alljährlichen Buchmesse-Zirkus, schon vor der Preisvergabe: "Wenn sie das so überlegte, dann konnte sie sich gar nicht bewegen, wie sie gewollt hätte. Sie musste sich nach dieser Stelle außerhalb von sich richten. Das hieß also, dass diese Stelle außerhalb von ihr sie richtete. Und das war das Ganze ja. Ein Urteil. Und sie hatte nichts zu sagen gehabt. War nie gehört worden."
Nelia Fehn bekommt den Buchpreis nicht, aber sie gerät in die Mühlen des Betriebs: ihr unsolider Kleinverleger und dessen Geldgeber; blöde Anmachen - zwischen den Zeilen ist unüberlesbar, wie attraktiv sie ist; Herumreichereien, ihrer Jugend wegen; ein Fernsehinterview, bei dem sie widerspenstig ist (was sie freilich nur interessanter macht); Herumirren in der als unwirtlich empfundenen Stadt Frankfurt; vergebliche Nahrungssuche, weil sie Veganerin ist (außerdem vermutlich unter einer Essstörung leidet); die Sehnsucht nach ihrem Freund Marios in Griechenland, und endlich: die Wiederbegegnung mit ihrem leiblichen Vater, einer intellektuellen Größe in Frankfurt, die ins Desaster mündet. Münden muss. Die Tochter verweigert die zu späten emotionalen und materiellen Angebote des Manns. Das ist es. Im Großen und Ganzen.
Dieser Überblick ist natürlich nicht fair. Denn Streeruwitz hat keinen Roman über den Betrieb geschrieben, auch wenn sich dessen Personal in einigen Cameo-Auftritten identifizieren lässt (wer Spaß dran hat). Sondern über die schwierigste Suche überhaupt, die nach dem Ursprung, im realen wie im symbolischen Sinn. Nelia Fehn ist verlassen von einer gestorbenen Mutter; über ihr eigenes Buch denkt sie deshalb: "Der Text. Das war wahrscheinlich eine Opfergabe an die Tote. Ein Versuch, sie zu speisen. Sie zufriedenzustellen. Sich ihrer zu entledigen. Sich von ihr zu entfernen." Und sie ist entfremdet von einem Erzeuger, der sie nicht in eine Genealogie gestellt hat. Dass sich Streeruwitz für dieses Dilemma einer Sprache bedient, die sich, scheinbar ungeschützt, über unfertige Sätze, Wiederholungen und Abschweifungen, über Assoziationen, Auslassungen und Verschiebungen äußert, ist Programm. Der Roman "Nachkommen." (auch der Punkt hinter dem Titel meint, dass da noch etwas nachzukommen habe) hätte eine kurze Erzählung sein können über eine Jungautorin, die durchs Dorf Gegenwartsliteratur gejagt wird. Doch Streeruwitz exerziert einmal mehr, dass den Frauen keine intakte Sprache zur Verfügung stehe, weil Sprache immer die Sprache der Herrschenden ist, sprich: eine männliche. Das ist nicht richtig falsch, aber auch nicht so richtig richtig und schon gar nicht abendfüllend.
Mitunter ist die Autorin unglaubwürdig, wenn sie unter die Haut ihrer jungen Altera Ego schlüpft. Das geschieht schon relativ früh, als der unangenehme Verleger mit dem sprechenden Namen Gruhns auf der Preisfeier Nelia mitteilt, dass ihr Vater hier sei. Daraufhin heißt es aus Nelias Gedanken: "Sie würde ihn sowieso nicht erkennen. Und war das nicht wieder lustig. Das war doch lustig. Dieser Mann war nicht einmal beim Begräbnis von der Mami gewesen. Sie hatte keine Vorstellung von ihm. Sie hatte ihn nie gegoogelt. Diese Ehre hatte sie ihm nicht zuteilwerden lassen wollen." Das ist nicht ernsthaft vorstellbar: Eine aufsässige Frau von kaum zwanzig Jahren mit dem Hang zur Radikalität, die überdies ständig mit ihrem iPhone hantiert, soll nicht wissen wollen, wie der Mann aussieht, der (nach Angabe der Mutter) nicht wollte, dass sie jemals auf die Welt kam? Und dieselbe Nelia soll aber ausgerechnet ihrem windigen Verleger vorher den Namen ihres Vaters, des Literaturprofessors Rüdiger Martens, genannt haben?
Das funktioniert nicht. So jedenfalls nicht. Und damit kommt "Nachkommen." überhaupt, bei aller verdichteten Beschreibung feinster Nervenstränge der Protagonistin, in eine Schieflage, die vor allem auf das Konto des argen Klischees geht, in das der Vater gezwängt wird. Er gerät Streeruwitz - schwer zu entscheiden, ob bewusst oder unbewusst - zur Farce des alternden praktizierenden Narzissten, verstrickt in sein gewesenes, von Unoffenheit und Verdrängung geprägtes Leben - und umstellt von diversen Frauen, die alle etwas von ihm wollen (Ja, sind denn Frauen so? Na, dann sind es eben immer die anderen Frauen!). Martens begegnet seiner verlorenen Tochter zunächst werbend, dann eher passiv-aggressiv, während diese aktiv-aggressiv agiert. In einer grotesken Szene will der Professor Nelia nacheilen, um sie zu halten, und bleibt im Zaun vor seinem Haus hängen, aus dem ihm Nelia heraushilft, ehe sie abhaut.
"Nachkommen." als eine Satire zu lesen geht trotzdem fehl, leider. Marlene Streeruwitz macht keine losen Scherze. Wenn etwas ihren Roman retten könnte, dann wäre es diese scharfkantige kompromisslose Ernsthaftigkeit, zumal er auf einem biographischen Hintergrund beruht: Sie selbst war 2011 auf der Shortlist der verkaufsträchtigsten deutschen Literaturauszeichnung mit ihrem Roman "Die Schmerzmacherin". Sie bekam den Preis nicht, wie jetzt ihre töchterliche Nelia Fehn. Dabei hätte die das Preisgeld von 25 000 Euro dringend brauchen können, um ihrem griechischen Freund Marios, der im Kampf gegen die EU-Troika schwer verletzt wurde, die notwendigen Operationen zu bezahlen. Das Buch, mit dem Nelia auf die Shortlist kam, heißt "Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland". Tatsächlich ist dieser Titel im Fischer Verlag - dem Verlag von Nelias Mami und dem von Marlene Streeruwitz - bereits für diesen Herbst angekündigt. Die Autorin heißt Nelia Fehn - alias Marlene Streeruwitz.
ROSE-MARIA GROPP
Marlene Streeruwitz: "Nachkommen.". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2014. 432 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Feministischer Impetus, Scharfblick für die Zwischentöne menschlicher Interaktionen[...]zeichnen [...] dieses Streeruwitz-Werk aus und machen es zu einem der lesenswertesten Romane dieses Jahres. Anja Kümmel Weser-Kurier 20140629