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Hans-Jochen Vogel hat in einem breiten Spektrum von Ämtern und Funktionen die Politik der siebziger und achtziger Jahre mitbestimmt. Er erinnert sich an seine 22 Jahre in Bonn, Berlin und wieder Bonn, schildert Ereignisse und Entscheidungen, sagt, warum er bestimmte Dinge getan hat. Er erzählt von Menschen, die ihm wichtig waren und beurteilt den Zustand und die Zukunft Deutschlands, wobei er sich mit seiner eigenen Partei, der SPD, besonders intensiv auseinandersetzt.

Produktbeschreibung
Hans-Jochen Vogel hat in einem breiten Spektrum von Ämtern und Funktionen die Politik der siebziger und achtziger Jahre mitbestimmt. Er erinnert sich an seine 22 Jahre in Bonn, Berlin und wieder Bonn, schildert Ereignisse und Entscheidungen, sagt, warum er bestimmte Dinge getan hat. Er erzählt von Menschen, die ihm wichtig waren und beurteilt den Zustand und die Zukunft Deutschlands, wobei er sich mit seiner eigenen Partei, der SPD, besonders intensiv auseinandersetzt.
Autorenporträt
Hans-Jochen Vogel, geboren 1926, bekleidete zahlreiche bedeutende politische und öffentliche Ämter, u.a. war er Oberbürgermeister von München, Bundesjustizminister, Regierender Bürgermeister von Berlin, SPD-Chef und Oppositionsführer. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag 1994 hat er sich für wichtige gesellschaftspolitische Fragen engagiert, u.a. als Gründungsvorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen für Demokratie". Neben autobiographischen Büchern hat er auch Werke zu historischen und politischen Fragen verfasst.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.1996

Menschen und Verhältnisse bewegt
Mehr als nur ein Mann des Übergangs: Hans-Jochen Vogel blickt zurück

Hans-Jochen Vogel: Nachsichten. Meine Bonner und meine Berliner Jahre. Piper Verlag, München 1996. 544 Seiten, 49,80 Mark.

Über Hans-Jochen Vogel sind viele Klischees im Umlauf. Das ist bei politischen Menschen unvermeidlich, behaupten vor allem jene, die Herstellung und Verbreitung solcher Klischees eine Pflicht dünkt. Wer Vogels "Nachsichten" liest - und das lohnt sich, auch wenn die Lektüre hier und da trocken ist -, erfährt viel: Tatsachen, Entwicklungen, Zusammenhänge; vieles spricht für sich, seltener sind Bewertungen (dann aber klar), der Autor aber nimmt sich ganz (fast ganz) zurück. Abschnitte nach dem Muster "Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein" findet man nicht.

Klischees: Als der "Juso-Fresser" 1972 nach Bonn kam, galt er als rechthaberisch und streitsüchtig, als Rechter mit linken Ideen von Bodenreform und Kommunalpolitik, von wütendem Arbeitseifer und besonderer Strenge, pünktlich (zu Recht) und von sich mehr verlangend als von anderen (wiederum zu Recht) und diese anderen damit manchmal überfordernd. Wie gesagt: Klischees, aber nicht nur Klischees. Wer die "Nachsichten" liest, gewinnt einen Einblick in ein Spannungsfeld von Vernunft und Leidenschaft, Einsatz und Muße, heftigen Adrenalinstößen und geduldiger Zuwendung.

Vogel ist in seinem Denken und Handeln vom Einsatz für Menschen und gegen ihre Nöte, von der Idee der sozialen Demokratie getragen, also von gegenseitiger Verantwortung, von Pflichten untereinander und für das Gemeinwesen. So wichtig und sympathisch ich solche Grundhaltung finde, so gerne füge ich dazu: Es muß nicht immer Askese sein, Vogel ist, die "Nachsichten" zeigen es, sich der Schwäche und Eigenheiten, die ihm zugeschrieben werden, sehr bewußt. Ich meine, er hat bei aller äußerlichen Kantigkeit nie jemand verletzen wollen. Angestrengt hat er am meisten wohl sich selbst. Das werden vielleicht jene anders betrachten, die Anlaß seiner Temperamentsausbrüche wurden. Heute verträgt Vogel übrigens begründeten Widerspruch gut und ist zu erstaunlicher Selbstironie fähig.

Durch sein Leben (und das Buch) zieht sich einem roten Faden gleich das Verständnis Vogels von den Anforderungen an einen politischen Menschen, zumal einen an der Spitze: die Sache vor der Person, konsequent an Wertvorstellungen orientiert, um Lösungen bemüht statt um Schaukämpfe, voller Respekt vor den Menschen, ihren Belangen und Interessen, im Ziel klar, im Handeln glaubwürdig, im Vorgehen verläßlich und durchschaubar. Da haben wir sie, die manchmal gescholtenen Sekundärtugenden, die doch nichts anderes sind als der Ausdruck dafür, daß Umgang miteinander - in der Gesellschaft, in einer Partei - natürlich viel mehr ist als formatiertes Verfahren oder gar bürokratische Starre, daß andererseits aber ohne klare Verfahren, durchschaubares und verläßliches Vorgehen der Umgang der Personen, Ziele und Beschlüsse sehr beliebig werden.

Beliebigkeit ist Vogel zuwider. Das ist nicht etwa die Konsequenz aus Kleiderordnung und Klarsichthülle, sondern von Überzeugungen. Was anderes hätte ihn bewegen können, mehrfach angeschlagene Schiffe als Kapitän zu übernehmen, in Berlin beispielsweise, wo auch der beste Kapitän die vielen Lecks nicht mehr abdichten konnte. Immerhin: in dieser Zeit kam manches zur friedlichen Entwicklung der Hauptstadt auf den Weg, von dem der Nachfolger Richard von Weizsäcker profitierte. Vogel inszeniert sich nicht als Held; seine Erfolge sind selbst errungen, hart erarbeitet. Die Leistung, die dahintersteckt, sieht man kaum - allzu viel Aufhebens hat Vogel davon nicht gemacht.

Dabei hat er die SPD nach dem von der FDP herbeigeführten Scheitern der Regierung Helmut Schmidt im Jahr 1982 vor dem Absturz und dem Zerfasern bewahrt. Wie oft wurde seither das Lied vom Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts gesungen, in dem ja große Anerkennung versteckt ist. Doch haben sich die sozialdemokratischen Ideen, hat sich also die soziale gesellschaftliche Verankerung, der europäische Humanismus, die Idee von der gleichen Würde des einzelnen überlebt? Können die Ausprägungen dieser Idee - entfaltete Individualität, gleiche Teilnahme am Haben und Sagen, Schutz der Minderheiten, Sozialstaat und andere - unter dem Druck des globalen Wettbewerbs behauptet werden? Ja, am besten freilich gemeinsam in Europa, nicht allein im nationalen Rahmen, auf den sich zurückzuziehen nichts anderes ist als Flucht vor den Realitäten und der Verantwortung

Das in der Zeit und unter Verantwortung von Vogel entwickelte, von der SPD fast achtlos behandelte "Berliner Programm" gibt brauchbare Antworten. Wer auf den Brettern des Zeitgeistes die modischen Wellen absurft, dem gelten Programme nicht viel. Aber setzen Programme das sozialdemokratische Jahrhundert fort? Nein, sie allein nicht! Erst die Übereinstimmung von Interessen, Zielen und Handeln, verkörpert in den Frauen und Männern einer Partei, hält Ideen lebendig, bewegt andere Menschen - und mit ihnen die Verhältnisse. Manchen gilt die Demokratie in einer Partei nur etwas, wenn die Ergebnisse "passen", ist das nicht der Fall, wird innerparteiliche Demokratie als Ausflucht denunziert. Das ist nur logisch in der Sicht jener Zierden der Politikwissenschaft, die Mitglieder einer Partei zum Resonanzboden ihrer Führung erklären (Kohl und Fischer lassen grüßen). So war Vogel nie, jedenfalls nicht nach seiner Zeit in München. Foren mit Sachverstand außerhalb der SPD, die gleiche Teilhabe der Frauen an Ämtern und Mandaten, die Öffnung der SPD und bessere Mitwirkung der Mitglieder - all das hat mit Vogel zu tun oder wurde von ihm vorangebracht. Viele sagen, im "Kleinarbeiten" der politischen Fragen durch allerlei "Dezernenten" sei die Politik, ihre Vision und ihre Faszination untergegangen. Das halte ich für einseitig.

In den 22 Jahren, die in den "Nachsichten" Revue passieren, ist Umstürzendes geschehen: Die Begeisterung für reformischen Aufbruch verflog, seine ökonomische Grundlagen und sein kultureller Kontext veränderten sich dramatisch, die Kohl-und-Lambsdorff-Wende kostete unser Land viel von seiner sozialen Integration, die unser Bewußtsein prägende Epoche einer bipolaren Konfrontation mit der europäischen und der deutschen Teilung ist zu Ende, aber Europa hat eine zukunftsweisende Gestalt noch nicht gefunden.

Hans-Jochen Vogel schreibt "Nachsichten" - und wer sie vergleicht mit "Erinnerungen" an die gleichen Zeiten (Brandt), mit "Menschen und Mächte" (Schmidt) oder sich "Mittendrin" (Ehmke) wähnt und dabei "Leidenschaft und Augenmaß" (Wischnewski) wahrt, der wird in dem faktenreichen Buch manches finden - und die manchmal (mühsam) beherrschte Disziplin spüren, mit der Vogel kritische Sympathie, Distanz und Respekt gegenüber seiner Partei und ihrer Entwicklung wahrt. Freilich sind die "Nachsichten" nicht immer nachsichtig. Über Tatsachen und Erinnerungen sollte man nicht streiten, aber hier und da gelange ich zu anderen Beurteilungen, beispielswiese bezogen auf die inneren Entwicklungen der SPD im Jahre 1990.

Dessenungeachtet ist es für eine politische Gesamtbilanz der Arbeit und der Leistung von Vogel - sie ist ganz schön umfangreich - zu früh. Doch eines kann man sagen: Er war - nach außerordentlichen Vorgängern im Amt des Partei- und des Fraktionsvorsitzenden - nicht bloß ein Mann des Übergangs, obwohl manche ihm gar keine andere Chance geben wollten. Er hat die Fraktion mehr als zwei Legislaturperioden und die Partei vier Jahre in schwierigen Zeiten konsequent, stabil und erfolgreich geführt. Wie ich selbst weiß, ist das kein einfaches Unterfangen. RUDOLF SCHARPING

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