Kommissar Charitos ist krank. Eigentlich sollte er sich ausruhen und von seiner Frau verwöhnen lassen. Doch so etwas tut ein wahrer Bulle nicht. Eher steckt er bei Hitze und Smog im Stau, stopft sich mit Tabletten voll und jagt im Schrittempo eine Gruppe von Verbrechern, die die halbe Halbwelt Athens in ihrer Gewalt hat.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Christina Zink hat den Kriminalroman mit anhaltendem Vergnügen gelesen, und das, obwohl sie den griechischen Autor für seine mitunter mangelhafte Erzählökonomie tadelt. Einige der 560 Seiten hätte man sich sparen können, meint die Rezensentin, die jedoch von "Witz, Charme und Ironie" Markaris' äußerst angetan ist. Sie preist die "reizvolle, geschickt verwobene" Krimihandlung und lässt sich auch nicht durch das für ihren Geschmack allzu spektakuläre Ende verstimmen. Als "besonderes Verdienst" lobt sie, dass der Autor auf simple Gut-Böse-Zuweisungen verzichtet hat, und richtig begeistert ist sie von den überaus "lebensnahen Figuren".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2001Wenn die Müllabfuhr streikt
Nostalgiker mit Aversionen: Kostas Charitos ermittelt in Athen
"Heutzutage arbeiten alle für das Fernsehen, Gott inbegriffen" - da ist sich Kostas Charitos ganz sicher. So erstaunt es ihn nicht, daß ausgerechnet das Fernsehgerät unversehrt geblieben ist, nachdem ein heftiges Erdbeben die kleine Kykladen-Insel verwüstet hat. Doch der Urlaub, den der Leiter der Athener Mordkommission hier verbringt, wird jäh durch den Fund einer Leiche beendet, die offenbar durch das Beben ans Tageslicht befördert wurde. Die Identifizierung wirft Probleme auf, so daß Charitos kurzerhand den Toten einpackt, um sich in Athen in die Ermittlungen zu stürzen. Kaum angekommen, erwartet ihn die nächste Leiche, und die Ermittlungen führen ihn geradewegs ins Rotlichtmilieu.
Doch wer nach diesem Auftakt eine actiongeladene Handlung erwartet, wird enttäuscht werden. Im Gegenteil - der mittlerweile zweite Roman um Kommissar Charitos ist eine verhaltene Studie eines Ermittlers und seiner Umgebung, die an den entscheidenden Stellen eher zum Retardieren neigt, als auf grelle Effekte zu setzen. So führt seine Recherche den Kommissar zunächst zu Elena Koustas, der Witwe des Ermordeten, die Charitos vor Jahren in überaus erotischen Posen als Varietétänzerin bewundert hatte. Diese Erinnerung scheint im Bewußtsein des Kommissars alle Gegenwart zu überlagern - der gewohnt sarkastisch-ironische, dann und wann auch provokante Tonfall des spröden Kommissars verwandelt sich in einen fast zärtlich-schüchternen, sobald er die beruhigende Stimme der Koustas vernimmt.
Tatsächlich lebt das Buch einzig von den Brüchen und Marotten im Wesen des Kommissars, der den Erscheinungen der Moderne insgesamt den Krieg erklärt hat und seine Aversionen gegen jegliche Arten von Neuerungen sorgfältig pflegt - sein Haß trifft gleichermaßen die Europäische Union, Sojawürfel und Mobiltelefone, deren Klingelvarianten allerorts seine Ohren beleidigen, vor allem aber Panos, den gar nicht mehr so neuen Freund seiner Tochter Katerina, den er dennoch wohl nie als geeigneten Schwiegersohn akzeptieren wird.
Die Berichte aus dem Familienleben des Kommissars wechseln in regelmäßigen Abständen mit denen über die Ermittlung und vermischen sich zuweilen. Nebenbei zeichnet Markaris ein überaus lebendiges Bild von der Athener Gegenwart. Charitos' Nachforschungen vollziehen sich buchstäblich im Schrittempo - eine andere Geschwindigkeit würde das Verkehrsdesaster der Großstadt gar nicht gestatten. So hat der Leser Anteil an etlichen, ewig langen Autofahrten durch die erdrückende Sommerhitze und am stundenlangen Häuserblockumfahren, bis sich dann endlich doch eine Parklücke auftut. Überdies streikt gerade wieder einmal die Müllabfuhr, so daß Athen im Abfall zu ersticken droht. Smog und die Düfte des Unrats vermischen sich zu einer Dunstwolke, die so intensiv beschrieben wird, daß sie sogar den Leser physisch bedrängt.
Dann und wann bedauert man, daß der Autor seiner enormen Fabulierlust allzusehr nachgibt und darüber die Gebote erzählerischer Ökonomie vernachlässigt. Einige der fünfhundertsechzig Seiten hätte man durchaus entbehren können. Die Gefahr, den Leser über seine Ausschweifungen zu verlieren, geht Markaris gleichwohl nicht ein. Er plaziert seine Köder so zielgenau, daß die Neugier auf die Auflösung immer wachgehalten wird.
Mit Witz, Charme und Ironie erzählt Markaris eine reizvolle, geschickt verwobene Kriminalgeschichte mit überaus lebensnahen Figuren, und es ist das besondere Verdienst des Romans, daß eine glatte Zuordnung nach Gut und Böse hier nicht aufgeht, daß Täter wie Opfer gleichermaßen als gebrochene und zumeist rätselhafte Gestalten präsentiert werden. Dies versöhnt selbst mit dem spektakulären Ende, das der Gesamtkonstruktion der Handlung leider etwas entgegensteht.
CHRISTINA ZINK
Petros Markaris: "Nachtfalter". Ein Fall für Kostas Charitos. Roman. Aus dem Neugriechischen übersetzt von Michaela Prinzinger. Diogenes Verlag, Zürich 2001. 560 S., geb., 46,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nostalgiker mit Aversionen: Kostas Charitos ermittelt in Athen
"Heutzutage arbeiten alle für das Fernsehen, Gott inbegriffen" - da ist sich Kostas Charitos ganz sicher. So erstaunt es ihn nicht, daß ausgerechnet das Fernsehgerät unversehrt geblieben ist, nachdem ein heftiges Erdbeben die kleine Kykladen-Insel verwüstet hat. Doch der Urlaub, den der Leiter der Athener Mordkommission hier verbringt, wird jäh durch den Fund einer Leiche beendet, die offenbar durch das Beben ans Tageslicht befördert wurde. Die Identifizierung wirft Probleme auf, so daß Charitos kurzerhand den Toten einpackt, um sich in Athen in die Ermittlungen zu stürzen. Kaum angekommen, erwartet ihn die nächste Leiche, und die Ermittlungen führen ihn geradewegs ins Rotlichtmilieu.
Doch wer nach diesem Auftakt eine actiongeladene Handlung erwartet, wird enttäuscht werden. Im Gegenteil - der mittlerweile zweite Roman um Kommissar Charitos ist eine verhaltene Studie eines Ermittlers und seiner Umgebung, die an den entscheidenden Stellen eher zum Retardieren neigt, als auf grelle Effekte zu setzen. So führt seine Recherche den Kommissar zunächst zu Elena Koustas, der Witwe des Ermordeten, die Charitos vor Jahren in überaus erotischen Posen als Varietétänzerin bewundert hatte. Diese Erinnerung scheint im Bewußtsein des Kommissars alle Gegenwart zu überlagern - der gewohnt sarkastisch-ironische, dann und wann auch provokante Tonfall des spröden Kommissars verwandelt sich in einen fast zärtlich-schüchternen, sobald er die beruhigende Stimme der Koustas vernimmt.
Tatsächlich lebt das Buch einzig von den Brüchen und Marotten im Wesen des Kommissars, der den Erscheinungen der Moderne insgesamt den Krieg erklärt hat und seine Aversionen gegen jegliche Arten von Neuerungen sorgfältig pflegt - sein Haß trifft gleichermaßen die Europäische Union, Sojawürfel und Mobiltelefone, deren Klingelvarianten allerorts seine Ohren beleidigen, vor allem aber Panos, den gar nicht mehr so neuen Freund seiner Tochter Katerina, den er dennoch wohl nie als geeigneten Schwiegersohn akzeptieren wird.
Die Berichte aus dem Familienleben des Kommissars wechseln in regelmäßigen Abständen mit denen über die Ermittlung und vermischen sich zuweilen. Nebenbei zeichnet Markaris ein überaus lebendiges Bild von der Athener Gegenwart. Charitos' Nachforschungen vollziehen sich buchstäblich im Schrittempo - eine andere Geschwindigkeit würde das Verkehrsdesaster der Großstadt gar nicht gestatten. So hat der Leser Anteil an etlichen, ewig langen Autofahrten durch die erdrückende Sommerhitze und am stundenlangen Häuserblockumfahren, bis sich dann endlich doch eine Parklücke auftut. Überdies streikt gerade wieder einmal die Müllabfuhr, so daß Athen im Abfall zu ersticken droht. Smog und die Düfte des Unrats vermischen sich zu einer Dunstwolke, die so intensiv beschrieben wird, daß sie sogar den Leser physisch bedrängt.
Dann und wann bedauert man, daß der Autor seiner enormen Fabulierlust allzusehr nachgibt und darüber die Gebote erzählerischer Ökonomie vernachlässigt. Einige der fünfhundertsechzig Seiten hätte man durchaus entbehren können. Die Gefahr, den Leser über seine Ausschweifungen zu verlieren, geht Markaris gleichwohl nicht ein. Er plaziert seine Köder so zielgenau, daß die Neugier auf die Auflösung immer wachgehalten wird.
Mit Witz, Charme und Ironie erzählt Markaris eine reizvolle, geschickt verwobene Kriminalgeschichte mit überaus lebensnahen Figuren, und es ist das besondere Verdienst des Romans, daß eine glatte Zuordnung nach Gut und Böse hier nicht aufgeht, daß Täter wie Opfer gleichermaßen als gebrochene und zumeist rätselhafte Gestalten präsentiert werden. Dies versöhnt selbst mit dem spektakulären Ende, das der Gesamtkonstruktion der Handlung leider etwas entgegensteht.
CHRISTINA ZINK
Petros Markaris: "Nachtfalter". Ein Fall für Kostas Charitos. Roman. Aus dem Neugriechischen übersetzt von Michaela Prinzinger. Diogenes Verlag, Zürich 2001. 560 S., geb., 46,90 DM.
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»Markaris' Kommissar Kostas Charitos hat längst Kultstatus.« Welt am Sonntag Welt am Sonntag