"Die Nacht zum Tag werden lassen" war der Kerngedanke, der Otto Reitspergers Fotoserie "Nachthell" zugrunde lag. Mittels analoger Fotografie, extremer Belichtungszeit und dem Vollmond als alleiniger Lichtquelle hat er in Wüsten und am Meer fotografiert. Entstanden sind stimmungsvolle, malerische Aufnahmen, die eines gemeinsam haben: Sie offenbaren, was das menschliche Auge nicht erfassen kann. Statt nächtlichem Dunkel überraschen die Fotos mit Helligkeit und Farben und sind dabei von einer besonderen Ästhetik. Eindrücklich und flüchtig zugleich machen sie die im Verborgenen liegende Wirklichkeit sichtbar.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.12.2016Somnambule Stimmung
Mit seinen Langzeitbelichtungen von Meeren macht der Fotograf
Otto Reitsperger die Nacht zum Tag
VON STEFAN FISCHER
Die Nacht zum Tag machen: Das sagt man, wenn man nicht schlafen, sondern feiern will. Nicht selten aber führt solch eine Nacht nur in noch größere Düsternis, als sie nächtens ohnehin schon herrscht. Licht in der Dunkelheit schimmert nicht in den hinteren Winkeln von Clubs und nicht am Boden von Bierflaschen. Jedenfalls kein natürliches. Für solches muss man hinausgehen, etwa ans Meer, wie der Fotograf Otto Reitsperger das getan hat. Das bloße Auge gewöhnt sich allmählich an die Dunkelheit, nimmt Konturen wahr, wo vorher keine zu erkennen waren. Trotzdem bleibt es weitgehend dunkel. Anders, wenn man fotografiert: Die Linse kann so viel Licht einfangen, dass es auch auf Nachtaufnahmen taghell wird. Wobei diese Helligkeit, wie sie auf Reitspergers Aufnahmen zu sehen ist, eine andere ist als das tatsächliche Tageslicht. „Nachthell“ heißt sein Fotoband deshalb folgerichtig.
Bis zu eine Stunde beträgt die Belichtungszeit der Fotografien, weshalb auf einigen von ihnen das Sternenlicht streifenförmig ist. Keine Sternschnuppen sind das, die Erddrehung führt zu diesem Effekt. Aufgebaut sind die quadratischen Bilder gleich: Im unteren Drittel die Erde – meist das Wasser eines Meeres –, darüber der Himmel, getrennt von einer scharfen Horizontlinie.
Diese der Nacht abgerungenen Fotografien „wirken schemenhaft und auf eigentümliche Weise immateriell, flüchtig und ungreifbar“, schreibt Reinhard Buskies in seinem Vorwort. Tatsächlich ist eine Struktur – sei es durch Wellengang, Wolkenformationen oder durch Schatten –, die bei millisekundenkurzer Belichtung im Sonnenlicht zwangsläufig sichtbar wird, hier nicht zu erkennen. Auf diese Weise sind Otto Reitspergers Aufnahmen radikal reduziert, auf Farbtöne. Es gibt eine Nähe zur Malerei, von der Reitsperger ursprünglich herkommt, ehe er sich ab den Neunzigerjahren vermehrt der Fotografie zugewandt hat. Ganz aber geht die Gegenständlichkeit nicht verloren. Buskies zitiert in seinem Begleittext Roland Barthes, der der Fotografie die „Beglaubigung von Präsenz“ zugeschrieben hat. Das Meer, der Horizont, manche Landschaftsformation – sie sind dokumentiert in den Bildern. Trotz der somnambulen Stimmung, einer traumhaften Klarheit, die aber nicht zu greifen ist. Otto Reitsperger zwickt den Betrachter gewissermaßen, indem er für jedes Bild die Umstände der Entstehung schildert. Es ist wahr, was hier zu sehen ist – wenn in Natur auch nicht mit bloßem Auge.
Otto Reitsperger: Nachthell. Night Bright. Edition Braus, Berlin 2016. 104 Seiten, 29,95 Euro.
REISEBUCH
Die Ägäis (l.) und der Atlantik vor Nordafrika: Ausdrücke von Ewigkeit.
Fotos: Otto Reitsperger
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Mit seinen Langzeitbelichtungen von Meeren macht der Fotograf
Otto Reitsperger die Nacht zum Tag
VON STEFAN FISCHER
Die Nacht zum Tag machen: Das sagt man, wenn man nicht schlafen, sondern feiern will. Nicht selten aber führt solch eine Nacht nur in noch größere Düsternis, als sie nächtens ohnehin schon herrscht. Licht in der Dunkelheit schimmert nicht in den hinteren Winkeln von Clubs und nicht am Boden von Bierflaschen. Jedenfalls kein natürliches. Für solches muss man hinausgehen, etwa ans Meer, wie der Fotograf Otto Reitsperger das getan hat. Das bloße Auge gewöhnt sich allmählich an die Dunkelheit, nimmt Konturen wahr, wo vorher keine zu erkennen waren. Trotzdem bleibt es weitgehend dunkel. Anders, wenn man fotografiert: Die Linse kann so viel Licht einfangen, dass es auch auf Nachtaufnahmen taghell wird. Wobei diese Helligkeit, wie sie auf Reitspergers Aufnahmen zu sehen ist, eine andere ist als das tatsächliche Tageslicht. „Nachthell“ heißt sein Fotoband deshalb folgerichtig.
Bis zu eine Stunde beträgt die Belichtungszeit der Fotografien, weshalb auf einigen von ihnen das Sternenlicht streifenförmig ist. Keine Sternschnuppen sind das, die Erddrehung führt zu diesem Effekt. Aufgebaut sind die quadratischen Bilder gleich: Im unteren Drittel die Erde – meist das Wasser eines Meeres –, darüber der Himmel, getrennt von einer scharfen Horizontlinie.
Diese der Nacht abgerungenen Fotografien „wirken schemenhaft und auf eigentümliche Weise immateriell, flüchtig und ungreifbar“, schreibt Reinhard Buskies in seinem Vorwort. Tatsächlich ist eine Struktur – sei es durch Wellengang, Wolkenformationen oder durch Schatten –, die bei millisekundenkurzer Belichtung im Sonnenlicht zwangsläufig sichtbar wird, hier nicht zu erkennen. Auf diese Weise sind Otto Reitspergers Aufnahmen radikal reduziert, auf Farbtöne. Es gibt eine Nähe zur Malerei, von der Reitsperger ursprünglich herkommt, ehe er sich ab den Neunzigerjahren vermehrt der Fotografie zugewandt hat. Ganz aber geht die Gegenständlichkeit nicht verloren. Buskies zitiert in seinem Begleittext Roland Barthes, der der Fotografie die „Beglaubigung von Präsenz“ zugeschrieben hat. Das Meer, der Horizont, manche Landschaftsformation – sie sind dokumentiert in den Bildern. Trotz der somnambulen Stimmung, einer traumhaften Klarheit, die aber nicht zu greifen ist. Otto Reitsperger zwickt den Betrachter gewissermaßen, indem er für jedes Bild die Umstände der Entstehung schildert. Es ist wahr, was hier zu sehen ist – wenn in Natur auch nicht mit bloßem Auge.
Otto Reitsperger: Nachthell. Night Bright. Edition Braus, Berlin 2016. 104 Seiten, 29,95 Euro.
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Die Ägäis (l.) und der Atlantik vor Nordafrika: Ausdrücke von Ewigkeit.
Fotos: Otto Reitsperger
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