Das Ruhrgebiet: ein bedeutender Ballungsraum. In diesem Buch wird eine ganze Region literarisch neu vermessen. Drei Autoren betrachten das Dreistromland zwischen Lippe, Emscher und Ruhr in Essays, Gedichten, Erzählungen, Prosafragmenten und Reiseberichten - mit individuellem Blick, poetisch und abseits der üblichen Klischees.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2020Fast vierhundert Antworten
Emscher-Gebiet wäre der treffendere Name. Denn die Ruhr fließt am südlichen Rand des Reviers, die Emscher mittendurch. Doch das Buch heißt "Nachrichten aus dem Dreistromland", der Bergbau ist im Norden bis über die Lippe gewandert. "Zwei schöne Schwestern" nennt Ralf Thenior Ruhr und Lippe: "Fast könnte man sagen, die dritte im Bunde, die Emscher, sei die ungeliebte Stiefschwester, das Aschenputtel, der Fluss ,fürs Grobe'." Doch das stimme nicht mehr, denn "der Restaurierungsprozess der Köttelbecke schreitet fort". Drei Stadtschreiber, je eine knappe Generation auseinander (Thenior ist 1945, Brôcan 1965, Maxwill 1984 geboren) und als Zugezogene in Dortmund lebend, tragen gemischte Texte - Essays, Geschichten, Skizzen, Gedichte - zusammen, in denen sie ihre Lebensumwelt und deren Wandel beschreiben: subjektiv und nicht aufeinander abgestimmt. So entsteht ein offenes, anregend widersprüchliches Bild. Auf die Frage "Was ist Ruhr?" gibt der erste Text von Arnold Maxwill denn auch gleich fast vierhundert Antworten. Den kritischsten Akzent setzt Jürgen Brôcan, der eine wenig beachtete Dialektik der Emscher-Renaturierung aufdeckt: "Eine vollständig aus ihren Rinnen befreite Emscher (. . .) hätte ihr ganz einzigartiges Gesicht verloren, wäre ein dümpelndes geschichtsloses Flüsschen." Die Autoren folgen Trampelpfaden und Kanälen, klettern unter Stacheldraht hindurch und erklimmen Stahlfachwerkbrücken, streifen durch Brachen und Naturschutzgebiete und entdecken "eine ländliche Szenerie, die von John Constable hätte gemalt sein können" (Thenior). Kein Reiseführer, sondern ein Lesebuch in der Tradition von W. G. Sebald, das mit seinen anderen Sehenswürdigkeiten, mit "Nicht-Orten", "Transit-Zonen" und "Szenerien, die an Tarkowskijs ,Stalker' erinnern", dazu anregt, auf eigene Faust loszuziehen. Die besten der sehr unterschiedlichen Beiträge lösen Brôcans im Vorspann hinterlegte Übertreibung ein: "Im Ruhrgebiet warten überraschende Eindrücke an allen Straßenecken."
aro.
"Nachrichten aus dem Dreistromland" von Jürgen Brôcan, Arnold Maxwill und Ralf Thenior. edition offenes feld, Dortmund 2019. 202 Seiten. Gebunden, 19,50 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Emscher-Gebiet wäre der treffendere Name. Denn die Ruhr fließt am südlichen Rand des Reviers, die Emscher mittendurch. Doch das Buch heißt "Nachrichten aus dem Dreistromland", der Bergbau ist im Norden bis über die Lippe gewandert. "Zwei schöne Schwestern" nennt Ralf Thenior Ruhr und Lippe: "Fast könnte man sagen, die dritte im Bunde, die Emscher, sei die ungeliebte Stiefschwester, das Aschenputtel, der Fluss ,fürs Grobe'." Doch das stimme nicht mehr, denn "der Restaurierungsprozess der Köttelbecke schreitet fort". Drei Stadtschreiber, je eine knappe Generation auseinander (Thenior ist 1945, Brôcan 1965, Maxwill 1984 geboren) und als Zugezogene in Dortmund lebend, tragen gemischte Texte - Essays, Geschichten, Skizzen, Gedichte - zusammen, in denen sie ihre Lebensumwelt und deren Wandel beschreiben: subjektiv und nicht aufeinander abgestimmt. So entsteht ein offenes, anregend widersprüchliches Bild. Auf die Frage "Was ist Ruhr?" gibt der erste Text von Arnold Maxwill denn auch gleich fast vierhundert Antworten. Den kritischsten Akzent setzt Jürgen Brôcan, der eine wenig beachtete Dialektik der Emscher-Renaturierung aufdeckt: "Eine vollständig aus ihren Rinnen befreite Emscher (. . .) hätte ihr ganz einzigartiges Gesicht verloren, wäre ein dümpelndes geschichtsloses Flüsschen." Die Autoren folgen Trampelpfaden und Kanälen, klettern unter Stacheldraht hindurch und erklimmen Stahlfachwerkbrücken, streifen durch Brachen und Naturschutzgebiete und entdecken "eine ländliche Szenerie, die von John Constable hätte gemalt sein können" (Thenior). Kein Reiseführer, sondern ein Lesebuch in der Tradition von W. G. Sebald, das mit seinen anderen Sehenswürdigkeiten, mit "Nicht-Orten", "Transit-Zonen" und "Szenerien, die an Tarkowskijs ,Stalker' erinnern", dazu anregt, auf eigene Faust loszuziehen. Die besten der sehr unterschiedlichen Beiträge lösen Brôcans im Vorspann hinterlegte Übertreibung ein: "Im Ruhrgebiet warten überraschende Eindrücke an allen Straßenecken."
aro.
"Nachrichten aus dem Dreistromland" von Jürgen Brôcan, Arnold Maxwill und Ralf Thenior. edition offenes feld, Dortmund 2019. 202 Seiten. Gebunden, 19,50 Euro.
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