Bombastisch
Die in Buenos Aires geborene deutschsprachige Schriftstellerin María Cecilia Barbetta hat mit «Nachtleuchten» ihren zweiten Roman veröffentlicht, er wurde vom Feuilleton wohlwollend aufgenommen und auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2018 gewählt. Seit ihrem 24ten Lebensjahr
in Berlin lebend hat die Autorin quasi einen argentinischen Roman geschrieben, Ort der Handlung ist…mehrBombastisch
Die in Buenos Aires geborene deutschsprachige Schriftstellerin María Cecilia Barbetta hat mit «Nachtleuchten» ihren zweiten Roman veröffentlicht, er wurde vom Feuilleton wohlwollend aufgenommen und auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2018 gewählt. Seit ihrem 24ten Lebensjahr in Berlin lebend hat die Autorin quasi einen argentinischen Roman geschrieben, Ort der Handlung ist das Stadtviertel Ballester in Buenos Aires, wo sie aufgewachsen ist. Ihre Heimat in der Zeit vor dem Putsch von 1976 bildet nämlich nicht nur das Thema für dieses breit angelegte Epos der kleinen Leute, sie hinterlässt mit vielen - leider meist unübersetzten - spanischen Zitaten auch sprachlich deutliche Spuren im Text.
Der kryptische Titel des Buches bezieht sich auf eine mit Leuchtfarbe angemalte Marienfigur aus Plastik, eine verkleinerte, fluoreszierende Replik der argentinischen Nationalheiligen, die eine sendungsbewusste Schülerin verschiedenen Haushalten als Leihgabe für jeweils eine Woche aufschwatzt, damit sie dort ihre wundersamen Kräfte entfalte. Diese potentielle Integrationsfigur der auseinander strebenden politischen Kräfte des Landes wirkt erzählerisch überzeugend als Leitmotiv. In drei Teile mit jeweils 33 Kapiteln gegliedert, - Jesus wurde 33 Jahre alt, Evita Perón ebenfalls (sic!) -, endet der Roman mit einem die Zeit negierenden Epilog unter dem Titel «Die vierte Dimension». Darin zerschellt diese Figur, wobei im Sturz die gesamte Erzählung in einem einzigen fünfseitigen Satz chorartig noch mal komplett rekapituliert wird.
In dem dreiteiligen Panorama der Gesellschaft Argentiniens mit ihren unterschiedlichen Milieus wird zunächst von den Kameradinnen einer streng katholischen Mädchenschule erzählt, die eine ebenso fromme wie strenge Erziehung genießen und eine religiös geprägte Revolution unter dem Motto «Transformation zum Guten» anstoßen wollen. In der Kfz-Werkstatt «Autopia», beim schwulen Friseur «Ewige Schönheit» oder in der Chemischen Reinigung «Clean Eastwood» erleben wir eine Schar von Laienphilosophen, die allesamt - vor dem politischen Hintergrund des aus dem Exil zurückgekehrten Präsidenten Perón und dem späteren Putsch gegen seine Witwe Isabel - über Gott und die Welt schwadronieren, was amüsant zu lesen ist als unterhaltende, aber kaum ernst zu nehmende Alltagsphilosophie. Es schließt sich zeitlich die Militärdiktatur an mit ihren Todesschwadronen, wobei der unheilschwangere politische Hintergrund hier allenfalls als Kulisse für das Leben der kleinen Leute dient, die Schrecken dieser Zeit werden, meist in Form eingeblendeter Zeitungsmeldungen, nur sehr dezent angedeutet, der Horror bleibt weitgehend ausgespart.
Mit ausufernder Fabulierlust erzählt die Autorin überaus blumig, auf verschlungenen Pfaden und in zahllosen Einzelszenen, aus dem Leben ihrer ebenfalls zahllosen, zumeist über Dialoge erschlossenen, durchweg sympathischen Figuren. Deren schiere Vielzahl aber bleibt nur mit Hilfe eines akribisch geführten Spickzettels wenigstens einigermaßen überschaubar. Geradezu artistisch jongliert Señora Barbetta besonders im spiritistisch geprägten dritten Teil ihrer Geschichte mit handlungsfernen Exkursen sowie diversen sprachlichen, typografischen und kabbalistischen Formen. Und so manche Verzweigung im Plot endet auch ganz unvermutet in einer Sackgasse. Die Vespa fahrende, schöne Nonne zum Beispiel, die anfangs wohl des Lesers Neugier erregen soll, endet sang- und klanglos in einer Blutlache, warum bleibt offen. Spielerisch benutzte Anagramme, lautmalerische Begriffe, aber auch eine Überfülle an nicht immer ernst zu nehmenden Reflektionen garnieren die Geschichte, anbiedernd ergänzt um eine Unzahl typisch deutscher Redensarten. Eher ärgerlich sind Pleonasmen und andere sprachliche Mätzchen in diesem bombastisch aufgemotzten, letztendlich aber langweiligen Roman, in dem die reichlich vorhandenen, intellektuellen Fähigkeiten seiner Autorin ziemlich eitel im Vordergrund stehen.