Paris um 1890, eine junge Cabaret-Tänzerin wird in die Nervenheilanstalt Salpêtrière eingeliefert. Um die Existenz der rätselhaften Krankheit «Hysterie» zu beweisen, veranstaltet der leitende Nervenarzt in der Klinik Vorführungen vor internationalem Publikum. Dabei scheint nicht alles mit rechten Dingen zuzugehen: Die jungen Patientinnen bewegen sich unkontrolliert, verdrehen die Augen, brechen vor der Zuschauerschaft zusammen.Auch die Tänzerin und ihre Freundin Cléo, der wegen ihrer Krämpfe Medikamente verabreicht werden, dienen als Fallbeispiele. Warum verschlimmert sich die gespenstische Krankheit bei ihnen stetig? Gibt es einen Weg raus aus der Salpêtrière, die man im Paris der Jahrhundertwende die «weibliche Hölle» nannte?Um nicht den Verstand zu verlieren, hält die Tänzerin alles in ihrem Notizbuch fest. Ein feiner und humorvoller Roman.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Eine geglückte Verbindung von gutem Schreiben und theoretischer Erfahrung sieht Jan Drees in Alexander Kambers erfundener "Psychiatriegeschichte" über eine junge Cabaret-Tänzerin im Paris der Belle Epoque. Wie widersprüchlich diese Epoche zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und esoterischen Praktiken war, wird auch in Kambers Roman deutlich, dem es gelingt, verschiedene Körperpolitiken literarisch zu fassen, meint der Rezensent. Chronofotografie wie Hypnose, skrupellose Experimente bis hin zu einer peinlichen Entschuldigung für die Fehldiagnose des Psychiaters, der die junge Tänzerin untersucht, tauchen in Kambers Roman auf, alles nach historischen Vorbildern modelliert und theoretisch fundiert. Die Tagebuchaufzeichnungen der Tänzerin während ihrer Zeit in der Anstalt sind für Drees eine Übung in Selbstvergewisserung. Sie sei nicht psychisch krank, sondern nur zur Projektionsfläche einer Medizin geworden, die wenig wisse, sich aber als allwissend präsentiere. So gefällt dem Rezensenten nicht nur, wie gut Kamber die Techniken sichtbar macht, mit denen die Gesellschaft "deviantes Verhalten pathologisiert", sondern auch, dass Kamber am Ende eine kluge Studie über die Macht vorlegt, die angeblich nur Gutes will und doch nur Böses schafft.
© Perlentaucher Medien GmbH
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